Unsichtbares sichtbar gemacht
Mit Illusionen auf dem Weg ins Unbewusste
Nature: Gehirnaktivität in hoher raum-zeitlicher Auflösung
Noch
bevor wir etwas wahrnehmen, laufen unbewusst komplexe Hirnprozesse ab:
In Sekundenbruchteilen breiten sich Aktivitätswellen in
Nervenzell-Netzwerken aus, wird die Außenwelt im Gehirn abgebildet -
doch für uns bleibt zunächst vieles unsichtbar. Junior-Professor Dr.
Dirk Jancke (Kognitive Neurobiologie, Lehrstuhl für Allgemeine Zoologie
und Neurobiologie der RUB) hat jetzt Unsichtbares sichtbar gemacht. Mit
einem neuen optischen Verfahren zur Messung von Gehirnaktivität,
entwickelt im Labor von Prof. Dr. Amiram Grinvald (Weizmann Institute
of Science, Israel), fand er erstmals ein neurophysiologisches Korrelat
einer visuellen Bewegungsillusion in "Echtzeit". Während komplexe
Wahrnehmungsleistungen meist höheren Hirnarealen zugeschrieben werden,
machte Jancke diese Entdeckungen bereits in frühen, sog. primären
Arealen der Großhirnrinde. Über die Ergebnisse berichtet das
Wissenschaftsmagazin NATURE in seiner Ausgabe vom 25. März 2004.
Line-Motion Illusion: Unbewegtes bewegt sich Für
seine Untersuchungen wählte Jancke das Phänomen der visuellen
Illusionen - gleich einer optischen Sinnestäuschung, wenn die
wahrgenommene nicht der physikalisch präsenten Welt entspricht.
Illusionen scheinen sich besonders für Fragestellungen in der
Hirnforschung zu eignen, bei denen es um Wahrnehmungen, Empfindungen,
bis hin zum Bewusstsein geht. Werden zum Beispiel auf einem Monitor
kurzzeitig ein Lichtpunkt und wenig später ein Lichtbalken dargestellt,
dann nehmen wir den Lichtbalken nicht als solchen wahr: Der Balken
scheint sich ausgehend vom Ort des zuvor gesehenen Lichtpunktes
sukzessiv bis zur vollen Balkenlänge auszudehnen - man spricht von der
"Line-Motion Illusion". Von den in Wirklichkeit unbewegten Objekten
wird im Gehirn die Illusion von Bewegung erzeugt. Ähnlich wie beim
Betrachten eines Kinofilms führt hier die Abfolge statischer Bilder zur
Wahrnehmung kontinuierlicher Bewegung.
Optical Imaging - neuronale Aktivität in Echtzeit Will
man die zugrundeliegenden Verarbeitungsmechanismen des Gehirns
entschlüsseln, braucht man eine Messmethode, die möglichst große
Gehirnbereiche mit präziser örtlicher und zeitlicher Auflösung
untersucht. Jancke nutzt dafür eine von Prof. Amiram Grinvald am
Weizmann Institut (Israel) entwickelte Methode, bei der ein
fluoreszenter Farbstoff in die Membranen von Hirnzellen eingelagert
wird. Unter rotem Licht bestimmter Wellenlänge "leuchten" diese
Nervenzellen umso stärker auf, je aktiver sie gerade sind, weil
fluoreszentes Licht emittiert wird. Die so gewonnenen Signale
registriert ein hochempfindliches Kamerasystem. Daraus entsteht dann
mit Hilfe von speziellen computergestützten Rechenoperationen ein
genaues Bild der momentanen Hirnaktivität. Das Besondere: Jancke
erfasst auch unterschwellige Aktivität in den einzelnen Nervenzellen
und untersucht damit ihre Kommunikation über ein weitverzweigtes
Netzwerk hinweg.
Bewegter Balken im Gehirn Treffen
die Signale von Lichtpunkt und Lichtbalken auf die Netzhaut, dann
werden sie dort getrennt registriert und an nachfolgende
Gehirnstrukturen weitergeleitet. Schon auf der ersten kortikalen
Verarbeitungsebene, den primären visuellen Arealen der Großhirnrinde,
stellte Jancke am Weizmann Institut unerwartet weitreichende
Verarbeitungsprozesse fest. Der Lichtpunkt löst in diesen frühen
Gehirnstrukturen unterschwellige und weitreichende Erregungswellen aus.
Was wir davon wahrnehmen, ist allerdings lediglich "die Spitze des
Wellenkammes". Nur diese lokale Information über den Ort des
Lichtpunktes wird an andere Gehirnareale weitergeleitet, während der
Großteil unterschwelliger Aktivitätsbereiche unserer Wahrnehmung
zunächst verborgen bleibt. Erst ein nachfolgender Reiz, wie der
Lichtbalken bei der "Line-Motion Illusion", hebt die sich ausbreitende
unterschwellige Aktivitätswelle auf ein höheres, dann wahrnehmbares
Niveau: Der Balken "wächst vor unseren Augen", das Gehirn täuscht uns
aus zwei unbewegten Objekten Bewegung vor. Unsere Wahrnehmung "surft
entlang" einer nun überschwelligen Aktivitätswelle. (Film der Illusion
und kortikales Korrelat unter:) http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/Dirk.Jancke/line-motion-examples.html
Unbewusst vorbereitet sein Unser
Gehirn ist nicht deshalb so komplex, damit es uns fortwährend täuschen
kann, sondern damit wir uns in einer sich stetig bewegenden und
verändernden Umwelt besser zurecht finden können. Auf plötzlich
erscheinende Objekte, wie ein heranrasendes Auto, werden wir vermutlich
durch unterschwellig weit vorauseilende Gehirnaktivitäten intern
"vorbereitet", um Verarbeitungszeit zu sparen und schnell reagieren zu
können. Darüber hinaus können raum-zeitliche Beziehungen zwischen und
innerhalb von Objekten durch weitreichende unterschwellige
Gehirnaktivität integriert und nach Bedarf weiterverarbeitet werden um
ein ganzheitliches Bild von der Welt zu vermitteln: So nehmen wir ein
Blatt - umgeben von vielen anderen Blättern - einem Baum zugehörig
wahr, auch wenn es im Wind ständig seine Position verändert oder
zeitweise von anderen Blättern verdeckt wird, - für uns eine leichte
Aufgabe, mit der technische Systeme große Schwierigkeiten haben können.
Manche Weichen werden unbewusst gestellt... "Quasi-automatische"
Gehirnprozesse verschaffen uns stabile Bildwahrnehmungen und
erleichtern uns, visuelle Bewegung wahrzunehmen. Die vorliegende Studie
zeigt einen möglichen Basismechanismus. Daneben laufen weitere
Verarbeitungsprozesse ab: So kann die "Line-Motion-Illusion" auch durch
gezielt gesteuerte Aufmerksamkeit erzeugt werden, wenn wir den Blick
willkürlich auf einen bestimmten Ort im Raum richten. Es überrascht
jedoch das Ausmaß an Vorverarbeitung in einem primären Hirnareal. Dies
lässt darauf schließen, dass an nachfolgende, höhere Hirnregionen
bereits entscheidend modifizierte Informationen weitergegeben werden.
So werden manche Weichen möglicherweise sehr früh und nicht willentlich
gestellt.
Die Förderer Die
Studie wurde durch die Minerva Stiftung, die Marie Curie Stiftung,
durch das Grodetsky Center, die Goldsmith Stiftung sowie die Körber
Stiftung unterstützt.
Titelaufnahme Jancke,
D., Chavane, F., Naaman, S. & Grinvald, A.: Imaging cortical
correlates of illusion in early visual cortex. In: Nature VOL 428, S.
423-426.
NATURE Jancke
Auf
einem Monitor leuchtet kurz ein Lichtpunkt auf, gefolgt von einem
balkenförmigen Lichtreiz (s. Abb., a - Zeit). Diese einfache Anordnung
wird jedoch anders wahrgenommen: Der Balken scheint sich vom Ort des
Lichtpunktes auszudehnen und eine Bewegung vorzutäuschen (s. Abb., b).
Auf die Gehirnoberfläche geblickt, werden unterschiedliche
Aktivitätszustände farblich dargestellt (s. Abb., c). Jedes Bild ist
eine Momentaufnahme von 10 Millisekunden Dauer, es zeigt jeweils einen
etwa 7x3 mm großen Bereich, der Millionen von Nervenzellen umfasst. Die
Farben kennzeichnen den momentanen Aktivitätszustand: Dunkelrote
Bereiche beinhalten Nervenzellen mit überschwelliger Aktivität, - die
innerhalb des Areals und an höhere Hirnareale weitergleitet wird -,
während sich die von blau nach rot ansteigend gefärbten Gehirnbereiche
in unterschwelligen Aktivitätszuständen befinden. Der überschwellige,
dunkelrote Bereich entwickelt sich in die gleiche Richtung wie unsere
Wahrnehmung. Es entsteht ein neuronales Korrelat der Illusion (s. Abb.
b).