Rede
zum Volkstrauertag
MartinLutherHaus 17.11. 1985
Wir gedenken heute der Opfer von Krieg und Gewalt in unserer Zeit: der
Soldaten,
die in den beiden Weltkriegen gefallen, ihren Verwundungen erlegen oder
in
Kriegsgefangenschaft gestorben sind, der Frauen, Kinder und
Männer,
die durch
Kriegshandlungen, auf der Flucht oder bei der Vertreibung aus ihrer
Heimat
ihr Leben
lassen mußten. Wir gedenken all derer, die unter der
Gewaltherrschaft
Opfer ihrer
Überzeugung oder ihres Glaubens wurden, und all derer, die
getötet
wurden, weil sie
einem anderen Volk angehörten oder einer anderen Rasse
zugerechnet wurden.
Wir
gedenken der Männer, Frauen und Kinder, die in der Folge des
Krieges
und wegen der
teilung Deutschlands und Europas ihr Leben verloren. Wir trauern mit
den
Familien
und freunden um die Gefallenen und Toten all der Völker, die
unter beiden
Weltkriegen
gelitten haben. Wir trauern mit den Angehörigen um die Opfer
des Terrorismus,
der
Kriege und Bürgerkriege unserer Tage. Wir trauern, doch wir
leben in
der Hoffnung auf
Versöhnung der Völker und Frieden in der Welt.
Für viele von uns ist dieses Gedenken vielleicht ein
unbequemes Thema,
mit dem
man bei vordergründiger Betrachtung nicht so recht etwas
anzufangen
weiß. Vierzig
Jahre nach Kriegsende verblaßt allmählich die
Trauer, abgesehen
vielleicht von der
Trauer der nächsten Angehörigen. Damit
ändert sich auch der
Sinn des Volkstrauertags.
Neben die Trauer tritt mehr und mehr das Nachdenken über die
Ursachen
der mehr als
Hundert Kriege, die es seit dem letzten Weltkrieg in aller Welt schon
wieder
gegeben
hat. Wie uns die Erfahrung leidvoll lehrt, kann Gedankenlosigkeit
tödlich
sein. Die
Wahlentscheidung von 1933 war eine der schrecklichsten Dummheiten der
Deutschen.
Fast ununterbrochen führen in unserem Jahrhundert nach wie vor
Menschen
Kriege
und Bürgerkriege. Sie haben immer wieder neue
Einfälle, einander
zu quälen und zu
vernichten. Den 55 Millionen Toten beider Weltkriege folgten seit 1945
weitere
30
Millionen als Opfer der Gewalt gegen Menschen. Als neue
Geißel ist
dabei neben den
Krieg der Terrorismus getreten, der zur Durchsetzung obskurer Ziele
rücksichtslos
und
heimtückisch unbeteiligte Menschen in den Tod reißt.
Es ist Terrorismus,
wenn in
Kaufhäusern Bomben gezündet werden. Aber es ist auch
Terrorismus,
wenn in
Südafrika Polizei in wehrlose Menschenmengen schießt
und täglich
Schwarze sterben,
weil sie demonstriert haben für ihre Menschenwürde.
Und es war
Terrorismus, als in
unserem Land vor über 40 Jahren 6 Millionen Juden und
Abertausende von
Russen,
Kommunisten, Sozialdemokraten und Zigeunern grausig abgeschlachtet
wurden.
Auch
die Gräber unseres Russenfriedhofs in Weddinghofen verbergen
manche
grauenvolle
Bluttat. Die Führer der evangelischen Kirche, gerade aus dem
Konzentrationslager
befreit, haben 1945 im Stuttgarter Schuldbekenntnis von einer
kollektiven
Schuld aller
Deutschen gesprochen. "Wir klagen uns an, daß wir nicht
mutiger bekannt,
nicht treuer
gebetet, nicht fröhlicher geglaubt, nicht brennender geliebt
haben."
So sagten die, die
gerade noch mit dem Leben davongekommen waren, weil sie nach
Kräften
Widerstand
geleistet hatten gegen die Gewaltherrschaft der Nazis. Sicherlich haben
die
meisten
Deutschen nicht selbst gemordet. Aber sie haben geschwiegen, wo sie
hätten
schreien
sollen. Und als einige geschrien haben, da war es wieder einmal zu
spät.
Was lernen wir daraus? Wie kann unsere Trauer fruchtbar werden,
daß
nicht
nocheinmal unser Volk Krieg erleben muß? Ich glaube, wir
Deutschen
haben mit der
unglaublichen Schuld von Millionen Opfern unseres Terrorismus damals
eine
ganz
besondere Verantwortung dafür, daß kein Krieg mehr
sei, nicht
in anderen Ländern und
erst recht nicht mehr bei uns. Einer der Fehler, die wir gemacht haben,
war:
die falsche
Partei zu wählen. Man hat sich verführen lassen von
großartigen
Versprechungen. Der
zweite Fehler war dann programmiert: man hat geschwiegen zur
Aufrüstung
Mitte der
Dreißigerjahre. Aus Trägheit, blindem Vertrauen,
oder vielleicht
schon aus Angst. Und
dann war man drin im Strudel der Gewalt. Es gab kein Zurück
mehr. Man
hat den
Zeitpunkt nicht erkannt, an dem das Volk noch hätte umkehren
können.
Volkstrauer
heute heißt: lernen aus dieser unserer Geschichte. Und die
Lehre ist:
Erkennt die
Zeichen der Zeit und wehret den Anfängen. Aus Rüstung
kann nie
und nimmer
dauerhaft Friede werden. Es gibt eine stärkere Waffe als jede
Pershing
II und jedes
SDI-Programm. Diese Waffe ist der Gott, der Liebe ist. Wo Menschen nach
der
Ordnung seiner Gewaltlosigkeit handeln, wächst ein geradezu
beängstigender
Mut,
ohne Gewalt für die Ziele einzutreten, die wichtiger sind als
alle nationalen
Interessen,
die zumeist eh nur die Interessen einiger weniger Machthaber im Volk
sind.
Ghandi,
Martin Luther-King, der Ruhrkampf 1923 und die Erfolge der
Solidarnosch-Gewerkschaft in Polen zeigen, daß auf Dauer die
Macht
der
Ohnmächtigen stärker sein kann als die Abschreckung
der noch so
perfekten
Waffensysteme. Inzwischen haben praktisch alle Machthaber erkannt,
daß
der Feind gar
nicht mehr das andere Volk ist, sondern der unaufhaltsame Fortschritt
und
die
Eigengesetzlichkeit der Aufrüstungsspirale. Das
Mißtrauen gegeneinander
und massive
Firmeninteressen treiben die Völker zu immer neuen
Rüstungswahnsinnstaten
an. Der
Hunger auf der Welt wäre längst nicht mehr, wenn auch
nur ein Bruchteil
der
Rüstungsausgaben für Entwicklungsprogramme verwendet
würde.
Allein an der bloßen
Existenz von kostspieligen Armeen sterben täglich 40.000
Kinder im Hunger.
Angesichts
dieser Entwicklung kann und darf unsere Trauer und geschichtliche
Verantwortung
für
den Frieden nicht einfach nur stummes Mitleid mit den Opfern sein.
Nein,
wir sind
gefordert, aktiv für den Frieden einzutreten. Trauer ist eine
Chance
zum
Über-Sich-Hinauswachsen. Das Eine ist, zu erkennen, sich zu
informierten,
was im
rüstungsbereich geschieht. Und in fürchte, wir haben
uns noch zu
wenig gegen die
Pershings gewehrt, nun haben wir hier die höchste
Atomwaffendichte der
Welt, sitzen
auf dem Pulverfaß. Möglicherweise ist es schon zu
spät, etwas
zu tun gegen den Strudel
der Vorkriegsgesetzmäßigkeit. Aber je
länger wir warten,
desto später wird es. Und die
Lektion unserer über 40 Jahre alten Schuld ist: rechtzeitig
schreien
und der Aufrüstung
widerstehen. Das Zweite ist, angesichts der Todesspirale
Aufrüstung
zu erkennen: Alle
wollen Frieden. Alle Völker wollen Abrüstung. Und
alle haben Angst,
die Gegner
könnten zuviel Waffen haben. Und darum, aus
Mißtrauen und Angst,
rüsten alle auf.
Nicht die fremden Völker sind der wahre Feind. Der wirkliche
Feind ist
unsere Angst,
unser Mißtrauen, ist die russische Angst, das russische
Mißtrauen,
die amerikanische
Angst, das amerikanische Mißtrauen. Und diesen Feind
bekämpfen
wir nicht mit
Waffen, sondern mit Vertrauen. Und hier will uns die geistliche
Waffenrüstung
des
Glaubens an die Macht Gottes ein grandioses Angebot machen: Wenn wir
wirklich
glauben wollen, daß Gott unsere feste Burg ist, unsere Wehr
und Waffen,
dann brauchen
wir tatsächlich keine Atomraketen und das andere Teufelszeug
der Militärs,
in einem
Land, das, so Altkanzler Schmidt, mit militärischen Mitteln eh
nicht
mehr zu verteidigen
ist. Wenn aber wir keine Waffen mehr haben, schwindet bei anderen
Völkern
die Angst,
wir könnten sie angreifen. Es ist äußerst
unwahrscheinlich,
daß heute noch ein Völk auf
Raubzüge geht. Also werden unsere politischen Gegner auf
unsere Abrüstungsschritte
hin auch abrüsten. Dann wird es eine
Abrüstungsspirale geben statt
der jetzigen
Aufrüstungsspirale. Das ist machbar und möglich. Aber
einer muß
den glaubhaften
Anfang machen. Und dann wird der Satz Realität: Gott ist unser
Schutz.
Bei Hunden
löst das Hinhalten der Kehle, also die absolute Wehrlosigkeit,
eine
völlige
Tötungshemmung aus. Bei Menschen löst der Verzicht
auf Gewalt ebenso
eine
Tötungshemmung aus, wenn Vertrauen da ist. Wir haben hiermit
nur noch
fast keine
Erfahrungen, weil wir ständig auf der Hut sind und uns von
allem und
jedem bedroht
fühlen. Wir sind da ganz am Anfang, Vertrauen als die Waffe zu
beherrschen,
die
wirksamer ist und zukunftsträchtiger als die besten
Waffensysteme der
Welt, die unsere
Zukunft radikal vernichten können. Vertrauen, Gewaltlosigkeit
will gelernt
sein. Wer
als Kind auf dem Schulhof schon lernt, sich mit den Fäusten zu
wehren,
wird kaum
verstehen können, daß ohne Drohung, Abschreckung,
Gewalt die Konflikte
auch zu
lösen sind. Darum fängt Abrüstung und
Friedenschaffen schon
in der Schule an, nein,
schon im Kindergarten, nein, schon in der Familie. Wenn die Eltern
ihren
Kindern mit
Schlägen und lauten Worten das Recht des Stärkeren
beibringen,
wie sollen da Kinder
jemals die Macht der Ohnmächtigen, die Möglichkeit
friedlicher
Konfliktlösung als
erfolgreichen Weg kennenlernen? Der Frieden fängt im
Elternhaus an!
Die Lehrpläne
der Schulen schreiben Friedenserziehung als Pflichtprogramm vor. Gut
so.
Wir könnten
sogar in der Art von Selbstverteidigungskursen trainieren, im Fall von
körperlicher
Bedrohung ohne Gewalt herauszukommen. Der immer belächelte Tip
Jesu
- ich halte
ihn für die Rettung der Welt: Ihr wißt,
daß es heißt:
Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich
aber sage euch: Ihr sollt euch überhaupt nicht gegen das
Böse wehren.
Wenn dich einer
auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch die linke
hin. - Ich
möchte Ihnen, liebe
Weddinghofener heute, 40 Jahre nach dem letzten Weltkrieg, angesichts
der
unsagbaren
Grauen des Krieges diese einfach und wirkungsvolle Lektion mit auf den
Weg
geben:
Haben Sie es auch nur ein einziges Mal in ihrem Leben probiert, wenn
Sie
auf die eine
Backe geschlagen werden, die andere auch noch hinzuhalten? Probieren
Sie
es aus, nur
ein einziges Mal, es könnte der Anfang des Wirkens von Gottes
Waffe
sein: der Liebe.
Das wünsche ich uns allen.
Predigt
über Neue Armut
Bodelschwinghhaus 3.11.85
Liebe Gemeinde, liebe Sozialhilfeempfänger!
Vorgestern haben sich die evangelischen Männerkreise aus Unna,
Kamen,
Hamm,
Ahlen und Bergkamen in der Stadthalle Ahlen getroffen, um über
die Berechtigung
und
die richtige Form von politischen Predigten zu sprechen. Ein
Oberkirchenrat
hielt ein
langes Referat, in dem er sagte, vom Evangelium her sei es oft
eindeutig
geboten,
politisch Partei zu ergreifen, auch wenn das manchem nicht recht
gefällt.
Unser neuer
Präses war auch da und sagte es konkret: heute könne
und dürfe
Kirche nicht mehr
schweigen zur Politik der Aufrüstung, Politik der
Arbeitsplätze-Wegrationalisierung,
zur
Politik des Sozialabbaus, zur Politik der Naturzerstörung, zur
Apartheidspolitik
Sädafrikas. Überall wo Politik Menschen Unrecht
antut, ist der
Prediger gefordert,
Gottes Willen nach Gerechtigkeit und Liebe unter den Menschen zu sagen
und
zu
bestimmten Dingen in der Politik ein klares Nein zu sagen. Das haben im
Alten
Testament die Propheten regelmäßig getan und fast
immer auch für
ihre Verkündigung
des Willens Gottes Prügel bezogen. Die Menschen wollen selbst
nach den
Umfrageergebnissen nicht eine Kirche, die zu allem Unrecht der Welt Ja
und
AMen
sagt, die Leute wollen eine eindeutige klare Kirche, die Unrecht
Unrecht
nennt. Und
besonders Armut ist ein Thema, um das die Kirche sich kümmern
soll.
Ob die Kirche zu
jeder neugeplanten Ampelanlage ihren Senf dazugeben soll, also
Tagespolitik
oder
CDU- oder SPD- oder grüne Politik mitmachen soll, das ist eine
ganz
andere Sache. Da
haben die Leute sicherlich recht, die sagen: Ihr lieben Pastoren,
überlaßt
doch auch noch
ein ganz klein wenig Arbeit den Stadträten. Sonst werden die
glatt arbeitslos.
Mit andern
Worten: Parteipolitik gehört ins Rathaus, nicht auf die
Kanzel. - So
war auf dem Ahlener
Kreismännertag die einhellige Meinung aller Teilnehmer. Und
auch das
war allen klar:
es gibt keine unpolitischen Predigten. Besonders klar wurde das, als
unser
Superintendent Meier feststellte, daß er seit 27 Jahren
politisch predige.
Damit hat er in
ganz vorbildlicher Weise allen den Wind aus den Segeln genommen, die
über
politische
Predigten schimpfen.
Am Nachmittag in Ahlen arbeiteten wird dann in Arbeitsgruppen
über einzelne
Themen, zu denen Kirche nicht schweigen darf. Ich durfte mit einer
Gruppe
über das
Problem wachsender Armut in unserem Land sprechen. Und ich habe allen
zu
Anfang
gesagt: Was ihr jetzt sagt zu diesem Thema, möchte ich am
Sonntag den
Sozialhilfeempfängern im Bodelschwinghaus Bergkamen predigen.
Ihr seid
also der
eigentliche Prediger, nicht Michael Lütge mit seinen Ideen und
Spinnereien.
Und ihr
müßt auch einen Bibeltext aussuchen, über
den die Predigt
dann entwickeln soll, wie
Gott zur Armut steht. Ich hatte natürlich schon eine
Vorauswahl von
4 Bibeltexten
zusammengestellt, denn wir konnten nicht die ganze Bibel durchforsten
und
über jede
Stelle abstimmen. Es gibt so viele Stellen in der Bibel zu
Arm und
Reich, daß es weiß
Gott keine leichte Wahl ist: Wehe euch, ihr Reichen, sagen die
Propheten
Amos, Hosea,
Jesaja, Jeremia, sagt Jesus. Glücklich seid ihr Armen, denn
Gott wird
euch satt machen
in seinem Reich, so wie der arme Lazarus in Abrahams Schoß im
Himmel
ist, während
der Reiche in der Hölle schmort, nach dem Tod. Jesus hat dem
reichen
Jüngling Armut
gepredigt. Und so weiter, die Bibel fließt über von
Parteinahme
Gottes für die Armen.
Jesus ist der Heiland der Armen. Ja, also, unsere
Männerarbeitsgruppe
wählte das
Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg als Predigttext für
heute aus.
Ich möchte es
Ihnen jetzt einmal vorlesen:
Mattaeus 20, 1- 15f
Die Arbeiter, die ganz zuletzt angefangen haben zu arbeiten, die also
am
wenigsten
getan haben, bekommen den gleichen Lohn wie die früh
angefangenen Arbeiter.
Ist das
nicht fies? Ist das nicht ungerecht? Gleicher Lohn für gleiche
Leistung,
das ist doch eine
vernünftige Forderung! Für dieselbe Arbeit sollen
Frauen genausoviel
verdienen wie
Männer - so die selbstverständliche Forderung der
Gewerkschaften
gegen die
sogenannten Leichtlohngruppen bei Frauenarbeit. Oder
Südafrika: Wer
unter uns
würde es für gerecht halten, daß in
Johannesburger Bergwerken
ein Schwarzer nur den
Sechsten Teil dessen verdient, was weiße als Arbeitslohn
erhalten,
für dieselbe Arbeit
wohlgemerkt! Und jetzt auch noch Gott, der Arbeiter dermaßen
ungleich
auszahlt? Ist
Gott einer von ddieser Sorte Unternehmern?
Natürlich nicht. Wir sollten wissen, daß
damals, zu Jesu
Zeit, auch viele arbeitslos
waren und als Tagelöhner herumzogen, immer in der Hoffnung,
für
ein paar Tage bei
irgendeinem Gutsherrn Unterkunft und Brot für einen
harten Feldtag
zu bekommen.
Und in solch einer Situation mögen den
Gutsherrn Mitleid
bewegt haben, die
Tagelöhner, die erst gegen Abend bei ihm eintrafen
und vorsprachen,
für den
zuendegehenden Tag eben noch ins Feld zu schicken, um wenigstens
einen
Vorwand zu
haben, ihnen auch den Tageslohn auszuzahlen. Für
einen Tagelöhner
damals war dieser
Lohn in der Tat das "tägliche Brot", um das Jesus jeden Tag
aufs neue
bat. Und ein Tag
ohne Lohn damals war ein Tag ohne Brot. Darum bekommen die
spät angefangenen
Arbeiter im Weinberg den vollen Tageslohn: sie brauchen genau
wie die
anderen ihr
tägliches Brot. Und das verspricht ihnen Gott in
seinem Reich.
Im Himmelreich soll
gelten: Jedem nach seinen Bedürfnissen! Keiner soll
hungern und
frieren. Und dieses
Himmelreich ist nicht nach dem Tod, sondern fängt hier mitten
unter
uns überall da an,
wo Menschen nach dem Willen Gottes leben. Wir können und
sollen diese
Erde zu
Gottes Reich umbauen. Gott will, daß wir die
Geschichten und
Gleichnisse seiner
Herrschaft zum Vorbild unseres Handelns machen. Wir sollen
dafür sorgen,
daß unter
uns und überall auf der Welt jedes Kind, jede Frau und jeder
Mann satt
werden.
Soweit das Gleichnis der Bibel. Nun zurück zum
Kreismännertag.
Wir hatten Streit
darüber, ob es bei uns überhaupt sowas wie
neue Armut gibt.
Einige wortgewandte
Teilnehmer sagten, Neue Armut gibt es nicht, das sei Parteipropaganda
und
solle
Emotionen aufwühlen gegen die augenblickliche
Regierungspartei.
Wir stellten fest,
daß es schon vor 10 Jahren 6 Millionen Arme bei uns in der
BRD gegeben
hat,
Menschen, die mit ihrem Einkommen am oder unterm Existenzminimum
liegen.
Bedauerlicherweise hat es die Leiterin unseres Bergkamener Sozialamts
abgelehnt,
an
diesem Gottesdienst teilzunehmen, sonst könnte sie uns an
dieser Stelle
wohl berichten,
daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger in letzter
Zeit doch zugenommen
hat. Ganz
sicher ist arm nicht identisch mit Sozialhilfeempfänger. Es
gibt Väter,
die mit 1200 DM
netto ihre 4 Kinder durchbringen müssen. Und wenn die zu stolz
sind,
um Sozialhilfe
dazu zu beantragen, sind diese Familien noch ärmer dran als
manche,
die vom Sozialamt
leben. Es gibt hier eine Hemmschwelle und falsch
Bescheidenheit und
Schüchternheit,
die überhaupt nicht nötig ist. So war das
einmütige Wort aller
Männer in Ahlen, hier
allen Mut zu machen: Geht zum Sozialamt! Laßt euch
informieren über
eure Rechte,
über das, was euch zusteht. Nehmt es an! Stellt die
entsprechenden Anträge!
Einige
meinten in Ahlen, die Armen unter uns sollten besser rechnen lernen,
nicht
gleich am
Monatsanfang alles ausgeben und am Ende nichts mehr haben.
Und wir
in der Kirche
sollten mal Kurse in Haushaltsfinanzierung anbieten. Ihr
Armen unter
uns, ich sage
euch: Wenn wir in der Kirche mit so wenig auskommen
müßten wie
ihr, dann wären wir
genauso pleite. Wir können auch nicht besser wirtschaften und
haushalten.
Aber wir
haben soviel, daß alle unsere Gemeinden leben
können. Und ich
kenne
Besserverdienende, die haben keine Viertausend Mark Schulden, sondern
Fünfzigtausend und mehr. Und denen sperrt man nicht das Konto,
die leben
flott weiter
mit dicken Schulden und dickem Wagen. Ich kann euch nicht verurteilen,
wenn
ihr euch
am Monatsanfang mal was leisten wollt nach Tagen des kargen
Lebens
Aber ihr müßt
auch wissen, daß euch kein anderer Ausweg bleibt als
knallhart zu rechnen
und euch das
Geld ganz straff über den Monat einzuteilen.
Ursache für die wachsende Armut unter uns ist die neue
Technologie.
Roboter und
Computer machen immer mehr Arbeiter arbeitslos. Und die
Bestimmungen,
unter
denen die Menschen, die keine Arbeit mehr haben, leben müssen,
werden
immer
schwerer. Diese Entwicklung der neuen Technologie ist schier
unaufhaltsam.
Es ist
kaum wahrscheinlich, daß es mal wieder Zeiten mit
Vollbeschäftigung
geben wird. Da
können wir in der Kirche weder wirkungsvoll mit Geld
weiterhelfen, noch
wird die
Industrie da gerade auf uns so sehr hören. Aber wir
müssen eins
ganz unmißverständlich
sagen: Wer heute arbeitslos wird, der ist kein schlechterer Mensch als
einer,
der noch das
Glück hat, einen Arbeitsplatz sein eigen zu nennen.
Arbeitslose sind
auch nicht fauler
als Arbeitende. Sie haben nur das Peck gehabt, in einem wirtschaftlich
unfähigen
Betrieb gearbeitet zu haben, der seine Arbeiter nicht halten konnte
oder
wollte. Ich
denke da an den Bergkamener Verkäufer, der nach
Karstadt-Schließung
sein Leben
nicht mehr berechtigt fand und es sich nahm. Wer arbeitslos
ist, ist
nicht deshalb schon
ein schlechterer Arbeiter. Und wer Arbeit hat, ist nicht deshalb schon
ein
besserer
Arbeiter. Wir sollten uns vor diesen Vorurteilen hüten. Wir
brauchen
ganz ganz
dringend an dieser Stelle ein Umdenken! Egal, ob es neue Armut gibt
oder
nicht, es muß
unter uns etwas wachsen, was es noch viel zu wenig gibt: eine
NEUE
SOLIDARITÄT!
Wir sind nicht unseres Glückes Schmied. Wir sind
wirtschaftlichen Zufällen
ausgeliefert.
Wer heute noch seine Nase hoch erhob über diese faulen
Arbeitslosen,
kann morgen
schon seine Entlassung im Briefschlitzlein haben. Darum laßt
uns dankbar
sein, solange
wir noch Arbeit haben. Laßt uns dafür sorgen,
daß genügend
Geld zur Verfügung steht,
um alle Arbeitslosen und Armen zu versorgen. Denn wenn eines Tages wir
selbst
mit
dazugehören, sind wir darauf angewiesen, daß eine
von Gottes Güte
erfüllte
Gesellschaft als oberstes ihrer Ziele gesetzt hat: Jeder soll soviel
bekommen,
daß er
wirklich leben kann. Das fordert ganz sicherlich denen, die besser
verdienen,
auch ihre
Opfer ab. Aber hat nicht auch Gott zuerst für die
Mägen gesorgt,
ehe die schönen
Künste und der Kirchbau dran waren? Neue Solidarität
heißt:
der Unterschied zwischen
Arbeitern und Arbeitslosen ist rein zufällig, und: Wer mehr
verdient,
kann auch mehr
abgeben, damit alle satt werden. Amen.
Predigt
über Joh. 15, 1-8
Friedenskirche 4. Aug. 85
Der Weinstock und die Reben oder: Christi Früchte
Liebe Freunde! Jesus hat es gerne mit dem Wein. Er liebt den Wein als
Getränk
und
als Gleichnis. Als Weinsäufer ist er verschrieen. Er trinkt
ihn mit
den von der
Gesellschaft Verstoßenen. Er redet von einer anderen Welt,
der Welt
Gottes, in der
Sanfmut und Verständnis die Menschen freundlich leben lassen.
Und wenn
er so
schwärmt von Gottes Welt, dann sagen die, die ihn gut zu
kennen meinen,
seine
Verwandtschaft, er sei voll des süßen Weins. Als sei
die Hoffnung
auf eine Welt ohne
Tränen nur die Entgleisung Betrunkener. Wahrscheinlich halten
die realistischen
Christen die Schwärmereien in der Bergpredigt auch
für nicht-zurechnungsfähigen
Unsinn. Tröstlich für alle, die sich so wie Jesus
nicht zufriedengeben
wollen mit der
ungerechten Verfassung der Weltordnung heutzutage. Denn wenn sie
verlacht
oder
verspottet werden als Tagträumer und Illusionisten, so
befinden sie
sich in der guten
Gesellschaft Jesu, dessen Reden von der fruchtbringenden Güte
Gottes
für die
ehrbaren Leute von damals auch lachhaft schienen und auf zuviel
Weingenuß
zurückgeführt wurden.
Wir sind ja zur Zeit vorsichtig mit Wein geworden, seit wir wissen,
daß
selbst
preisgekrönte Weine so dermaßen mit
Frostschutzmittel gepanscht
sind, daß man sie am
besten dem Kühler des Automobils kredenzt. Wir können
von Glück
sagen, daß wir hier
in der Friedenskirche beim Abendmahl Traubensaft trinken. Da sind wir
vor
Frostschutzmittel vielleicht grade noch sicher.
Aber es ist doch merkwürdig, daß wir hier in der
Sterilität
unserer kirchlichen
Traditionen nur ein sakrales Getränk haben und das ist auch
ausgerechnet
noch
Alkohol. Manchmal frage ich mich, ob Jesus nicht vielleicht Alkoholiker
war.
Im
Zentrum des Gemeinschafterlebens der Christen steht dieser verbindende
Genuß
des
Rebensaftes. Das verbindet uns mit Jesus, der auch Verbindung zu
anderen
Leuten
bekundet hat durch gemeinsames Zechen. Und weil er in der Welt des
Weines
zuhause
war, darum erzählt er die Verbindung zwischen ihm und seinen
Jüngern
anhand des
Bildes vom Weinstock. Jesus der Weinstock, die Jünger die
Reben, die
Frucht bringen.
Aber es bleibt nicht alles im feucht-fröhlichen Zecher-Milieu.
Die schlechten
Reben
werden bei der Ernte ins Feuer geworfen und verbrannt. Sie sind
funktionslos,
machen
nur mehr Arbeit bei der Ernte. Die harte Auslese der Winzer
für guten
Wein ist Jesus
zum Bild der richtenden Scheidung und Auslese Gottes geworden, die am
Ende
der
Geschichte die Opfer tröstet und die Rücksichtslosen
rücksichtslos
zurückläßt. Gott
wird die Menschen messen an ihrer Fruchtbarkeit für die Liebe.
Er wird
nicht alles am
Weinstock Kirche gleich gut finden. Er wird nicht alles am Weinstock
Welt
lieben und
genießen wie ich beim Griechen meinen Mavrodavne. Es wird
Christen
geben, es wird
Menschen geben, die waren, die sind zu weit entfernt von Jesus, seinem
Leben,
seinen
Träumen, seinem Geist, die vertrocknen innerlich, bekommen ein
kaltes
Herz, mit oder
ohne Frostschutzmittel haben sie auf Eiszeit geschaltet. Und die werden
verbrannt.
Die
werden am Ende nicht zu denen dazugehören, die Gott Freude
heißt
und mit ihnen das
neue Leben feiert.
Liebe Freunde! Bei Jesus gibt es nicht nur Friede Freude Eierkuchen,
Schwärmereien lull und lall. Jesus weiß auch zu
erzählen
von dem unerbittlichen und
unbestechlichen Augenmaß Gottes für gute und
schlechte Frucht.
Darum gehört es
zusammen, von der nährenden Freundlichkeit des Weinstocks
Jesus zu sprechen
und
eben auch von der harten Hand Gottes den Hartherzigen
gegenüber.
Ich will dies an einem Beispiel verdeutlichen. Wir haben in der
vergangenen
Woche
viel nachgedacht über Südafrika. Unsere neue Dritte
Welt Gruppe
hat Samstag vor
Schnückel Unterschriften gesammelt gegen die
Unterdrückung der
Schwarzen, unser
Presbyterium hat einen Brief geschrieben an den Botschafter
Südafrikas
und die brutale
Diktatur der Gewehre scharf verurteilt. Die Gottesdienstgemeinde des
letzten
Sonntags
hat ebenfalls den Rassismus in Südafrika ganz heftig
kritisiert. Die
Weißen in Südafrika
sind aber nun auch keine Bestien, sondern zum großen Teil
fromme Christen,
die
glauben, daß Gott die Schwarzen als eine eher dienende Rasse
geschaffen
hat, um die
man sich mit der Fürsorge eines Hundehalters kümmern
muß.
Die Weißen Südafrikas,
nicht alle, aber die meisten, gehen sonntags fleißig zur
Kirche, beten
eifrig und lesen die
Bibel. Sie tun ihrem Nachbarn nichts Böses, lieben ihre
Frauen, freuen
sich an der
Geschicklichkeit des schwarzen Dienstmädchens, wollen keinem
etwas.
Und ihre
Regierung, die Regierung dieser frommen, betenden Weißen,
kauft tüchtig
Waffen und
läßt schwarze Polizisten auf Schwarze
schießen, damit die
nicht mit Steinen werfen. Und
sie beten für eine friedliche Lösung des
Rassenkonfliktes, genau
wie wir. Aber sie tun
nichts, um den Schwarzen Wahlrecht und Ackerland zu geben, gleiche
Schulen
und
gleiche Löhne. Sie meinen es gut, beten, aber lassen alles
beim Alten.
Und ich fürchte,
daß sie ein Paradebeispiel sind für die schlechten
Reben, die
Gott verbrennen wird,
wenn Erntezeit ist. Und da ist dann auch nichts mehr drin. Verbrennen
heißt
eben nicht:
belohnen und bewahren, sondern heißt: die Weißen in
Südafrika
werden trotz aller
schönen Gebete dafür büßen
müssen, daß sie
nur gebetet haben und ihr Glauben keine
Früchte der Gerechtigkeit gezeigt hat.
Gute Frucht bringen die Reben, wenn sie sich an den Weinstock halten,
sich
von ihm
nähren lassen. Wer darauf vertraut, daß der Weg Jesu
ohne Gewalt,
ohne
Rangordnungen und ohne Ehrgefühle tatsächlich nicht
nur Spinnerei
eines alten Säufers
ist, sondern der schmale Weg zur Besserung dieser Welt, das
Geheimrezept
aller
künftigen Beziehungen zwischen freundlichen Menschen, Gruppen
und Staaten,
der
wird fruchtbar werden im großen Weinberg Gottes. Der wird
anderen zur
Stärkung
durch die Fähigkeit, sich schwach zu zeigen. Der wird anderen
zur Ermutigung
durch die
Fähigkeit, Fehlschläge und Fehler einzugestehen. Der
wird anderen
zu sättigendem
Brot und Wein durch die Fähigkeit, zu teilen, was jetzt wenige
satt
macht und viele
hungrig läßt. Amen.
Erntedankfestpredigt
zu Psalm 23 Friedenskirche 6. Okt. 1985
Liebe Gemeinde! Erntedankfest ist der falsche Begriff. Wir sollten es
Ernteundankfest nennen. Ist es dankbar gegen Gott, wenn wir
für Millionen
Mark
jährlich die Ernteüberschüsse der EG
vernichten, damit die
Preise stabil bleiben?
Während in Afrika die Menschen an der durch Regenmangel
ausbleibenden
Ernte
verhungern? Erntedankfest feiern ist zum Skandal geworden, wo die einen
ihre
Ernte
vernichten und die anderen gar keine haben. Für uns ist es ja
gar nicht
mehr Gott, der
eine gute Ernte gibt. Es sind die Finanzminister mit ihren Subventionen
und
ihrer
Agrarpolitik. Aber es ist auch nicht Gott, der die Leute in
Äthiopien
und vielen anderen
Ländern der Erde verhungern läßt. Es sind
Menschen, die die
Wirtschaftsstrukturen
geprägt haben. Es sind Menschen, die die Preise machen. Es
sind Menschen,
die auf
andere schießen bei den Aufständen, die die Armen
gelegentlich
trotz ihres Fatalismus
und ihrer Hoffnungslosigkeit doch noch probieren. Es sind Menschen, die
sich
in den
Ministerien armer Länder vor Bodenreformen und Neuverteilung
des Landes
drücken,
weil ihre eigene Familie oft selbst riesigen Großgrundbesitz,
Plantagen
oder Haciendas
hat, die sich dann nicht vergrößern
könnten. Hunger wird
von Menschen gemacht, von
Ministern, Industriellen, Großgrundbesitzer und von uns
harmlosen Verbrauchern.
Aber der 23. Psalm macht Gott für unser Wohlergehen
verantwortlich.
Der Herr ist
mein Hirte, singt ein Tempelsänger am Jerusalemer Tempel, der
Hofkapelle
des Königs
David. Gott ist wie ein guter Hirte, der für seine Schafe die
besten
Weidegründe auftut,
der weiß, wo seine Herde gut weiterziehen kann, der sie in
Gefahren
mit seinem
Schäferstab verteidigt. Der Psalm bricht das Bild Gottes als
des guten
Hirten ab, es geht
vom Schafehüten direkt und unvermittelt ins
Menschenhüten über.
Denn Schafen wird
natürlich nicht der Tisch im Angesicht ihrer Feinde bereitet
und ihnen
wird der Kopf
nicht gesalbt wie damals den neugekrönten Königen,
sondern geschoren
wie heute den
frischgebackenen Möchtegernpankern. Erst recht wird Schafen
nicht voll
eingeschenkt.
Schon eher dem König David selbst, der es sich auch leisten
konnte,
in den Vollen zu
leben. Wir haben sicherlich nicht alle königlichen Luxus. Es
gibt unter
uns Leute mit
leerem Eisschrank. Aber die haben dafür Farbfernseher,
Polstermöbel
und Dusche, und
das hatte König David nicht! Das haben aber noch so einige auf
der Welt
nicht. Bei aller
Kritik an der schauderhaften Finanz- und Sozialpolitik nicht nur der
deutschen
und
amerikanischen Wirtschaftsführung und Regierung, bei aller
Klage über
Arbeislosigkeit
hierzulande: Uns geht es gut, verglichen mit den Campesinos auf den
Bananenplantagen
Guatemalas, den Schwarzafrikanern in den Goldbergwerken von
Südafrika,
den
Hirsebauern Mosambiques und den evangelischen Deutschen aus Leschkirch
im
rumänischen Siebenbürgen, für die wir heute
Gaben sammeln,
um ihnen Pakete mit
Mehl, Reis, Nudeln, Kaffee, Tee und anderen Nahrungsmitteln zu
schicken.
Uns geht es
noch verdammt gut. Wir können weiß Gott dankbar sein.
Für uns gilt der 23. Psalm. Wir können das so
auswendig lernen
und beten, wie es da
steht: Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet
mich zu frischem
Wasser. Du
salbest mein Haupt mit Haarspray und schenkest mir voll ein. Gutes und
Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang. Ja, das
können wir
so sagen. Daran
wird sich auch wohl nicht viel ändern. Für uns kann
deshalb der
eine mögliche
Erntedank so aussehen wie der Schlußsatz des Psalms: Ich
werde bleiben
im Hause des
Herrn immerdar. Ich werde, auf Deutsch gesagt, immer wieder mal zum
Tempel
nach
Jerusalem ziehen, dort meine alte Ziege schlachten lassen, als
Dankopfer
für Gott und
Festschmaus ewig hungriger Priesterbäuche; ich werde nicht aus
der Kirche
austreten,
ich werde Weihnachten mal hingehen, ich komme auch schon mal zur
Teestube,
ich
glaube irgendwie, daß es ja doch da oben jemand gibt, der
alles so
herrlich regieret.
Unser Erntedank ist präzise der 23. Psalm. Und so, wie es da
steht,
so, wie es uns ums
Herz ist, gerät es zum reinsten Zynismus. Daß wir
satt sind, ist
nicht Gottes Verdienst.
Daß in Afrika gehungert und gestorben wird, ist nicht Gottes
Schuld.
Daß wir satt sind,
ist aber auch nicht unser Verdienst. Daß in Afrika gehungert
wird,
ist aber auch mit
unsere Schuld. Daß wir satt sind, ist nicht Gottes Verdienst,
sondern
unsere Schuld, weil
es Kehrseite des Verhungernlassens in der 3. Welt ist. Darum ist der
23.
Psalm nicht
wirklich Ausdruck unseres Glaubens.
Solange es Verhungernlassen und Vernichten der
Ernteüberschüsse
gibt, ist der 23.
Psalm Lüge. Gott würde gelobt nicht allein
für unseren Wohlstand,
sondern auch für
dessen Kehrseite, das Elend der 3. Welt. Ich glaube nicht,
daß ein
guter Hirte nur die
fetten Schafe dieser Erde hütet und mitansieht, wie riesige
Herden magerer
Schafe
verrecken. Wenn Gott der gute Hirte ist, dann ist Gutes und
Barmherzigkeit
nicht nur
für die reichen Christen in Europa und Nordamerika und die
Superreichen
Kolonialfamilien in den Hungerländern bestimmt, sondern eher
für
die Armen. Solange
es Arme gibt, ist es zynisch, Gott für den eigenen Wohlstand
zu danken.
Solange Gott
Menschen verhungern läßt, hätte er keinen
Dank verdient,
auch nicht von denen, die er
satt macht. Darum lese ich den Psalm nicht als Danklied der reichen
Christen
an einen
ungerechten Gott, sondern als Ausdruck der Hoffnung auf einen neuen
Himmel
und
eine neue Erde, auf der Gerechtigkeit wohnt. Nicht jetzt, wo die Satten
die
anderen
verhungern lassen, darf man Gott für das Sattsein danken.
Sondern in
einer Welt, in der
jeder satt ist, dort wird der Psalm 23 neu gesungen als Loblied auf den
guten
Hirten, der
alle seine Schafe auf grüner Aue weidet, der alle zu frischem
Wasser
führt und damit
ihre Seelen erquickt.
Es ist nicht viel, um dies zu erreichen. Noch nie zuvor hat es soviel
Nahrungsmittel
auf der Welt gegeben wie mit unseren heutigen Erntetechniken. Es
wäre
auch nicht sehr
teuer, Bodenreformen in den armen Ländern
durchzuführen. Jede Familie
bekäme
soviel Acker zugewiesen, Samen, Gerätschaften und
Bewässerung,
daß sie sich selbst
versorgen könnte. Aber das geht nicht. Weil dazu der
Großgrundbesitzer
seine
Baumwollplantage oder seine Organgenfarm hergeben
müßte, die er
mühsam
zusammengekauft hat aus dem Konkurs Pleite gegangener Kleinbauern. Oder
die
er
durch seine Revolvermänner mit Vertreibung gewisser
ärmlicher Nachbarn
vergrößert
hat. Und diese Revolvermänner, die Todesschwadrone in El
Salvador und
vielen
anderen Ländern, kümmern sich auch um alle
Gewerkschafter in den
armen Ländern,
die nach Neuverteilung des Landes rufen.
Aber wer ißt die Banane, die Orange, wer trägt das
Baumwollhemd,
was auf diesen
blutigen Plantagen herangezogen wurde? Wir. Das ist es. Unsere
Mitschuld.
Wir essen
Orangen von Feldern, auf denen besser Bohnen wachsen sollten, um die
Campesinos,
die Erntearbeiter satt zu machen, die nach der Orangenernte
für 10 Monate
keine
Arbeit und kein Geld bekommen werden und die ihr Glück in der
Mülltonne
von
reichen finden müssen.
In fast allen unterentwickelten Ländern wächst der
Hunger und das
Elend imnmer
noch, weil der Boden für Exportgüter in
großen Monokulturen
ausgelaugt wird, statt mit
kleinbäuerlichem Mischanbau. Plantagenwirtschaft nutzt den
Boden viel
weniger aus
als kleine Schrebergartenäcker. Ceylon etwa hat die
Hälfte aller
Nutzböden für Tee
aufbereitet. Mit dem Erlös für den Tee kauft Ceylon
dann Nahrungsmittel
ein, die es
viel billiger genausogut selbst hätte anbauen können
statt dem
Tee. Und der Teestrauch
laugt den Boden regelrecht aus, zieht alle Nährstoffe des
Bodens heraus,
sodaß nach
einigen Jahren die Teesträucher eingehen, weil sie keine
Nährstoffe
mehr finden. Und
dann muß man neues Land für Teeanbau
erschließen und auf
den bisherigen Teefeldern
wächst nichts mehr über Jahre hinweg. Das ist Raubbau
und man fragt
sich, warum die
nicht gleich statt Tee Bohnen, Soja und Getreide anbauen. Antwort: Weil
wir
ja den Tee
haben wollen. Dasselbe mit Kaffee, Zitrusfrüchten und so
weiter. Unser
verwöhnter
Gaumen erzeugt die Nachfrage auf dem Weltmarkt, die reiche
Plantagenbesitzer
dazu
anstachelt, immer mehr Böden aufzukaufen oder durch Terror
sich anzueignen
für den
Anbau von unseren Delikatessen aus fernen Ländern. Unser
Kaffeedurst
bringt die
Nachbarn brasilianischer Tschibo-Plantangen um ihr Bohnenfeldchen.
Unsere
Fleischeslust bringt die argentinischen Landarbeiter um Böden,
die statt
für
Rinderherden genausogut zur Selbstversorgung der Armen optimal nutzbar
wären.
In
den armen Ländern wird diese Möglichkeit durch die
Gewehre der
Großgrundbesitzer
oder des Militärs, die aus unseren Waffenfabriken vom
Erlös der
Rinderhälften und
Bananen angeschafft wurden. Bei uns wird die Sättigung der
Armen durch
Selbstversorgung verhindert durch unseren Appetit aufs Exotische. Wer
ißt
denn heute
noch einen miesen deutschen Apfel. Es muß die Banane sein. An
jeder
Banane hungert
in Guatemala ein Kind.
Liebe Gemeinde! Es ist nicht so, daß wir unsere
Ernteüberschüsse
großmütig der 3.
Welt vermachen müßten, um sie nicht zu vernichten.
Die 3. Welt
könnte leicht zehnmal
satt werden, wenn nicht nur dort für unsere
Luxusmägen angebaut
würde. Mag sein, daß
es besser ist, die Tomaten irgendwie nach Afrika zu schicken, ehe sie
bei
uns von
Planierraupen eingestampft werden, um unsere Preise stabil zu halten.
Aber
nicht diese
Almosen aus unserem Abfall sind die Rettung der Armen, sondern die
Umstellung
unseres Speiseplans. Essen Sie mehr Gemüse und Obst aus
unserem Land.
Auch bei uns
wachsen Vitamine. Das ist es, was ich Ihnen heute als Tip zur Besserung
der
Welt
mitgeben möchte: War es vor einem Jahr die Kampagne gegen die
Fleischeslust,
die
viele belächeln und einige sehr ernst genommen haben, so
möchte
ich heute dazufügen:
Eßt nicht nur weniger Fleisch, sondern mehr
europäisches Obst
und Gemüse. Habt
keine Angst, daß der Kaffeepflücker arbeitslos wird,
wenn ihr
euren Eduscho gegen
Vollmilch tauscht. Er hat sowieso nur für zwei Monate Arbeit
und verdient
sowenig, daß
die Hälfte seiner Kinder schon gestorben ist und die
restlichen kurz
davor. Das bißchen
Hungerlohn für die harte Plantagenarbeit rettet kein einziges
Menschenleben.
Unser
Beitrag zu einer Welt ohne Hunger heute lautet: Essen, was hier
wächst.
Dann wird man
eines Tages den Druck auf dem Weltmarkt geschaffen haben, daß
die Plantagen
pleite
gehen und endlich die Kleinbauern das Land erben. Dann werden wird mit
diesen
Kleinbauern singen: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
Predigt
über Jak 5,7-9
Bodelschwinghh: 8.Dez. 1985
Adventliche Geduld als der lange Atem der
Christen.
Liebe Gemeinde!
Warum haben viele von uns eigentlich einen Garten? Weil er da ist? Weil
man
schon
immer einen Garten hatte und das gar nicht anders kennt? Oder als
Hobby,
um in der
freien Zeit etwas schönes zu tun? Was ist denn eigentlich das
Gute an
einem Garten?
Daß er Mühe macht? Daß einmal
Rasenmähen von der Wiese
hier neben dem
Bodelschwinghhaus über 1000 DM kostet? Damit Sie, Liebe
Gemeinde, beim
sönntäglichen Gang zur Kirche sagen können:
Alles sauber,
alles gut in Schuß! -?
Ich pflege meinen Garten nicht gut. Ich habe dazu auch kaum Zeit. Aber
wenn
ich aus
meinem Wohnzimmerfenster in den Garten schaue, dann überkommt
mich,
wenn mein
Herz nicht gerade voll mit anderen Dingen ist, ein großes
Glücksgefühl.
Das schöne ist
für mich nicht die Ordnung. Sondern das Wachsen der Natur. Ich
habe
vor 4 Monaten
eine zu groß gewordene Juccapalme einfach abgesägt.
Ich war mir
nicht ganz sicher, ob
sie es überleben wird. Der obere Teil mit den
Blättern ist wieder
angewachsen. Das ging
relativ schnell, obwohl ich auch jeden Tag morgens nach dem Aufstehen
etst
einmal
geguckt habe, ob schon Wurzel zu sehen sind, und die kamen dann nach
einem
Monat.
Als ich sie bemerkte, habe ich voll Freude meine
Süße angerufen
und ihr strahlend
erzählt: Du, rate mal, was sich bei mir entwickelt hat? Sie
mußte
dreimal raten, dann
wußte sie die richtige Lösung. Die Juccapalme hat
Wurzeln gekriegt!
Aber der abgesägte
Unterteil, der Stumpf, der hat nicht neu ausgeschlagen. Nicht nach
zwei,
nicht nach drei,
nicht nach vier Monaten. Hoffnungslos? Ich war mir nicht sicher, ob ich
den
großen
Blumentopf mit dem abgestorbenen Stil drin nicht langsam mal wegwerfen
sollte.
Meine Katze Mia wühlte auch ständig drin herum, , ich
weiß
auch nicht, was sie da
suchte. Und vor einigen Tage dachte ich, daß ein Blatt von
einer anderen
Blume in den
Topf gefallen wäre. Nach zwei Tagen war es aber immer noch
nicht verwelkt.
Da
schaute ich näher hin und bekam einen riesigen Freudenschreck:
Das war
ja gar kein
altes Blatt, das war ein kleiner zarter Trieb, der aus dem alten Topf
herauskam.
Die
totgeglaubte Palme beginnt ein neues Leben! Aber an einer ganz anderen
Stelle,
als ich
zunächst erwartet hatte. Ich mußte an die bekannte
Stelle aus
dem Jesajabuch denken:
Und es wird ein Sproß hervorkommen aus der Wurzel Isais...
Dazu gibt
es dann auch das
Weihnachtslied: Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart.
Wissen
Sie jetzt, Liebe
Gemeinde, wieso ich Ihnen von meiner Blumenpflege erzählt
habe? Weil
es das Thema
von Advent ist: Aus einem totgeglaubten Stamm bricht neues Leben
hervor,
ganz anders
als erwartet, aber voller zarter und wunderbarer Schönheit!
Kennen Sie
das Gefühl
auch, wenn Blumen, die man im Herzen schon fast aufgegeben hatte,
wieder
aufwachen? Es ist ein unbeschreiblich hoffnungsvolles
Glücksgefühl!
Wenn Sie mich
fragen, warum ich Blumen liebe, dann würde ich sagen: Weil sie
mir Hoffnung
machen.
Weil sie Beispiele sind, daß aus dem Tod neues Leben
entsteht. Weil
sie Zeichen für die
Auferstehung sind! Es gibt doch die eine Geschichte von der
Auferstehung
Jesu, wo
Maria ins Grab geht und da ist ein Mann zugange. Sie denkt, das ist der
Gärtner
und
fragt ihn nach Jesus, wo der liegt, seine Leiche. An seiner Stimme
erkennt
sie im Gärtner
schließlich Jesus. Jesus der gute Hirte, Jesus der
Gärtner. Kein
Zufall, diese
Verwechselung. Jesus ist wirklich der Gärtner!
Wir brauchen die Gärten als Lehrer. Sie lehren uns,
daß unverhofft
neues Leben
entstehen kann, wo wir keine Chancen mehr sahen. Sie lehren uns,
daß
es mitunter sehr
sehr lange dauern kann, bis ein totgesagtes Pflänzlein zu
neuem Leben
erwacht. Sie
lehren uns, daß man viel Geduld haben muß, wenn man
etwas ernten
will. Die Gärten
sind Lehrmeister der Geduld. Sicherlich wäre es uns oft fast
lieber,
wenn der Rasen
nicht so schnell wachsen würde. Gärten haben auch
schnellwachsende
Pflanzen. Aber
von heute auf morgen passiert da gar nichts. Und was passiert, ist
nicht
mit bloßem Auge
im Wachsen sichtbar. Das Wachsen selbst können wir nicht
sehen, es geht
bestenfalls mit
Zeitraffer. Aber ohne solche Rafinessen ist das Wachsen nicht zu sehen.
Man
muß sich
gedulden. Und man kann selbst mit dem besten Dünger das
Wachsen nicht
beschleunigen. Es wächst von selbst. Man kann etwas
gießen. Man
kann etwas zertreten,
ausreißen, vergiften. Aber man kann es nicht zum Wachsen
bringen. Es
gibt Hausfrauen,
die tun alles mögliche, um ihre Blumen in Schuß zu
halten, düngen,
wischen Blätter,
gießen nach Vorschrift - und es vertrocknet ihnen doch alles
im Lauf
der Zeit. Und
andere wiederum tun kaum etwas für ihre Blumen und es
wächst und
gedeiht alles wie
im Paradies. Zum Wachsen kann man keinen zwingen. Das ist es. Die
Freiheit,
die uns
das höchste Gut ist. Die Saat wächst von allein.
Jesus hat das
Starkwerden der Kraft
Gottes auf dieser unserer Erde oft verglichen mit Korn, was erst
gesät
wird, in die Erde
gelegt wird und verwest, aber aus diesem sterbenden Korn entsteht etwas
Wunderbares:
das neue Leben, neues Korn. Und so langsam wie das Korn reift,
wächst
die
Gottesherrschaft auf der Erde. Und so klein wie anfangs das Senfkorn
und
so groß am
Ende wie der Senfbaum, so wird Gottes Kraft und Herrlichkeit sich auf
unserer
Erde
langsam aber bestimmt vermehren. Gottes Reich wächst wie eine
Blume.
Selbst wenn
man sie absägt, wird das Wachsen nicht aufhören.
Dafür steht
im alten Testament der
Regenbogen: Noch im Regen taucht schon wieder Sonne auf und macht die
triefelige
Regenstimmung wieder hoffnungsvoll. Warten, Geduld haben.
Es ist nicht leicht. Es soll alles schnell gehen in unserer
Computergesellschaft.
Prompte Bedienung ist angesagt. Überall wird damit geworben,
daß
etwas schnell geht.
Schnelligkeit ist zum Wert an sich geworden. Die Autos werden nach
Schnelligkeit
beurteilt. Die Menschen werden nach ihren Autos beurteilt. Und danach,
wie
schnell sie
etwas können. Wie schnell sie lernen, arbeiten, begreifen,
reagieren.
Tempo ist alles.
Wenn man mal warten muß, wird man sofort ärgerlich.
Man sieht
seine kostbare Zeit
vertan. Man ist geizig mit Zeit. Man hat keine Zeit. Man lebt ohne
Zeit,
in ständiger
Hektik, in Panik. Man lebt gar nicht mehr, so wenig Zeit hat man. Man
ist
im Grunde tot,
weil die Hektik einen zerstört.
Und dann geht man am besten in den Garten. Und schaut den Blumen beim
Wachsen
zu. Man lernt von ihnen, daß Leben Zeit braucht.
Daß alles seine
Zeit hat und braucht.
Man lernt, die Hoffnung nicht aufzugeben, wenn nicht alles sofort
klappt.
Man lernt,
den Dingen Zeit zu lassen. Man lernt, sich selbst Zeit zu geben
für
Dingen, die man tun
möchte. Man wird auch geduldig gegen sich selbst. Man
erfährt von
den Blumen: Eines
Tages wird es soweit sein. Solange braucht es aber.
Gucken Sie mal die Geschichte der Friedensbewegung an: Von 1980 an
wurde
es
jedes Jahr mehr an Protesten gegen die Atomwaffen in unserem Land. Und
nach
diesem
schrecklichen Stationierungsbeschluß war nichts mehr, gar
nichts. Wo
gibt es noch
Menschen, die für den Frieden demonstrieren, schweigen oder
sonstwie?
Die Luft ist
raus. Kein langer Atem mehr da. Die Hoffnung ist enttäuscht.
Die Chancen
sind vertan.
Es ist wie ein abgesägter Baum. Die Friedensbewegung ist tot,
weil sie
nicht von der
unbeirrbaren Hoffnung getragen war, daß selbst das schier
Unmögliche
noch möglich
wird dem, der hofft. Die Geduld, der lange Atem war nicht
groß genug.
Jakobus ermahnt seine Freunde zur Geduld, weil auch damals,
über 80
Jahre nach
dem Tod Jesu, noch immer Jesus nicht wiedergekommen war zum
Weltgericht.
Die
Leute hatten ja damals jede Minute damit gerechnet, daß das
Weltgericht
beginnt. Und
wurden allmählich immer enttäuschter und zweifelten
an der Wahrheit
dessen, was alles
damit zusammenhing. Gottes Gerechtigkeit, der Sieg der Liebe in dieser
lieblosen
Welt -
wo war davon etwas zu spüren? Redeten die Christen sich da
nicht eine
Spinnerei ein?
Wann kommt denn endlich der Tag Gottes, der Gerichtstag Christi. Wann?
Die
Geduld
ist erschöpft. Immer nur Warten?
So haben nach einigen Jahrhunderten die Christen schließlich
die Hoffnung
weitgehend aufgegeben und singen jetzt: Alle Jahre wieder kommt das
Christuskind
auf
die Erde nieder. Immer genau zu Weihnachten. Deshalb gibt es da dann
auch
den
großen Geschäftsrummel. Hektik des Weihnachtsfestes.
Viel zu tun,
kaum noch Zeit.
Liebe Gemeinde!
Ich möchte Ihnen heute nur die Blumen ans Herz legen. Lernen
Sie von
den Blumen!
Akzeptieren Sie, daß viele Dinge, besonders gute Dinge, ihre
Weile
haben müssen.
Lernen Sie wieder den langen Atem. Atmen Sie tief und lang durch.
Lassen
Sie sich Zeit.
Lassen Sie anderen Menschen Zeit. Zeit zu lernen, Zeit zum Nachdenken,
Zeit
zum Tun
des Guten.
So schmerzlich es oft ist, fremdes Leid mitansehen zu müssen,
so schnell
man gerne
helfen will - wenn man es kann, so soll man es tun! Aber viel Leid
können
wir nicht im
Hauruck-Verfahren abschaffen. Wir müssen geduldig werden. Wir
müssen
lernen, nicht
gleich aufzugeben, wenn etwas nicht sofort auf Anhieb klappt. Wir
müssen
lernen, die
Veränderung unserer Welt im richtigen Maßstab zu
sehen, die Jahrzehnte
als kleine
Schritte betrachten. Dann werden wir den langen Atem behalten, die
innere
Ruhe und
die Ausdauer, die für uns Christen nötig sind, um am
Ball zu bleiben
und nicht
enttäuscht die Finger von der Arbeit an unserem Erdball weg
und in den
Schoß hinein
legen. Gott braucht gute Gärtner in seinem Reich. Er braucht
Menschen,
die den
wachsenden Dingen ihre Zeit lassen und zur rechten Zeit da sind, um
hilfreich
zuzufassen. Diese Geduld ist alles andere als ein faules Sich-Abfinden
mit
der Welt so
wie sie ist. Diese Geduld läßt den Dinge die
Wachstumszeit, die
sie brauchen, um zu
reifen. Sie vergewaltigt die Dinge nicht und zerstört nicht
die zarten
Pflänzlein der
Hoffnung, sondern behütet und pflegt die Keime und
Sprößlinge.
So nur und nicht durch
brutale Gewalt, wird unsere Erde, werden die Menschen genesen vom
zwanghaften
Druck und der Unterdrückung, die die bisherige Geschichte der
Menschen
ständig
reproduziert hat. Geduld ist das Gegenteil von Unterdrückung.
Geduld
gibt noch dem
Unmöglichen eine Chance. Geduld gibt nicht auf. Geduld
läßt
Zeit. Geduld läßt
wachsen. Geduld macht groß und stark. Geduld weiß,
daß
nicht wir die Welt erhalten
können, sondern nur Gott. Geduld glaubt, daß Gott
alles zum Guten
wenden wird.
Geduld ist die Kraft, mit der Gott unsere Welt wenden wird. Amen.
Predigt
über Hebräer
4,12f Bodelschwinghh:2.Feb.86
Gottes Geheimnis als das Geheime im
Menschen
Liebe Schwestern und Brüder!
Ich kann kein Blut sehen. Als ich vorgestern beim Arzt war und er
anfing,
von
blutigen Dingen zu erzählen, bin ich gleich schon in Ohnmacht
gefallen.
Es ist da so eine
Angst vor Verletzung hinter. Noch weniger wäre es mir
möglich,
als Chirurg wie Dr.
Gercek zu arbeiten und mit dem Skalpell bis tief in die inneren Organe
eines
Menschen
vorzudringen. Es ist eine Angst da vor der Verletzung, die entsteht,
wenn
man einem
Menschen zu nahe kommt, so nahe, daß es ihm mitten hineingeht
in seinen
Körper.
So löst auch die Vorstellung von Gottes Wort als einem
zweischneidigen
Schwert,
welches uns bis an die Knochen in den Leib geht, Angst in mir aus. Was
so
unter die Haut
geht, ist leicht tödlich, wie etwa die Klappmesser unserer
jüngeren
Generation zwischen
Kneipe und Knast. Aber der Chirurg hat ja das umgekehrte Interesse wie
der
Rocker. Er
will unter die Haut, um tief im Inneren etwas wieder heil zu machen.
Ich glaube, das Wort Gottes kann beides sein. Es kann wie ein
Klappmesser
Menschen tödlich beleidigen in ihrem Innersten,
nämlich dann, wenn
sie sich für
unfehlbar halten wie der Papst,der es auch nicht ist und das genau
weiß.
Dann werden
sie beleidigt sein, wenn sie aus dem Reden der Bibel erfahren,
daß
sie keineswegs nur
okay sind und große Klasse, sondern auch sehr verbrecherische
Anlagen
in sich haben,
die anderen Menschen weh tun. Das Wort Gottes kann aber auch wirken wie
das
Messer
eines Chirurgs. Es kann zu inneren Zerstörungen vordringen und
dort,
am Kern der
Krankheit, Segensreiches bewirken. Genau wie eine Operation tut auch
die
Operation
des Wortes Gottes oft weh. Die scharfe Zunge des Pastors kann diesen
Schmerz
des
Eingriffes hervorrufen, was wir uns so ungern gefallen lassen - es kann
das
unerbittlich
klare Urteil eines erfahrenen Freundes sein, der unsere Schwachstellen
besser
erkennt
als wir selbst. Es kann aber auch das Urteil des Richters sein, der uns
unser
Unrecht
spürbar vorhält. Und vielleicht ist es auch die
innere Stimme,
die uns immer wieder auf
unsere Fehler anspricht und bohrt und sagt: Du bist nicht okay.
Und wie das helfende Chirurgenmesser gleichzeitig Schmerz und Gesundung
schaffen kann, so hat gute Kritik neben dem Verletzenden auch das
Hilfreiche
des
Wegweisers, den wir brauchen, um gut anzukommen. Das Wort Gottes ist
ein
kritisches
Wort an uns. Es zeigt uns unsere Unvollkommenheit und unsere Fehler. Es
zeigt
uns dies
durch einen Kontrast. Durch die Geschichte Jesu, der doch sehr andere
gelebt
hat als
wir, der aber doch so gelebt hat, daß es ganz und gar nicht
unmöglich
oder abwegig wäre,
es ähnlich mit unserem Leben zu halten, - durch Jesus erfahren
wir uns
als Sünder.
Indem wir sehen, wie er Menschen geliebt hat, geht uns auf, wie wenig
wir
bereit sind,
das zu tun. Unsere Lieblosigkeit wird an der Liebe Christi sichtbar,
durch
den Kontrast.
So richtet uns das Wort Gottes. Es zeigt uns, wie die Liebe ist, damit
wir
erkennen, wie
wenig Liebe wir geben und haben. Es zeigt uns, daß Gott uns
liebt,
damit wir mutig
werden, selbst Gottes Liebe für andere Menschen deutlich zu
machen in
unserem
Handeln. Die Kraft des Heiligen Geistes ist eine kritische Kraft der
richtigen
Selbsteinschätzung. Nur wer sich einigermaßen gut
kennt, kann
die Folgen der eigenen
Schwächen bewältigen. Nur wer dran denkt,
daß sein Bein frisch
gebrochen ist, wird im
Krankenhaus nicht unvorsichtig herumturnen und alles nur noch schlimmer
machen.
Man muß seine Schwächen erkennen,
berücksichtigen, einplanen,
damit sie nicht zu
schlimmen Folgen führen. Ich muß wissen, was ich
nicht kann, damit
ich mir nichts
übermenschliches zumiute. Und ich muß wissen, was
ich nicht kann,
damit ich genau das
vielleicht noch ein bißchen mehr trainiere. Damit ich
weiß, worauf
ich achten muß. Die
anderen Dinge gehen sowieso unbewußt richtig. Kritik will
also die
Schwachstellen
zeigen, um sie zu trainieren, damit die Schwächen keine
schlimmen Folgen
haben. Kritik
tut weh und muß doch sein bei der Suche nach der Wahrheit und
dem richtigen
Leben.
Oft habe ich Zweifel, ob es überhaupt was nützt, zu
predigen. Ich
weiß aus
Umfrageergebnissen, daß Predigten nur das bestärken,
was die Hörer
ohnehin glauben
und daß die Aussagen, die dem Hörer nicht passen,
einfach überhört
werden oder man
sagt: das war aber nicht das Wort Gottes! "Das Wort Gottes ist lebendig
und
wirksam."
Sagt der Hebräerbrief. Was löst eine Predigt schon
aus? Im besten
Fall ein gutes
Gefühl? Im anderen Fall etwas Unbehagen? Oder wäre es
nicht auch
Zeichen für das
Wort Gottes, daß es uns Ärger bereitet? Wir wollen
uns nicht ärgern
lassen vom Wort
Gottes. Predigt als Schwert, das bis ins Mark dringt, soetwas lehnen
wir
ab. Wir leugnen
dann, daß es das Wort Gottes war.
Liebe Schwestern und Brüder! Mit diesen Sätzen
können noch
fast alle einverstanden sein. Jeder weiß, daß er
Kritik von der
Kanzel nicht sehr gern hört. Aber würde ich es jetzt
konkretisieren
auf die entscheidenden Fragen des Glaubens, etwa Feindesliebe:Pershing
2
ist Sünde und soll hier nicht sein! - dann würden
alle sagen: Er
predigt wieder Politik, aber nicht das Wort Gottes. So haben wir unsere
Abwehrmechanismen
gegen Gottes Wort.
Die Geschichten Jesu sind voll von solchen Abwehrmechanismen gegen die
Ausstrahlung Jesu auf der Seite der Pharisäer und
Schriftgelehrten.
Sie streiten dauernd
mit Jesus, weil sie sich ärgern über das, was Jesus
sagt und tut.
So sagt Paulus mit vollem
Recht:Das Wort vom Kreuz ist den Juden ein Ärgernis und den
Heiden eine
Torheit. Ich
glaube, zur Lebendigkeit und Wirsamkeit des Wortes Gottes ist,
daß
es uns manchmal
wurmt und ärgert. Die Schärfe des Gotteswortes dringt
bis dahin,
wo Geist und Seele
zusammentreffen. Sagt der Hebräerbrief. Der
Schnittpunkt von Geist
und Seele ist das
Gebiet der Psychologie. Wenn Gott die Seele des Menschen kennt bis in
die
geheimsten
Wünsche, und das sind die uns selbst unbewußten,
dann kennt Gott
uns besser als wir
uns selbst. Und wer nur ein bißchen nachdenkt über
sich selbst,
der weiß, wie wenig man
sich wirklich kennt. Wir alle leben damit, daß wir uns was
vormachen.
Wir alle spielen
unser Theater so recht und schlecht. Alles stereotype Rollen, die wir
von
anderen
übernommen haben und die uns nicht auf den Leib geschrieben
sind, sondern
eher auf
den Leib geprügelt. Die besserwisserischen
Männertypen, hart und
eisern,
Kruppstahlopas, die gesitteten Damen, die selbst die
Liebenswürdigkeit
in Person sind,
aber beim Tratsch über die Nachbarin so richtig die Sau
rauslassen -
unser alltägliches
Theaterspielen entspricht nicht dem, was wir im tiefen Inneren wirklich
wollen
und
denken. Der Harte Mann ist gewöhnlich das Riesenbaby, ohne den
Mut,
zu weerden wie
die Kinder. Die Edelmütigen haben oft auch sehr finstere
Gefühle.
Luther wußte nur zu
gut, wie auch die Heiligen vom Teufel geritten werden. Die
Abgründe
der Bosheit
unserer Seele genau auszuloten, das tut weh, weil man sich gern besser
hätte.
Aber es ist
als Aufgabe des Psychiaters auch zugleich die Hilfe, die Menschen an
der
Grenze der
Selbstzerstörung fähig macht, mit ihren
finsteren und traurigen
Zügen zu leben. Und
dadurch zu überleben. Glücklich kann ein Mensch nur
im Einklag
mit sich werden.
Wenn es keine Kluft zwischen den verborgenen Wünschen und den
bewußten
Motiven
gibt. Die geheimsten Wünsche in uns, die wir uns nie
eingestehen mögen,
es sind im
Grunde nicht die Abgründe der Bosheit. Es sind sehr
zärtliche Strebungen.
Es sind
Wünsche der Liebe, der Geborgenheit, der
Unbekümmertheit. Sehnsüchte
nach einem
Leben ohne Tränen. Der Wunsch, grenzenlos Schönes zu
erleben, grenzenlos
geliebt zu
werden und grenzenlos jemanden zu lieben ohne Zurückweisung zu
erleben.
Die
verborgenen Wünsche sind fast wie das Heiligtum eines Tempels.
Und drum
herum
sieht es böse aus. Wir erleben überall, daß
diese Wünsche
von außen, von anderen
verstellt werden. Das tut uns weh. Darum kapseln wir uns ab. Wir zeigen
anderen
nicht
mehr unseren Kindertraum, weil er ja doch nicht erfüllt wird.
Wir werden
hart,
verschlosssen, unnahbar. Wir nehmen die Rollen an, die man uns
vormacht.
Und das
zarte Fädchen der Hoffnungen des Kindes in uns reißt
ab. Die Hoffnungen
werden in
uns begraben. Wir schweigen sie tot. Wir resignieren. Man
kann ja doch
nichts machen.
Unsere Kinderträume werden uns selbst zum Geheimnis. Und Gott
kennt
dieses
Geheimnis. Gott weiß um unsere kindlichen verborgenen
Sehnsüchte.
Und er sagt sie
uns noch einmal. Diesmal nicht von innen heraus, sondern durch Boten
auf
der Kanzel.
Die dort Liebe predigen und Frieden und Gerechtigkeit, die sprechen das
aus,
was die
Kinder in uns sich wünschen. Darum wurmt uns das Wort Gottes:
Weil es
unseren
unterdrückten eigenen Wünschen zutiefst entspricht.
Gott will,
was alle Kinder dieser
Erde wollen, auch die Kinder in uns Erwachsenen, die wir totschweigen:
Kein
Mensch
soll gequält werden, jeder soll Vater und Mutter haben, ein
schönes
Haus zum wohnen,
einen Garten zum Spiel, Essen für alle und Frieden auf der
ganzen Welt.
Das ist unsere
Hoffnung, die ärgerliche Hoffnung Gottes: Der einzige Schmerz,
den es
dann noch
geben wird, ist der Liebeskummer. "Es gibt nichts, was Gott verborgen
wäre.
Alles liegt
nackt und bloß vor den Augen dessen da, dem wir Rechenschaft
schuldig
sind."
Stellen wir uns vor, Gott sieht uns so, wie wir wirklich sind. Wir
sehen
uns so, wie wir
unser Theater spielen. Wenn Gott nun uns erträgt, so wie wir
sind, dann
gibt es keinen
Grund, weshalb wir uns selbst nicht auch ertragen können
sollen. Vor
den Augen Gottes
sind wir wie spielende Kinder. Unser Lieblingsspiel ist heute
Verstecken.
Wenn Gottes
Reich anbricht, werden die Kinder Gottes andere Spiele spielen, weniger
nervtötende.
Ihr Spiel wird die Aufrichtigkeit, die Zärtlichkeit, das
Schmusen, das
vertrauende
Erzählen, das gemeinsame Träumen sein. Ich habe mir
vorgenommen,
schon jetzt so
allmählich damit anzufangen. Amen.
p.s. Covenant Players in Bergkamen!
Predigt
über Röm 14,10-13
Auferstehungsk:23.Feb.86
Wer hat Recht?
Liebe Schwestern und Brüder!
Ich fühle mich gerichtet von diesem Text. Meinen Bruder nicht
richten.
Nicht
verdammen. Ich denke an meinen, an unseren alltäglichen
Tratsch, ich
denke an das
Reden über andere, die sich nicht melden können und
alles richtig
stellen. Ich denke
daran, wie ich meinen Gegnern Unrecht tue, wenn ich versuche, mein Herz
einem
Freund auszuschütten. Ich denke an meinen Ärger, wie
er mir die
Möglichkeit
verschließt, von meinem Gegner her die strittige Sache zu
sehen. Ich
bete für meinen
Gegner, aber ich bitte nur darum, daß er mich versteht,
nicht, daß
ich ihn verstehe.
Ich weiß, auch ich bin Gegenstand von Tratsch und ungerechten
Urteilen,
die
teilweise auf falscher Information beruhen. Ich erinnere mich noch an
den
Anfang hier
in Weddinghofen, als man mich aufgrund langer Haare verurteilte, als
Leute
tratschten,
ich würde mich mit Talar und Stahlhelm aufs Motorrad schwingen
und zum
Friedhof
düsen. Viel Ärger aufgrund falscher Information, aber
auch mancher
Ärger über
Tatsachen, die anstößig waren oder sind - meine Art,
wenig auf
Äußerlichkeiten zu
achten, weil ich kein Pastor geworden bin für die Fassade,
sondern fürs
Herz, für die
Seele.
Es war so manches falsch, was ich gemacht habe. Aber ich habe es selten
durch
den
Tratsch eingesehen, daß es falsch war, sondern nur durch
aufrichtige
Freunde in der
Gemeinde, die mir Kritik gegeben haben, ohne mir darin zuviel
zuzumuten.
Ich habe oft
gesagt: Du, jetzt reicht es. Laß mich darüber erst
mal eine Weile
nachdenken, dann
reden wir weiter. So helfen Freunde: Durch gute, unerbittlich klare
Kritik.
Der Tratsch,
die vielen, die mich im Bausch und Bogen verdammt haben, haben mir kein
Stück
geholfen. Sie haben mich nicht verstehen können, sie haben mir
ihr eigenes
Denken und
Fühlen nicht mitgeteilt. Ihr Gericht über mich war
ohne Wirkung.
Das Schlimme an
unserem Bibeltext von Paulus ist ja: Sobald ich sage:Richte nicht
deinen
Bruder: - so
verurteile ich ja schon wieder etwas. Ich verurteile den, der seinen
Bruder
verurteilt. Ich
verurteile ihn, weil er verurteilt. Und schon kann jemand kommen und
sagen:
Hallo du,
jetzt machst du ja genau dasselbe, du verurteilst auch jemanden. Du
bist
also kein Stück
besser.
Genau das ist der springende Punkt: Ich bin kein Stuck besser. In
dieser
Erkenntnis
liegt das Evangelium. Wenn Luther sagt: Wir sind alle Sünder,
so liegt
darin nicht eine
Nivellierung der guten Taten mit den echten Schweinereien, die es viel
zu
viel gibt,
sondern das weise Wissen, daß noach im besten Werk unlautere
Absichten
stecken und
noch in der schlimmsten Tat ein gescheiterter Versuch liegt, Recht zu
schaffen.
Richtet nicht! - wie oft stimme ich nicht mit Dingen überein,
die ein
anderer tut.
Heißt das, ich soll immer schön ruhig sein, jeden
alles machen
lassen? Ich glaube, das
würde im Chaos enden. Wir brauchen die Menschen, die uns
helfen durch
ihrer Kritik,
die uns zeigen, wo sie nicht mehr mitkönnen. Denn es lebt
nicht jeder
vor sich hin,
sondern wir leben miteinander für ein gemeinsames Ziel:
für Gottes
Welt. Und nicht
immer ist meine Idee dazu die richtige, nicht immer deine Idee. Darum
brauchen
wir
den gegenseitigen Rat, die Kritik. Wir brauchen das Gespräch,
das dialogische
Miteinander, das gute Wort, was weiterführt.
Nur eins hilft selten: Die Verdammung, die endgültige
Verurteilung,
die keine
Revision zuläßt. Wer den anderen abgestempelt hat,
der läßt
ihm keinen Weg mehr, den
man gemeinsam gehen könnte. Das führt zu keinem Ziel,
nützt
dem Reich Gottes nicht.
Es hilft aber dem Teufel, wenn wir uns gegenseitig unsere
Verdammungsurteile
attestieren. Der freut sich dann in uns. Dann wird uns teuflich wohl
ums
Herz, wenn wir
einen so richtig verteufeln können.
Brauchen wir das, müssen wir so unsere Aggressionen austoben,
werden
wir nicht
anders damit fertig, unsere Gegner zu bekämpfen?
Ich möchte mit Ihnen, Liebe Gemeinde, jetzt einen Schlachtplan
machen.
Nehmen
wir an, wir haben einen Gegner, mit dessen Tun wir überhaupt
nicht einverstanden
sind.
Möglichkeit eins: Wir schimpfen, schreien, protestieren,
verurteilen
scharf. Damit
treiben wir ihn in die Enge. Er wird widerborstig wie ein
geängstigtes
Stachelschwein. Er
verteidigt sich in seiner Angst, daß er im Unrecht sein
könnte,
mit allen Mitteln. Er hat
keine Trümpfe mehr in der Hand. Also holt er die fiesen Sachen
aus der
Munitionskiste.
Er schlägt unter die Gürtellinie, weil ihm die
Argumente ausgehen.
Er hat kein Recht,
das wissen wir. Aber es tut uns trotzdem weh, unter unserer
Gürtellinie.
Jetzt haben wir
noch mehr Recht, unseren Gegner zu verdammen. Wir verschärfen
unser
Urteil, seine
Angst wächst, er tritt wieder und noch böser unter
die Gürtellinie.
Fazit: Obwohl wir im
Recht sind, ernten wir Schläge unter die Gürtellinie.
Warum: Weil
unser Gegner in der
Ecke gedrängt keine andere Wahl mehr hatte. Wir haben ihm die
Möglichkeit
zu einem
fairen Kampf verwehrt.
Möglichkeit zwei: Unser Gegner ist im Unrecht, wie bei Fall
eins. Aber
wir hauen es
ihm nicht als Bratpfanne vor den Schädel, sondern fragen nur
vorsichtig
an: Lieber
Bruder sowieso, ich kann verstehen, wieso du dich so und so verhalten
hast.
Aber hast du
auch bedacht, daß der und der und der unter deinem Verhalten
sehr leiden
mußte?
Wolltest du das, oder ist es vielleicht deiner Aufmerksamkkeit
entgangen?
- So, liebe
Gemeinde, ich bin gespannt, wie Bruder Sowieso nun reagieren wird.
Immer
noch wie
ein Schwein, ein Stachelschwein? Oder nicht vielleicht doch eher mit
Einsicht:
Ja, doch,
das habe ich gar nicht im Blick gehabt, das wollte ich gar nicht,
daß
andere darunter
leiden.
Und im Nu ist unser Gegner genau da angekommen, wo wir es uns
wünschten:
Er gibt
die Position auf, die ihn zu unserem Gegner gemacht hat. Er ist
für
uns kein Störenfried
mehr, sondern er wird für uns zum möglichen
Gesprächspartner,
zum Bundesgenossen,
zum Mitstreiter unserer Sache.
So funktioniert christliche Bündnispolitik. Ich sage das mir,
nicht
Ihnen, Liebe
Gemeinde!
Ich hoffe, Sie haben sich wiederfinden können in manchem, was
ich mir
einmal
wieder klarmachen mußte. Soweit sind wir also. Wir haben uns
den Mechanismus
der
Vergebung und des Dialogs klar gemacht. Wir wissen jetzt wieder, die
Worte
der
Vergebung heißen: Hast du dir denn auch überlegt,
daß du
dem und dem weh tust? Wir
wissen, wie wenig der Vorwurf nützt: Du hast aber... Wir
wissen, daß
Vergebung nicht
heißt, alles Schlechte fraglos hinzunehmen. Wir wissen,
daß Vergebung
darin besteht,
Verstehen zu lernen und Verständnis zu wecken, eine
Brücke des
Verstandes zwischen
den Streitenden zu errichten mit der Technik sanfter, behutsamer
Fragen.
Liebe Gemeinde! Das war die Theorie! Jetzt käme die Praxis.
Und da geht
es mir vor
Gott wie dem Zöllner: Gott sei mir Sünder
gnädig! Meine Vergebungspraxis
ist dürftig.
Ihre auch? Ist vielleicht deshalb die Welt so weit noch weg vom Reich
Gottes,
weil unser
aller Vergebungspraxis so übel aussieht? Gott sei uns
Sündern gnädig!
Indem wir alle
uns mit unseren Gegnern zusammen unter das richtende Wort Gottes
stellen,
indem wir
alle uns als Versager bekennen, finden wir zu Gott und zueinander. Der
Gottesdienst
hat diese Brücke der Vergebung durch das gemeinsamen
Sündenbekenntnis
festgehalten. Es ist oft nicht mehr ganz verständlich, wieso
ich da
plötzlich auf
Kommando sagen soll, daß ich ein Sünder bin, zumal,
wenn ich supergute
Laune habe,
mich freue über die gegenwart Gottes und vielleicht mich
einmal gar
nicht schlecht
fühle. Dann bitte ich das Sündenbekenntnis zu
verstehen als ein
Training. Wenn wir
nicht lernen, uns zu bücken, werden wir nie fähig,
andere Menschen
einmal zu tragen,
wenn sie unsere Kraft des Verstehens und der Vergebung brauchen. Wenn
wir
nie
trainieren, uns klein zu machen, haben wir auch keine Chance mehr,
über
uns
hinauszuwachsen. Wenn wir nie erkennen, wie fehlerhaft unser Verhalten
ist,
werden
wir unsere Fehler immer nur in unseren Gegnern wiederentdecken und
verdammen.
Der Weg zur Vergebung beginnt mit dem Satz:Gott sei mir Sünder
gnädig.
Dann kommt
der Satz: Lieber Bruder, hast du bedacht, daß...? Und im
Western heißt
das gemeinsame
Sündenbekenntnis rauh, aber aufrichtig: Ich bin ein Arschloch,
du bist
ein Arschloch.
Komm, wir gehen einen trinken. Sie denken vielleicht jetzt, warum
muß
das in einer
Predigt kommen. Ich sage Ihnen jetzt: Wenn ich und Sie wenigstens so
weit
wären, wie
diese unsere beiden Trunkenbolde nach ihrer saftigen
Schlägerei, wir
wären auf dem
Weg zur Versöhnung, wir wären enorm weitergekommen.
Dazu helfe
uns allen der
gnädige Gott! Amen.
Predigt
über 1.Pt 1,3-9
Friedenskirche:.7.April 86
Leben aus Hoffnung, oder: Glauben statt Schauen
Liebe Schwestern und Brüder!
Jesus war gekreuzigt. Die Jünger sind entmutigt geflohen. Da
bekommt
Petrus eine
Vision. Jesus erscheint ihm vor seinem inneren Auge und beauftragt ihn,
weiterzumachen und für die verzweifelten Jünger und
Anhänger
Jesu zu sorgen.
Verbreitet, was ich euch gelehrt habe, tut, was ich euch vorgelebt
habe.
Ich bin bei euch,
wenn ihr in meine Fußstapfen tretet. Ihr seid meine Zeugen,
ihr könnt
den Leuten
weitersagen, daß ich nicht kleinzukriegen bin durch die
Henker der
Römer. Es geht
weiter.
Das war das Wunder von Ostern. Und alle waren in großer
Aufregung und
Freude
und sind wieder durch die Lande gezogen, haben sich um die Kranken
gekümmert
und
um die Armen, haben festgehalten an der Feindesliebe und
Nächstenliebe,
haben so
gelebt, als wäre Jesus noch dabei. Sie haben zu Jesus
gesprochen, als
lebten sie immer
noch mit ihm zusammen. Ein Toter wird lebendig, beginnt
stärker als
zu seinen
Lebzeiten, in den Köpfen und Herzen seiner Freunde
herumzugeistern,
sie zu
begeistern. So entsteht die junge Gemeinde und verehrt Jesus mehr noch
als
vorher. Sie
nennen ihn nun nicht mehr Rabbi, Meister - sie nennen ihn nun ihren
Herrn.
Mehr noch:
Sohn Gottes nennen sie ihn, Retter, Befreier, Messias. So beginnt das
geistliche
Leben
Jesu.
Die Gemeinde betreibt Mission. Sie verbreitet Worte und Taten Jesu,
ihres
Herrn.
Sie sagt, Jesus lebt unter uns weiter, er ist auferstanden aus seinem
Grab.
Er führt uns,
gibt uns ein, was wir tun sollen. In vielen Städten und
Dörfern
entstehen Gruppen von
Christen, die an Jesus glauben, an Gewaltlosigkeit, Barmherzigkeit,
Sanftmut,
Friedfertigkeit. Sie sagen: Jesus hat uns gezeigt, wie Gott wirklich
ist.
Kein
Obermanager im Himmel, sondern ein Mensch auf Erden, der so
für die
Liebe zu den
Untersten lebt, daß er sich bei den Obersten sein Leben
verwirkt hat.
So können sie
sagen, daß Gott ganz und gar Liebe ist und in Jesus
erschienen.
Aber genau wie Jesus haben sie wenig von der Liebe gespürt.
Sie haben
versucht,
diese Liebe zu leben und erlebbar zu machen. Nun brauchen zwar alle
Menschen
Liebe,
aber Liebe hat auch Konsequenzen, die für gewisse Leute sehr
ärgerlich
ist. Liebe kann
Menschen wütend machen. Und eifersüchtig. Da sich die
Liebe Gottes
besonders an die
Armen und Hilflosen richtet, werden die anderen, die Reichen und
Mächtigen
eifersüchtig. Und da sie Macht und Einfluß haben,
lassen sie die
Christen diese Macht
spüren. Sie schimpfen auf die Christen und sagen, es ist
einseitig,
sich besonders um
Arme zu kümmern. Gott muß genauso für die
Reichen dasein.
Es ist für die Mächtigen
eine Provokation, wenn Christen behaupten, Sanftmut und Vergebung von
Schulden
sei
Gottes Wille. Denn das stellt die Prinzipien der Staatsgewalt infrage.
Es
stellt das Militär
infrage, weil Militär nicht mit Sanftmut arbeitet, sondern mit
Töten.
Es stellt das Gericht
infrage, weil Gericht nicht mit Vergebung von Schuld arbeitet, sondern
mit
Strafen. Es
stellt die Macht der Oberen selbst infrage, weil Christen sagen,
daß
allein Gott, allein
Jesus der Herr ist und kein anderer. Die Christen sind parteilich
geworden
für die
Unterdrückten. Die Mächtigen sind
eifersüchtig, weil sie sehen,
daß den Christen die
nötige Ehrerbietung fehlt und weil sie hören,
daß der Gott
Jesus die Armen lieber hat
als die Reichen. Sie sind verletzt über die einseitige Liebe
Gottes.
Und als sich dieser
Zug der Sanftheit und Vorliebe für Arme so stark steigert,
daß
Christen im Namen ihres
Gottes den Dienst im Militär verweigern und den Kaiser in Rom
nicht
verehren - der
ließ sich damals als Gott verehren und ließ im
ganzen Land Standbilder
seiner Figur in
die Tempel stellen, vor denen man niederknien mußte - als der
Kaiser
sah, wie
ungehorsam ihm gegenüber die Christen wurden, da wurde er
eifersüchtig
auf Jesus und
ließ die Christen wegen Wehrkraftzersetzung und Hochverrats
gerichtlich
verfolgen.
Die Konsequenz der Liebe Gottes im Leben der Christen war nicht mehr
Anerkennung
von allen Seiten, sondern Verfolgung durch die Gerichte. Für
den römischen
Staat war
das Verhalten der Christen kriminell. Die Liebe Gottes im eigenen Leben
gelebt
und
ernstgenommen brachte die Christen vor Gericht. Viele wurden
hingerichtet,
als
Gladiatoren in die Arena geschleppt, als brennende Fackel im Lustgarten
des
Kaisers in
Rom mit Pech geteert und gefedert und bei lebendigem Leib
angezündet
und verbrannt.
Es ging den Christen genauso schlecht wie Jesus, ihrem Herrn. Und sie
nahmen
all das
auf sich, weil sie glaubten, daß das Leben Jesu nicht durch
Folter
und Tod
kleinzukriegen ist und daß auch sie selbst über den
Tod hinaus
lebendig bleiben, wenn
sie sich nicht kleinkriegen lassen und einen Kniefall vor dem
Kaiserstandbild
tun. Und
sie erlebten, daß die unbeugsamen Christen, die grausam zu
Tode gequält
wurden, für
alle anderen Christen zu einem großen Vorbild wurden. Sie
waren die
Heiligen, die
Mätyerer, zu denen alle mit Verehrung aufblickten.
In dieser Verfolgung wurden aber viele auch mürbe und fragten:
Was haben
wir
eigentlich davon, daß wir uns aufopfern für Jesus?
Was ist das
für eine Liebe Gottes, die
uns das Leben kostet, wenn wir so leben, wie Jesus es uns gelehrt hat?
Und für alle, die verzweifeln an dem Unglück, was die
Liebe Gottes,
konsequent
gelebt, über ihr Leben bringt, sagt der Schreiber des 1.PT,
der sich
ausgibt als Apostel
Petrus: Jetzt erleben wir nicht, daß Gottes Liebe uns das
Leben erleichtert.
Jetzt leiden
wir nur. Aber später, wenn Gottes Liebe auf der ganzen Welt
gesiegt
hat und die
Mächtigen von ihren Tronen gestürzt hat, dann wird
keiner mehr
verfolgt, der Sanftmut
predigt und lebt, der sich gegen Waffen ausspricht, der Vergebung statt
Strafe
propagiert. Dann, wenn die Herrschaft der Liebe in der Welt das einzige
Gesetz
ist, was
es dann noch gibt, dann werden wir es sehen und erleben, dann werden
wir
es genießen
und leibhaft erfahren, daß unsere Arbeit nicht vergebens war,
daß
die Liebe nicht nur
ein kraftloser Traum für Feiglinge war, sondern die
stärkste Macht
auf der Welt
überhaupt. Dann werden alle sagen: Die Christen haben recht
gehabt,
man kann so
leben und fällt damit nicht auf die Nase. Dann werden alle
sagen: So
ist Gott, und Gott
hat gewonnen. Dann werden die Christen statt Spinner Realpolitiker
genannt.
Dann
werden sie verehrt und geachtet und nicht mehr verfolgt. Dann folgen
ihnen
die Leute.
Doch bis dahin gibt es noch viel Leid. Wie halten wir das durch? Immmer
nur
auf die
Nase fliegen mit Gewaltlosigkeit, während die Machthaber
erfolgreich
ihre Macht
genießen.
Und das, was uns die Kraft zum Durchhalten gibt, ist der Glaube. Ist
die
Hoffnung,
daß wir mit unserem sanften Programm stärker sind am
Ende. Ist
die Liebe, mit der wir
ertragen, daß man uns verspottet und belächelt und
mit der wir
sanft und behutsam und
geduldig kontern. Jetzt gibt es noch keinen Beweis für die
Richtigkeit
dieses Programms
Jesu. Wir können nur glauben, daß das klappt.
Dann aber werden es alle sehen und einsehen, daß die Liebe
geschafft
hat, was alle
Gewalt der Erde nicht erreichen konnte:Daß im Reich Gottes
die Menschen,
alle
Menschen, friedlich und glücklich miteinander leben zur Ehre
Gottes.
Amen.
Predigt
überGal 4,1-7
Friedenskirche:..8. Mai 1986
Freiheit der Christen in der Welt
Liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Verwandte, liebe Freunde!
Konfirmation ist ein Initiationsritus. In allen Kulturen gibt es
soetwas.
Wenn die
Sprößlinge ihre Sexualität entdecken und
Mannbar und Fraubar
werden, also kurzum
heiratsfähig, dann werden die jungen Leute vom Status des
Kindes in
den Status des
Erwachsenen erhoben. Sogar die Jugendweihe in den Ostblockstaaten
verfolgt
letztlich
dieses Ziel. Machen wir uns nichts vor, Konfirmation ist eine von
hundert
Varianten des
Initiationsritus fürs Erwachsenwerden. Irgendwas muß
man ja machen,
um mal zu
bemerken, daß aus Kindern mündige Menschen werden.
Um das zu zeigen,
gibt es noch
einige kleine Hilfsmittel, die die kirchliche Zeremonie begleiten. Z.B.
die
Dauerwelle.
Die herrlichen langen Haare weichen einer Frisur, die an Lockenwickler
und
den
obligatorischen Staubsauger am Montag morgen erinnern, aber ich warne
euch:
Staubsaugen und Lockenwickeln machen noch lange keinen Erwachsenen aus,
ebensowenig wie Rauchen und Alkoholismus. Ebensowenig wie Konfirmation.
Erwachsen wird ein Mensch nicht mit äußeren Zeichen,
sondern in
einem langen
inneren Reifeprozeß. Vielen gelingt es nie, erwachsen zu
werden.
Liebe Konfirmanden, erwachsen wirken und erwachsen sein ist zweierlei.
Tröstet
euch, wenn ihr noch wie Kinder behandelt werdet. Die meisten
Erwachsenen,
die ich
kenne, sind entweder kindisch oder kindlich. Ihre Verhaltensweisen
unterscheiden
sich
im Prinzip kaum, in der Form aber unheimlich von dem Verhalten der
Kinder.
Die
Form, das Desigh, das Styling ist anders, die Inhalte sind gleich. Ich
nehme
mich nicht
aus. Darum: Versucht doch gar nicht erst, erwachsen zu werden, dann
werdet
ihr es am
ehesten, denn dann werdet ihr kindlich bleiben und nicht kindisch.
Jesus
sagte einmal:
Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in dass Reich
Gottes
kommen.
Paulus sagt im Galaterbrief auch nicht, die Sklaven werden zu Freien
Erwachsenen,
sondern die Kleinkinder werden zu juristisch autorisierten Kindern, zu
Erben
des Vaters
im Himmel. Christen sind nicht erwachsen, sondern Kinder ihres Vaters
im
Himmel, der
ihnen gibt, was sie brauchen. Werdet Kinder, dann reift ihr auch!!!
Jeder Psychologe kann Lieder singen von den Zwängen, unter
denen Erwachsene
leiden, von denen sie beherrscht werden. Erwachsene sind oft Sklaven
ihrer
Normen,
viel schlimmer als Kinder es je sein könnten. Das tut man
nicht. Das
gehört sich nicht.
Überall Verbote, Mauern, in denen die Seele erstickt. Kinder
dagegen
entdecken die
Welt, mit einer unbändigen Neugier, mit einer Direktheit und
Aufrichtigkeit,
die
fasziniert, würde sie uns Erwachsene nicht immer wieder daran
erinnern,
daß wir nicht
mehr so unmittelbar fühlen, reden und denken können.
Kinder stehen
zu ihren
Gefühlen, Kinder weinen, Kinder lachen. Und ihr Lachen klingt
noch nicht
gepreßt und
erpreßt. Sondern witzig. Sie lachen an den komischsten
Stellen. Sie
lachen auch mal in
der Kirche. Aber leider nicht lange.
Dabei gab es früher zu Ostern das sogenannte Osterlachen im
Mittelalter.
Man
verlachte den Tod. Man feierte Karneval in der Kirche, es ging drunter
und
drüber.
Heute ist Kirche ordentlich, sauber und langweilig. Man hat nicht mehr
viel
zu lachen.
Aber der Glaube befreit die Christen. Wenn Gott wirklich ein Abba, ein
Papa
für uns
ist, dann darf es in der Kirche auch zugehen wie in einer
türkischen
Familie. Ich habe im
Unterricht versucht, euch beizubringen, daß Glaube nicht
bedeutet,
fertige Sätze
auswendig herzusagen, sondern Nachdenken über alte Bibeltexte,
verstehen
lernen und
kritische Fragen stellen. Glauben heißt auch Zweifel haben.
Glauben
heißt, eigene
Wege zu suchen, auch gegen Widerstände von außen.
Die berühmtesten
Christen haben
auf die Meinung anderer wenig Wert gelegt. Hier stehe ich, ich kann
nicht
anders, das ist
die Haltung des Glaubens. Und so sollte Kirche auch sein. Kirche sollte
kein
Anstandsbeibringbetrieb sein, sondern die Gemeinschaft der Freien.
Darum
ist der
Zwang, der hinter dem Konfirmandenunterricht fast überall noch
steckt,
eigentlich
glaubenswidrig!!
Die Kirche ist eine Freiheitsschule. Trotz aller Meckereien meinerseits
-
ihr habt im
Vorstellungsgottesdienst gezeigt, daß ihr
selbstständig einen
ganzen Gottesdienst
gestalten könnt. Ihr habt gezeigt, daß ihr
mündig werdet,
mit dem Mund eure Frau oder
euren Mann steht. Kirche ist dazu da, Menschen von ihren
Zwängen zu
befreien.
Und das ist mein Traum von einer Kirche, die ihre Bestimmung
erfüllt:
Eine
Freiheitsschmiede, in der zwei Jahre lang durch die Arbeit an der Bibel
Menschen
nachdenken über sich selbst, über die Welt, in die
sie hineingeboren
wurden, über die
Chancen und Grenzen, die ihr Leben hat. Und nach diesen zwei Jahren
bleiben
nicht
alle bei der Stange wie im Schützenverein, sondern werden
weggeschickt,
um das, was
sie gelernt haben, in ihrem Leben auszuprobieren: Hinhören,
Nachdenken,
Sagen, was
ich denke und fühle.
Ich möchte euch wegschicken heute und sagen: Geht hinein in
euer Leben.
Entdeckt
euch, euren Körper, eure Fähigkeiten, entdeckt die
Welt mit ihren
Glücksmomenten
und ihrem Leiden. Und geht euren Weg. Nicht meinen, nicht irgendeinen
fertigen.
Alle
bisherigen Wege haben uns neben technischen Fortschritten immer fast
ebensoviele
menschliche Rückschritte gebracht. Also, geht euren Weg. Und
denkt dabei
an den Weg
Jesu. Vergeßt die Liebe nicht, vergeßt die
Hungernden nicht,
seid wachsam und auf der
Hut. Und so geht hinaus in die Welt und in euer Leben und
kämpft mit
uns alten Opas
und Omas um eine Zukunft, in der Gottes Wille in Erfüllung
geht: Daß
alle leben
können und glücklich werden. Amen.
Predigt
über Mt 5,13-16
Friedenskirche:.18. Mai 86.
Nicht dumm
werden!
Liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Verwandten, liebe Freunde!
Ihr seid das Salz der Erde, sagt Jesus. Zu den Jüngern. Zu
seinen Jüngern.
Nicht zu
den Jüngern der Kirche. Nicht zu Lütges
Jüngern. Lütge
will gar keine Jünger haben. Es
würde ihn zu sehr stressen. Ihr seid das Salz der Erde, das
sage ich
euch heute auch, liebe
Konfirmanden. Seid ihr das wirklich? Oder seid ihr der Honig, den man
gerne
lutscht,
vernascht? Eßt mal einen Löffel Salz. Schmeckt nicht
gut, nicht
wahr? Man kann Essen
auch versalzen. Daß die Erde von diversen
Kunstdüngern regelrecht
versalzen ist, macht
sie auch kaputt, laugt die Böden aus. Salz der Erde - eine
etwas zwiespältige
Sache. Man
muß vorsichtig umgehen mit Salz. Geheimnis einer guten
Küche ist
die richtige
Dosierung der Zutaten. Die richtige Priese herausfinden. Aber das ist
nicht
die Aufgabe
vom Salz selbst. Das soll die Hausfrau oder der Hausmann machen. Das
Salz
fragt nicht
nach der Dosis. Es ist Salz und würzt und schmeckt scharf und
hat desinfizierende
Wirkung und bringt Pepp ins fade Essen. Komisch, daß man
sagt, Salz,
welches seine
Würzkraft verloren hat, sei dumm geworden. Es stimmt
jedenfalls erst
recht, wenn es
auf das berühmte Jesuswort an die Jünger angewendet
wird. Wenn
Christen aufhören,
Salz der Erde zu sein, werden sie dumm. Und Jesus hat berechtigte
Sorge:
Womit soll
man die Erde denn dann salzen? Und womit soll man die Christen wieder
salzig
und
scharf machen?
Hätte Jesus gesagt: Ihr seid der Honig der Welt, dann
könnte ich
euch heute sagen:
Liebe Konfirmanden, seid bitte recht freundlich und
süß, nur Mut.
Immer Lächeln und
Grinsen, immer gute Mine zum bösen Spiel, wenn es ein
böses Spiel
ist.
Jesus hat aber nicht gesagt: Ihr seid Honig. Er hat gesagt: Ihtr seid
Salz.
Ob er damit
recht hat? Ob die Kirche wirklich Salz ist?
Salz der Erde sein - das bedeutet: Sich in die Angelegenheiten der Welt
einmischen,
sie durchziehen, Einfluß gewinnen. Die Kraft des Salzes ist
seine Schärfe.
Das heißt: Mit
scharfen Worten oder auch mit scharfen Taten Einfluß nehmen
auf die
Belange dieser
Welt. Wenn da noch einer sagt: Christen dürfen nicht politisch
sein
als Christen, dann
soll er mir mal erklären, was Jesus wohl gemeint hat mit Erde
und Welt.
Ihr seid das
Licht der Welt, sagt er. Und Stadt auf dem Berg, die
überallhin sichtbar
ist - im
Griechischen Urtext steht hier Polis=Stadt. Von diesem Wort ist das
Wort
Politik
abgeleitet. Christen sind nach der Wortwahl Jesu also politisch, ob sie
es
wollen oder
nicht. Sie können höchstens keine Christen sein
wollen oder dumm
sein oder finster.
Aber wenn sie Christen sind, dann sind sie automatisch politisch. Sie
können
dann nicht
mehr sagen: Gott ist Liebe - und lassen Menschen in Einsamkeit
verkommen.
Sie
können nicht mehr sagen: Christus ist das Brot, das wir im
Abendmahl
zu uns nehmen -
und lassen Menschen verhungern. Sie können dann nicht mehr
sagen: Christus
ist unser
Friede - und schweigen zur Atomrüstung. Sie können
nicht sagen:
Gott will, daß allen
Menschen geholfen werde - und sagen: Arbeitslose wollen ja gar nicht
ran.
Und
schließlich können sie nicht mehr sagen: Gott hat
uns die Verantwortung
zur Bewahrung
seiner Schöpfung übertragen, also baut mal
schön weiter Atomkraftwerke.
Christen sind wie Christus: Politisch einseitige Leute. Sie haben ein
Herz
für die
jeweils benachteiligten Menschen, auch Tiere. Sie haben kein Herz
für
Tierquäler und
Menschenfresser. Sie hassen Diktatoren, Killerkommandos und allzu
würdige
Herren,
die die Killer bezahlen von ihren Gewinnen. So geschehen nicht im
Krimi,
sondern
tagtäglich in vielen Ländern der verarmten
Südhalbkugel.
Ich will gern gestehen: Die Kirche als Verein ist da nicht gerade das
Paradebeispiel.
Zu oft hat die Kirche an der falschen Stelle geplappert oder
geschwiegen.
Hexenverbrennung, Ketzerfolter, Heidenkriege im Mittelalter,
Neutralität
oder gar
Ablehnung gegenüber den berechtigten Forderungen der Arbeiter
vor 100
Jahren. Aber
ich bitte euch: Seid nachsichtig mit dieser alten Mutter Kirche. Sie
ist
etwas klapprig und
langsam geworden. Sie ist nicht identisch mit dem, was ich Christen
genannt
habe. Sie ist
eine alte Organisation, die älteste, die ich kenne. Und seid
gewiß:
Jesus hat sich nicht
vorstellen können, daß eine Mammutorganisation,
über die
ganze Erde verteilt, unter
Berufung auf ihn als den Herrn, einmal dermaßen langweilig,
fade und
dumm sein
könnte, wie das, was ihr mit Recht an der Kirche ablehnt.
Und auch die Jünger waren ja keine Engel oder Helden.
Genausowenig wie
ihr oder
ich. Trotzdem: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.
Euer
Licht soll
leuchten vor den Leuten, damit sie sehen, wie Gott ist.
Christen sind
insofern
Ebenbilder Gottes, als durch ihre Liebe die Liebe Gottes sichtbar wird.
Gott
dienen
fängt nach dem Gottesdienst erst an. Die Kraft der Christen
zeigt sich
nicht in den heilen
Mauern der Kirche - die ist nur zur Erholung und zur geistlichen
Vergnügung
der
Christen da - Gottes Kraft zeigt sich draußen, in der Welt,
in der
Politik, meinetwegen
auch in der Familie. Da sind wir gefragt, von Jesus wohlgemerkt, nicht
von
Politikern,
denn die lieben schweigende Bürger. Christen - wir - sollen
scharf sein,
auf der Hut,
wachsam, ihr Licht leuchten lassen. Christen sind Ferment in der
Gesellschaft.
Ihr sagt: Haha, die Kirche hinkt doch meilenweit hinter allem
hinterher.
Ich sage:
Soso, aber ihr seid natürlich voll engagiert, auf dem neusten
Stand,
einfach "in". Ihr seid
natürlich nicht dumm, ihr seid schlau. Ihr geht
natürlich nicht
in die Kirche, ihr guckt
euer Eis am Stil als Video zu hause. Ihr seid nicht so verstaubt wie
dieser
alte Verein
Kirche. Nicht wahr? Und ihr setzt euch natürlich auch ein
für die
Menschenrechte und
Äthiopien und Behinderte und Penner und Jute statt Plastik und
35Stunden-Woche.
Und deshalb habt ihr es auch nicht mehr nötig, in diese alte
langweilige
Kirche zu gehen.
Und heute, am Fest der Konfirmation, der Befestigung im Glauben und in
der
Kirche, dem Fest, das für sein Gegenteil gehalten wird: Nicht
Anfang,
sondern
krönender Abschluß der Kirchenbesuche - heute nehmen
wir also
Abschied. Ihr von der
langweiligen Kirche und ich von der natürlich
überhaupt nicht langweiligen
Konfirmandentruppe. Ich sage euch jetzt noch: Kommt doch wieder, wir
haben
zwölf
Jugendgruppen, in einer werdet ihr bestimmt Spaß haben, ich
sage: die
Friedenskirche
ist eher ein großes Vergnügungszentrum für
Christen und gar
nicht langweilig - aber ihr
sagt gelangweilt: Ja, ja, ist ja schon gut, wir kommen trotzdem nicht
mehr,
zwei Jahre
müssen reichen.
Na gut, dann bleibt ruhig weg. Aber ich sage euch eins: Ihr seid das
Salz
der Erde und
das Licht der Welt. Wenn ihr von jetzt an nie wieder kommt,
vergeßt
das nicht. Vergeßt
nicht, wie mutig Jesus war. Wie er gestritten hat mit den
Anstandsaposteln
seiner Zeit.
Vergeßt nicht, daß die Menschen von Gottes Liebe
nicht sehen,
es sei denn durch eure
Hände. Wer soll denn gegen Arbeitslosigkeit arbeiten, wenn
nicht ihr?
Wer soll denn für
eine gerechte Verteilung der Güter kämpfen, wenn
nicht ihr? Wer
soll denn gegen die
unfriedlichen Atomkraftwerke und - Bomben angehen, wenn nicht ihr? Die
Kirche
ist
dazu doch zu langweilig. Die Politiker haben uns die Suppe ja erst
eingebrockt,
auslöffeln mußt ihr sie eh - also, dann seid doch
das Salz und
macht euch die Erde
bewohnbar, macht Bergkamen zu einer gemütlichen kleinen Stadt,
baut
den Erdball so
um, daß einmal alle Menschen glücklich sein
können, ohne
Hunger, ohne Kriege, Ohne
Verbrechen. Und wenn ihr das macht, dann braucht ihr von mir aus nie
wieder
zur
Kirche zu gehen, zu unserem Vergügungshaus hier, denn
dann habt
ihr wirklich
begriffen, was Christsein heißt, dann habt ihr Gott
begriffen, dann
braucht ihr die
Kirche nicht mehr. Amen.
Predigt
über Jes. 58,6-9
Friedenskirche: 20. Juli 86
Richtig
Fasten!
Liebe Schwestern und Brüder!
Damals in Israel zur Zeit des Propheten Jesaja, dem Dritten, nach dem
Exil
in
Babylon, scheint es in Jerusalem schon wieder Arme und Reiche gegeben
zu
haben.
Kaum war der Krieg und die Kriegsgefangenschaft zu Ende, kaum waren die
Gefangenen heimgekehrt, schon gab es noch während des
Wiederaufbaus
die alten
traurigen Gegensätze von Reichen und Armen. Einige werden
genug Geld
aus Babylon
mitgebracht haben, um schnell wieder ein Haus sich erbaut zu haben. Und
andere
hatten gar nichts, kein Haus, kein Essen. Man baute den alten Tempel in
Jerusalem
wieder auf. Man wollte zu Jahwe beten. Danken für die Rettung
aus der
Gefangenschaft. Danken für die neue Freiheit. Man wollte Gott
zeigen,
wieviel man für
ihn zu tun bereit war. Man verzichtete für Gott auf Essen. Man
wollte
Gott näher
kommen durch Fasten. Ein Tag in der Woche wurde nicht gegessen. Wir
sind
keine
Prasser, keine Fresser, wollte man damit sagen. Wir verzichten um
Gottes
willen auf
Genuß.
Das ist der typische Fromme, der sich selbst nichts gönnt. Er
kann nicht
einfach sein
Geld verprassen. Er ist sparsam, bescheiden, pingelig. Er
mißgönnt
sich alles. Er straft
sich für seine Schlechtigkeit mit Hungern. Er liebt sich nicht
sehr.
Die typischen Exemplare dieser frommen Sorte Christen sind die
puritanischen
Handelsleute, oft Calvinisten, die durch außerordentliche
Härte
gegen sich selbst ein
Geschäft aufgebaut haben, welches zu erstaunlicher
Blüte gelangt
ist. Der berühmteste
dieser Asketen ist der Entenhausener Onkel Dagobert Duck. Er hat
Mühe,
die
randvollen Silos seiner Goldschätze zu überblicken,
aber gönnt
sich nicht einen Taler
zuviel. Und jeder Taler, den er sich gönnen würde,
wäre einer
zuviel. Dafür aber gibt er
Unsummen aus, um die riesigen Schätze noch besser sichern zu
können.
Onkel
Dagobert ist aber nicht nur hart gegen sich selbst. Er ist ein echter
Leuteschinder,
wenn
er seinen Neffen Donald Duck und die süßen Drei,
Trick, Tick und
Track, zu
entenunwürdigen Arbeiten heranzieht. Onkel Dagobert ist ein
Entenschinder.
Weil er
gegen sich selbst hart ist, ist er auch gegen andere hart. Weil er sich
selbst
nichts gönnt,
gönnt er natürlich auch keinem anderen etwas.
Außer seinem
Geldspeicher, außer
seiner Sicherheit.
Liebe Schwestern und Brüder!
Es ist kein Zufall, daß Walt Disney gerade in Amerika, dem
puritanischen
Land, diese
Vision des ewigen Geizkragens erfunden hat. Guckt euch die
Staatsausgaben
von
Ronald Reagan an, dann wißt ihr, von wem der Westernheld
gelernt hat:
Onkel Ronald
ist gelehriger Schüler von Onkel Dagobert. Milliarden
für Rüstung,
Millionen für
Terroristen in Nicaragua, aber keinen Pfennig für
erhöhte Sozialleistungen.
Diese Art
Frömmigkeit ist der Erfolg des christlichen Versuchs, Gott
näher
zu kommen durch
selbsteigne Pein, durch Fasten und Beten, durch Härte gegen
die eigenen
Bedürfnisse.
Durch Härte schlechthin. Diese Art Frömmigkeit
gehört aber
nach Entenhausen. Sie
gehört sich nicht in Waschinghton und auch nicht in Bergkamen.
Für
Christen ist die
Härte gegen das eigene Ich als Selbstbestrafung für
Sünden
einfach das Falscheste, was
wir tun können. Echt!
Liebe Schwestern und Brüder!
So hart, wie ich gegen mich bin, so hart bin ich dann auch gegen
andere.
Indem ich
mich für meine Sünde bestrafe durch
Selbsthärte, bestrafe
ich andere mit. Ich möchte
dies einmal an einer sehr problematischen Entwicklung festmachen.
Pastor
Kayser ist
ein Arbeitstier. Er läßt kaum erkennen, wo er sich
mal etwas Gutes
tut. Eine Zeitlang
hieß es, ich wäre faul. Seit ich Buch führe
über meine
70 - 80 Arbeitsstunden pro Woche,
sagt wenigstens keiner mehr, ich wäre faul. Aber dieses dumme
Gerede
hat eines
geschafft: Ich habe die Arbeitsdisziplin derartig verinnerlicht,
daß
ich leicht von anderen
verlange, ebensoviel zu tun wie ich und Leute, die nicht ihre 12
Stunden
täglich im Streß
zubringen, gar nicht wirklich ernst nehme. Ich beneide diese Menschen,
die
soviel Zeit
haben. Und insgeheim beginne ich, sie für faul zu halten. Ich
fange
auch schon langsam
an, an Leuten herumzumeckern, die nicht ständig ihr letztes
geben. Und
die Härte, die
mein Beruf mir abverlangt, verlange ich auch von anderen. Nur wer gar
keine
Zeit mehr
hat für solche Banalitäten wie Rasenmähen,
der ist für
mich vom Verdacht der Faulheit
ausgenommen. Staubwischen und Fensterputzen sind erholsame
Freizeitbeschäftigungen. Für mich. Und deshalb schon
fast auch
für alle anderen.
Verstehen Sie, was ich an meinem schlechten Beispiel klar machen will?
Hinter
dieser
Selbsthärte entsteht unheimlich schnell eine wirklich brutale
Art, von
anderen dasselbe
zu verlangen, worunter ich eigentlich leide. Eigentlich wäre
ich viel
lieber faul, hätte
mehr Zeit für mich, für Musik, für Angela.
Aber weil es bei
mir nicht klappt, soll es auch
bei anderen nicht klappen. So denke ich, so denke nicht nur ich,
sondern
viele, wohl alle
Menschen.
Es ist auch schon klar, was da Abhilfe schafft. Eben nicht soviel von
sich
abverlangen.
Sich selbst mehr gönnen. Und damit auch anderen mehr
gönnen können.
Gönnen
können! Genau das ist das Geheimnis dessen, was im Predigttext
als rechtes
Fasten
beschrieben wird. (Zitieren!)
Nur wer anderen etwas gönnt, lernt, sich selbst auch
freundlich zu behandeln.
Nur
wer sich selbst etwas gönnt, kann anderen auch etwas
gönnen. Beide
Sätze treffen zu.
Und deshalb ist es so schwer, aus der Onkel-Dagobert-Christlichkeit
herauszukommen.
Wir werden Gottes Güte sicherlich nicht gerecht, indem wir
unentwegt
in unserer
Kirchengemeinde etwas verlangen. Von uns selbst oder von anderen, von
Gemeindegliedern, vom Pastor. Die Bergkamener verstehen sich gut aufs
Fordern.
Weniger gut aufs Gönnen. Insofern werde ich langsam
Bergkamener. Und
das ist
schlimm!
Statt Fordern Gönnen können! Das ist die Parole. Das
ist das Wesen
der Güte Gottes.
Gott fordert nicht. Gott schenkt uns etwas. Jesus hat uns das
Gönnen
vorgelebt. Jesus
war ein Gönner. Er hat sogar den fiesesten Geschöpfen
noch das
Beste gegönnt. So ist
Gott.
Ich möchte, daß wir das Gönnen lernen.
Gönnt euch Ruhe.
Gönnt euch Vergnügen,
Lachen, Spaß. Gönnt euch gegenseitig Freude und
Vergnügen.
Hört auf, zu fordern.
Glaubt nicht, ihr könnt von anderen all das fordern, was ihr
von euch
selbst verlangt.
Ich will euch ein Beispiel sagen: Fordert nicht von mir, daß
mein Vorgarten
gepflegt
sein soll. Das könnt ihr bei eurem Vorgarten machen.
Gönnt mir,
daß ich meine Gräser
wachsen lasse, wie Gott sie geschaffen hat. Ich will noch ein Beispiel
sagen:
Fordert
nicht, die Kirche soll immer glänzen und dann seid ihr
traurig, wenn
ihr hinfallt. Eine
saubere Kirche ist eben nicht rutschfest. Stattdessen gönnt
unserer
Küsterin, die sich die
halbe Nacht wieder mit Kircheputzen um die Ohren geschlagen hat, mal
etwas
Ruhe
und Anerkennung. Letztes Beispiel ein Beispiel an mich: Lieber Michael,
fordere
doch
nicht von den Weddinghofern, die 18 Jahre von Pastor Meier betreut
wurden,
daß sie
plötzlich politisch voller Feuer engagiert zu jeder
Friedensdemo mit
zwanzig Bussen
unterwegs sind. Gönne ihnen das Recht, erst einmal mit ihren
eigenen
Sorgen und
Nöten ins Reine zu kommen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Macht ihr mit bei diesem Programm? Statt Fordern Gönnen
lernen? Dann
sehe ich
für diese Gemeinde Zukunft. Sie wird statt kleinkariert
großzügig
sein, statt gesetzlich
freizügig, statt verknöchert voller wertvollem
Fleisch und Blut
sein zur Ehre Gottes, der
Liebe ist. Amen.
Thesen
zur Glaubwürdigkeit
des christlichen Glaubens
Einleitung.
Die Kontakte zwischen Menschen, die sich als Christen verstehen oder
zur
organisierten Kerngemeinde der Kirche gehören, und denen,
für die
aufgrund
naturwissenschaftlicher Erkenntnisse der Gebrauch des Wortes "Gott"
sinnlos
geworden
ist, sind in der Alltagssituation kirchlicher Projekte, in denen es auf
die
Stärke
gemeinsamen Handelns ankommt (Aktionseinheit), als ein Stück
Orthopraxie
vernünftiger Weltbewältigung entstanden. Im Bereich
gemeinsamer
Aktionen gibt es
einen fast problemlosen Konsens. In der Frage der handlungsleitenden
Axiome
und
Theoreme gibt es dagegen starke Diskrepanzen. So eng der Konsens in der
Frage
der
Orthopraxie, so unüberbrückbar der Dissens in der
Frage der Orthodoxie,
der die
Wahrheit benennenden richtigen Lehre.
Ziel dieser Thesen ist daher, die Divergenzen zu formulieren und die
Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens so evident
darzulegen, daß
sie noch denen
plausibel wird, die nicht mit der Existenz Gottes rechnen.
These
1: Dogma und Spiritualität.
Es gibt ein außerordentlich stark ausgeprägtes
Bedürfnis
der Menschen nach
Spiritualität. Von diesem Bedürfnis unterscheidet
sich die Frage
der theologischen
Dogmatik. Die Sätze des Glaubens vermögen wohl in
gottesdienstlichem
Zusammenhang spirituelle Erfahrungen auszulösen. Doch sind
ebenso völlig
andere
Momente Auslöser spiritueller Erfahrungen: Liturgische
Rituale, Drogen,
Fastenübungen, Meditationsübungen,
Empfänglichkeit für
Aberglauben, usw.
Aus der langen kirchlichen Tradition Europas hat die traditionelle
kirchliche
Dogmatik für das Bewußtsein der kirlich gebundenen
Menschen einen
starken
Stellenwert bei der Vorbereitung spiritueller Erfahrungen: Gott als
Vater
im Himmel,
Lenker der Welt, Verantwortlicher für all das, was Menschen
einander
zufügen, Geber
von Leben und Tod. Diese theistischen Axiome lösen nach wie
vor bei
der Mehrheit der
Kirchentreuen spirituelle Erfahrungen aus. Ähnlich hat in
Jugendsekten,
spiritistischen
Kulten und Meditationszirkeln ein bestimmter dogmatischer Bezugsrahmen
einen
spirituelle Erfahrung formenden und auslösenden Effekt. Der
verblüffende
Erfolg von
Jugendsekten bis Wunderheilern ist Zeichen dafür,
daß das Bedürfnis
der Menschen
nach Spiritualität keineswegs erloschen ist. Die Menschen
wollen heute
keineswegs
religionslos leben, sondern sind getrieben von einer ungemein starken
Sehnsucht
nach
Transzendenz: danach, daß der alltägliche
Lebenszusammenhang nicht
schon alles ist.
Spiritualität überschreitet die Grenze der
Alltagserfahrung, ist
die Stelle im Leben, wo
ein Mensch über sich hinauswächst. Religion als
Überschreitungserfahrung
von
Alltäglichem, als Grenz-Erweiterung des menschlichen
Bewußtseins
ist dann nicht nur
psychohygienisch wichtig als Faktor und Moment glücklichen
Lebens, sondern
bildet
eine Ebene des fortschreitenden Bewußtseins einer
Gesellschaft, auf
der rationale mit
emotionalen Dimensionen des menschlichen Geistes in einzigartiger Tiefe
verbunden
sind. Solche spirituellen Erfahrungen sind vielleicht ebenso
lebenswichtig
für glückliche
Menschen wie Essen, Trinken und Sexualität.
These
2: Defizit der Kirchen.
Jugendsekten u.a. dokumentieren heute, wie stark sich das
Bedürfnis
nach
Spiritualität formiert, wie leicht es lenkbar ist und wie
anscheinend
die Kirche in ihren
Lebensäußerungen diesem Bedürfnis vielfach
nicht mehr gerecht
werden. Es fehlt in
den Kirchen an Spiritualität, obgleich die Kirche
dafür der prädestinierte
Ort in der
Gesellschaft wäre. Zugleich fehlt es vielfach in der Kirche
immer noch
an Orthopraxie,
Tun des Rechten, sodaß die Kirchen nicht nur dem spirituellen
Bedürfnis
nicht gerecht
werden, sondern auch nicht den ethischen Konsequenzen ihrer eigenen
Lehre.
Das
einzige Gut der Kirche ist vielerorts die der Aufklärung nicht
standhaltenden
theistischen Ausdrucksformen des christlichen Glaubens, die in einer
sich
jeder
wissenschaftlichen Nachprüfbarkeit entziehenden Beliebigkeit
als Orthodoxie
ohne
Wahrheit erstarrt sind und zur reinen Behauptung bei gegenteiliger
Praxis
verkommen
sind. In der Frage richtigen Lebens sind vielfach Nichtchristen den
Kirchentreuen
weit
voraus. Daraus ergibt sich die ekklesiologische Frage, ob die Kirche
nach
Luther der Ort
richtiger Lehre ist oder da existiert, wo der Wille Gottes getan
wird,anstatt
in der
Anbetung des Herr, Herr-Sagens gerade die Herrschaft Christi zu
verhindern.
Aus der
Lehre Christi geurteilt hat die organisierte Kirche weitaus weniger
Authentizität
als
viele unorganisierte Menschen, die sich nicht als Christen bezeichnen,
denen
aber
sachlich diese Bezeichnung viel eher zukäme als den
Kirchentreuen selbst.
These
3: Wahrheitsgehalt
der biblischen Botschaft.
Um nicht nur Aktionseinheiten mit diesen vom Selbstverständnis
her
nichtchristlichen, von der Sache her doch christlichen Tätern
des Willens
Gottes zu
machen, sondern auch einen gemeinsamen Begründungszusammenhang
dieser
Aktionsformen zu entwickeln, aus der Orthopraxie zur Orthodoxie zu
gelangen
- nie
geht die Theorie der Praxis tatsächlich voraus im
alltäglichen
Lebenszusammenhang! -,
ist die Lehre des christlichen Glaubens in ihrer dogmatisch
verfestigten
Form daraufhin
zu überprüfen, was unter dem Aspekt der
Gültigkeit des fortgeschrittensten
wissenschaftlichen Wissens an biblischen Aussagen evident und plausibel
ist.
Das Ziel dieser Unternehmung ist, aufgrund einer
allgemeingültigen
Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens mit allgemein
nachvollziehbaren
Sätzen
ausgewiesener Wahrheit zu einer wiederum nicht mehr
partikular-innerkirchlichen,
sondern allgemein bejahbaren Spiritualität zu gelangen, die
als einende
Triebkraft die
Solidarität und Durchsetzungsfähigkeit der
gemeinsamen Aktionseinheit
im politischen
Handeln fördert. Eine solche Form der Spiritualität
haben weder
die organisierte
Kirche noch die politisch im Sinne Jesu engagierten Menschen. Sie ist
eine
Erfahrungsdimension, die erst gemeinsam erschlossen werden
muß. Es
hat in der
Geschichte der Kirche immer wieder solche Neu-Erschließungen
von orthopraktischer
Spiritualität gegeben. Solche orthopraktische
Spiritualität ist
aber nichts zeitlos gültiges,
sondern verändert ihre Gestalt mit der Veränderung
des Wissens
und der
gesellschaftlich gebotenen Formen richtigen christlichen Handelns.
These
4: Recht auf Geborgenheit.
Zu der neuen Spiritualität gehört das Recht der
Menschen, in Gemeinschaft
Ruhe
und Geborgenheit zu finden, in der Gemeinschaft das zum Thema zu
machen,
was uns
"unbedingt angeht"(Tillich). Das auszusprechen, was alle bewegt: erste
und
letzte
Fragen, nach dem Sinne dieses so offensichtlich leidvollen und
ungerechten
Lebens,
nach der letzten Bestimmung der Menschen, wenn es eine solche geben
sollte.
Was trägt
uns in unserer unaufhebbaren Verlassenheit, in der jeder einsam seinen
Tod
stirbt und
unwiderruflich vergeht? Warum ist für viele Menschen das Leben
nur Qual
und der Tod
dann noch einmal? Mit welchem Zufall wird jemand in eine wahre
Hölle
hineingeboren, warum kann bundesdeutsche Schikeria sich kaum
Hölle vorstellen?
Alle
diese Fragen existieren und geben in der Art ihrer Beantwortung unserem
Handeln
letzte Koordinaten, die sich auswirken bis hinein in Zielrichtung und
Intensität
der
politischen Verantwortung-Nahme.
Das gemeinschaftliche Nachdenken und Meditieren dieser letzten Fragen
könnte
als
dogmatischer Innovationsprozeß der Kirche Nichtchristen und
Christen
verbinden in
der Kirche als Ort der Spiritualität, die solchen Fragen Raum
gibt,
ohne ihre
traditionellen Antworten als die apriori schon richtigen darzustellen.
These
5: Gottesdienst.
Der Beitrag der Christen in diesem spirituellen Dialog, dessen Ort der
christliche
Gottesdienst wäre, ist in einer aufgeklärten
Gesellschaft folgender:
Wir verzichten auf die Behauptung, Gott habe die Welt geschaffen in der
Art,
wie es
die Anfangskapitel der Bibel beschreiben. Gott ist nicht vor oder
außerhalb
der Welt,
sondern in ihr.
Wir glauben Gott nicht als Person, die alle Geschicke dieser Welt
verantwortlich
lenkt. Gott ist Geist, der die Herzen, Köpfe und
Hände einzelner
Menschen und
Gemeinschaften zu bewegen imstande ist und der ohne diese ihn in sich
tragende
und
von ihm getragene Gemeinschaft nicht ist. Insofern verkörpert
Kirche
Gott in der Welt.
Kirche in diesem Sinn ist nicht kongruent mit der Organisation gleichen
Namens.
Das ist
der Wahrheitsgehalt der Geschichten von den biblischen Propheten, von
Jesus,
von
Heiligen der katholischen Kirche (Individuen) und der christlichen
Gemeindebildung
bis hin zur Kirchenlehre und Pneumatologie. Weil Gott Geist ist, ist
die
spirituelle
Erfahrung zugleich die Erfahrung Gottes, auch wenn sie nicht als solche
bezeichnet
und
erlebt wird.
In besonders eindrucksvoller Weise hat Jesus den Geist Gottes in Wort
und
Tat
verdeutlicht. Als Quintessenz seines Auftretens läßt
sich formulieren:
Gott ist Liebe.
Das Leben Jesu ist als Illustration dieses Satzes zu verstehen: Sein
Bemühen,
alle
Menschen satt zu machen, bedeutet für uns heute eine neue
Weltwirtschaftsordnung
ohne Ausbeutung. Dies setzt eine tiefgreifende Änderung der
kapitalistischen
Herrschaftsformen voraus.
Jesu Gewaltlosigkeit bedeutet heute einen radikalen Verzicht auf
Militär
und eine
weitestgehende Einschränkung innerstaatlichen Gewaltgebrauchs.
Das involviert
den
Kampf der Christen für Abrüstung.
Die Liebe Gottes umfaßt die Menschen mit ihren
Stärken und Schwächen,
das zeigt
das Handeln Jesu.
In der Art, wie die Kirche auf den Mann Jesus aufmerksam ist, zeigt
sich
die
Herrschaft Jesu Christi. Sie lebt nicht aus der Verehrung eines Mannes,
sondern
aus der
praktischen Aneignung dessen, was sein Leben entscheidend
geprägt hat.
Das
kennzeichnet aufgeklärten Glauben, der den Ruf Jesu in seine
Nachfolge
nicht als
theistische Vergötterung zur hierarchischen Marionette. Jesus
ist beeindruckendes
Vorbild und als solches lebendig im Handeln der Christen. Das ist die
Form
seiner über
den Tod hinausgehenden Lebendigkeit. In der Erinnerung des Lebens eines
Toten
wird
seine Lebendigkeit bewahrt und in neuer Weise entfaltet. Wenn an der
Geschichte
von
der Auferstehung etwas gültig ist, dann die verbildlichte
Hoffnung darauf,
daß das, was
einen Menschen ausmacht, nach seinem Tod nicht erloschen ist, sondern
in
erneuerter
Form wieder auflebt in anderen durch die Kraft der Erinnerung, die ein
Teil
der Kraft
des Heiligen Geistes ist. Christliche Liebe geht in dieser Form der
Erinnerung
über den
Tod hinaus.
These
6: Dialog mit
Nichtchristen.
Die Kirche hat nur eine Chance, wenn sie den Dialog mit den
aufgeklärten
Nichtchristen sucht und vor dem fortgeschrittendsten Wissensstand die
Inhalte
des
Glaubens formulieren und aufrechterhalten kann. Wenn die Kirche sich
dieser
Ver-Antwortung nicht stellt, gibt sie den Kontakt zur Vernunft auf und
regrediert
zu
einer Sekte ohne Wahrheitsgehalt. Möglicherweise hat sie dann
immer
noch viele
Kunden. Sie ist aber kein gesellschaftlich relevanter,
überzeugender
Gesprächspartner
mehr, sondern konkurriert mit Märchenerzählern. Um
als "Volkskirche"
Zukunft zu
haben, bedarf es der theologischen Umorientierung auf die
Kompatibilität
der
Aussagen des Glaubens mit denen der Wissenschaften. Eine Kirche, die
diesem
Dialog
nicht sich stellt, verwirkt nicht nur ihre Zukunft als Organisation,
sondern
zugleich die
Zukunft der Liebe Gottes, von der sie lebt und die sie missionarisch
weitergeben
möchte. Missionarisches Handeln heute heißt:
Glaubens- und Dialoggemeinschaft
bilden mit Nichtchristen. Zum Wesen Christi gehörte,
daß er keine
Angst hatte, etwas zu
verlieren. Eine Kirche, die diesem Wesen gemäß lebt,
wird in dem
notwendig
anstehenden Dialog mit Nichtchristen vor der Preisgabe von
theologischen
Aussagen
zurückschrecken, die ihr im Lauf der Tradition lieb geworden
sind, aber
nicht zum
innersten Kern des Liebesgeistes Gottes gehören.
Die Wunderstories der Evangelien usw. brauchen heute nicht mehr als
Tatsachenberichte behauptet zu werden. Es kommt darauf an, ob die im
Gewand
spätantiker Wundergläubigkeit formulierten
Geschichten vom Wesen
der Liebe Gottes
in Jesus über dieses Wesen Gottes etwas sagen. Dies allein ist
heute
(und war es damals
ebenso) wesentlich, nicht das wundergläubige Gewand der
Geschichte.
Das Gewand
solcher Geschichten darf ein Christ durchaus preisgeben, so wie der Hl.
Martin
seinen
Mantel teilte.
These
7: Glaubwürdigkeit.
Der Erweis der Glaubwürdigkeit des Christlichen Glaubens wird
dadurch
gebracht,
daß eine Argumentationsfigur, die völlig ohne
Adaption theologischer
Motive
auskommt, zu den selben oder ähnlichen Ergebnissen kommt, etwa
in sozialethischen
Fragen. Beispiel: Frieden als Ziel ist sowohl politisch der beste
Zustand
zu existieren,
also nach wissenschaftlicher Logik, wie er zugleich als Ausdrucksform
Gottes
zum
ethischen Ziel des Handelns der Christen erhoben wird. Aus dem
universalisierten
narzißtischen Wunsch nach Triebbefriedigung (Essen, Trinken,
Geborgenheit
und
Wohnung, Wärme, Sexualität) läßt
sich soziale Gerechtigkeit
als Forderung nach
grundlegender struktureller Umverteilung der gesellschaftlichen
Reichtümer
und
Resourcen ableiten; dieselbe wissenschaftlich begründbare
Forderung
ist aber auch
(ohne großartigen Begründungszusammenhang)
Grundforderung der
Propheten und
Jesu in der Bibel. Neue Weltwirtschaftsordnung ist
gleichermaßen rational
aus der
Universalisierung der menschlichen Grundbedürfnisse her mit
dem Evidenzpol
des
eigenen Narzißmus herleitbar, sondern daneben aus dem
Sättigungswillen
der
Mutterliebe Gottes zu verstehen. Erst wenn die Macht der
kapitalistischen
Wirtschaftsmachthaber durch Demokratisierung und Vergesellschaft der
Produktionssphäre gebrochen ist, wird es überhaupt zu
einer grundlegenden
Änderung
des Ausbeutungsverhältnisses zwischen Industrie- und
Entwicklungsnationen
kommen.
Predigt
über 1.Tess.
5,12-22 Friedenskirche 26. 10. 86
Erlauben als Strategie
Liebe Schwestern und Brüder!
Ich war die letzte Woche im Pastoralkolleg. Wir haben gebetet,
gefeiert,
nachgedacht
und Gemeinden besucht unter dem Thema: Wie sehe ich in der Gemeinde
Energien
christlicher Liebe. Wie kann eine Gemeinde zu einem starken Energiefeld
wachsen.
Wir
haben darüber gelebt. Wir haben unsere eigenen Energien
gespürt.
Wir haben uns
miteinander wohlgefühlt, weil jeder den anderen akzeptiert
hatte, so
wie er war, mit
aller Kuriosität und aller liebenswerten Menschlichkeit. Wir
haben eine
Gemeinde
besucht und ich war zum Kaffeetrinken bei der Altenkreisleiterin, einer
sehr
patenten
Frau. Sie erzählte über Konflikte in der Altenrunde.
Wenn eine
neue Seniorin kommt,
sich unbedacht auf den Stammplatz einer Alteingesessenen setzt, kommt
es
manchmal
zu recht fiesen Szenen. Und die Leiterin des Seniorenkreises sagte mit
viel
Liebe: Es
menschelt eben auch manchmal bei uns. Finde ich toll!!! Es menschelt
eben
auch mal
bei uns.
Wie es sein könnte, wenn wir die Menschlichkeit Jesu Christi
in unsere
Herzen
aufnehmen und damit Christus unter uns Gestalt und Lebenskraft werden
lassen,
das
beschreibt ja der Predigttext, den Paulus in seinem allerersten Brief
überhaupt,
an die
griechische Gemeinde von Tessalonike als letzte,
abschließende Weisung
gibt. Lebt in
Frieden miteinander. Ermutigt die Ängstlichen. Helft den
Schwachen,
habt mit allen
Geduld. Zahlt nicht Unrecht mit Unrecht zurück. Seid immer
fröhlich.
Laßt im Beten
nicht nach. Dankt Gott in jeder Lebenslage. Unterdrückt nicht
das Wirken
des heiligen
Geistes.
Die ideale Gemeinde. Als ich hierher kam, habe ich einmal gedacht, die
Friedenskirche soll ein Ort der Liebe werden. Ich denke das nach wie
vor.
Ich glaube,
wir sind auf dem Weg dahin, ich glaube es nach wie vor.
Ich möchte euch erzählen von den Antreibern, die uns
alle beherrschen.
Der erste
Antreiber sagt mir: Du bist nur dann ein guter Mensch, wenn du in allen
Dingen
perfekt
bist. Du mußt gut organisieren, alles behalten, was dir
jemand sagt,
alles richtig machen.
Der zweite Antreiber sagt: Du bist nur dann okay, wenn du stark bist.
Gib
dir nie eine
Blöße. Sei nicht verletzt, beleidigt, traurig.
Laß dir nichts
anmerken, weder von deinem
Schmerz, noch von deiner Überschwenglichkeit, deiner
Verspieltheit,
deinem
jugendlichen Leichtsinn. Laß dich nicht gehen. Sei
beherrscht. Sei
stark.
Der dritte Antreiber sagt: Du kannst dich nur dann wirklich gut
fühlen,
wenn du dich
anstrengst. Sei fleißig, ordentlich. Laßt dich
nicht durchhängen.
Streng dich an. Die Welt
läßt sich nicht vom Faulbett aus ändern. Du
mußt dich
engagiert gegen Unrecht wenden.
Du tust zuwenig. Was hast du wieder alles nicht geschafft! Du willst ja
etwas
erreichen.
Los, tu was!
Der vierte Antreiber flüstert dir ins Ohr: Du bist nur
okay,wenn du
in Eile bist. Es ist
fünf vor Zwölf. Wir müssen die Welt retten,
ehe es zu spät
ist. Atomraketen, Hunger.
Jedes Ausruhen ist Sünde. Mehr als 6 Stunden Schlaf ist
Zeitverschwendung.
Wenn
nicht ein Termin den anderen jagt, bist du faul. Wenn du dich beeilst,
schaffst
du es
schneller, bist eher fertig. Du hast dann mehr Zeit. Also darfst du
jetzt
keine Zeit
vergeuden. Eile!
Der fünfte Antreiber sagt: Du bist nur dann okay, wenn du
allen Leuten
gefällst. Tu
nichts, was dich in schlechtes Licht bringen könnte.
Laß den Widerspruch,
er bringt dir
nur Scherereien. Lächele mal ein bißchen so wie
Ronni Reagan,
dann gewinnst du gleich
ein paar Herzen mehr. Zieh dich gut an, achte auf dein
Äußeres.
Einen Gammler mag
doch keiner. Einen traurigen meiden auch alle. Also sei immer
hübsch
fröhlich, lächle,
zeige, daß es dir gut geht. Mach gute Mine zum bösen
Spiel, auch
wenn es manchmal
schwer fällt. Dann werden die Leute gern deine Gesellschaft
suchen.
Wenn du mal eine
andere Meinung hast, sage sie nicht. Du könntest dich
unbeliebt machen.
Tritt nicht in
Fettnäpfchen. Sei vorsichtig mit dem, was du predigst.
Laß dich
überall mal kurz sehen.
Dann bist du beliebt, dann bist du okay.
Liebe Gemeinde!
Wer nur stark, perfekt, angestrengt, eilig und gefällig
herumläuft
- der ideale
Nachbar, Pfarrer, die ideale Ehefrau, Mutter, Presbyterin - ja glaubt
ihr
wirklich, daß
diese Mustermannexemplare Mensch wirklich geliebt werden? Mit ihrer
Stärke
drängen
sie andere in den Schatten. Mit ihrer Perfektion gehen sie anderen auf
den
Wecker. Mit
ihrer Angestrengtheit verbreiten sie Anspannung auch bei den anderen.
Mit
ihrer Eile
machen sie alle nervös. Mit ihrer gefälligen Art
wirken sie unecht
und kriecherisch.
Diese Antreiber machen auf die anderen gar keinen so sympathischen
Eindruck.
Und
doch sind wir alle pausenlos dabei, uns von den Idealen
Stärke, Perfektion,
Fleiß treiben
zu lassen in unserem Leben zuhause, im Beruf und in der Kirche.
Die anderen sind also nicht wirklich glücklich durch meinen
Fleiß,
meine Stärke,
meine Eile, meine Perfektheit. Sie denken vielleicht: Ach der
Lütge,
ein toller Hecht.
Aber glücklich sind sie von diesem Gedanken nicht.
Glücklicherweise
bin gerade ich
kein so ein toller Hecht, sondern von alle den Idealen das ziemliche
Gegenteil.
Aber
weiter im Gedankengang.Bin denn wenigstens ich glücklich, als
Starker,
Fleißiger,
Eiliger, Angestrengter, Pünktlicher, Artiger? Was meint ihr? -
Ich glaube,
es macht einen
hochgradig unglücklich, so im Streß zu stehen, seine
wahre Meinung
immer hinter der
Idealfassade zu verbergen. Unsere Antreiber fordern von uns ewiges
Versteckspielen.
Darum lassen sie uns nicht uns selbst sein. Sie fälschen uns.
Wir werden
falsch. Das
macht uns auf Dauer kaputt.
Was also tun? Laß euch nicht antreiben! Tut nur, wozu ihr ein
gutes
Gefühl habt.
Fühlt euch nicht verpflichtet, etwas zu tun. Überlegt
euch, ob
ihr es nicht vielleicht auch
ganz gerne wollt. Vielleicht macht es euch ja auch Spaß, beim
Gemeindefest
irgendeine
Aufgabe zu übernehmen, Kuchen zu backen, eine kranke Nachbarin
einmal
zu
bemuttern, einem traurigen Freund lange zuzuhören. Vielleicht
seid ihr
viel mehr
erleichtert, wenn ihr mal einem, den ihr nicht leiden könnt,
sagt, was
euch an ihm stört.
Vielleicht kann er dir dann erklären, wieso er so komische
Sachen tut,
die dich nerven.
Gönne dir mal einen Tag Faulheit. Was meinst du, was dir alles
für
gute Einfälle
kommen werden für deine Arbeit. Viele Sachen, die du in all
deiner Eile
übersehen hast,
werden dir dann klar. Du wirst ruhiger in dir selbst. Du bist
entspannter.
Du reagierst
weniger gereizt. Du forderst von anderen nicht auch immer wieder,
daß
sie sich
kaputtmachen für die Arbeit. Du läßt ihnen
Raum zum Atmen.
Sie können aufatmen
und auch so ruhig werden wie du. Ich möchte das einmal mit
euch probieren,
jetzt hier.
Setzt euch bequem hin. Macht die Augen zu. Atmet tief aus. Atmet wieder
ein.
Wartet
ein wenig. Atmet wieder aus, ganz lange und tief. Entspannt euch.
Laßt
eure Arme ganz
schwer werden. Laßt euren Gedanken einmal freien Lauf und
träumt
eine Weile einfach
vor euch hin.
Merkt ihr, wie gut das tut? Stellt euch vor, unsere Friedenskirche ist
ein
Haus, wo ihr
öfter zum gemeinsamen Träumen hingeht. Ohne weitere
Projekte und
Pläne, außer
miteinander erzählen, Kaffee trinken, sich wohl
fühlen, zuhören
und selbst von sich
etwas preisgeben. Das braucht ihr doch. Das brauche ich auch.
Dann kommt der Ralf und hat vor, eine Massagegruppe für junge
Leute
aufzumachen und Gottesdienste mit Abendmahl und Gespräch statt
Predigt
und viel
ruhiger Musik und Räucherstäbchen und Kerzen und am
Boden sitzen
und indisch essen
und einer stillen, schweigenden Form des Gebets zu machen. So wie wir
es
von der
liturgischen Nacht mit Peter Janssens her kennen, so wie es die Jugend
auf
den
Kirchentagen mit den Älteren zusammen feiert. Und jetzt kommen
einige
daher und
sagen: Ist das denn rechter Gottesdienst. Das ist doch Schweinskram,
mit
Massage. Und
dieselben Leute sehe ich dann vielleicht dann bei Herrn Starzetz in der
Schulstr.
wieder.
Von wegen Massage ist Schweinskram. Wenn sie selbst massiert werden mit
der
schmerzenden Schulter, dann ist es plötzlich Heilbehandlung.
Aber im
Gottesdienst
durch Massage Verkrampfung lösen, das ist und bleibt
Schweinskram.
Ich habe diese Situation erfunden. Aber sie ist denkbar. Und jetzt sage
ich
euch, was
auch der Apostel Paulus zu diesem Problem gesagt hat:
Unterdrückt nicht
das Wirken
des heiligen Geistes. Prüft alles, das Gute behaltet. Warum
kann sich
der Geist der
Liebe Gottes denn nicht auch in Massage äußern, im
stillen Gebet.
Warum kann denn
Gottesdienst nicht auch auf dem Boden knieen oder sitzend gefeiert
werden
wie in
Taize? Wer sagt denn, daß unsere Art des Gottesdienst feierns
die einzig
richtige ist?
Früher, bei Paulus, gab es die Zungenrede, wo einer in Extase
geriet
in der
Gemeindeversammlung und sinnlose Wortfetzen vor sich hinbabbelte
schlimmer
als ein
Wahnsinniger. Und ein anderer übersetzte dann solche
Wortergüsse
in Sprache. In
Evangelium. In frohe Botschaft. Für uns wäre das
heute undenkbar,
wenn plötzlich
einer hier herumflippen würde und sich wie im Tollhaus
aufführen
würde. Aber das war
früher Höhepunkt des Gottesdienstes. So verschieden
kann Kirche
in ihren
Lebensäußerungen sein. Und darum sagt Paulus:
Unterdrückt
nicht das Wirken des
Geistes. Laßt die Zungenredner babbeln und ausflippen. Bremst
sie nicht.
Bremst sie nicht. Laßt die Jugendlichen neue Formen des
Gottesdienstes
erproben.
Laßt sie suchen nach Formen, wie Gottes Liebe unter uns
lebendig wird.
Dann wird
unsere Gemeinde blühen. Habt keine Angst vor Entartung.
Entartete Kunst
war vor 50
Jahren die nackte Wahrheit. Nicht dressieren ist das angemessene
Verhalten
gegen den
Heiligen Geist, der vielleicht ja heute in einer Massage zu uns kommen
will
statt in
einem guten Wort. Zulassen, nicht ersticken, nicht auslöschen
- das
sind die einfachen
Verhaltensweisen, mit denen ihr dem Heiligen Geist freie Bahn
laßt.
Oder seid ihr euch
so sicher, zu wissen, daß der Heilige Geist gegen Massage
ist? Dann
geht bloß nicht zum
Masseur! Dann bleibt mit euren schmerzenden Schultern und
Rücken zuhause
und
betet, daß die Spannungen von allein weggehen.
Glaubt nicht, ihr hebt allein die Wahrheit und den Weg gefunden. Gottes
Geist
weiß
vielleicht noch mehr Wege. Laß ihn wirken, diesen Geist der
Liebe und
Freundlichkeit,
des Friedens und der Gerechtigkeit. Laßt ihn seine Formen
selbst finden.
Stellt euch
nicht ihm entgegen. Laßt euch vielmehr von ihm begeistern.
Dann wird
uns das Leben
zuteil. Amen.
Vorlage zur Sitzung
Schöpfungsverantwortung
der Kirche
Das Gesamtpresbyterium der ev. Friedenskirchengemeinde Bergkamen hat
sich
mit
dem Proponendum für die Landessynode 1986 befaßt. Es
kommt zu
folgender
Stellungnahme:
Angesichts der atomaren Katastrophe von Tschernobyl sehen wir es als
Schuld
der
Kirchen an, daß wir vor den Gefahren des technologischen
Fortschritts
nicht früher und
eindringlicher gewarnt haben. Wir haben die wissenschaftliche Forschung
und
die
staatliche Forschungsförderung in wichtigen
Entscheidungsaugenblicken
nicht klar und
eindeutig beraten. Wir haben uns nicht genügend selbst
sachkundig gemacht.
Wir haben
an Fragen, die unsere sachliche Kompetenz überstiegen,
aufgehört,
weiter mitzudenken
und unser Vertrauen auf das Wissen von Experten gesetzt. Wir haben
angenommen,
mit
den Fähigkeiten der Wissenschaft und Technik allein seien
schon die
Probleme gelöst.
Mit Erschrecken sehen wir uns in diesem Fortschrittsoptimismus
getäuscht
und
erkennen, daß nahezu jede neue komplexe Technologie fast
ebensoviele
Probleme
schafft, wie sie zu lösen versprach. Wir bekennen,
daß wir als
Kirche durch unser blindes
Vertrauen in die Fähigkeiten der neuen Technologien den
Turmbau zu Babel
weitergefördert haben. Wir haben uns durch unseren
Rückzug auf
unsere Inkompetenz
mitschuldig gemacht an den Katastrophen der Technik, die unseren
Erdball
in seinem
Überleben bedrohen.
Wir hätten früher und schärfer dem
wissenschaftlichen Fortschritt
die Frage stellen
müssen, wem seine Ergebnisse nützen und auf wie lange
Zeit und
mit welchen
Nebenwirkungen. Wir hätten bei jeder neuen Technologie und
Forschungsabsicht
stärker fragen sollen, ob sie den Willen Gottes nach Frieden
und Gerechtigkeit
im
Weltganzen befördert oder nur einer Minorität von
Nationen oder
politisch und
wirtschaftlich einflußreichen Personen dient.
Wir erkennen mit großer Hochachtung an, wie aufgewacht und
engagiert
unsere
Bevölkerung in praktischen Fragen des Umweltschutzes geworden
ist und
mit welchem
Finanzaufwand und mit welcher Phantasie sie Wege zur Bewahrung von
unserer
Natur
entwickelt.
Wir finden es peinlich, wie in der Politik und Gesellschaft
über die
Konsequenzen zur
Bewahrung der Schöpfung vielfältige
Aktivitäten entstanden
sind, während wir als
Kirche unseren Glauben an Gott den Schöpfer lediglich
konsequenzlos
bekannt haben,
ohne irgend etwas zur Bewahrung und Erhaltung der Schöpfung zu
tun.
Die kirchliche Tradition hat als Kernthese der
Schöpfungsgeschichten
meist nur
gesagt: Macht euch die Erde untertan. Wir haben zuwenig den zweiten
biblischen
Bericht von der Schöpfung als Versuch hervorgehoben, die
Kreativität
der Liebe Gottes
im Aufbau einer lebensfrohen Welt zu beschreiben. Wir haben den
Bewahrungsauftrag
der Fürsorge für die Erde im 2.
Schöpfungsbericht kaum beachtet
und zuwenig
verkündigt. Wir konnten den Wissenschaftlern die
Würde und Schutzwürdigkeit
der
Natur vom Bewahrungsauftrag des Schöpfergottes her nicht mehr
deutlich
machen, weil
es uns vor allem nicht gelang, angesichts der Evolutionstheorie
wissenschaftlich
plausibel zu machen, daß in der Entwicklung der
Naturgeschichte Gott
als Formkraft
immanent gewirkt hat. Hätte sich die Kirche rechtzeitiger der
Herausforderung
durch
die Wissenschaft gestellt, wäre sie ernster genommen worden in
ihrem
Glauben, daß die
Welt als mit dem Willen Gottes entstandenes Wunderwerk auf Liebe und
Fürsorge
der
Menschen angewiesen ist.
Zu dieser Fürsorge gegenüber der Schöpfung
gehört der
Grundsatz, eine
Technologie, die unbekannte und unberechenbare Risiken
enthält, mit
äußerster
Vorsicht zu erforschen. Erst recht bedeutet
Schöpfungsverantwortung,
Techniken mit
bekanntermaßen katastrophalen Risiken aus dem
alltäglichen Gebrauch
auszuscheiden.
Unter dieser Maßgabe stellen wir fest, daß die
Nutzung der Atomenergie
für Gottes
Schöpfung mehr Gefahren und Risiken heraufbeschworen hat, als
sie Nutzen
für die
Energieversorgung bringt. Wir fordern die Verantwortlichen für
die Energieversorgung
auf, alternative Energiequellen stärker als bisher zu
erforschen und
zu fördern. Gerade
im Hinblick auf den Energiebedarf der armen Länder der
südlichen
Erdhalbkugel sind
Sonne, Wind und Wasser die Energieträger der Zukunft. Wir
warnen eindringlich
vor
jedem weiteren technologischen Draufgängertum in der
Atomenergienutzung.
Wir
halten es angesichts von Tschernobyl für geboten, so schnell
wie möglich
aus der gar
nicht so friedlichen Nutzung der Atomenergie auszusteigen.
Wir meinen, daß das Proponendum an dieser Stelle zu vage ist.
Wir bitten
Kreis- und
Landessynode, über den Ausstieg aus der Atomenergie zu beraten
und zu
einem klaren
Wort zu finden.
Predigt
über Lukas
3,1-14 Friedenskirche 14.12.86
Kleine Schritte - Gottes Heilsweg in der Welt.
Psalm 146. Lesung: Rm 13,8-12
Liebe Schwestern und Brüder!"
Ihr Schlangenbrut, ihr Natterngezücht!" Würde ich das
zu euch sagen,
hätten gleich
wieder einige mit Meier zu telephonieren. Ich wundere mich auch kaum
darüber,
daß
der König Herodes Johannes hat hinrichten lassen, weil
Johannes da einige
kritische
Bemerkungen gemacht hat über die königlichen
Sexualbeziehungen.
Ich wundere mich
auch nicht, daß Jesus, der Schüler des Johannes,
hingerichtet
wurde, nachdem er in
Jerusalem schärfer als je zuvor die Schriftgelehrten
angegriffen hatte:
Weh euch, ihr
Schriftgelehrten und Pharisäer, die ihr
weißgestrichenen Gräbern
gleich seid, von außen
schön, drinnen aber voll Knochen und Verwestem. So erscheint
auch ihr
auswendig den
Menschen als gerecht, inwendig aber seid ihr voll von Heuchelei und
Gesetzesverachtung.(Mt 23,27f)
Worüber ich mich wundere, daß wir diese Texte,
Erzählungen
über solche Männer
und ihre gesammelten Dreistigkeiten, seit Jahrhunderten mit uns
herumtragen
und zum
Teil schon gar nicht mehr wahrhaben wollen, wie frech die
Männer der
Bibel wirklich
waren. Es ist kein sehr verwunderliches Ding, daß solche
Propheten
tödlich enden. Jesus
hat das auch gewußt: Jerusalem, Jerusalem, das die Propheten
tötet
und die steinigt, die
zu ihm gesandt sind, wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie
eine
Henne ihre
Kücken unter ihre Flügel sammelt, und ihr habt es
nicht gewollt.
Siehe, euer Haus wird
öde gelassen.(Mt 23,37f)
Es ist mehr als Zufall, daß Jesus in Jerusalem in den letzten
Tagen
vor seiner
Verhaftung ganz genau die gleichen Bilder und Worte gebraucht, wie der
Bußprediger
Johannes. Der kam aus der Wüste, nach Markus mit
Kamelhaarmantel und
Heuschreckennahrung genau wie der Prophet Elia. Und Elia, von dem es im
1.
Buch der
Könige einen ganzen Sagenkranz gibt, hat vehement der
Baalsreligion
der Kanaanäer
entgegengewirkt, gegen Kinderopfer gekämpft und die
Könige hart
angegriffen, weil sie
aus Nützlichkeitsüberlegungen ihren Glauben an Gott,
den Befreier
aus Ägyptenland,
aufgegeben haben. Dieser wackere Prophet Elia ist dem Johannes das
Vorbild.
Wie er
lebt Johannes in der Wüste, dem Ort, wo Gott in der Stille am
Nähsten
ist, dem Ort, wo
man vom Trubel des Alltags nicht betriebsblind herumläuft,
sondern die
Horizonte
sieht, zwischen denen wir leben. Johannes lebt wie Elia da, wo man zu
sich
kommt -
entfernt vom Streß. Er hat Zeit, nachzudenken, ob die
Menschen so richtig
leben, wie sie
leben. Er trifft in der Stille und Einsamkeit der Wüste Gott.
Und Gottes
Wort ergeht in
sein Nachdenken hinein, so wie Gott auch den Propheten Elia
angesprochen
hat und
ihm Aufträge gegeben hat, öffentlich zu sagen, was
recht ist und
was gegen Gottes
Willen. So predigt auch Johannes das, was er in der Einsamkeit der
Wüste
von Gott
gesagt bekommen hat. Und scheinbar ist Gottes Wort im Mund der
Propheten
selten
Süßholz, so wie es von der Kanzel gern
gehört wird. Es ist
harte Rede. Ihr
Natterngezücht, sagt Johannes. Ihr Natterngezücht,
sagt Jesus,
sein Schüler. Beide
lebten nicht mehr lange danach.
Johannes erklärt, daß Gottes Gericht nahe
bevorsteht. Ein hartes
Gericht. Schon
mittelmäßig gute Obstbäume werden
ausgerissen und ins Feuer
geworden, es sollen nur
die wirklich guten Obstbäume zur Zucht übrig bleiben.
Klar, denn
bei dem wenigen
nutzbaren Land in Israel ist das Stückchen Land, was ein
schlechter
Baum besetzt hält,
vergeudete Anbaufläche. Man kann sich bei so wenig gutem Land
keine
schlechten
Bäume darauf leisten. Wir können uns rein theoretisch
in der Kirche
auch keine
schlechten Bäume leisten. Durch die Schwammigkeit und
mangelnde Klarheit
in vielen
Fragen der Menschlichkeit haben wir, die Kirche, viele Menschen
enttäuscht.
Nur
keinem auf die Füße treten, das war die Devise.
Mittlererweile
hat sich da gerade in den
oberen Etagen der Kirche viel getan: die Stellungnahmen der obersten
Synoden
zu
Fragen wie Umweltzerstörung, Tschernobyl und Ausstieg aus
Atomenergie,
Ausbeutung der armen Welt und Atomraketen - sie sind klar und
unmißverständlich
geworden und auch sehr unbequem und ärgerlich für
gewisse, meist
sehr reiche Teile
der Bevölkerung. Ich glaube, daß diese neue
Entschiedenheit und
scharfe Klarheit
unserer kirchlichen Erklärungen nicht nur dem Reden Johannes
des Täufers
angemessener sind als das bisherige Wischiwaschi der Denkschriften,
sondern
daß auch
unsere Leute von der Kirche ein klares Wort hören wollen.
Selbst wenn
es manchmal
unbequem ist, weil es von mir verlangt, meinen Lebensstil zu
ändern.
Auch für unsere Kirche gilt heute wieder Qualität
statt Quantität:
Nicht möglichst
viele Bäume auf dem Acker, sondern möglichst gute.
Die schlechten
verbrauchen nur
unnötig Nährstoffe des Bodens, also weg damit,
verzichten. Gericht
Gottes kann heißen:
In der Kirche von dem Gedanken wegzukommen: Wie schön, wenns
voll ist,
auch wenn
weniger fruchtbare Bäumchen dabei sind - hin zum Gedanken: Die
Nährkraft
Gottes
soll für die wenigen zur Stärkung dienen, die ihr
Leben ganz unter
die Herrschaft Jesu
stellen wollen und das auch tun, was er getan und gesagt hat.
Vielleicht
wird es uns
irgendwann einmal, vielleicht sogar unter dem Druck von
rückläufigen
Finanzen, klar,
daß unsere Kirche aus ihrer Service-Pose "Wir sind
für alle da!"
in die Position der Jesus
Christus nachfolgenden und seinen Leidensweg mitgehenden kleinen Schaar
Christi
werden muß. Noch sind wir in der Kirche nicht damit
angefangen, geschweige
denn
fertig geworden, zu überlegen, was es angesichts eines
Kirchenbaus für
3,6 Millionen
DM heißt: Wer zwei Röcke hat, gebe einen dem, der
keinen hat.
Und wer Speise hat, tue
ebenso!
Wir haben als Kirche einen schlechten Ruf. Eben deshalb, weil viele
Leute
das
Mißverhältnis zwischen dem Reichtum der Kirchen und
der Armut
Jesu nicht verstehen.
Die Zolleintreiber der Römer hatten damals auch einen
schlechten Ruf,
wegen gewisser
Nebeneinkünfte. Das verbindet. Johannes der Täufer
predigt diesen
Herren: Nehmt
den Leuten nicht mehr ab, als es eure Pflicht ist. Keine
Nebeneinkünfte,
keine
überhöhten Forderungen, keine Bestechungsaffairen.
Ich will das
für uns heutige
Gemeinde übersetzen: Geht sparsam und
verantwortungsbewußt mit
dem Geld um, was
euch vom Kirchensteuerzahler anvertraut ist. Überlegt, was
wirklich
nötig ist. Bemüht
euch um kleine Lösungen, nicht immer nur um die
großen. Findet
einen bescheideneren
Lebensstil. Das ist nicht viel, vielleicht viel zu wenig. Aber darin,
daß
Gottes
Bußforderung im Munde der Täuferjohannes an die
Zöllner nicht
gleich die totale
Revolution heraufbeschwört, sondern schon kleine Schritte als
den Anfang
des neuen
Lebens akzeptiert, daran sehen wir mitten in der unerbittlichen
Härte
des
bäumeausreißenden Gerichts Gottes Spuren der Gnade,
die schon
mit ganz wenig
gutem Willen zufrieden ist, die schon den kleinen Anfang als die ganze
Buße
nimmt. Nur
das ist entscheidend: ob wir diesen kleinen Anfang machen oder nicht.
Ich
habe kaum
noch Illusionen über den Erfolg meiner Moralpredigten. Das ist
nicht
in, wenn man
neben Gottes Liebe zu uns auch noch Gottes Willen anbringt. Wir wollen
uns
nicht
ändern, weil das so unbequem ist. Und darum wehren wir uns
gegen den,
der
daherkommt mit Moralpredigt. Ich gestehe, mir geht es so
ähnlich. Wenn
mir jemand
sagt, ich muß meinen Vorgarten besser pflegen, dann denke ich
auch:
Warum macht er
das nicht, wenn es ihn so sehr stört und mich gar nicht. So
ist das
mit Moralpredigt. Sie
geht hier rein, da raus. Weil wir es von klein auf gewohnt sind und
gelernt
haben,
abzuschalten, wenn die alte Leier wieder los geht. Aber trotzdem steht
in
der Bibel:
Ändert euer Leben. Wer zwei Röcke hat, wer Speise
hat, der soll
teilen.
Und mitten in dieser Moralpredigt kommt für die reichen
Zöllner
dann die große
Milde des kleinen Anfangs: Verzichtet auf euere
Nebeneinkünfte. Nehmt
die Leute
nicht ganz so doll aus wie bisher. Macht einen ganz kleinen Anfang in
der
Bereitschaft
zum Teilen. Seid nur ein ganz kleines bißchen sozial. Dann
dürft
ihr Bodenrecht
behalten im Acker Gottes. Dann besteht ihr im Gericht. So wenig will
Gott.
Nur einen
kleinen Schritt. Ich möchte, daß jeder sich
überlegt, was
für ihn solch ein kleiner, also
wirklich kein großer Schritt wäre, ein klitzekleiner
Schritt auf
dem Wege zum
Miteinanderteilen, zum Abgeben von Reichtum an die Armen. Und dann
wünsche
ich
uns allen viel Freude dabei, diesen winzigen Schritt zu tun. Denn das
ist
der kleine
Schritt, mit dem Gottes Herrlichkeit heranmarschiert kommt auf der
neuen
Trasse
durch Berge und Täler der Wüste. Viele winzige
Schritte sind es,
die im ganzen etwas
Großes Neues ergeben: "und alles Fleisch soll das Heil Gottes
sehen".
Amen.
Predigt
über 2. Sam 7,4-16
Friedensk. Heiligabend 86
Ein König, der gar kein König ist
Liebe Schwestern und Brüder!
Was der Prophet Nathan dem neureichen König David
verheißt, ist
nicht gerade
ermutigend. Es erinnert an die Hoffnungen der lateinamerikanischen
Militärdiktatoren,
die - siehe Somoza - am liebsten ihre Familie auf ewig an die Macht
bringen
würden.
Diese Assoziation liegt gar nicht so fern. Denn der König
David ist
auch mehr oder
weniger selbsternannt und hat sich vom Berufssoldaten unter dem
Heerführer
Saul
gemausert und nach dem Tode Sauls dessen Sohn und Nachfolger ermorden
lassen,
um
an die Macht zu kommen. Dann hat er durch das raubmörderische
Wirken
seiner
Söldnertruppe Jerusalem aufgekauft mit Beutegeldern und
wohlwollendem
Druck. Das
also zu König David: ein damaliger Militärdiktator,
der es mit
einigen strategischen
Neuerungen zu großer Macht gebracht hatte.
Eine der Neuerungen war ideologischer Art. Was wäre damals ein
König
gewesen
ohne die passende Heiligkeit seiner Person. Warum wird jemand
König?
Weil er studiert
hat und gut regieren kann? Weil er gut kämpfen kann und
deshalb ein
Volk gut
beschützt? Weil er gewählt ist vom Volk? Vielleicht
aufgrund seiner
Fähigkeiten als
Kämpfer? Weil man, wenn man ihn nicht wählen
würde, Angst
haben müßte vor seiner
Rache Oder noch besser: Weil der Kandidat einen besonderen Auftrag von
Gott
hat, das
Volk zu führen. Alles langweilig. David hat den Trick beim
ägyptischen
Pharao
abgeguckt. Der Herrscher ist Sohn Gottes. Adoptiert. In dem Augenblick,
wo
er den
Thron besteigt, wird er von Gott adoptiert. Er bekommt vom Obersten
Priester
eine
Urkunde, in der sein Amt als Weltrettung gelobt wird: er wird von gott
selbst
zur
Herrschaft beauftragt, er regiert in vollkommener Gerechtigkeit und
Weisheit,
er ist der
große Wohltäter und Hirte seines Volkes,das unter
seiner Regierung
aufblüht; ja, selbst
die naturhafte Fruchtbarkeit bei Menschen und Tieren und auf den
feldern
steigert sich
unter der Segenswirkung dieser Regierung. Der König ist
schön und
um ihn ist eine
Athmosphäre der Freude. Nach außen ist der
König der schreckliche
Triumphator über
alle seine Feinde. Das sind die altägyptischen
Sprüche, mit denen
der Pharao
hochgejubelt wurde. David hat sich diese Sprüche kommen lassen
zu seiner
Thronbesteigung. Er kauft das ideologische Know-how für seine
kleine
Militärdiktatur
von der nächstgrößten Zivilisation ab. Er
hat nicht nur Militärberater
aus Ägypten,
sondern auch die in der Bibel so berühmt gewordenen
Weisheitslehrer
und
Liederdichter, die die Psalmen Davids getextet haben, kommen lassen. Er
weiß:
public
relation, die richtige Propaganda und Werbung für seine
Herrschaft ist
von
entscheidender Bedeutung. Was er dann in Wirklichkeit getan hat, ist
etwas
anders
gewesen. Die Hofchronisten haben gewiß nicht alle Untaten
aufzeichnen
dürfen, mit
denen der Militärdiktator seine Macht auf Ewigkeit sichern
wollte. Es
ist auch nicht
sonderlich interessant. Wir kennen die Gepflogenheiten von
Militärdiktatoren
ja gut
genug. Siehe Chile, El Salvador, Südafrika, Afghanistan. Es
ist heute
nur nicht mehr
nötig, seine Macht auf die Gottessohnschaft zu
gründen. Die militärischen
Möglichkeiten reichen da völlig aus. Wir brauchen
heute kein Römer
13 mehr, wo
Paulus sagt, die Obrigkeit sei von Gott eingesetzt. Die Regierungen
sind
sattelfester als
damals zur Zeit Davids.
Wir haben das gar nicht so weihnachtliche Phänomen vor uns,
daß
der Predigttext
ägyptischer Export für Könige zur
religiösen Aufwertung
ihrer Herrschaft und
Machenschaften ist. Und jetzt die Frage: Wieso kommt ausgerechnet
dieser
Text als
Pflichtpredigttext in einen Weihnachtsgottesdienst?
Dieser Text, die ägyptische Königsnovelle, ist in
späterer
Zeit, unter der
Fremdherrschaft der Römer, ganz neu gesehen worden: Als
Verheißung
eines
kommenden Königs, der wie David damals eine neue nationale
Autonomie
und
Unabhängigkeit erkämpft. Der Messias, Gesalbte, wie
der neue König
genannt wurde,
soll Israel befreien von der brutalen Macht der römischen
Legionen.
Hier ist die
Hoffnung nicht auf den Militärdiktator gesetzt, sondern auf
den Guerilliero,
auf einen
Che Guervara und Fidel Castro. Der Messias ist der
Freiheitskämpfer
gegen die Römer.
Er wurde ersehnt und der Grund zu dieser Hoffnung war ausgerechnet: die
Lobeshymnen der ägyptischen Königsnovelle. Was einmal
Schönfärberei
einer
Militärdiktatur war, wurde nun zur Zeit Jesu als
Revolutionshoffnung
gelesen, als
Hoffnung auf Freiheit und Gerechtigkeit. So können Texte ihr
Gesicht
verändern.
Diese Hoffnung auf den Messias, den Befreierkönig, war damals
bei Jesus
ungeheuer
groß. Es brodelte in der Bevölkerung. Der
Haß gegen die
Römer wuchs grenzenlos. Man
las die alten Verheißungen vom ewigen Davidsbund als Ansage
des Revolutionsführers
gegen die Römer. Und ausgerechnet Jesus wurde als so ein neuer
David
hochgejubelt.
Als der arme Mann in Jerusalem einzog, empfing man ihn als neuen David:
Hosianna,
der da kommt im Namen des Herrn. So rufen sie ihn als neuen
Revolutionsführer
in der
Davidsnachfolge aus. Jesus scheint nicht zu ahnen, worauf er sich da
einläßt,
als er
einzieht in Jerusalem.
König der Juden - so steht es auf dem Schild am Kreuz Christi,
das den
Grund des
Todesurteils angeben soll. Der gekreuzigte König. Welche
Schande!
Sie forderten seine Kreuzigung, weil sie sehr schnell merkten,
daß
Jesus kein
revolutionäres Talent hatte, sondern nur ein einfacher lieber
Wanderprediger
und
Wunderheiler. Jesus hatte nicht das Zeug zum Freiheitskämpfer.
Deshalb
haben ihn die
Leute fallen lassen: Kreuzige ihn. Das Kind in der Krippe war zu
schwach
zum Töten. Es
war kein echter Sohn Davids.Das ist unser Problem. Die Christen
verehren
einen als
König und Sohn Gottes, der wirklich nicht das Zeug zum
regieren hatte,
weil er nicht
über Leichen gehen konnte.
Vorlesen: Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, Bd. 3, Seite 1488 unten bis
1489
unter der
Mitte: Das Kreuz ist die Antwort der Welt auf die christliche Liebe.
Ob sich mit solchen Antigrößen die Welt regieren
läßt?
Mutter Theresa. Ernesto
Cardenal. Eine Revolution der Gnade mit den einstigen Henkern und
Meuchelmördern.
Marlene Dietrich sagte kürzlich im Fernsehen: Die Deutschen
wollen den
Führer.
Die Wahlkampfpropaganda geht wieder darauf hinaus: Wer ist der bessere
Führer,
der
stärkere Mann. Als ob die Stärke eines Adolf Hitler
uns Heil gebracht
hätte! Politik der
Stärke endet immer in der Niederlage.
Unsere Hoffnung auf begnadete Politiker muß nicht die auf
starke Männer
sein. Wer
an Jesus glaubt, kann sich auch Könige und Politiker
vorstellen, die
im Stil von Mutter
Theresa leben und arbeiten. Der kann sich auch Antihelden und
Antigrößen
als
Regierungschefs vorstellen. Ich will damit nicht sagen, daß
unsere
Helden wären, aber
sie bemühen sich doch sehr darum, solche zu sein.
Politiker von Gottes Gnaden, sozusagen Söhne Gottes wie David
es behauptete,
aber
in der Art, wie Jesus Königtum vorgelebt hat. Das
wäre christliche
Politik. Ohne ein
Volk, das solche Frauen und Männer wählt, geht es
aber nicht. Männer
wie Jesus sind
bei uns nicht gefragt. Nur in der Krippe dürfen sie liegen.
Wann fangen
wir an, die
Krippe zu öffnen, die Lebensart Jesu zu unserer Lebensart zu
machen?
Die Welt braucht die Lebensart Christi. Die Welt braucht Menschen, die
wie
Mutter
Theresa zu den Armen gehen und für sie leben. Die Welt braucht
den lebendigen
Christus in unseren Herzen und Händen. Die Welt braucht
Könige
wie Christus,
Menschen, die ihr ganzes Leben einsetzen für die Verachteten
und Entrechteten,
für die
im Hunger und Elend. Wir wollen in diesem Sinne beten: Herr,
laß mich
dein Kripplein
sein. Komm, und ziehe bei mir ein. Amen.
Predigt
über
Mt. 2,13-23 Friedenskirche
28.12.86
Die Welt, in der Kinder gemordet werden.
Liebe Freunde!
Es ist nichts neues, daß in dieser Welt Kinder gemordet
werden. Berichte
des
Kinderschutzbundes über Kindesmißhandlungen mit
einer hohen Dunkelziffer,
Bilder
von verstümmelten Kindern, denen die Eltern
vorsätzlich etwas abgehackt
haben, damit
sie bessere Chancen beim Betteln haben, besser das Mitleid der
Touristen
erregen
können, Bilder von Müttern, die sich in Argentinien
angekettet
haben auf einem großen
Platz und Schilder mit den Fotos und Namen ihrer von den
Militärs zu
Tode gefolterten
und in Einzelteile zerschnittenen Kinder hochhalten mit der Frage: Wo
sind
sie
geblieben, unsere angeblich verschwundenen Kinder? - Bilder von
Hunderten
iranischer Kinder, die sich vor die irakischen Panzer legen und
totfahren
lassen, mit dem
Glauben, danach sei ihnen der Himmel offen
40.000 Kinder sterben pro Tag, 15 Millionen Kinder pro Jahr. Alle 2
Sekunden
stirbt
ein Kinder an Hunger auf dieser Welt, die genug Brot hat, um alle satt
zu
machen.
Herodes läßt alle Kinder töten, die im
Alter Jesu sind, in
der Hoffnung, Jesus ist mit
dabei. Die Geschichte ist erfunden, kein einziger Hinweis auf diesen
Kindermord
bei
dem sonst recht ausführlichen jüdischen
Geschichtsschreiber Josephus.
Gott sei Dank,
ganz so grausam war Herodes also scheinbar nicht. Scheinbar!
Wäre er
nicht so grausam
gewesen, hätte dem Matthäus damals ja kein Mensch die
Geschichte
geglaubt. Auch
wenn sie so nicht stimmt, die Story vom Kindermord, sie
erzählt etwas,
was Herodes
durchaus zuzutrauen war, nach allem, was wir über ihn wissen.
Er war
bekannt für sein
Mißtrauen und sein unberechenbares Wüten,
für seine Grausamkeit.
Erfundene
Geschichte vom Kindermord erzählt blutige Wahrheit eines
Tyrannen. So
ist das mit der
geschichtlichen Unwahrheit, die die Bibel enthält. Meist ist
eben mehr
dran, als man
sich träumen läßt.
Auch fingiert ist vermutlich die Flucht nach Ägypten, das
Warten und
die Rückkehr.
Matthäus will damit etwas sagen, was ihm speziell wichtig ist.
Er sieht
in Jesus den neuen
Moses, in seinem Gesetz die erneuerten 10 Gebote. Also wird das Leben
Jesu
in einen
Erzählrahmen eingepaßt, daß es fast
parallel verläuft
zu dem Leben des Mose. Wie
Mose die Gottesschaar aus Ägypten nach Israel führt,
so kommt eben
auch Jesus aus
Ägypten nach Israel. Wie Mose Glück hatte, von der
Tötung
der Erstgeborenen durch
die Truppen des Pharao verschont zu bleiben, so entkommt auch Jesus mit
Gottes
Hilfe
durch eine Traumoffenbarung an Papa Joseph. Wie Mose das Gesetz auf
einem
Berg
von Gott empfängt, so redet eben Jesus auf einem Berg die
Ordnung des
neuen Lebens
im Reich Gottes. Die Bergpredigt ist die Neuauflage der
Sinaioffenbarung,
die neuen 10
Gebote. Wie Moses die Freiheit erkämpft, so erkämpft
Jesus eben
auch Freiheit, die
Freiheit der Kinder Gottes. Kinder haben ja zu Gott ein besonders gutes
Verhältnis.
Jesus mag Kinder. Er sagt, daß sie Gott am nächsten
sind und daß
wir alle Kinder Gottes
sein können, wenn wir die Kinderqualität in uns
wiederentdecken
und bejahen.
Und diese Kinder, die Gott so lieb hat, werden abgeschlachtet,
müssen
herhalten, um
Jesus zu tarnen, um ihn zu decken. Normalerweise sagen wir: Christus
starb
für uns.
Jetzt lesen wir aber: Kinder starben für Jesus. Verlangt also
der Heiland
als Kind schon
Menschenopfer? Es ist eine schlimme und böse Geschichte.
Matthäus zitiert drei Stellen vom Alten Testament, um zu
demonstrieren,
wie durch
dieses Geschick Jesu sich alte Prophezeiungen erfüllt haben.
Auch das
ist eine
interessante Sache, die Idee, Jesus sei die Erfüllung der
Verheißungen
des Alten
Testaments. In der Tat kommt dieses Motiv in fast allen
neutestamentlichen
Schriften
vor. Damals suchte man nach einer Antwort auf die
Unerklärlichkeit und
Trostlosigkeit
dieses erbärmlichen Todes Jesu. Und man las mit diesem Warum,
warum
auf den
Lippen die damalige Bibel. Und so begann man, viele Stellen aus dem
ursprünglichen
Zusammenhang herauszureißen und als Vorankündigung
des Schicksals
Jesu zu lesen,
wenn man irgendetwas fand, was dem Geschick Jesu ähnlich war.
Und so
kam es immer
mehr dazu, daß bestimmte Worte vom Leiden des Gottesknechtes
als Aussagen
über
Jesus gelesen wurden und nicht etwa, wie im alten Testament
beabsichtigt,
als Aussagen
über das Leiden des Propheten Jesaja oder Jeremia. Man bezog
so ungefähr
alles auf
Jesus, was im AT stand. So kommt eben auch Matthäus zu diesem
Schema:
Das und das
mußte passieren, damit die Schriften erfüllt werden,
die da sagen:
So und So und So. Ich
möchte nicht auf die Einzelheiten unseres Textes genauer
eingehen. Die
Zitate von
Hosea 1,1: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen. - von
Jeremia 31,15
über die
ihre Kinder betrauernde Mutter - sie sind recht wahllos aus der Bibel
herausgeholt
wie
alte Archivbilder zu Zeitungsartikeln, wenn der Pressefotograf keine
Zeit
für ein neues
Bild hat. Es paßt mehr schlecht als recht. Unwichtig. Wichtig
bleibt
bei alle den
stilisierten Dingen, die Matthäus da über die
Kindheit Jesu erzählt,
daß durch viel Leid
hindurch Gott das Leben seines Sohnes bewahrt hat. Es wird von der
leidvollen
Welt
erzählt, in die hinein Jesus geboren wird. Und genau das ist
die nackte
Wahrheit, selbst
wenn die Geschichte vom Kindermord nie passiert ist, jedenfalls nicht
so.
In dieser Welt werden Kinder geopfert und gemordet. Kinder, die doch
Gott
am
nächsten sind, Kinder, die doch noch gar keine Sünden
getan haben,
Kinder, die so
unschuldig sind wie Jesus Christus selbst. Und auch darin ist die
Matthäuslegende
vom
Kindermord Wahrheit: Es geht in der Welt nicht nach Schuld. Getroffen
werden
Unschuldige. Die Schuldigen sind gerissen genug, um ihre
Schäfchen rechtzeitig
ins
Trockene zu bringen, um immer wieder ihrer gerechten Strafe zu
entkommen.
Oder die
Strafe ist besonders mild, siehe Rheinmetallmanager und
Bestechungsaffairen
hierzulande. Hätten Kinder vergleichbar schlimmes getan, ihre
Strafen
lägen sehr viel
höher!
Matthäus will zeigen, wie sich Gottes Plan in
menschlich-weltlichen
Zusammenhängen mit all ihrer Schuld und Ungerechtigkeit
durchsetzt.
So wird in der
Bewahrung des Jesuskindes ein Stück Hoffnung lebendig, die
sich durch
alle Finsternis
durchhält. Das Licht kam in die Finsternis, aber die
Finsternis hat
es nicht verschlungen.
Noch nicht. Noch nicht sofort. Erst gute dreißig Jahre
später,
am Kreuz.
Jesus war als Kind Flüchtling, Asylant in Ägypten.
Augenscheinlich
ist ihm dort Asyl
gewährt worden. Das unterscheidet sich wohltuend von dem
Verhalten unserer
Regierung. Vergessen wir das nicht: unser Herr Jesus Christus hat am
Nil,
in einem
Land, was heute Entwicklungsland ist, Asyl bekommen. Wie
Gastfreundschaft
doch
damals noch kultiviert war!
Was in allem Elend dieser Geschichte tröstet, ist die
Tatsache, daß
Jesus überlebt hat.
Jesus überlebt den Kindermord, die Flucht, die
Rückkehr und alle
Entbehrungen. Viele
viele Kinder heute an diesem Tage werden solche Entbehrungen nicht
überleben.
Sie
werden sterben. Diese Kinder leben auf der südlichen
Erdhalbkugel. Andere
Kinder
werden heute Gruselfilme gucken und sich langweilen und Schokolade
essen.
Diese
Kinder leben auf der nördlichen Erdhalbkugel. Diese Kinder
leben bei
uns in
Bergkamen. Diese Kinder überleben ihre Langeweile. So ist das
mit dem
Überleben und
den Kindern.
Durch alle Grauen der Welt hindurch überlebt der Sohn Gottes.
Dem Kindermord
von Bethlehem konnte er entkommen. Dem Kreuz hätte er noch
leichter
entkommen
können. Er wollte es nicht. Er ist diesen Weg gegangen. Er
ging ans
Kreuz als
Konsequenz seiner Liebe und seiner Wahrheitsliebe. Er starb
für eine
aufrichtige,
ehrliche, liebevolle Welt, für eine Welt von Kindern Gottes,
für
eine Welt, in der kein
unschuldig Kind mehr gemordet wird. Indem er starb, mit Schreien und
Röcheln,
hat
seine Intention überlebt, hat sein Vorbild in aller Welt
Schule gemacht,
ist sein Geist als
Geist der Wahrheit und Liebe lebendig geblieben. So hat Jesus auch
seinen
Tod noch
überlebt. Er lebt jetzt bei uns. Wenn sein Tod nicht umsonst
sein soll,
haben wir einiges
zu tun. Alle zwei Sekunden verhungert ein Kind. Der Kindermord in
Bethlehem
war
dagegen das reinste Kinderspiel. Alle zwei Sekunden verhungert ein
Kind.
Wir haben
genug Brot für alle Kinder und Erwachsenen. Es muß
nur richtig
verteilt werden. Wir
müssen nur auf weniges verzichten lernen und politischen
Einfluß
nehmen auf die
heutigen Herodesse, die modernen Kindermörder, die Ajatollas,
Militärdiktatoren
und
Pieter William Botha aus Südafrika.
Jesus hat überlebt. Er lebt unter uns. Er will, daß
wir kämpfen,
gegen Kindermord
und Erwachsenenmord. Wenn wir etwas aus der Geschichte lernen
können,
dann: es soll
nicht weitergehen mit Hunger und Krieg. Christus ist Friede. Wir aber
sind
Christi
Hände. Amen.
Predigt
über Exodus 33,18-23
Friedenskirche 18. Jan. 87
Wie kann man Gott sehen?
Psalm 105,1-8 & 1 Kor 13
Liebe Schwestern und Brüder! Der Herr erhebe sein Angesicht
auf dich
und sei dir
gnädig. So heißt es im aaronitischen Segen, den wir
zum Schluß
des Gottesdienstes
zugesprochen bekommen. Selig die reinen Herzens, denn sie werden Gott
schauen.
Also
kann man Gott doch sehen? Aber Mose darf nicht das Angesicht Gottes
sehen,
sonst
muß er sterben. Ist es ein Horroranblick, der
tödlich erschrecken
ließe? Kann man Gott
sehen? Kann man ihn erfahren? Oder ist Gott unsichtbar? Bei Adams
Paradiesgarten
lustwandelt Gott in der Abendkühle. Beim Propheten Elia
rauscht Gott
als sanftes
Säuseln vorbei. In der Wüste am Vulkanberg Sinai ist
Gott in Donner
und Blitz zugange.
Mal kommt er in Gestalt von drei Männern.
Wir haben uns damit abgefunden, daß Gott und seine
Herrlichkeit nicht
sichtbar ist.
Wir haben uns damit abgefunden, daß Gott unter dem Gegenteil
verborgen
ist. Wir
haben auch kein gesteigertes Interesse daran, Gott zu sehen. Wir haben
von
Johannes
gelernt, daß es auf das Glauben ankommt, nicht auf das
Schauen. Wir
wollen Gott schon
gar nicht mehr sehen. Vielleicht meinen wir auch, erst nach dem Tod
sieht
man Gott.
Da waren die Menschen früher unkomplizierter. Sie wollten Gott
sehen,
sie waren
noch so frei und so neugierig. Es ist schon eine merkwürdige
Angst,
Gott zu sehen. Wir
sind so anständig und brav geworden, daß wir Gott
sein Geheimnis
lassen. Wir haben
uns aufs Glauben verlegt. Wir verzichten auf die Sinnlichkeit Gottes.
Er
ist nur noch ein
Glaube. Zwar ein Glaube, der Berge versetzen kann, aber eben nur noch
ein
Glaube.
Es ist etwas Geistige und die Kraft des Geistes Jesu. Es ist nichts
Sinnliches
mehr, so
wie Jesus Fleisch war.
Gottesdienste sind auch wenig sinnlich. Im Mittelpunkt steht das Wort,
steht
die
Sprache. Gott ist Liebe - auch das ist und bleibt oft nur Wort,
manchmal
recht leer sogar.
Worte, Glaube, Geist - Liebe geht durch den Magen: Gut, wir essen auch
etwas
im
Gottesdienst. Aber nur symbolisch. Die Sinnlichkeit Gottes ist auf
Symbole
zusammengeschrumpft. Satt macht Brot und Wein in der Kirche nicht.
Daß
Gott immer
weniger Menschen interessiert, liegt vielleicht auch daran,
daß reine
Worte vielen
zuwenig sind, daß die Menschen mehr brauchen, sichtbare
Zeichen der
Liebe Gottes.
Moses hat solche Zeichen gefordert. Er wollte Gott sehen. Er gab sich
nicht
mit
Worten allein zufrieden. Und so gibt es ein Fest mit dem Namen
Epiphanias
-
Erscheinung, Sichtbarkeit Gottes - wo auf Visionserlebnisse angespielt
wird,
in denen
Gott Menschen erschienen ist. Visionen hatten Propheten, Visionen
hatten
Nonnen im
Mittelalter. Es gibt soetwas wie das Recht, Gott zu erfahren, Gottes
Herrlichkeit
zu
schauen. Es gibt das Recht der Menschen, nicht nur von Liebe zu
hören,
sondern Liebe
zu erfahren. Nicht nur vom Glück zu träumen, sondern
wirklich glücklich
zu werden und
zu bleiben. Glaube, der nicht auch Schauen will, verliert den Ansporn.
Worauf
die
Christen bauen, ist nicht der Pocker mit der Unsichtbarkeit und
Unbeweisbarkeit
mysteriöser Worte, sondern es geht um sehr sinnliche
Erfahrungen im
Glauben.
Immerhin darf Mose Gottes Hinterteil sehen. Wenn schon nicht das
Gesicht.
Merkwürdig diese Verborgenheit Gottes im AT. Zugleich aber
auch die
Unbefangenheit, mit der die Menschen direkt mit Gott reden und umgehen.
Sehr
selbstverständlich, sehr unmittelbar, keine Skrupel. Es ist
quasi alltäglicher
Kontakt. Du
sollst dir kein Bildnis machen. Trotzdem, Wolken- und
Feuersäule ziehen
mit, die
Bundeslade mit den 10 Geboten, das heilige Zelt. Zeichen der
Anwesenheit
Gottes.
Und dann Jesus. Johannes sagt: das ist das lebendige Wort Gottes. Die
Logik
Gottes.
Logik ist in allen Dingen, vom Naturgesetz bis zur Mutterliebe. Geist
ist
schon etwas
sehr wichtiges und ohne Logische Verhältnisse wäre
weder Leben
auf Erden noch
irgend etwas sinnlich Wahrnehmbares. Es gibt unterhalb der Sprachebene
genausoviel,
nein, noch viel mehr Logik und logische Funktionen, nach denen Leben
abläuft
und die
sinnliche Wahrnehmung überhaupt erst möglich machen.
Gottes Logik
in Jesus - das
bedeutet: die Nächstenliebe, die Feindesliebe, die Sanftmut
und Wärme
sind
Entwicklungskräfte, die Gott in der Welt entwickelt hat und
die wie
in der Entstehung
eines neuen Planeten mit unaufhaltsamer Macht Veränderungen
herbeiführen.
Gottes
Logik in der Welt zielt auf allen Menschen sehr sinnlich
spürbare Liebe,
Gerechtigkeit,
Frieden. Gott wird dann sichtbar, wenn die Welt gekennzeichnet ist
durch
Gerechtigkeit
und Frieden und Liebe. Solange ist Gott verborgen. Dann aber kann man
Gott
sehen.
Es ist falsch, zu sagen: Gott ist unsichtbar, also Augen runter. Es ist
richtig
zu sagen:
Jetzt sehen wir noch nicht viel von seiner Welt, von Gerechtigkeit und
Frieden.
Jetzt
sehen wir noch Kriege, Morde, Hunger, Elend. Jetzt sehen wir die Welt,
die
Jesus
gekreuzigt hat. Aber das wird nicht immer so bleiben. Eines Tages wird
man
auf der
ganzen Welt Gottes Heil sehen. Wenn alle Menschen satt sind, warm
haben,
Arbeit
haben, Freunde haben, gute Eltern und einen guten Staat, der
für sie
sorgt und nicht nur
für die reicheren Bürger, die vollmündigen.
Damit man Gott sehen kann, gibt es noch viel zu tun im Umbau der Welt
zur
Heimat.
Wir haben die Möglichkeit und Aufgabe, für andere
Menschen Gott
sichtbar und
spürbar zu machen. Hungrige sättigen, Brot
für die Welt und
nicht Waffen für Südafrika.
Unrecht beim Namen nennen und bekämpfen und nicht noch
mitfinanzieren.
Geborenes Leben erhalten und zum Besten fördern, anstatt gegen
Abtreibung
zu
schimpfen, aber zur sozialen Not geborener Kinder zu schweigen,
für
die es besser wäre,
nicht geboren worden zu sein in den gegenwärtigen Aufschwung
der neuen
Armut
hinein. Gottes Gesicht ist nicht eine Welt, in der die Schwierigkeiten
auf
dem Rücken
der Armen und Unterprivilegierten ausgetragen werden. Seine
Herrlichkeit
verlangt
nach Menschen, die eintreten für die Armen und nicht nur
für die
Industriellen. Die
eintreten für den Schutz der Umwelt und nicht für die
Atomindustrie.
Die weinen mit
den Traurigen und lachen können mitten in dieser Welt der
Traurigkeiten,
weil sie
manchmal für Sekunden und Minuten eine Überdosis
Glück erleben,
wie es Moses
empfunden haben muß auf dem Felsen im Rücken Gottes.
Wir können
Gottes Gesicht
sehen! Im Lächeln eines lieben Menschen, in der Wärme
einer Umarmung,
in der
Gastfreundschaft fremder Menschen, in jeder Blüte, jedem
Stein. Wir
müssen nur die
Augen aufmachen, müssen nur hinschauen in die Natur, die noch
übrigblieb
nach allem
Waldsterben und Rheinvergiften: so überwältigend
schön ist
unsere Welt, so übervoll
von Lebendigkeit, so voller Wunder und in jedem sehen wir ein ganz
kleines
Stück von
Gott. Aus vielen kleinen Stücken Wunder, Schönheit
und Liebe wächst
dieses Gesicht
zusammen zur Welt, in der Gott alles in allem ist, einer Welt ohne
Hunger
und Tränen,
einer Welt, an der wir bauen. Gott helfe uns zum richtigen Bauplan.
Amen.
Predigt
über Mt. 14,22-35
Friedenskirche 1. Feb. 87
Wie Jesus der Schiffahrt einen Dienst tat
Psalm 48 - 2.Kor 11,16-30
Liebe Schwestern und Brüder!Jesus geht über den See!
Sagenhaft.
Eigenartig. Wir
wundern uns. Wir sagen:"
Du bist wirklich ein Supermann! Abgefahren gut, diese Demonstration
deiner
Fähigkeiten und Macht. Du kannst ja alles! Du bist ein
Zauberkünstler.
Ein
Showmaster! Wunderbar, sowas! Tolle Sache."
Ich kann da nicht mithalten. Ich habe keinen so großen Sinn
für
das Wunderbare
solcher Auftritt, ebensowenig wie ich es gut finde, wenn ein
Bundestagskandidat
vor der
Presse ein Glas Milch kurz nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl
trinkt.
Solche
Kunststücklein mögen einfache und dumme
Gemüter erfreuen.
Mich nicht. Darum sage
ich:"
Armer Jesus. Da wirst du in einer Geschichte übers Wasser
geschickt,
ein
Hampelmann der spätantiken Wundergläubigkeit, ein
Bombengeck für
alle, die ihrer
Freude haben am Okkulten, am Gläserrücken, am Reden
mit Toten,
an spiritistischen
Sitzungen. Das einfache Leben ist ihnen zu langweilig, sie wollen
Sensationen,
wenns
sein muß, sogar mit Spielen auf Leben und Tod. Je trister die
Realität,
umso
phantastischer die Geschichten! Wie trist muß es in der Zeit
ausgesehen
haben, wo du
gelebt hast. Sogar für ein Gespenst haben sie dich gehalten.
Die in
der Bibel glauben
also, daß es Gespenster gibt? Na sowas. Dabei soll das doch
Aberglaube
sein, wie die
Pastoren immer sagen. Aberglaube in der Bibel? Das darf doch nicht wahr
sein!
Was ist
denn wahr? Daß ein Mensch übers Wasser geht, ist
nicht wahr. Das
gibt es nur bei
Wasserski. Jesus, du hast doch nicht irgendwelche Tricks gehabt, um vor
den
Leuten die
Supershow abzuziehen? Du hast doch nicht Steine vorher
präpariert und
im See
ausgelegt, auf denen du liefst und alles tatsächlich so
aussah, als
könntest du auf der
Wasseroberfläche laufen. Vielleicht war es ja eine seichte
Stelle im
See. Und du hattest
einfach nur den Mut, trotz hohem Wellengang hinauszugehen in den See,
dem
Boot mit
den Freunden entgegen oder hinterher, bevor die dann mit dir den See
endgültig
überquerten. Und sie haben einfach nur deinen Mut bewundert,
mit dem
du durch die
hohen Wellen hindurchgekommen bist. Und dein Mut wird nach zwanzig Mal
Erzählen
langsam aber sicher zur Fähigkeit, über Wasser zu
gehen.
Das ist wahrlich Gottes Sohn, sagen sie, wie zum Applaus nach deinem
Kunststückchen. Du kannst kein einfacher Mensch sein. Sie
lassen dir
nicht dieses
Recht. Sie machen dich auf, wie ein Filmstar aufgemacht wird. Sie
wissen,
auf
sensationelle Public Relation kommt es an. Wenn die Story stimmt,
läuft
der Verein.
Nein, du darfst nicht einfach ein mutiger Mensch sein, du
mußt die
dir verpaßte
Götterrolle spielen. In den Geschichten über dich
bist du verdammt,
auf dem Wasser
herumzuwandeln. Und Petrus möchte auch mal und versinkt, weil
er zuwenig
Vertrauen
hat. Da ist also gleich die Warnung und Absicherung: Wenn es bei dir,
lieber
Christ, nicht
klappt, mit dem Wandeln auf dem Wasser, wenn die Wogen deiner Wanne
über
dir
zusammenschlagen, dann hast du den richtigen Glauben nicht. Was haben
sie
aus dir
gemacht, Jesus? Ein Wundermann. Natürlich, weil du auf dem
Wasser läufst,
bist du der
Sohn Gottes. Als ob Gott nichts besseres zu tun hat als seinen Sohn
übers
Wasser laufen
zu lassen zur Verblüffung der Zuschauer. Welche Posse spielen
sie mit
dir, Gott? Was
für trottelige Zaubertricks schieben sie dir in die Schuhe?"
Liebe Gemeinde!
Ich finde, Schwimmen ist etwas phantastisches. Tut dem Rücken
gut, Training
für den
ganzen Körper, härtet ab gegen Erkältungen,
gleicht aus auch
innerlich. Schwimmen
macht auch Spaß. Nehmen wir einmal an, Jesus sei geschwommen.
Und Schwimmen
wäre damals noch unüblich gewesen, weil die Leute vor
dem Wasser
Angst gehabt
haben, irrational genug waren sie ja durchaus, wenn sie allen Ernstes
behaupten,
Jesus
wäre übers Wasser gelaufen. Jesus war also Schwimmer
und hatte
keine Angst,
unterzugehen, weil er wußte, daß es klappt. Petrus
versucht es
auch, aber es klappt nicht,
weil Petrus Angst hat und vor Angst panisch um sich schlägt,
statt Schwimmbewegungen
zu machen wie Jesus. Wir kennen das: Nichtschwimmer haben im Wasser
höllische
Angst und glauben, sie gehen unter. Die richtigen Schwimmbewegungen
können
sie
zwanzigmal an Land machen, sie haben Angst, und deshalb klappt es im
Wasser
auch
noch lange nicht beim ersten Mal. Schwimmen lernen, und das, liebe
Freunde,
sage ich
euch nicht als Bademeister, sondern als Pfarrer, Schwimmen lernen ist
nicht
so sehr die
Frage der richtigen Bewegungen, sondern die Frage des Mutes, sie auch
auszuführen,
wenn es drauf ankommt. Schwimmen ist die Überwindung der
Angst, unterzugehen.
Und das genau ist auch der christliche Glaube. Amen.
Gebet
für Südafrika
Friedenskirche 22. 3. 87
Sprecher 1:
Vater im Himmel wir bitten Dich für alle Menschen im
südlichen
Afrika, für unsere
Schwestern und Brüder, die in besonderer Weise unter Unrecht ,
unter
Ungerechtigkeit
und Gewalt leiden -
Sprecher 2:
für alle, die wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert werden, die
nicht
beteiligt sind an
der politischen Entscheidung, die ihren Wohnsitz, ihren Arbeitsplatz
nicht
frei wählen
können, denen auf Ämtern, in Geschäften, auf
der Straße
weniger freundlich begegnet
wird als weißen Bürgern. Laß die nicht
verzweifeln, die
Bürger von Nirgendwo sind,
weil sie durch Beamtenwillkür weder in
Weiß-Südafrika noch
in Homelands leben
können.
Sprecher 3:
Wir denken an alle, die in den Homelands leben müssen, die in
Hunger
und
ekelerregendem Elend leben, ohne Arbeit, ohne Brot. Wir beten
für die
Alten, die von
den Weißen in das Elend der Homelands zurück
geschickt werden,
weil sie zu schwach
sind, um für die Weißen noch gewinnbringend zu
arbeiten. Und wir
beten für die
Säuglinge, denen zu Geburt schon das Grab geschaufelt wird,
weil sie
keine Aussicht auf
Nahrung und Überleben haben.
Sprecher 4:
Wir bitten Dich, Herr, für die Wanderarbeiter in den
Industriezentren,
in den
rieseigen Arbeiterlagern, die von ihren Arbeitgebern nur für
eine Saison
eingestellt
werden, und sich dann schnell einen neuen Arbeitsplatz suchen
müssen,
wenn sie nicht
zurück ins Homeland wollen -
Sprecher 5:
und für ihre Familien zu Hause, für die verlassenen
Frauen mit
der großen
Verantwortung für die Familien. Wir verbinden uns mit den
Müttern,
die morgens nicht
einkaufen gehen, weil sie auf das Räumkommando der
weißen Polizei
warten müssen,
um das Notwendigste vor der Planierraupe zu retten.
Sprecher 1:
Wir bitten Dich für die Menschen in Südafrika, die
zwangsumgesiedelt
werden, vor
deren Häuschen eines Morgens plötzlich ein LKW der
Polizei steht.
Schenke den schon
Umgesiedelten Kraft, neue Gemeinschaftsformen zu entwickeln. und
bewahre
die
politischen Führer der Homelands davor, die Herrschaft von
Terror und
Unterdrückung
weiterzugeben, die sie von den Weißen als Politik
kennengelernt haben.
Gib denen, die
sich der drohenden Umsiedlung widersetzen, Kraft und Mut, Einigkeit und
gute
Freunde.
Sprecher 2:
Wir bitten Dich, Vater im Himmel, für alle, die gegen das
Unrecht in
Staat und
Gesellschaft, gegen das System der Trennung aufstehen und sich
einsetzen
für
Gerechtigkeit und Versöhnung in diesem Land und die bereit
sind, dafür
auch Leiden
auf sich zu nehmen.
Sprecher 3:
Für alle Schüler in den Schulen, für alle
die jungen Menschen,
die gegen Unrecht sich
erheben. Für alle, die eingeschüchtert, verfolgt,
verletzt, mißhandelt
werden, vor allem
für die Verhafteten und ihre Familien.
Sprecher 4:
Wir bitten für Nelson Mandela, der seit über 20
Jahren im Gefängnis
sitzt, ohne eine
Straftat begangen zu haben. Laß ihn begreifen, daß
die Leiden
im Gefängnis nicht
vergebens sind. Gib ihm Geduld, auf den Tag der Befreiung zu warten.
Sprecher 5:
Und Vater, wir bitten auch für die, die das Unrecht tun.
Für die
Menschen in der
Polizei, im Militär. Hilf ihnen zu erkennen, was recth ist,
und gib
ihnen dann Kraft,
danach zu handeln. Wandle die Herzen derer, die die Macht in
Händen
halten im Staat,
in der Gesellschaft, in der Regierung. Wir bitten für Pieter
William
Botha, daß er endlich
seine schönen Worte wahrmacht: "Apardheit soll sterben".
Sprecher 1:
Wir bitten für die skrupellosen Waffenlieferanten in unserem
eigenen
Land, die
Manager der Firma Rheinmetall, für Dietrich Falke, Dieter
Köhler,
Wilhelm Striepke
und Hans Voß, daß sie erkennen, wie sie mitschuldig
geworden
sind an der Ermordung
unzähliger Schwarzer, indem sie die Mordwaffen beschafft haben
an ihren
Schreibtischen hier im Ruhrgebiet. Wir bitten dafür,
daß sie statt
Waffen Geräte zum
Schutz der Umwelt bauen lassen.
Sprecher 2:
Und schließlich bitten wir für alle die sparsamen
Hausfrauen,
die lieber billiges Obst
aus Südafrika kaufen, als die paar Pfennige mehr auszugeben
für
Obst, an dem kein Blut
klebt. Laß sie erkennen, wie sie indirekt das Geld zum Kauf
der Waffen
beibringen, mit
denen die Schwarzen erschossen werden.
Sprecher 3:
Wir bitten für die Dresdener Bank, die Commerzbank und die
bayrische
Landeszentralbank und alle ihre Bankkunden, die durch günstige
Kredite
die weiße
Regierung Südafrikas im Sattel halten helfen, daß
sie begreifen,
wie ihr Geschäft das
Blutvergießen fördert.
Sprecher 4:
Wir bitten dich, Herr: Schenke diesem verzweifelten südlichen
Afrika
bald einen
Frieden, der nicht mehr über Leichen geht. Wir bitten dich,
Herr: Mach
schnell damit.
Amen.
Liebe Familie Gonschewsky!
Jenny ist mit gerade 8 Wochen gestorben. Kindstod, das
plötzliche Aussetzen
des
Herzens, ist unberechenbar. Man kann nichts dagegen tun, weder
früherkennen
und
vorbeugen noch rechtzeitig den Notarzt erreichen. Man kann nur noch
über
dem
Körbchen oder Bettchen stehen und fassungslos versuchen zu
begreifen,
daß dieses
unschuldige junge Menschenkind tot ist, wirklich tot. Das darf doch
nicht
wahr sein! Das
kann es doch nicht geben. Wie kann Gott zulassen, daß gerade
unser
Mädchen stirbt?
Gott läßt nicht zu. Gott ist nicht der
Reichsführer, der
über Millionen Juden mit einer
Unterschrift entscheidet, daß sie in die Gaskammern
müssen. Gott
ist in Jesus nach
sieben Stunden qualvollen Hängens in der brennenden Sonne
Israels erstickt
am Kreuz.
Gott ist in einer halben Stunde qualvollen Todeskampfes in den
Gaskammern
der Nazis
erstickt. Gott stirbt in jedem zweiten Baby, was in Südafrika
mit schwarzer
Haut
geboren wird. Gott stirbt auch in Jenny. Aber Jenny ist die traurige
Ausnahme
bei uns in
Deutschland, während der Tod jedes zweiten geborenen Kindes in
Südafrika
die Regel
ist. Gott läßt nicht zu. Gott stirbt mit.
Es hilft wenig, zu wissen, daß Jenny nicht gelitten hat. Ein
junges
Leben ist
ausgelöscht, noch ehe es begonnen hat. Wieviele Embryos werden
in der
medizinischen
Forschung gequält in den Retorten.
Jenny hat nur kurz gelebt. Und doch hat sie etwas hinterlassen. Ihr
Lachen,
ihr
Weinen und Schreien, ihre Freude und ihren Zorn. Es wird in Ihrer
Erinnerung,
liebe
Fam. Gonschewsky, erhalten bleiben. Jenny wird nicht vergessen. Jenny
wird
nicht
gestrichen von der Menschenliste. Sie war da. Kurz, so wie Engel auch
nur
kurz da sind.
Welche Botschaft sie gebracht hat, werden Sie in den kommenden Tagen
und
Monaten
der Trauer, der schwarzen Tage, noch erleben. Jeder Mensch, ob
groß
und mächtig wie
Herr Reagan, oder klein und schwach wie Jenny, jeder Mensch ist ein
Geschöpf,
was
durch Liebe entstanden ist, was Liebe braucht und was Liebe gibt.
Möglicherweise
hat
Jenny mehr gegeben an Liebe als Herr Reagan. Möglicherweise
war Jenny
Gott näher
als Herr Reagan. Jetzt ist Jenny ganz bestimmt Gott näher als
Herr Reagan.
Wir
vertrauen darauf, daß ihr kleines Leben zurückgeht
in den Schoß
der Erde, die uns alle
nährt und erhält. Jenny geht ein in die Quelle des
Lebens. Sie
ist dort gut aufgehoben.
Amen.
Predigt
über 1. Pt. 2,4-10
Friedenskirche 24. Mai 87
Wir sind lebendige Steine im Haus Gottes.
Liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Paten, liebe Freunde!
Lebendige Steine - ist das nicht ein Unsinn? Sind nicht Steine etwas
totes?
Lebende
Steine, so der Name der Wüstenpflanze, die noch im
heißesten Sonnenbrand
überleben
kann, weil sie viel Wasser in sich gespeichert hat, wie ein Kaktus, wie
ein
Kamel. Enorm
vernünftig, für so eine Pflanze, im
Wüstenklima durch eine
kugelige Form ihre
Oberfläche zu verkleinern und dadurch die Verdunstung zu
vermindern.
Viel Vernunft
in einer Pflanze. Aber wer sich mehr für Steine interessiert,
jetzt
mal nicht den grauen
Beton unserer immer trostloser werdenen Städte, sondern so
richtige
Mineralien, vom
Ametist über den Diamanten bis zu den Wunderwerken, die innen
drinn
eine Höhle
bilden, in der tausende bunter Kristalle wachsen, ja wachsen! Enorm
viel
Lebendigkeit
in so einem Stein, enorm viel Geometrische Struktur, enorm viel
Vernunft.
Es gibt
sowas wie lebendige Steine eben auch in Natur, zur großen
Freude der
Mineralologen
und feineren Damen, die sich solche Steine gerne ans Dekollete
hängen.
Solche
lebenden Steine sind Wunder Gottes, die zeigen, daß auch das
scheinbar
Tote noch
Leben in sich birgt und im Wachsen und Werden ist, eben nichts Festes,
ewiges,
sondern
etwas Prozessuales, Entstehendes und Vergehendes wie alles Leben. Es
gibt
keine
ewigen Ordnungen, sogar die Steine wachsen, auch Naturgesetze haben
einen
Anfang
und ein Ende in ihrer Gültigkeit. Alles Leben hat einen Anfang
und ein
Ende. Auch
Gottes Leben hat einen Anfang und vielleicht auch einmal ein Ende. Und
die
Geschichte Gottes in dieser Welt hat einen Anfang und ein Ende und ich
sage,
wir sind
mitten drin, zwischen der Steinzeitbrutalität, kurz hinter den
Menschenschlachthäusern
von Treblinka, vielleicht kurz vorm Atomkrieg - aber auch sehr nahe an
einer
objektiven
Möglichkeit, diese Welt zu einem ungeheuer angenehmen und
gemütlichen
Planeten zu
mausern, einem Planeten ohne Hunger, Elend, ohne Waffen. Noch nie waren
unsere
technischen Fertigkeiten und Möglichkeiten derart entwickelt,
noch nie
wurde so viel
auf der Erde angebaut, noch nie gab es soviel zu essen. Es sind
minimale
Veränderungen, die nötig wären, um die
Technik zum Segen der
Welt einzusetzen. Es
sind ein paar gezielte Neuentscheidungen, die alles katastrophal sich
entwickelnde
zum
Besten wenden könnten. Und die Möglichkeit,
daß wir zu solchen
gezielten
Neuentscheidungen kommen könnten, ist nicht unwahrscheinlich,
bei aller
Bedrohung.
Den Fall, daß dies gelingt, nenne ich Gott. Oder
Gerechtigkeit und
Frieden. Oder
Sättigung. Oder Vernunft. Oder Glück. Es wird alles
nur miteinander
zusammen geben,
oder garnicht. Es sind Zustände, die die Bibel als Reich
Gottes beschreibt
und die sich
gegenseitig bedingen und verlangen, um existieren zu können.
Nur wenn
alle satt sind,
wird sich keiner mehr benachteiligt fühlen und meckern oder
kämpfen
für seine Rechte.
Solange keine Gerechtigkeit erreicht ist, wird es keinen Frieden geben.
Und
solange die
Menschen nicht lernen, ihre Konflikte friedlich zu regeln, wird aus den
Kämpfen
um
Recht und Gerechtigkeit sehr schnell und leicht eine neue Diktatur. Es
gibt
keins von
beiden, was vor dem anderen dasein könnte, um das andere zu
bedingen.
Beides wächst
miteinander oder gar nicht. Und es wächst manchmal sehr
langsam nur,
so wie manche
besonders edelen Kristalle. Und dieser Wachstumsprozeß ist
das Reich
Gottes und wir
sind bei einer Gratwanderung am Atomkrieg vorbei auf dem schwierigen
Weg
zu einer
freien glücklichen Welt.
Die Sensibilität für Gerechtigkeit und Frieden,
für Glück
und falsches Glück, auch
sie ist ausbaufähig, wächst in uns wie Kristalle. Wir
können
unsere Antennen schärfen
für Unrecht und die oft phantasievolleren
Möglichkeiten, es wieder
gut zu machen als
den formellen Rechtsweg. Wir können wachsende Kristalle sein,
Kristalle,
die immer
klarer ihre geometrische Struktur aufbauen. Und unsere Struktur als
Menschen
in voller
Entwicklung heißt: Glücklich sein, frei,
selbstbestimmt, mündig,
im Gespräch mit
anderen, statt nach Befehl und Gehorsam, in Verantwortung für
andere
in Familie und
Beruf und Politik, in vernünftigem Dialog mit anderen
Völkern und
überhaupt
miteinander. Keiner von uns ist an dieser Stelle schon angekommen. Aber
ich
vermute,
daß wir uns darauf hin entwickeln werden und auch
müssen, sonst
wird es nicht mehr
lange einen bewohnten Planeten Erde geben.
Ihr Konfirmanden habt in den letzten beiden Jahren auch so manche
Entwicklung
in
euch mitgemacht, die vergleichbar ist mit dem Wachsen von Kristallen zu
immer
mehr
klarer Form. Ihr seid auch wachsende Steine, in euch bildete sich etwas
heraus,
es
kristallisiert sich etwas heraus, was in seiner gelungenen Form
vielleicht
jetzt noch gar
nicht erkennbar ist. Vielleicht war unsere gemeinsame Zeit im
Unterricht
für euch zum
Teil eine Möglichkeit, an eurem
Kristallisationsprozeß zu arbeiten.
Ich hatte am Anfang
in eurer Gruppe immer ein bißchen das Gefühl, ich
bin im Kindergarten,
wißt ihr das
noch, vor zwei Jahren? Und wenn ich auf die letzten Wochen
zurückblicke,
so ist mir
eins sehr unverständlich: Ich fand euch sehr solidarisch, ihr
habt gelernt,
zusammenzuhalten als Gruppe, ihr habt zusammen getanzt auf dem
Friedensfest
bei
Ape-Beck und Brinkmann, daß alle anderen Leute dachten: Was
ist das
denn für eine
Truppe, die sich alle an die Hand nehmen und in einer langen Schlange
durch
die Kirche
tanzen. Ihr habt euch bei der Konfirmandenprüfung gegenseitig
vorgesagt,
ihr habt euch
im Vorstellungsgottesdienst gegenseitig geholfen. Die Starken haben die
Schwachen
mitgetragen. Wißt ihr was? Das, ganz genau das ist Kirche.
Ganz genau
das ist gemeint
damit, als lebendige Steine zu einem lebendigen, vom Geist Gottes
geprägten
Haus
zusammenzustehen, in dem jeder Stein wichtig ist, damit das Ganze nicht
zusammenbricht, auch die kleinen Steinchen. In eurer Gruppe, die mir
zum
Schluß eben
gar nicht mehr so albern vorkam, hat sich Kirche entwickelt, sind
Steine
lebendig
geworden, sind gewachsen, haben sich herauskristallisiert zu einem
Verbund.
Ihr habt
jetzt die Kirche kennengelernt. Nicht im Gottesdienst, nicht in diesem
Haus
hier, nicht,
indem ihr andere beobachtet habt, wie und was die hier so treiben,
nein,
das alles ist kein
Kirche kennenlernen. Ihr habt die Kirche in euch selbst und in unserer
Gruppe
kennengelernt. Alles das, was die Kirche ausmacht, hat es in unserer
Gruppe
gegeben.
Streit und Versöhnung, Lachen und Langeweile, Weinen und
Wiederaufatmen,
Musik
und Abendmahl. Die Kirche ist immer so gut wie wir selbst gerade sind.
Die
Kirche ist
eine lernende, wachsende Gemeinschaft. Die Kirche ist nicht auf dieses
Gemäuer
angewiesen, denn ihr selbst seid die Steine, mit denen die Kirche
zusammenhält,
auch
im Wald war es schön. Auch in eurer Straße kann
Kirche sein, können
Starke die
Schwachen beschützen, können Kinder zusammenhalten,
gemeinsam lachen
und
weinen. Die Zeit der Kirche hört mit der Konfirmation nicht
auf. Sie
beginnt auch nicht.
Sie geht weiter, mehr oder weniger schnell. Gut, ihr kommt jetzt nicht
mehr
zum
Unterricht, seid froh, es hinter euch zu haben und sagt vielleicht:
Scheißkirche,
endlich
hab ichs hinter mir. Aber das ist eine glatte Täuschung. Auch
wenn ihr
nie
wiederkommen werdet: Ihr habt die Kirche vor euch, falsch: in euch, ihr
seid
lebendige
Steine. Nicht: ihr sollt welche sein. Nein, ihr seid welche. Ihr habt
gelernt,
zusammenzuhalten, wenns mal nötig war, auch gegen mich, gut
so. Und
deshalb werdet
ihr auch in Zukunft zusammenhalten, andere beschützen, die
schwächer
sind als ihr.
Und darum können wir euch gut und gerne gehen lassen. Ihr
werdet lebendige
Steine im
Haus Gottes sein und darin weiterwachsen und euch herauskristallisieren
als
Christen,
als Menschenfreunde, als Verantwortungsbereite Mitarbeiter an der neuen
Welt
Gottes
in einem besseren Bergkamen. Ich traue euch das zu. Ich mute euch das
zu.
Ich vertraue
auf euch, daß ihr den Eckstein nicht vergeßt, den
die Bauleute
verworfen haben. Jesus,
von dem einige sagen, er sei ein Spinner, weil er sich viel zu sehr um
andere
Menschen
gekümmert hat. Jesus, von dem viele sagen, so könne
man heute nicht
mehr leben. Jesus,
den man auch damals nicht hat leben lassen, und der trotz seines Todes
unzählige
Menschen lebendig gemacht hat, zu Steinen, die zusammenhalten zu einem
Haus
des
Friedens. Wir werden erleben, wie es in uns weiterwächst.
Amen.
Predigt
über Jes. 6,1-8
Friedenskirche: 14. Juni 87
Visionen von Gottes neuer Herrlichkeit
Liebe Schwestern und Brüder!
Liebe Taufeltern und Paten. Liebe Kinder!
Jesaja ist von Gott berufen worden. So wie wir von Gott berufen werden
durch
die
Taufe zu einem neuen Leben. Der Taufspruch von Johannes, der Jesus
getauft
hat, war:
Ändert euer Leben, denn das Reich Gottes ist nahe.
Jesaja wird durch eine Vision berufen. Vision, da sieht einer vor
seinem
inneren
Auge etwas so intensiv, als wäre es Wirklichkeit. Wie die
Träume,
in denen wir nicht
mehr wissen, träumen wir oder sind wir wach. Das gibt es, das
ist keine
Spinnerei, das ist
sogar sehr wichtig für uns Menschen, nicht allein in der Welt
der Tatsachen,
der
sogenannten Tatsachen zu leben, sondern auch in der Welt der
Träume.
Kinder erzählen
oft Geschichten, wo die Eltern erstmal gar nicht wissen, ist das nun
wirklich
passiert
oder nur in der Phantasie. Gut, ich glaube, die Berufung Jesajas zum
Propheten,
zum
Sprachrohr Gottes, ist in seiner Phantasie passiert. Gott ist etwas,
was
mit Phantasie
verbunden ist. Gott ist keine Tatsache, sowenig wie die Vision eine
Tatsache
ist. Es ist
eine phantastische Sache, eine Traumsache.
Träume sind etwas wichtiges. Phantasien können die
Welt verändern.
Bevor
technische Erfindungen industrielle Revolutionen auslösen,
sind sie
erstmal nur fixe
Idee in den Köpfen der heutigen Daniel Düsentriebe.
Ohne Phantasie
würde kein
technischer Fortschritt denkbar sein, das wissen alle, die in den
exakten
Wissenschaften
tätig sind. Phantasien verändern die Welt. Es gibt
schmutzige Phantasien.
So haben
verwirrte Wissenschaftler die Atombombe erfunden und damit die gesamte
Menschheit
in tödliche Bedrohung gebracht. Und es gibt tolle Phantasien,
etwa die
Achterbahn oder
die Schaukel oder Sonnenkollektoren. Ihr merkt, wie wichtig die
Phantasie
ist. Die
Vision des Jesaja ist eine solche wichtige Phantasie. Er steht vor
Gott.
Gott sitzt auf
einem Thron. Komisch, wie leicht man sich Gott als König
vorstellt!
Die Christen haben
eine andere Vision von Gott als Zeichen für ihre Kirchen
gewählt:
Das Kreuz, an dem
Jesus ermordet wurde. Unsere Vision ist nicht mehr der über
allem thronende
Herrschergott, sondern ein Gott, der schreiend leidet und stirbt, von
frommen
Menschen hingerichtet als Aufrührer.
So ändern sich die Bilder, die Visionen, die Phantasien, die
Erfindungen.
Daß Jesaja
sich Gott auf einem Thron vorstellt, ist eigentlich
verständlich. Damals
war das
schönste, aufregendste, wichtigste eben der König.
Und so haben
sich viele eben auch
Gott vorgestellt. Schön, aufregend, wichtig.
Die Engel trauen sich gar nicht, Gott anzugucken. Die haben Angst,
seine
Schönheit
nicht aushalten zu können. Jesaja aber sieht Gott und erkennt
in diesem
Augenblick, wie
häßlich er selbst ist, wie bekleckert und beschmutzt
mit all den
Fehlern, die unter uns
Menschen normal sind. Unreine Lippen, weil unsere Münder so
viel Gehässiges,
Häßliches, Verletzendes sagen. Weil wir uns mit
unseren Worten
vielleicht noch viel
mehr weh tun als mit den Fäusten. Und die glühende
Kohle soll desinfizieren,
das
dreckige herausbrennen. Harte Sache. Wie eine Operatio , bei der etwas
krankes
aus
dem Körper herausgeschnitten wird.
Wir sind das Volk mit den unreinen Lippen. Wir sind krank. Wir sind
immer
zu leicht
verletzt und immer zu schnell verletzend. Das ist eines unserer
großen
Probleme, die
sich auch international auswirken.
Jesaja bekommt nach dieser schmerzhaften Operation mit der Kohlenzange
einen
Auftrag: Er soll das Volk verstocken. Er soll die Menschen mit der
Wahrheit
konfrontieren, ohne daß sie die Wahrheit verstehen und
begreifen. Ist
das nicht
fürchterlich? Wir meinen doch, daß die Wahrheit uns
die richtigen
Dinge tun läßt. Aber
scheinbar eben doch nicht. Die Wahrheit kann uns auch das falsche tun
lassen,
kann
Trotz hervorrufen oder Resignation, kann Verbitterung und Angst
erzeugen,
kann Haß
und Ablehnung auslösen.
Das ist ein typischer Mechanismus. Je schwächer ein Mensch
ist, umso
weniger kann
er vertragen. Je verlogener einer ist, umso mehr haßt er die
Wahrheit.
Die Wahrheit
macht ihn nur wütend. Das Hinschauen macht ihn blind vor Wut.
Denn die
Konsequenz
vieler Erkenntnisse wäre, daß wir unser Leben in
bestimmten Punkten
ändern müßten,
die uns so lieb und vertraut und angenehm geworden sind. Das
täte weh,
so eine
Umstellung, so eine Änderung. Und deshalb wehren wir uns gegen
alles,
was unsere
derzeitigen Ansichten und Lebensgewohnheiten bedroht. Es ist
Selbstschutz.
Wenn ein
Mensch erfährt, daß er Krebs hat, ist er in den
ersten Wochen
so geschockt, daß er
immer wieder sagt, nein, das kann nicht wahr sein, das darf einfach
nicht
wahr sein. Bis
er endlich ertragen lernt, daß sein Leben bald vorbei sein
wird. So
leugnen wir oft die
Wahrheit, um unsere innere Stabilität aufrecht z erhalten. Das
darf
nicht wahr sein, also
ist es eben nicht wahr. Und der, der uns solche bösen Dinge
erzählt,
ist unser Feind,
greift uns an, will uns Böses. Früher hat man die
Boten, die die
Niederlage in einer
Schlacht dem König meldeten, sofort getötet, quasi um
die schreckliche
Botschaft
ungeschehen, ungehört zu machen. Heute versucht man schon
wieder, die
zum
Schweigen zu bringen, die an unsere schuldbeladene grausige
Vergangenheit
im
Hitlerdeutschland erinnern. Es ist eben nicht leicht, Wahrheit zu
ertragen.
Wahrheit über mich selbst: Daß ich gar nicht der
tolle Mensch
bin, der ich so gerne
wäre, daß ich gar nicht so gut bin, wie ich gerne
glaube. Wer
mir meine Fehler sagt, den
finde ich erstmal gehässig, gemein, doof. Bis ich ertragen
kann, daß
er recht hat, daß ich
doof bin und nicht er, dauert seine Zeit. Vielleicht ist es dann schon
zu
spät und ich habe
mich mit einer komischen Eigenschaft, mit einem Fehler, völlig
verrannt.
Bei Jesaja will
Gott das sogar so. Bis nur noch ein Rest übrigbleibt von
Israel. Bis
nur ein Rest noch
übrig bleibt von mir, meinem Mut, meiner Kraft, meinem
Selbstbewußtsein.
Dann
endlich kann ich verstehen und richtig hören, was mein Stolz
nicht ertragen
hat. Dann
endlich bin ich offen, Gottes Wahrheit zu sehen und zu vertragen. Dann
endlich
kann ich
mich so sehen und akzeptieren, wie ich bin: ein Mensch mit unreinen
Lippen,
mit
schmutzigen Phantasien, mit viel Vorurteilen, mit viel
Überheblichkeit.
Wenn ich dann
meine eigene Unvollkommenheit ertragen lerne, werde ich die
Unvollkommenheit
der
anderen Menschen auch besser bejahen können, dann werde ich
weniger
an ihnen
herummeckern und eher verstehen, wieso sie so komi ch sind. Ich werde
barmherzig,
weil ich merke, wie sehr ich selbst auf Barmherzigkeit angewiesen bin.
Und
so erkennen
sich die Christen als unvollkommene Leute, die allesamt Dreck am
Stecken
haben,
keiner besser als der andere. Und sie üben sie darin, zuerst
über
den eigenen Dreck
nachzudenken und dann erst über die Dreckigkeit der anderen.
Und bei
diesem
Nachdenken bekommen sie den Wunsch, sich gründlich abzuwaschen
von allem
Schmutz. Es reicht ihnen nicht mehr zu wissen, daß andere
auch dreckig
sind. Sie wollen
etwas tun, damit sie selbst nicht mehr so dreckig bleiben. Und das
versuchen
wir mit der
Taufe. Sie soll uns reinwaschen von unseren Fehlern und ihren
bösen
Folgen. Sie soll
uns das Gefühl geben, daß Gott uns als
frischgeduschte, saubere
Leute haben möchte
und uns den Schweiß und die Last unseres Lebens immer wieder
abwäscht.
Wer so von
seinem eigenen Dreck frei wird, der wird sich nicht mehr freuen oder
ärgern
über die
Schuld und Schande der anderen Menschen, sondern wird
überlegen, was
er tun kann
für ihre Sauberkeit, für ihre Appetitlichkeit.
Vielleicht lädt
er sie mal zum Baden ein.
Vielleicht seift er ihnen den Rücken ein. Vielleicht
wäscht er
ihnen den Kopf. Jesus hat
seinen Jüngern die Füße gewaschen. Amen.
Predigt
über Lk
15,1-3+11-32
Die Liebe eines Vaters
Liebe Freunde!
Da sind drei Männer. Vater und zwei Söhne. Willi
Atternase und
seine Söhne Detlef
und Uwe. Sie haben ein Taxiunternehmen hier in Bergkamen, Fritz Erler
Str.
3. Das
Geschäft geht so lala, viele Betrunkene, die von
Schützenfesten
heimgefahren werden
wollen oder von Familienfesten. Einige Senioren, die
regelmäßig
ins Ärztehaus müssen.
Willi Atternase klagt nicht. Er kämpft sich so durch. Detlef
hat Realschule
hinter sich,
geht noch zur Berufsschule, will später mal Betriebswirtschaft
machen
und das
Taxigeschäft übernehmen, wenn Willi nicht mehr kann.
Uwe war auf
dem Gymnasium,
ist Computerfreak, ein leidenschaftlicher Hacker und will mehr draus
machen.
Er will
ein Software-Unternehmen aufmachen für Spiele in Spielhallen.
Die Banche
ist
umsatzträchtig. Uwe braucht Geld, um sich
selbstständig zu machen.
Er rechnet dem
Vater vor, wieviel er braucht: 60.000 DM für den Computer, mit
dem er
die Software
produzieren will, 40.000 DM für die
Vervielfältigungsmaschinen,
50.000 DM für die
Einrichtung und Erstfinanzierung einer kleinen Firmenhalle in Hamburg.
Bergkamen,
hör mir bloß auf mit Bergkamen. Das ist doch
ätzend hier.
Ich will weg, hier ist doch die
total tote Hose. Und wenn ich später mal erben würde,
bekäme
ich bestimmt
zweihunderttausend, die Hälfte vom Taxiunternehmen steht mir
zu. Ewig
Besoffene
nach Hause fahren, ey Vatter, das is einfach nich mein Ding. Ich geh
nach
Hamburg,
komm, ich will meinen Anteil am Betrieb jetzt schon haben, dann bist du
mich
auch
wirklich los, zahl mir mein Erbe jetzt schon aus. - Willi Atternase ist
geschockt.
Sein
jüngster, der kluge Uwe, will ihn und alles, was er
für seine Kinder
aufgebaut hat,
einfach verlassen. Ätzend, tote Hose. Sein Lebenswerk!
Er zahlt Uwe aus. Nimmt einen Kredit bei Herrn Menzhausen auf und gibt
Uwe
einen Scheck über 150.000 DM. Uwe packt seine Sachen,
fährt mit
einem VW-Bulli nach
Hamburg. Ruft zwei, drei Mal noch an, hat immer noch keine Firma, ist
noch
auf der
Suche nach was passendem, die Konkurrenz in Hamburg, die Mieten und und
und.
Dann
Funkstille. Keine Anrufe mehr, Uwe läßt nichts von
sich hören,
bei der Auskunft ist kein
Uwe Atternase in Hamburg mit Telefon ausfindig zu machen. Willi
Atternase
ist
enttäuscht. Sein Uwe, das hätte er nicht gedacht.
Detlef hat inzwischen
seine
Betriebswirtschaft fertig, im nächsten Jahr geht Vater Willi
in Pension,
Detlef wird dann
das Taxiunternehmen übernehmen.
Es klingelt. Willi Atternase geht ans Telefon. Uwe. Er ist in
Bergkamen.
Fragt, ob er
vorbeikommen kann. Sagt, er habe sein Software-Unternehmen gar nicht
erst
angefangen, sei in Hamburg versumpft, die Reeperbahn, Drogen, Freunde,
ein
paar
Schickeria-Mädchen und wie das dann so ist. Er habe mal einen
Kiosk
gehabt, der sei
aber auch nicht so gelaufen und die Säufer in Hamburg sind
noch herber
drauf. Er habe
schließlich als Rausschmeißer bei Onkel Pö
gearbeitet, eine
schmierige alte
Musikkneipe. Er habe eine Entziehungskur hinter sich, Heroin, seit
einem
Monat habe
er nichts mehr gedrückt, er müsse raus aus Hamburg,
wo er praktisch
überall von seinen
Freunden Stoff angeboten bekommt, ob er nicht bei Taxi Atternase als
Fahrer
unterkommen kann.
So, liebe Eltern, liebe Kinder! Bis hierhin habe ich erzählt.
Jetzt
kommt hr dran. Sagt
mir, nachdem ihr euch in Gruppen von 6 Leuten zwei Minuten lang
beratet,
wie wird
Vater Willi Atternase reagieren. Wird er Uwe, den Fixer
rausschmeißen,
nachdem er
das Taxiunternehmen durch den Abzug von 150.000 DM in arge
Bedrängnis
gebracht
hat und dann noch alles Geld verpraßt hat? Wird er ihm trotz
allem
eine Stelle als
Fahrer anbieten? Welche Bedingungen wird er stellen? Was denkt ihr?
Bildet
jetzt
Sechsergruppen, beratet euch und aus jeder Gruppe sagt in zwei Minuten
einer
euer
Ergebnis.
Pause
Antworten aus den Gruppen vorn am Mikrofon
Verlesen des Bibeltextes
Liebe Gemeinde!
So wie Jesus mit den Reeperbahn-Leuten Feste feiert, sich mit
Sündern
einläßt, die
Verlorenen sucht und findet, so sucht Gott die Verlorenen. Gott freut
sich
über die
Sünder. Er rechnet nicht Schulden auf. Er
erläßt alle Schuld
und beginnt ein neues Spiel.
Er fängt mit uns von vorn an, als wäre nichts
gewesen. So ist Vergebung.
Gott gibt dem
Heruntergekommenen sein bestes Kleid, die größte
Ehre, das schönste
Fest. Gott freut
sich. Er weiß, sein Sohn ist wieder da. Er hat ihn
vermißt. Es
war ihm nicht gleichgültig,
daß Uwe in Hamburg nichts von sich hören
ließ. Willi Atternase
hat unter der Trennung
gelitten. Er hat sich das nie so anmerken lassen. Aber als Uwe am
Telefon
so traurig und
fertig erzählte, da konnte Willi Atternase nicht anders: Er
machte sein
Büro dicht,
brauste mit der Taxe zum Busbahnhof zu Uwe, sprang aus dem Wagen,
umarmte
ihn,
Tränen in d n Augen: Mein Junge, wie schön,
daß du wieder
da bist. Hör mal, am
Wochenende machen wir eine Grillparty, da laden wir deine ganze Klasse
von
früher ein
und Onkel Ewald und Tante Hanne und Erna Büscher und Frau
Dierks und
Pastor
Kayser. Und Jutta Kaiser von nebenan, die hat inzwischen schon das
dritte
Kind, ein
Mädchen, Sandy. Ach Uwe, es ist, als wäre ich tot
gewesen. Jetzt
geht es mir wieder gut.
Ich fühle mich wie neugeboren. Schön, daß
du wieder da bist.
Liebe Freunde!
Habt ihr den Unterschied gemerkt? Jesus in der Bibel sagt: Der
verlorene
Sohn war
tot und ist im Augenblick der Heimkehr wieder lebendig geworden. Ich
sage
es anders:
Gott selbst war auch wie tot, weil sein Kind ihn verlassen hatte und er
lebt
auf, als sein
Kind zurückkommt. Ich lasse den neidischen Detlef, den Frommen
und
pflichtergebenen Musterknaben mal ganz beiseite. Heute sage ich nur
etwas
über den
Vater. Der Vater, Willi Atternase alias Gott, will nicht ohne die Liebe
seiner
Kinder
leben. Er leidet unter der Abwesenheit des Sohnes, es hätte
genauso
seine Tochter
Josefine oder Paula sein können.
Und die reale Situation Gottes heute in der Welt: Die meisten Kinder
gehen
fremd,
verprassen die Liebe, die Gott jedem von ihnen mitgegeben hat, im
Konsumrausch,
Videos, Spielhallen, Karriere, Häuslebauen,
Rasenmähen. Und kaum
einer denkt noch
an Gott. Und kaum einer weiß, daß Gott sich nach
uns sehnt, daß
Gott in uns verliebt ist
und zwar fast abgöttisch, wenn er es nicht wirklich
göttlich wäre,
nämlich am meisten in
die schwierigsten und unangenehmsten unter uns. Wenn solche
Kaufberauschten,
Karrieresüchtigen, Häuslebauer, Rasenmäher,
Zocker und Nullbocklangeweiler
von
ihrer eigenen tödlichen Langeweile angewiedert werden und sich
entschließen,
aufzutauen, aus sich herauszukommen, auf andere zuzugehen, ihre
Einsamkeit
zuzugeben, ihre Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe zuzugeben, zu
einem
Menschen endlich sagen: Du, ich brauch dich. Du, ich hab dich lieb. -
dann
erwacht Gott
zu neuem Leben. Dann ist ein Fest fällig. Amen.
Trauung
von Willi
und Brigitte Kölzow, geb. Bangert, am 11. Juli 1987
Auferstehungskirche Weddinghofen
0rgelvorspiel und feierlicher Einzug
Begrüßung & Einleitung (Agende S. 61)
Eingangslied EKG Nr. 231, 1 - 3 + 5
Meditation 5 (Agende S. 63 mitte)
Ansprache über Johannes 13, 34
Liebe Familie Kölzow!
Einander lieben wie Jesus uns geliebt hat - das ist
gefährlich, so gefährlich
wie die
Turnereien auf den 100 m hohen Hochspannungsmasten. Da muß
man aufpassen,
daß
man nicht abschmiert. Jesus ist schließlich an den Folgen
seiner kompromißlosen
Liebe
zu den Armen, zu den Kranken, den Verbrechern und schlechten Menschen,
am
Kreuz
elend verreckt. Lieben wie Jesus - heißt das denn immer
Selbstaufopferung?
Hat Jesus
sich nur aufgeopfert? Nein. Jesus war oft auch allein ganz für
sich,
hat Urlaub gemacht
vom Predigen, Heilen, Bewundertwerden. Lieben wie Jesus setzt voraus,
daß
man frei
ist dem anderen gegenüber. Jesus konnte sich auch streiten.
Streiten
ist nicht lieblos,
streiten bedeutet nicht, den anderen hassen oder verletzen, sondern
verschiedene
Meinungen oder Wünsche konfrontieren und einen gemeinsamen Weg
daraus
machen.
Liebe - Freiheit
Liebe - Altruismus
Liebe - Ausschließlichkeit
Liebe - Universalität (Was ihr mir getan habt)
Liebe - zu den Lieblosen
Liebe - die den Tod nicht fürchtet.
EKG Nr. 234, 1, 3, 4
Bibellesung 1. Petrusbrief 4, 8b-11 (Agende S. unten)
Befragung und Beringung und Kuß
Im Knieen: Gebet 2 (Agende S. 69)
Zuspruch 1 (Agende S. 70 oben)
Alle stehen auf: Unser Vater - Segen
Schlußlied: EKG Nr. 228, 1 + 2
Orgelnachspiel und feierlicher Auszug
Beerdigung
Paul Kehl
Hauptfr.Fr, 24.7. 87, 15.00 H
Liebe Frau Kehl, liebe Familie Manthey, liebe Freunde und Kollegen von
Paul
Kehl!
Mit 46 Jahren verunglücken, viel zu früh, nein, das
hat die Gefahrenzulage
im
Schachtausbau nicht gelohnt. Paul Kehl hat nicht geahnt, daß
er diese
Gefahrenzulage
einmal mit seinem Leben bezahlen würde, in einer
zusätzlichen Schicht
zudem noch,
weil es schwer ist, nein zu sagen, wenn Vorgesetzte daraus ihre
Konsequenzen
ziehen.
Er ist auf seine Weise eines der vielen Opfer des Bergbaus geworden.
Die
Zeche hat ihn
seiner Frau weggenommen.
Er ist aus der Kirche ausgetreten. Er hat der Kirche lebewohl gesagt,
trotzdem
ist
heute die Kirche hier. Er hat mit seinem Austritt nicht in erster Linie
den
Pastoren
seinen Zuschuß entzogen, sondern den vielen anderen Aufgaben,
für
die die Kirche viel
mehr Geld ausgibt: der Jugendarbeit, den Teestuben, den Heimen
für Behinderte,
den
Gemeindehäusern, die alten Menschen ein Zuhause anbieten, den
Beratungsstellen
für
Suchtkranke, den Krankenhäusern, den Spezialkliniken
für Epileptiker,
den kirchlichen
Altersheimen, den Obdachlosenasylen. Ganz zuletzt hat Herr Kehl mit
seinem
Austritt
erst die Position der Pastoren gefährdet. Er hat der Kirche
die Solidarität
aufgekündigt.
Die Kirche kündigt ihm die Solidarität nicht auf. Um
das zu zeigen,
bin ich heute hier,
entgegen Kirchenordnung und Gepflogenheiten. Ich will deutlich machen,
daß
Gottes
Solidarität nicht von unserer Solidarität
abhängt, nicht nach
Kirchensteuern geht.
Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes!
Predigt
über Joh 6,30-35
Friedenskirche 25.Juli 87
Erst kommt das Essen, dann die Moral
Liebe Schwestern und Brüder!
Man ist immer besonders nett zu dem, der einen füttert. Meine
Katze
Mia kommt
regelmäßig ganz verschmust an und kuschelt sich an
mich, streicht
mir um die Beine. Am
Anfang dachte ich: Ach, wie schön. Sie mag mich. Ich habe sehr
schnell
begriffen, was
sie wirklich mag an mir: das Kittekat. Sie mag mich, weil ich sie
füttere.
So ist Liebe.
Man mag jemanden, weil man einen Mangel hat.
Liebe Freunde!
Liebe geht durch den Magen. Es wäre lieblos, Hungrige mit gute
Worten
abzuspeisen.
Die Liebe drängt auf die Stillung von Hunger. Sei es der
Hunger nach
Brot, sei es der
Hunger nach völligem Einssein mit dem Liebespartner. Die Liebe
will
sattwerden. Und
die Liebe will sattmachen. Beides gehört dazu zur Liebe. Geben
und Nehmen.
Nicht nur das Nehmen macht stark, also etwa das Nuckeln der Babies und
das
Essen.
Auch das Geben macht stark: Es ist ein grandioses Gefühl,
einem Menschen
etwas
Gutes zu tun. Das wissen alle Pfadfinder und genießen es,
jeden Tag
eine gute Tat zu
tun. Der Geber ist in einer starken Position. Dieses Gefühl
der Stärke
gegenüber dem
Bedürftigen macht ihn stolz. Er weiß: Ich bin
wichtig.
Es ist ja irgendwie enttäuschend, daß es die reine
Liebe, die
völlig zweckfrei ist, nicht
gibt. Die reine Herzensliebe ohne Kochen, ohne geteiltes Bett, ohne
offenen
Geldbeutel
- das gibt es wohl nicht. Die Menschen haben eben alle einen Bauch. Und
der
will voll
sein. Und darum wird in den Kirchen eben nicht völlig
zweckfrei an Gott
gedacht, Gott
gelobt und gefeiert. Sondern alle Lobe und Klagen der Psalmen haben
auch
ganz massiv
mit dem Bauch, dem Leib der Menschen zu tun. In allen Religionen wollen
die
Menschen was von Gott. Gute Ernte, Gesundheit, Kindersegen, Sicherung
des
Wohlstandes. Sie wollen den Segen Gottes leibhaftig erfahren, die Liebe
Gottes
im
Bauch spüren.Aber: Ist Gottes Liebe nicht etwas, was nur
unsere Seele
angeht, nicht den
Leib?
Wir haben den Glauben zu einem geistigen Erleben gemausert, weg von den
Futtertrögen, den Schlachtopfern. Wir haben uns auf das Wort
konzentriert.
Der
Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von Gottes Wort, darum haben
w
r das Brot
aus der Kirche entfernt. Es sind einmal im Monat ein paar
hauchdünne
Hostien
übriggeblieben von der einstigen Schmauserei im jerusalemer
Tempel.
Dafür aber hat
sich der Bauchbereich verselbstständigt: Die riesige
Lebensmittelproduktion
dient
schon lange nicht mehr der Befriedigung menschlicher
Grundbedürfnisse,
sondern
gehorcht kapitalistischen Wirtschaftsgesetzen, nach denen es besser
ist,
Gemüse,
Getreide, Fleisch und Butter zu vernichten, als denen zu geben, die an
Hunger
sterben
werden. Weil die Religion den weltlichen Teil des Lebens
hochnäsig übersehen
hat in
frommer Hinwendung zur Seele, hat sich da quasi unter der
Gürtellinie,
die der Glaube
geschaffen hat, eine derartig verantwortungslose Völlerei und
Hungerei
entwickelt, daß
die gläubige Seele ganz erschrocken ist, wenn sie
hört, was sich
in der Welt getan hat in
der Zeit ihrer Innerlichkeit.
Unsere Wirtschaft zielt auf Anhäufung. Wachstum
heißt real, die
Großen werden
größer, die Mittleren bauen ab, die Kleinen gehen
stempeln. So
berichten es unsere
Zeitungen täglich. Es wird jede nur denkbare
Marktlücke aufgespürt,
mit Werbung ein
falscher Hunger erzeugt. Der Hunger, von dem unsere Wirtschaft lebt,
ist
ein künstlich
geschürter, eine Unersättlichkeit, die medizinisch
eindeutig krankhaft,
krebsartig ist.
Bedarfsdeckung ist das Prinzip, mit dem eine christliche Wirtschaft
sich
entwickeln
kann. So ist Liebe: Sie stillt Hunger. Aber sie
überfüttert nicht.
Es ist ungesund, zuviel zu
essen. Es ist ungesund, zuviel zu haben. Reichtum macht krank.
Christus wird im Johannesevangelium deshalb geliebt, weil er so
schöne
Speisungswunder vollbringt. Fünftausend sattmachen, das ist
wahrhaft
göttlich. Darum
kommen die Leute u ihm und verehren ihn. So wie meine Katze Mia um mich
herumscharwenzelt, wenn sie Hunger hat. Und Christus ist sauer. Er will
nicht
als
Brötchengeber verehrt werden, sondern als Gesandter des Vaters
im Himmel,
der allen
seinen Kindern sagen will, wie lieb er sie hat und wie wichtig ihm ist,
daß
sie sich
untereinander liebhaben im Wissen um diesen liebenden Vater im Himmel.
Christus ist sauer, weil alle sich auf das Brot stürzen und
keiner an
den Geber denkt,
den Vater im Himmel. Ich verstehe das: Es würde mich
ärgern, zu
wissen, daß meine
Katze nur das Kittekat liebt, nicht mich. Es tut weh, wenn nach der
Befriedigung
der
leiblichen Bedürfnisse keine tiefere Bindung entsteht.
Aber der Weg zur Vertiefung der Bindung ist nicht, die Leiblichkeit der
Menschen
zu
verbannen, zu exkommunizieren, sondern eben gerade hineinzunehmen in
die
Bindung!
Der Christus im Johannesevangelium ist Idealist, wenn er sich
ärgert
darüber, daß die
Leute ihn verehren, weil er Brot gibt. Die Leute hatten Hunger und
waren
dankbar,
Essen zu bekommen. Wie sollen sie denn verstehen, daß Gott
Liebe ist,
wenn nicht
durch den Magen? Gottes Liebe geht nicht am Magen vorbei! Sie geht
hindurch.
Darum
Abendmahl. Aber sie ist mehr als Fütterung der Raubtiere.
Darum Zeichen.
In der
Stillung der leiblichen Bedürfnisse wird etwas deutlich von
einer noch
tieferen,
umfassenderen Stillung der menschlichen Sehnsüchte,
für die Gott
seine Liebe
bereithält. Am Essen können wir es lernen: Gott
stillt Hunger und
Durst. Wenn es nicht
allein dabei bleibt, wenn wir lernen, unsere
Herzensbedürfnisse, unsere
Träume, unsere
verborgensten Wünsche Gott bittend anzuvertrauen - und wozu
anders ist
das Gebet da
- dann werden wir lauben und erfahren: Gott nimmt uns an in unseren
geheimsten
Wünschen und sagt ja zu unseren Wünschen und hilft
uns, Ideen zu
entwickeln zu ihrer
Erfüllung.
Der tiefste Wunsch, den ein Mensch hat, ist, geliebt zu werden, mit all
seinen
Schwächen.
Unser Herz ist unruhig, sagt Kirchenvater Augustin, bis es Ruhe findet
in
Dir. Vater
im Himmel nimm mich in deine Arme. Mach mich satt. Sieh alle meine
unglückliche
Sehnsucht. Sieh mein Suchen. Sei mein Ziel. Zeig mir meinen Weg.
Laß
mich unruhig
werden über all dem Unrecht von Hunger und
Überfluß. Laß
mich Wege finden,
dagegen zu kämpfen. Mach mich zu Brot für andere.
Laß mich
in all meinen Kämpfen,
in all meiner Arbeit, in allen meinen Sorgen Ruhe finden in dir, dem
Quell
allen Lebens.
Amen.
Beerdigung
Heinz Gathmann
Donnerstag, 6. August 1987
Liebe Familie Gathmann, liebe Verwandte, Nachbarn und Freunde, liebe
Kollegen
der Stadt Bergkamen, liebe Schwestern und Brüder der
Friedenskirchengemeinde!
Als ich Montag morgen am Telefon hörte, ein Heinz Gathmann sei
gestorben,
habe
ich zuerst an eine Verwechselung, eine Namensgleichheit gedacht. Unser
Heinz
Gathmann, nein, das kann nicht sein, das darf doch nicht wahr sein! Es
war
ein Schlag.
Ich dachte an den Abendspaziergang vor zwei Wochen, wo wir ihm und
seiner
Frau
begegnet sind in der Kühle nach einem heißen
Sommertag und unter
einer
Straßenlaterne über Katzen und
Windkrafträder gesprochen
haben. Heinz Gathmann
ist tot - das ist so unbegreiflich, ich kann es noch gar nicht fassen.
Es
war gut, ihn
nocheinmal im Sarg ruhen zu sehen, um es auch wirklich glauben zu
können.
So ga z
wirklich tot ist er für mich immer noch nicht. Die Bilder
schweben mir
noch vor den
Augen, wie er leibt und lebt: Seine kurzen, sachkundigen Bemerkungen im
Presbyterium, seine ruhige, kameradschaftliche Art, seine lebendig
funkelnden
Augen -
und dieses unnachahmliche Grinsen, Heinz Gathmann konnte so wunderbar
grinsen.
Es ist schrecklich, unfaßbar, daß dieses Grinsen
nie wieder einer
von uns sehen soll.
Daß nie mehr seine freundliche Ruhe auf uns
überstrahlt.
Ich fand es immer toll, wenn ich hörte, Herr Gathmann ist in
Urlaub
nach Gran
Canaria. Er hat sich was gegönnt. Seine Frau hat ihn
allerdings erst
allmählich dazu
erziehen müssen, nicht nur immer seine Arbeit im Kopf zu
haben, sondern
auch das
Leben genießen zu lernen. Sie hat ihn hinterm Schreibtisch
weggelockt
nach Sylt - und es
hat ihm gefallen und gutgetan. Es hat ihm behagt, eine aktive Frau zu
haben,
die ihn, den
Ruhepol, immer wieder zu neuen Aufbrüchen, neuen Abenteuern
verführt.
Eines der
schönsten Abenteuer: Mit 45 Jahren die Alexandra auf die Welt
zu bringen
und den
Strom der Lebendigkeit im Hause Gathmann nicht abreißen zu
lassen.
Die Gastlichkeit
ist sofort beim Eintritt spürbar. Eine lebendige Familie, fast
wie im
Bilderbuch. Und
Heinz Gathmann mittendrin. Ja, auch jetzt noch mitten drin. Trotz
seines
Todes. Er ist
spürbar in seiner Familie. Er ist sichtbar in Evelyns und
Alexandras
Gesicht und im
kleinen Johan.
Sie alle wissen es inzwischen: am Dienstag letzter Woche hatte er die
starken
Schmerzen im Rücken, seine Familie brachte ihn ins Krankenhaus
nach
Werne, dort
tippten die Ärzte gleich auf Bauch-Aorta und erkannten die
Gefahr. Mittwoch
ging es
mit ubschrauber nach Münster in die Uniklinik, Donnerstag
mittag dann
die Operation,
vor der Heinz Gathmann und seine ganze Familie wußten,
daß sie
auf Leben und Tod
sein wird. Um drei kommt er aus dem OP, wacht langsam auf der
Intensivstation
auf und
dann kam dieses wundervolle Grinsen, das Strahlen seiner Augen - er hat
es
überlebt.
Dank, Freude. Gott hat ihm das Leben nocheinmal geschenkt. Aber nur
für
kurze Zeit.
Samstag verschlechert sich sein Zustand, das Herz bleibt stehen,
dreimal
wird er mit
Herzmassagen wiederbelebt bis Sonntag, wo morgens die Familie ihn ohne
Bewußtsein
noch sieht. Sonntag nachmittag kommt der Anruf: Er liegt im Sterben.
Die
Gathmanns
rasen so schnell es geht nach Münster. Er ist gerade
gestorben, vor
einer Viertelstunde.
Ende. Aus. Vorbei.
Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige
suchen
wir. Dieses
Wort aus dem Hebräerbrief möchte ich uns mitgeben,
die wir alle
hier sind, weil wir
unter seinem Verlust leiden und traurig sind, einen so liebenswerten
Menschen
mitten
aus unserem Leben weggeben zu müssen. Keine bleibende Stadt.
Heinz Gathmann
hat
für die Stadt Bergkamen viel getan. Das war ein wichtiger Teil
seines
Lebens. Nicht nur
Heinz Gathmann ist vergänglich, auch die Stadt Bergkamen ist
vielleicht
nur eine winzig
kleine Episode in der großen Heilsgeschichte Gottes, in der
Geschichte
des Kosmos auf
dem Wege zu einem Zufall, der sich Liebe nennt, oder Frieden und
Gerechtigkeit
oder
Reich Gottes. In den Zulauf der Geschichte auf dieses große
Ziel, auf
das Himmlische
Jerusalem, ist unser kleine Leben eingebettet, das Leben der Stadt, das
Leben
von Heinz
Gathmann. Und durch dieses Ziel, durch die ision des
göttlichen Friedens
mitten auf der
Erde, durch die Hochbauplanung eines neuen Jerusalem ist dieses unser
kleines
bergkamener Leben bestimmt, auf dieses Ziel hat Heinz Gathmann mit uns
gearbeitet.
Das letzte Buch der Bibel skizziert die zukünftige Stadt, die
wir suchen
und die man
ein Stücklein finden konnte in den freundlichen Augen von
Heinz Gathmann:
"Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste
Himmel
und
die erste Erde sind verschwunden, und das Meer ist nicht mehr. Und ich
sah
die heilige
Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen,
gerüstet
wie
eine Braut, die für ihren Mann geschmückt ist. Und
ich hörte
eine laute Stimme vom
Throne her sagen: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen.
Und er wird
bei ihnen
wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen
sein.
Und er wird
alle Tränen abwischen von ihren Augen und der Tod wird nicht
mehr sein,
und kein Leid
noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. Denn das Erste ist
vergangen.
Und der auf
dem Throne saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu."Amen.
Wir hören nun die Sopranarie aus dem Messias von Georg
Friedrich Händel:
Ich
weiß, daß mein Erlöser lebet, und
daß er erscheint
am letzten Tage dieser Erde. Wenn
Verwesung mir gleichdroht, wird dies mein Auge Gott doch sehen.
DennChrist
ist
erstanden von dem Tod, der Erstling derer, die schlafen.
Predigt
über Jes. 29,17-24
Friedenskirche:.6..9.87
Träume vom Tag Gottes als Vorschau von Gottes neuer Welt.
Lesung Mk 7,31-37 Heilung eines Taubstummen
Liebe Schwestern und Brüder!
Nur noch ein kleines Weilchen bis zum Tag der Erlösung -
schön
wärs. Träume eines
Propheten, der auch nichts am Rad der Geschichte gedreht hat. Immer
noch
Kriege,
immer noch Hunger, immer noch Lippenbekenntnisse und finstere
Machenschaften
der
mächtigen Hintermänner. Man kann nichts machen. Auch
der Prophet
Jesaja nicht.
Seine Träume sind nicht erfüllt worden. Die Tauben
hören immer
noch nichts, die
Blinden sehen immer noch nichts. Das prophetische Wort vom Gericht, von
der
Wende
und Verwandlung der unrechten Welt in Gottes Gerechtigkeit blieb leere
Hoffnung,
viel
zu wenig hat sich zum Rechten gewandelt. So wird der Traum des Jesaja
vom
Tag
Gottes zu einem Bild der Gerechtigkeit, an dem die bestehende
Falschheit
unserer Welt
messbar wird. Der unerfüllte Traum von einer besseren Welt
wird zum
kritischen
Moment. Hoffnung lullt nicht in schönen Wunschbildern ein,
sondern wird
zur Kritik der
damaligen Gesellschaftsordnung. Die Hoffnung des Propheten auf Gottes
Tag
ist
zugleich Vorfreude auf Gerechtigkeit und Androhung des Gerichts: Denn
aus
ist es mit
den Tyrannen und dahin ist der Spötter und ausgerottet sind
alle, die
auf Frevel lauern.
Kritik tut weh und muß doch sein bei der Suche nach der
Wahrheit und
dem richtigen
Leben.
Oft habe ich Zweifel, ob es überhaupt was nützt, zu
predigen. Ich
weiß aus
Umfrageergebnissen, daß Predigten nur das bestärken,
was die Hörer
ohnehin glauben
und daß die Aussagen, die dem Hörer nicht passen,
einfach überhört
werden oder man
sagt: das war aber nicht das Wort Gottes! Was löst eine
Predigt schon
aus? Im besten Fall
ein gutes Gefühl? Im anderen Fall etwas Unbehagen? Oder
wäre es
nicht auch Zeichen
für das Wort Gottes, daß es uns Ärger
bereitet? Wir wollen
uns nicht ärgern lassen vom
Wort Gottes. Predigt als Schwert, das bis ins Mark dringt, soetwas
lehnen
wir ab. Wir
leugnen dann, daß es das Wort Gottes war. Liebe Schwestern
und Brüder!
Mit diesen
Sätzen können noch fast alle einverstanden sein.
Jeder weiß,
daß er Kritik von der
Kanzel nicht sehr gern hört. Aber würde ich es jetzt
konkretisieren
auf die
entscheidenden Fragen des Glaubens, etwa Feindesliebe:Pershing 1a ist
Sünde
und soll
hier nicht sein! - dann würden alle sagen: Er predigt wieder
Politik,
aber nicht das Wort
Gottes. So haben wir unsere Abwehrmechanismen gegen Gottes Wort.
Die Geschichten Jesu sind voll von solchen Abwehrmechanismen gegen die
Ausstrahlung Jesu auf der Seite der Pharisäer und
Schriftgelehrten.
Sie streiten dauernd
mit Jesus, weil sie sich ärgern über das, was Jesus
sagt und tut.
So sagt Paulus mit vollem
Recht:Das Wort vom Kreuz ist den Juden ein Ärgernis und den
Heiden eine
Torheit. Ich
glaube, zur Lebendigkeit und Wirsamkeit des Wortes Gottes ist,
daß
es uns manchmal
wurmt und ärgert. Wieso sind solche Träume von einer
durch Gott
verwandelten Welt
eigentlich so ungeheuer ärgerlich? Wieso stört die
Hoffnung die
Heuchler?
Wenn Gott die Seele des Menschen kennt bis in die geheimsten
Wünsche,
und das
sind die uns selbst unbe ußten, dann kennt Gott uns besser
als wir
uns selbst. Und wer
nur ein bißchen nachdenkt über sich selbst, der
weiß, wie
wenig man sich wirklich kennt.
Wir alle leben damit, daß wir uns was vormachen. Wir alle
spielen unser
Theater so recht
und schlecht. Alles Rollen, die wir von anderen übernommen
haben und
die uns nicht
auf den Leib geschrieben sind, sondern eher auf den Leib
geprügelt.
Die
besserwisserischen Männertypen, hart und eisern,
Kruppstahlopas, die
gesitteten
Damen, die selbst die Liebenswürdigkeit in Person sind, aber
beim Tratsch
über die
Nachbarin so richtig die Sau rauslassen - unser alltägliches
Theaterspielen
entspricht
nicht dem, was wir im tiefen Inneren wirklich wollen und denken. Der
Harte
Mann ist
gewöhnlich das Riesenbaby, ohne den Mut, zu werden wie die
Kinder. Die
Edelmütigen
haben oft auch sehr finstere Gefühle. Luther wußte
nur zu gut,
wie auch die Heiligen
vom Teufel geritten werden. Die Abgründe der Bosheit unserer
Seele genau
auszuloten,
das tut weh, weil man sich gern besser hätte. Aber es ist als
Aufgabe
des Psychiaters auch
zugleich die Hilfe, die Menschen an der Grenze der
Selbstzerstörung
fähig macht, mit
ihren finsteren und traurigen Zügen zu leben. Und dadurch zu
überleben.
Glücklich
kann ein Mensch nur im Einklag mit sich werden. Wenn es keine Kluft
zwischen
den
verborgenen Wünschen und den bewußten Motiven gibt.
Die geheimsten
Wünsche in
uns, die wir uns nie eingestehen mögen, es sind im Grunde
nicht die
Abgründe der
Bosheit. Es sind sehr zärtliche Strebungen. Es sind
Wünsche der
Liebe, der
Geborgenheit, der Unbekümmertheit. Sehnsüchte nach
einem Leben
ohne Tränen. Der
Wunsch, grenzenlos Schönes zu erleben, grenzenlos geliebt zu
werden
und grenze los
jemanden zu lieben ohne Zurückweisung zu erleben. Die
verborgenen Wünsche
sind
fast wie das Heiligtum eines Tempels. Und drum herum sieht es
böse aus.
Wir erleben
überall, daß diese Wünsche von
außen, von anderen verstellt
werden. Das tut uns weh.
Darum kapseln wir uns ab. Wir zeigen anderen nicht mehr unseren
Kindertraum,
weil er
ja doch nicht erfüllt wird. Wir werden hart, verschlosssen,
unnahbar.
Wir nehmen die
Rollen an, die man uns vormacht. Und das zarte Fädchen der
Hoffnungen
des Kindes in
uns reißt ab. Die Hoffnungen werden in uns begraben. Wir
schweigen
sie tot. Wir
resignieren. Man kann ja doch nichts machen. Unsere
Kinderträume werden
uns selbst
zum Geheimnis. Und Gott kennt dieses Geheimnis. Gott weiß um
unsere
kindlichen
verborgenen Sehnsüchte. Und er sagt sie uns noch einmal.
Diesmal nicht
von innen
heraus, sondern durch Boten auf der Kanzel. Die dort Liebe predigen und
Frieden
und
Gerechtigkeit, die sprechen das aus, was die Kinder in uns sich
wünschen.
Darum wurmt
uns das Wort Gottes: Weil es unseren unterdrückten eigenen
Wünschen
zutiefst
entspricht. Gott will, was alle Kinder dieser Erde wollen, auch die
Kinder
in uns
Erwachsenen, die wir totschweigen: Blinde sehen, Taube hören,
Lahme
gehen, Bürgern
fallen die Scheuklappen ab. Kein Mensch soll gequält werden,
jeder soll
Vater und
Mutter haben, ein schönes Haus zum wohnen, einen Garten zum
Spiel, Essen
für alle
und Frieden auf der ganzen Welt. Das ist unsere Hoffnung, die
ärgerliche
Hoffnung
Gottes: Der einzige Schmerz, den es dann noch geben wird, ist der
Liebeskummer.
Gott sieht uns so, wie wir wirklich sind. Vor den Augen Gottes sind wir
wie
spielende
Kinder. Unser Lieblingsspiel ist heute Versteck n. Wenn Gottes Reich
anbricht,
werden
die Kinder Gottes andere Spiele spielen. Ihr Spiel wird die
Aufrichtigkeit,
die
Zärtlichkeit, das Schmusen, das vertrauende Erzählen,
das gemeinsame
Träumen sein.
Ich habe mir vorgenommen, schon jetzt so allmählich damit
anzufangen.
Amen.
Predigt
über Mk 1, 13-17
Friedenskirche: 27. Sept. 87
Essen ist eben mehr als nur Essen!
Liebe Kinder, liebe Eltern, liebe Älteren, liebe Alten!
Jesus war ein überaus unanständiger Mann. Vielleicht
hat er sogar
einen dicken
Bauch gehabt. Die Leute damals schimpften jedenfalls tüchtig
auf ihn:
"Guckt euch den
an, ein Fresser und Trinker! Seine Freunde hat er unter den
Zöllner,
diesen
Blutsaugern, und unter schlechten Menschen, die sich nicht an das
Gesetz
halten. Er
verkehrt in Zuhälterkreisen. Pfui. So ein
Schweinchen!"(Mt11,19) (Wir
versteigern
übrigens heute ein echtes Schweinchen auf dem Fest am
Nachmittag)
Noch genauer wird es berichtet, wie er bei Levi, einem
Zöllner, zu Gast
ist. Die
Zöllner waren damals ja so unbeliebt, weil sie den armen
Fischern und
Schäfern den
letzten Pfennig an Steuern wegnahmen im Auftrag der römischen
Besatzungsmacht,
ihr
kennt das freche Treiben der Römer ja von Asterix und Obelix,
aber in
Wirklichkeit floß
damals viel Blut und es ar noch schlimmer als heute in Chile oder
Südafrika.
"Und es begab sich, daß Jesus im Haus vom Zolleintreiber Levi
zum Essen
eingeladen war, und viele Zöllner und Sünder
saßen mit Jesus
und seinen Jüngern zu
Tisch, denn es waren viele, die mit ihm herumzogen. Und als die
Akademiker
unter den
besonders korrekt lebenden Pharisäern das sahen, wie er mit
den Zöllnern
und Sündern
aß, sagten sie zu seinen Jüngern, den erwachsenen
Schülern,
die mit Jesus durch das
Land zogen: "Warum ißt er mit Zöllnern und
Sündern? Ein anständiger
Mensch würde
sich doch nicht mit diesen Subjekten einlassen!" Und Jesus
hörte es
und sagte: "Nicht die
Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Ich bin
nicht gekommen,
die
Gerechten und Frommen zu berufen, sondern die Sünder." "
Jesus schämt sich nicht einmal dafür, daß
er mit dieser zweifelhaften
halbseidenen
Gesellschaft zusammenist, nein, er findet diese Mätzchen auch
noch gut.
Er bereut
nicht, er entschuldigt sich nicht, er bekennt sich zu dieser
Gesellschaft
der Sünder. Stellt
euch mal vor, ein hoher Politiker oder auch nur ein Pfarrer
würde angetrunken
auf einer
Partnertausch-Party eines kokainschnüffelnden höheren
Industriellen
oder auch nur in
einer kleinen bescheidenen Capacabana-Bar aufgefunden - ja schade
für
ihn! Er würde
schnell bereuen! Jesus bereut nicht. Er steht zu diesen Leuten und er
sagt:
Gott hat sie
lieb. Nicht, weil sie besonders toll sind, sondern umgekehrt, weil sie
besonders
herunter
sind. Gott hat eine besondere Sorge um die Menschen, die kaputt sind,
heruntergekommen, am Ende. Zu denen ist Jesus gekommen. Und
wahrscheinlich
sind
die Nachtclubmänner und Partnertauschpaare und
kokainsüchtigen
Industriellen eben
auc ganz wahnsinnig kaputt und brauchen Liebe, viel mehr Liebe, als die
Gesunden
Ehen und glücklichen Familien.
Jesus hat also mit kaputten Typen gefeiert, gegessen und getrunken.
Aber
manchmal,
da kamen Tage, wo die Gruppe um Jesus keinen Gastgeber hatte, keine
Möglichkeit
der
Übernachtung und keine Einladung zum Essen. Dann lebten sie
wie die
Vögel unter
dem Himmel: Sie säen nicht, sie ernten nicht, und ihr
himmlischer Vater
ernährt sie
doch! So nahmen Jesus und die Jünger sich einfach
Ähren vom Feld
und stillten damit
ihren Hunger. Und das am Sabbat, wo jeder Handschlag zur
Ernährung strengstens
verboten war! Mundraub in Tateinheit mit Sonntagsarbeit! Ein seltsam
ungesichertes
Leben, von der Hand in den Mund. So leben aber auch heute
täglich Millionen
von
Menschen, und weil man so heute kaum noch leben kann, sterben so heute,
heute
nur an
diesem einen Sonntag, 80.000 Menschen, doppelt soviel wie Bergkamens
Bürgerschaft.
Jesus hatte den Lebensstil armer Leute. Wir denken dabei an die Leute
von
Mandu
Tawahun, wo 40 Dörfer mit 20.000 Menschen in Sierra Leone
keinen einzigen
Arzt
haben und wofür wir heute ein Fest machen.
Jesus und Essen, da geht immer etwas schief. So erzählt Jesus
das Gleichnis
vom
Reich Gottes. Ein reicher Mann, sprich: Gott, veranstaltet ein riesiges
Fest.
Er hat alle
seine Freunde eingeladen. Und alle entschuldigen sich: Sie haben gerade
geheiratet
und
wollen die Braut testen, haben einen Acker zu kaufen oder sonstwas. Und
keiner
kommt
letztlich. Der Herr ist sauer. Und jetzt kommt die
eigentümliche Umkehrung:
Er lädt die
Krüppel, die Kranken, die Penner, Arbeitslose und alle ein,
die sich
auf der Straße
herumtreiben. Und mit denen geht dann die Party so r chtig los. So ist
Gottes
Welt, eine
verkehrte Welt.
So sagt Jesus immer wieder zu seinen Jüngern: Wer von euch der
Größte
sein möchte,
sei Diener aller anderen. Oder: Die Ersten werden die Letzten sein.
Oder:
Was ihr getan
habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan!
Wo derart unanständig alle natürlichen Ordnungen auf
den Kopf gestellt
werden und
den Leuten der Kopf verdreht wird, da ist es schon gar nicht mehr
verwunderlich,
daß
Jesus dann die Kinder segnet und ausdrücklich in seiner
Nähe haben
will: Wer das Reich
Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen! Waren
damals
Kinder
der letzte Dreck, noch hinter den Frauen, auf einer Stufe mit Hund und
Katze,
so wertet
Jesus sie als Vorhut des Gottesreiches auf. Er gibt ihnen in der
Gemeinde
einen Platz,
nicht unter den Erwachsenen, sondern als Vorbild vor, bei und mit
ihnen.
Darum taufen
wir eben auch Kinder im Gottesdienst und wenn heute schon
Wildelträger
am Computer
herumhacken, dann besteht keine Gefahr, wenn während des
Gottesdienstes
Kinder mit
oder ohne ihren Schnuller die Gemeinde lebendig machen. Der
Kindergottesdienst
ist
eher eine Verkümmerung des Willens Jesu: Laßt die
Kinder hineinkommen
in die
Predigt, in die Lehre, in das gemeinsame Nachdenken über das,
was Gott
will und was
wir tun können. Ich bin sehr stolz auf meine Katechumenen und
Konfirmanden:
Diese
kleinsten der Gemeinde haben die größte Summe Geld
zusammengesammelt
durch
ihren Mut, unbeirrbar von Haus zu Haus zu gehen, die Kunden mit ihren
vollen
Taschen
vor Plaza anzusprechen und um eine Spende für Afrika zu
bitten. Sie
haben
eintausendfünfhundert Mark zusammengesammelt, hier ne Mark, da
sogar
zwei Mark,
selte schon 5 Mark.
Einsam bist du klein, aber gemeinsam werden wir Anwalt des Lebendigen
sein,
das
haben unsere Konfirmanden uns gelehrt. Ihre Einsatzbereitschaft war
ungeheuer!
Sie
haben Nähe zu Gottes Welt.
Einsatz für das Leben - so könnte man die Geschichte
Jesu in einem
Wort benennen.
Jesus, der auf so unanständige Weise die Freundschaft Gottes
zu den
Kaputten und
Armen gelebt hat, bekam den Arm des Gesetzes zu spüren. Das
Kreuz ist
die Antwort
dieser Welt auf grenzenlose Liebe. Er hat es einfach
übertrieben mit
seinen Mätzchen.
In der Nacht des Passah-Festes haben sie ihn verhaftet zum
Schauprozeß.
Bevor sie
kommen, die Gestapo der israelitischen Machthaber, feiert Jesus noch
einmal,
feiert mit
seinen Jüngern das Fest der Befreiung, Befreiung aus der
Sklaverei im
ägyptischen
Städtebaudienst unter der Peitsche des Pharao. Jesus und seine
Jünger
feiern wie alle
Juden damals. Sie feiern Gott, der ihnen die Freiheit geschenkt hat,
dem
sie das Leben
in einem guten und wohlhabenden Land verdanken. Damals wurde ein Lamm
geopfert,
als Wegzehrung auf der Flucht in die Freiheit. Jetzt suchen die
Herrscher
wieder ein
Opfer. Jesus. Er flieht nicht. Er bleibt, geht in den Prozeß.
Er will
ein Zeichen der
Freiheit setzen, ein Zeichen des Widerstands. Er hat keine Angst. Ihn
können
sie nicht
durch Drohungen kleinkriegen. Er tut es, damit alle Welt sieht: Gottes
Liebe
zu den
Sündern, denen da unten, da ganz ganz unten - die braucht kein
Mensch
zu bereuen.
Gottes Liebe hört nicht auf, wenn die Drohungen kommen. Gott
opfert
sich für die da
unten. Er sagt denen da oben den Kampf an. Jesus sagt: Das ist mein
Leib,
mein Leben.
Das gebe ich für euch. Da ist mein Blut, meine Kraft, die
setze ich
für euch ein. Nichts
mehr steht zwischen Gott und euch kleinen Würstchen, euch
Sündern,
euch da unten.
Gott schlägt sich auf eure Seite. Ein für alle Male.
Atmet auf.
Er ist bei euch. Auch wenn
ich gehe, ans Kreuz.
Und wenn wir Abendmahl feiern in Erinnerung an diesen wunderbaren Mann
Jesus,
der so mutig und wunderbar unanständig für die Liebe
gelebt hat,
dann sollen wir
wissen, der Leib Christi hat damit eine neue Form angenommen. Er ist
nicht
groß und
fett, denn wir sind nur wenige, die sich engagieren gegen Armut, Hunger
und
Diktaturen. Aber dieser neue Leib Christi hat viele Glieder, die
einander
beistehen und
mutmachen. Das ganze Afrikafest ist so ein Beispiel, wie aus allen
Ecken
und Enden
kleine und große Hilfen kommen, um die Medizinische Station
in Mandu
Tawahun zu
errichten. So wächst Gottes Welt, in vielen kleinen und
winzigen Schritten
der Kleinen
und Kleinsten. Wächst heran zu einem großen
mächtigen Leib,
der Segen wirkt in der
Welt. Zu diesem Leib gehören nicht nur die klugen und
gebildeten, die
alten und
betagten Glieder, sondern auch die noch ganz ungeknickten und
unbefangenen
Glieder.
Zur Gemeinschaft des Leibes Christi gehören nicht nur unter
ferner liefen,
sondern
ganz besonders auch die Kinder hinzu. Wir werden unseren Kindern das
Leben
verdanken. Darum nehmen wir sie mit Freude hinein in den Gottesdienst,
in
das große
Gastmahl, in die Erinnerung an Jesus, den Kinderfreund und
Sünderfreund.
Wir sagen:
Jedes Kind darf kommen zum Tisch Gottes. Und es wird uns guttun, wenn
Kinder
nicht
daherkommen mit Problemen der Transsubstantiationslehre und Fragen des
Wie
der
Präsenz Christi in den Elementen, sondern einf ch und treffend
von der
eßbaren
Freundlichkeit Gottes sagen: Es hat gut geschmeckt und jeder hat was
abbekommen.
Amen.
Predigt
über Joh. 8,30-32
Friedenskirche:.11.10.87
Die Wahrheit wird euch freimachen.
Eingangspsalm 23 (Mein Liederbuch S. 15)
GM B12 Heillose Welt -
Kyrie /C12
Fürchte dich nicht - Ehre sei Gott
Kollektengebet ML S. 15
Christi Hände
Epistel Römer 8,22 - 39
Credo: Vertrauen (Mein Liederbuch S. 25 oben)
B77
Predigt
Einsam bist du klein - Kanon
Meditation
B 83
Taufe
Vertrauen und Segen (ML 28 mitte)
Unser Vater
Schützen (ML 26 mitte)
B 127
Liebe Schwestern und Brüder!
Lütge lügt - ein schönes Wortspiel. Oft
gehört, noch
wieder letzten Mittwoch im
letzten Pfarrerkreis. Lütge ist faul - solche Worte machen
frei. Ärger
macht sich damit
Luft, der anders nicht heraus kann, der nicht direkt formuliert werden
kann.
Der erste
Versuch, direkt miteinander zu sprechen, ohne Publikum, unter vier
Augen,
an einem
Tisch, ohne Telefon, kam vorgestern, zu spät. Über
die Grenzen
einer persönlichen
Abneigung zweier Kollegen, die am Anfang die halbe Nacht miteinander
telefonierten
und sich gut verstanden, über die Grenzen aller
persönlichen Kränkungen
und
hundepisserischer Rivalität zwischen uns beiden hinweg konnten
wir verstehen,
daß es
nicht reine Bosheit ist, die uns gegeneinander trieb, nicht Sadismus
und
brutaler
Machtkampf allein, sondern Befangenheit, Unfähigkeit, richtig
hinzuschauen
und
wahrzunehmen, Blockierungen im Erkennen. Wir beiden haben nach wie vor
die
gleichen politischen Optionen und das verbindet uns trotz aller
Spannung,
auch wenn
wir beide froh sind, einander nicht mehr zu begegnen: Unser Herz
schlägt
für die
Vernichtung aller Waffen auf der Welt, für Sättigung
aller Hungrigen
auf der ganzen
Welt und für einen sanften Umgang mit der Natur, die unsere
Mutter ist
und uns nährt
und trägt und immer noch erträgt. Unsere Arbeit war
immer besonders
offen für die
türkischen Mitbürger und Hausgenossen in unserer
Gemeinde, für
alle, die aufgrund
ihrer Nationalität oder Fähigkeiten benachteiligt
werden. Wir haben
gemeinsam
geworben für die atomwaffenfreie Zone, wir haben gearbeitet
für
Hilfsprojekte in aller
Welt - Cap Anamour, Äthiopien, Siebenbürgen, Mandu
Tawahun. Unsere
Arbeit war
immer an dem Motto Brot für die Welt orientiert. Damit hat
diese unsere
Gemeinde
eine Linie bekommen, auf die wir beiden beide stolz sind, trotz aller
Feinde,
die uns
diese Arbeit auch geschaffen hat. Diese Arbeit wird weitergehen. Dieser
Prozeß
ist nicht
umkehrbar. Diese Zielrichtung ist das Wirken des Geistes Gottes durch
alle
Irrtümer
und persönlichen Unvollkommenheiten hindurch. Wir haben das
nicht als
persönliche
Masche oder private politische Meinung, wie uns einige Leute
unterstellt
haben in dem
Teil Bergkamens, der Richtung Rußland gelegen ist. Wir folgen
in all
unseren
Bemühungen mehr schlecht als recht dem Willen Gottes. Gott
will Frieden,
Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Wir haben diese
iele sehr
massiv und
offensiv, ich vielleicht manchmal auch aggressiv, aber nicht banal,
vertreten
und ich bin
dabei so manchem auch auf den Schlips getreten, der in der besseren
Saunahälfte
von
Monopol seine Beziehungen unterhält und herumkunkelt. Ein
Amtsbruder,
der immer
bedauert hat, daß wir evangelischen Geistlichen keine
für militärische
Empfänge in der
Glückaufkaserne würdevolle Amtsrobe besitzen, hat
Anstoß
genommen, als ich mit
Talar und Bibelsprüchen die Bundeswehr besucht habe. Allein
das, was
jeder
Militärpfarrer jeden Sonntag tut, wurde bei mir schon ganz
richtig als
herbe Kritik an
der Bundeswehr gesehen, die es sich nicht nehmen
läßt, ihre Soldaten
in Uniform zum
Traualtar zu schicken. Und so gab es einige Konflikte, bei denen ich
noch
nicht einmal
richtig losgelegt hatte und schon war für gewisse Leute schon
der Ofen
aus. Ich habe
richtig dicke Feinde gewonnen in den viereinhalb Jahren hier. Ich bin
z.B.
sicher, daß die
Entscheidungträger der Stadt für unsere Teestube
keine müde
Mark locker machen
werden, um mich zu treffen. Nur sie treffen die Jugendlichen, die von
der
Stadt hier im
Umkreis überhaupt nichts angeboten bekommen.
Ich habe richtig dicke Feinde. Ich habe sie nicht ersehnt, aber sie
machen
mir auch
nicht viel aus. Das gehört zum Christsein dazu. Ich habe auch
einige
Freunde, nicht
dicke, aber treue und kritische und unbeirrbare. Deshalb fällt
mir der
Abschied nicht
schwer. Sie werden mir bleiben. Aber was mir schwerfällt ist
so ein
ganz sentimentales
Gefühl, zu erleben, wie ich in dieser Gemeinde mit Skepsis und
Vorbehalten
aufgenommen wurde und wie sich nach vier Jahren daran sehr viel
geändert
hat. Liebe
Gemeinde, ihr habt mich trotz meiner langen Haare, trotz meiner
Lederhose
und
ordinären Sprüche ertragen und habt hinter die
Kulisse geguckt
und habt mich so
genommen wie ich bin: kein Heiliger, sondern ein Sünder,
ungeschickt,
unfertig, unreif.
Und ihr habt mir trotzdem zugehört und euch auf das Wort
Gottes in der
Form, wie ich
es euch gesagt habe, eingelassen. Was hier passiert ist: Am Anfang
waren
die
Gottesdienste für mich kühl und steif. Jetzt bin ich
hier zuhause.
Wir sind
zusammengewachsen. Ihr habt mich aufgenommen. Das ist das, was ich
unter
Gemeinschaft der Heiligen verstehe: Eine Kirchengemeinde, die selbst so
einen
Hippietyp wie mich aufnimmt. Das ist schon richtig Liebe. Ich habe mich
darüber
sehr
gefreut. Nicht daß ich meine Art zu leben für die
einzig richtige
halte. Aber ihr habt
nicht versucht, mich umzukrempeln, ihr habt mir meine Art zu leben
gelassen
und ich
hoffe, ich habe euch eure Art zu leben auch gelassen. Wir haben ganz
gut
gelernt,
miteinander auszukommen. Ich weiß, ich hätte mich
noch mehr um
euch kümmern
müssen, war zuviel mit Jugendarbeit zugange. Aber glaubt mir,
faul war
ich nicht. Und
dieses Zusammenwachsen zu einer lebendigen Gemeinschaft, das hat mir
gutgetan
und
mir den Glauben gegeben, daß es das gibt: Kirche als Gemeinde
Gottes,
als
Liebesgemeinschaft in der Welt. Eigentlich ist es fast eine kleine
Liebeserklärung,
die
ich euch heute mache: Bei allem Streß des Pfarramts, ich war
drauf
und dran, mich in
diese Gemeinde zu verlieben. Für meine Freunde hatte ich immer
weniger
Zeit. Und
das ist sehr bedenklich.
Wenn ich jetzt gehe, dann tue ich es mit schwerem Herzen. Ich habe viel
von
euch
gelernt. Ich hoffe, ihr auch von mir.
Ich gehe, weil ich nicht länger mehr ertragen kann, wie einer,
der einmal
väterlicher
Freund war, sich zum Rivalen entwickelt hat. Ich will nicht
länger diese
Rivalität. Das
sind Sandkastenspiele, aber nichts für eine gute
Kirchengemeinde. Liebe
Freunde! Ich
will nicht mehr. Ich will nicht mehr der kleine Doofe sein neben dem
großen
Meister.
Ich bin das nicht. Ich will auch nicht der beliebtere Jüngere
neben
dem in die Ecke
gedrängten Älteren sein. Ich will überhaupt
nicht mehr ständig
gemessen oder
verglichen werden mit meinem Kollegen. Ich will als ein ganz normaler
Mensch
unter
anderen leben. Ich will nicht mehr groß sein. Ich will so
mittelmäßig
sein dürfen, wie
mich Gott geschaffen hat. Ich brauche jetzt Ruhe. Zeit zum Nachdenken
über
mich,
über das, was ich wirklich will, was ich kann, womit ich
anderen dienen
kann. Ich bin den
Streß des Pfarramts leid, jeden Tag zwischen 10 und 15
Stunden herumrödeln
und unter
seelischer Spannung und das bei meiner Trotteligkeit. Ich muß
zu mir
selbst kommen, zu
innerer Klarheit. Darum will ich mich in den kommenden Jahren intensiv
um
Psychoanalyse kümmern. So wie jetzt geht es nicht mehr weiter.
Die Arbeit
frißt mich
auf. Ich will erst wieder ins Pfarramt, wenn ich den inneren Ruhepol
gefunden
habe,
ganz und gar aus der Kraft Gottes zu leben. Ich brauche Zeit, um aus
der
Verzettelung
der auf den Pastor konzentrierten Gemeindewünsche
herauszukommen. Jesus
ist gerne
auf einen einsamen Berg gegangen und hat da gebetet. Ich will das
zusammen
mit dem
Analytiker versuchen: Zu Gottes Kraft in mir vorzudringen. Zu meinen
Energien.
Der
Weg dazu ist lang. Ich werde viel nachdenken und nacherleben
über all
die Blockaden in
meiner Wahrnehmung. Ich werde den Balken in meinen Augen sehr genau
angucken
lernen. Die Wahrheit wird euch freimachen. Ich freue mich darauf.
Wir hatten viele Konflikte. Manche Leute hatten Angst, mir ihre Meinung
persönlich
zu sagen. So traten immer liebe Kollegen als Fürsprecher
meiner ängstlichen
Kritiker
auf und gaben die gehörte Kritik weiter,
selbstverständlich nicht
als eigene Kritik,
sondern nur referierend. Es ging immer alles um drei Ecken. Besonders
gut
hintenrum.
Und hintenrum und hinterrücks kamen dann viele Dinge mit
hinein, die
schief waren.
Das hat mir nie gefallen, auch nicht, wenn ich über andere
getratscht
habe. Es ist ein
schlechtes Luftablassen. Es disqualifiziert den Tratscher selbst fast
noch
mehr als den
Betratschten. Ich will das nicht mehr. Die Wahrheit wird euch
freimachen.
Ich will
sagen, was ich denke. Ich will sagen, was ich glaube, und ich will
sagen,
was ich fühle. Ich
muß raus aus dem Hintenrum. Ich versuche das jetzt in dieser
Predigt.
Ich versuche das
durch die Abberufung von hier und durch die Psychoanalyse-Ausbildung.
Ich
leiste mir
den Luxus, auf meine Magenschleimhautentzündung, meine
Rückenschmerzen
und die
Grippalinfekte zu hören: Mein Körper sagt mir: Da
stimmt was nicht.
Ich habe nahezu
vier Jahre meine Körper überhört. Er ist
immer kränklicher
geworden. Die Wahrheit
wird euch freimachen. Und die Wahrheit meines Leibes ist: Raus, weg von
dem
kränkenden Dauerkonflikt, weg von dem kränkenden
"Lütge lügt",
"Lütge ist faul",
"Lütge macht Mätzchen".
Wir haben an diesem Wochenende das erste Mal in unserer Kirche einen
Meditations-Workshop. Da lernen wir, auf unseren Körper zu
hören.
Wir lernen in all
den Entspannungsübungen, wie empfindlich und verletzlich
unsere Seele,
unser Leib als
Ausdruck unserer Seele ist. Der Weg ist nicht, die Schmerzen zu
ignorieren,
die Zeichen
der Krise blind zu übersehen. Wer sein Fleisch kreuzigt, wird
auch über
andere Leichen
gehen. Der Weg ist, auf die Stimme des Körpers zu
hören und mit
den inneren Kräften in
Kontakt zu kommen. Die Spannungen und Gefühle unseres
Körpers sind
untrügerische
Zeichen. Der Leib lügt nicht. Der Körper sagt die
Wahrheit. Er
erinnert uns an Gefühle,
die wir längst verdrängt haben und die gleichwohl in
uns warten,
warten auf ihre
Wiederentdeckung, ihre Auferstehung im Fleisch. Ich möchte
lernen, auf
die Wahrheit
meines Körpers zu achten und zu hören. Die Wahrheit
wird euch freimachen.
Die
Wahrheit Jesu Christi ist nicht gegen den Körper. Das Wort
ward Fleisch
und wohnte
unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit. Die Herrlichkeit Gottes
gibt
es auf unserer
Welt eben nun einmal nur in Fleisch und Blut verpackt, und das will
satt
werden, warm
bleiben und Ruhe finden. Ganz einfach, wie es meine Katze Mia von ihrer
Geburt
an
gleich richtig gemacht hat. Amen.