Zu allen Zeiten war Tanzen ein gesellschaftliches Ereignis, das vielen
Zwecken diente. Es gibt z.B. rituelle Tänze, meditative Tänze,
gesellschaftliche Tänze.
Rituelle Tänze findet man noch heute in vielen Kulturen. Sie haben
feierlichen Charakter und sind zweckbestimmt (Ernte, Wetter, Fruchtbarkeit,
mythische Ausrichtung). Als meditative Tänze seien zum Beispiel
die Drehtänze der Sufis, Trancetänze der Inuit oder der Steppenvölker
Asiens genannt. Hier geht es um Kontakt mit der "Anderswelt" und
um die Erlangung von Weisheit und Erkenntnissen.
Gesellschaftliche Tänze in unserer Kultur
In erster Linie tanzen wir, weil's Spaß macht. Ohne Musik ist
eine Feier nur unvollständig und wenn die richtigen Rhythmen gespielt
werden, ergibt sich das eine oder andere Tänzchen ganz von selbst.
Heute wie früher kann man Tanzen auch als Kommunikationsmittel
einsetzen: in früheren Zeiten war die Aufforderung zum Tanz oft der
einzige Weg für einen jungen Mann, relativ unverfänglich in Kontakt
mit seiner Angebeteten zu treten (und auch das "Revier abzustecken", man
denke nur an die Ballkarten, die bis vor einigen Jahren noch üblich
waren).
Mittelalter
(in dieser Betrachtung bis ca. 1500)
Zu den Tänzen des Mittelalters kann man leider nur wenig sagen,
es wurden im Gegensatz zur Renaissance keine Tanzbeschreibungen überliefert.
Wir wissen, daß es Reigentänze, Paartänze und Springtänze
gab. Dies kann man anhand von Bildern, Texten oder Liedtiteln nachweisen.
Aber die Schritte kann man sich nur bedingt aus den Renaissancebeschreibungen
ableiten, wenn wie bei Thoinot Arbeau von "alten Tänzen" die Rede
ist. Höfische wie ländliche Tänze dienten der Unterhaltung
(gleichwohl reichen die Wurzeln oft bis in vorchristliche Zeiten zurück).
Lediglich in ihrer Ausführung gab es Unterschiede, wie viele Kommentierungen
beweisen. So wurden die ländlichen Tänze meist als "tölpelhaft"
= ungelenk oder wegen des engeren, ungezwungeneren Körperkontaktes
als anstößig bezeichnet.
Dennoch wurden die ländlichen Tänze oft an die Höfe
übernommen und umgekehrt die höfischen Tänze bei der Landbevölkerung
beliebt.
Eine mögliche Erklärung, warum nur wenige Melodien und erst
recht keine Tanzbeschreibungen überliefert sind, kann mit der damaligen
Weltanschauung erklärt werden: im Mittelalter stand der Mensch als
Individuum nicht im Mittelpunkt. Das Leben war von Gott gegeben und hatte
Ihm gefällig zu sein. Kunst (darstellende und bildende K.) war nur
im sakralen Bereich erwünscht und wurde nur dort gefördert. Der
weltliche Bereich war zweitrangig, vergänglich und damit auch nicht
des Aufschreibens wert - wenn man einmal von den Ausnahmen absieht, wie
z.B. die carmina burana.
Die Menschen waren in ein relativ starres Ständesystem eingebunden,
das nach der vorherrschenden Meinung auch gottgegeben war.
Diese allgemeine Anschauung drückt sich auch in den Tänzen
aus. Es gab keine großartigen Soli, bei denen sich einzelne hervorheben
konnten.
Die Musik wurde mündlich bzw. instrumental weitergegeben, die
Spielleute beherrschten meist mehrere Instrumente. Es wurden Melodien variiert,
nachgeahmt, bearbeitet, aber leider selten aufgezeichnet. Die Spielleute
gehörten zur unteren Gesellschaftsschicht, waren selten seßhaft,
verachtet und geschätzt zugleich (Troubadoure, höfische Sänger,
Stadtpfeifer etc. nehme ich hier bewußt aus). Die Spielleute brachten
Lieder, Tänze, Nachrichten und Unterhaltung in die Dörfer und
an die Höfe.
Wir können davon ausgehen, daß die mittelalterlichen ländlichen
Tänze relativ einfach strukturiert waren, damit jeder gleich mitmachen
konnte. Wenn die Spielleute neue Tänze mitbrachten, so mußten
diese natürlich auch leicht erlernbar sein. Meist reichte Zuschauen
aus, um mittanzen zu können.
Bei den höfischen Tänzen wird es etwas anders ausgesehen
haben, da Tanzen zur Grundausbildung der Heranwachsenden gehörte.
Es wird auf die verschiedenen Tänze festgelegte Schrittkombinationen
gegeben haben, die zu erlernen waren. Dazu das höfische Benehmen oder
die korrekten Handfassungen.
Renaissance
(hier ab ca. 1500)
In der Renaissance veränderte sich das gesamte Weltbild des Menschen.
Nicht mehr Gott, sondern das Individuum rückte in den Mittelpunkt,
Naturwissenschaften bildeten sich aus, der Mensch begann zu forschen und
zu hinterfragen.
Äußerlichkeiten wurden immer wichtiger, Reichtum wurde offen
zur Schau gestellt. Selbst die Bewegungen des Menschen hatten vollkommen
zu sein. Ein Renaissancemensch ging nicht einfach von A nach B, er schritt
möglichst formvollendet zum Ziel.
So änderte sich auch die Einstellung zum Tanz. Die Bewegungen
sollten kunstvoll, elegant und anmutig sein. Der Einzelne konnte sein tänzerisches
Talent mit komplizierten Sprüngen und Drehungen präsentieren.
Damit bildete sich auch ein neues Berufsbild heraus: der Tanzmeister.
Dieser sollte den Menschen an einem Hof neue Tänze beibringen oder
altbekannte ausschmücken. Und nun beginnen auch die Aufzeichnungen.
Zu den bedeutendsten Sammlungen gehören neben den italienischen Aufzeichnungen
etwa eines Paolo Negri die "Orchésographie" des Thoinot Arbeau (Pseudonym
des Jehan Tabourot, Domherr von Langres) oder die Sammlung "Dancing Master"
von Playford.
Auch die Musiker stiegen in der sozialen Ordnung auf. Es wurden Orchester
gegründet, eine Menge neuer Instrumente wurden entwickelt, Kompositionen
wurden aufgeschrieben, die Mehrstimmigkeit nach festen Tonsatzregeln entwickelte
sich langsam (Stichwort Ars nova). Die Musiker brauchten nun nicht mehr
mit Musik, Tanz und Gaukelei ihren Lebensunterhalt verdienen, sondern es
reichte aus, wenn man ein einzelnes Instrument meisterhaft beherrschte
um ein dauerhaftes Engagement zu erhalten.
Sehr alt dürften die schreitenden Tänze sein. Dazu zählt
Arbeau die Basse Danse und die Pavane. Sie sind noch vergleichsweise einfach
zu erlernen, folgen aber schon vorgegebenen Schrittmustern. Besonders bei
der Basse Danse gab es zu jeder Melodie eine festgelegte Schrittreihenfolge.
Die Branles, französische Kreistänze, sind aus den ländlichen
Tänzen entstanden, was häufig die Namensgebung verrät (Branle
de Poitou, Branle de Bourgogne). Verleger wie Attaignant sammelten und
bearbeiteten Melodien, die dann mit Tanzbeschreibungen unterlegt wurden.
Bei den darstellenden Branlen ist es schwierig zu sagen, ob es sich
um ländliche Tänze handelte, die Eingang in den höfischen
Bereich gefunden haben, oder ob es sich um höfische Schöpfungen
handelt, die das Ländliche nachahmen (Branle des Rats, Branle des
Chevaux, Branle des Chandeliers, Gathering Peascods u.ä.).
Die schnelleren Tänze wie die Gaillarde oder die Courante gaben
den Tänzern die Möglichkeit, sich so richtig auszutoben und ihr
Können zur Schau zu stellen. Es gab Unmengen von Sprung- und Drehelementen,
die heute einer fundierten Ausbildung bedürfen, um ohne weiteres nachgemacht
zu werden. Die Gaillarde entspricht schon einem Solotanz, bzw. das Paar
kann sich frei auf der Tanzfläche bewegen, es gibt keine vorgegebenen
Tanzrichtungen mehr.
Wenn man von der festen Anordnung der Tänze (Basse Danse-Tourdion,
Pavane-Gaillarde, Allemande-Courante, Branle double-Branle simple) und
ihrer Dauer ausgeht, kann man nur über die Kondition der Renaissancetänzer
staunen.
Die meisten Tänze, die wir heute auf Mittelalterveranstaltungen
tanzen, besonders die darstellenden Branlen, entstammen eigentlich den
Aufzeichungen der
Renaissancetanzmeister. Aber wer kann schon mit hunderprozentiger Sicherheit
sagen, ob es sich dabei um Renaissanceerfindungen handelt, oder ob die
Wurzeln nicht doch in früheren Jahrhunderten liegen?
Wie ging es weiter?
Die Tänze der Renaissance wurden immer kunstvoller und schwieriger.
Und wurden dann auch vom Geschmack der Zeit überholt. Man orientierte
sich wieder an den einfachen, ländlichen Tänzen.
Arbeau hat mit seiner Orchêsographie und den erstmals festgelegten
Begriffen für Schritte und Fußstellungen die Grundlage für
das klassische Ballett mit den
Positionsbezeichnungen gelegt. Unschwer lassen sich aus den bei Arbeau
und anderen Tanzmeistern beschriebenen Figuren die Wurzeln des heutigen
Balletts erkennen.
Die heutigen Volkstänze dürften sich aus den wieder einfacher
gewordenen Tänzen des Barock entwickelt haben, unsere Standardtänze
entstammen den alten Paartänzen. Die Namensgebung verrät oft
noch das Ursprungsgebiet: Polka, Mazurka, Hackschottisch, Bourrée
und Ungaresca sind einige Beispiele hierfür.
Der Wechsel zwischen ländlichen und höfischen Tänzen
ist jedoch über alle Jahrhunderte geblieben (wir denken an die Entwicklung
des Walzers: heute der Gesellschaftstanz schlechthin, im Anfang anrüchig,
unzüchtig und eben ländlich!) und macht es aus heutiger Sicht
schwer, festzulegen, wie alt manche Tänze tatsächlich sind.
Im Zeitalter der Globalisierung findet folgerichtig auch auf diesem
Gebiet ein interkontinentaler Austausch statt: lateinamerikanische Tänze,
Trommelkurse mit afrikanischen Rhythmen, sogar Didgeridoo und Obertongesänge
gehören heute zu unseren Tanz- und Hörgewohnheiten.