RAD im Pott, Ausgabe Frühjahr 1996:

Oberstadtdirektor zu Gast bei EFI/ADFC, Teil 2

Im vergangenen Herbst war Essens neuer Oberstadtdirektor Hermann Hartwich zu Gast bei EFI und ADFC. U.a. hat er sich bei dem Gespräch trotz aller finanziellen Probleme für das Verbleiben der Stadt in dem Förderprogramm "Fahrradfreundliche Stadt" ausgesprochen. In diesem Zusammenhang sieht Hartwich durchaus eine Existenzberechtigung für den Radverkehr in Essen. Allerdings lehne er eine "ideologische" Verdrängung oder Beschränkung des Autoverkehrs ab, gehe sogar von einem "Rechtsanspruch des Autofahrers auf der Straße" aus. Dennoch attestiere er sich auch eine Bereitschaft zur Meinungsänderung bzw. Lernfähigkeit. So wünsche er zukünftig regelmäßige Informationen durch seine Mitarbeiter bei der Stadt über die weitere Entwicklung beim Radverkehr in Essen. Außerdem rege er eine verstärkte Überzeugungsarbeit für eine andere Verkehrspolitik an. Fahrradfreundlichkeit sei seiner Meinung nach dann erreicht, wenn beispielsweise die Innenstadt für Radfahrer aus allen Richtungen sicher erreichbar sei. Dieses Ziel eines umfassenden Radrouten netzes sei aber nicht gegen eine Mehrheit der (autofahrenden) Bevölkerung zu verfolgen. Trotzdem stimme er zu, daß bei bestimmten Problemfällen (z.B. räumlichen Engpässen, bei denen der Autoverkehr deutlich zurückstecken müßte) auch einmal pro Radverkehr entschieden werden könne. Die berühmte Einzelfallentscheidung...

Bezogen auf die Frage über die personelle Ausstattung der Verwaltung bei Radverkehrsangelegenheiten machte der neue Oberstadtdirektor darauf aufmerksam, daß in den kommenden Jahren bis zu 2000 Stellen eingespart werden müssen. Dennoch könne er sich vorstellen, daß hier durch interne Umstrukturierung Verstärkung möglich sei. Allerdings müsse entsprechender Bedarf durch das zuständige Fachamt nachgewiesen werden. Ansonsten unterstütze er nachhaltig die in einigen Bereichen bereits laufenden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (z.Zt. etwa 1.000 Personen). Hier könne er sich durch Haushaltsumschichtung auch noch eine Erweiterung vorstellen. AB-Maßnahmen seien für ihn gegenwärtig die effektivste Art, Haushaltsmittel zu nutzen. In diesem Zusammenhang sagte er zu, bei Radverkehrsmaßnahmen, die angesichts des erst im Herbst 1995 genehmigten Etats nicht mehr durchgeführt werden konnten, zu prüfen, ob und in wie diese ins kommende Jahr "gerettet" werden können. Angesprochen auf die bisweilen nur zögerliche Bereitschaft der Verwaltung zur Zusammenarbeit mit EFI und ADFC bei den regelmäßig stattfindenden Arbeitskreisen Radverkehr (einer angesiedelt im Tiefbauamt, der andere im Umweltamt), zeigte er Verständnis und sagte auch hier eine "Prüfung" zu. Er sei in jedem Fall ein Anhänger verstärkter Bürgerbeteiligung, wenn auch nicht in allen Sachfragen. Bezüglich der in den Arbeitskreisen immer wieder auftauchenden Streitfrage, ob dem klassischen Radwegebau oder auf der Fahrbahn befindlichen Radfahrstreifen den Vorzug gegeben werden solle, befürwortete der Oberstadtdirektor eindeutig letztere. Hier habe er auch die Zusage der zuständigen Planungs- und Baudezernentin Dr. Wiese-Von Ofen. Falls er forderlich, könnten EFI und ADFC mit dem Hinweis auf diese "Chefzusage" Druck ausüben. Am Schluß der Diskussionsrunde kamen noch einige besondere Knackpunkte zur Sprache, die den anwesenden EFI/ ADFC-Mitgliedern besonders am Herzen lagen. So z.B. die anfänglich bereits erwähnte Marktstraße in Borbeck. Hier sagte Hartwich eine erneute Prüfung durch das Tiefbauamt zu. Ebenso gab er die Zusage, bei in Kürze anstehenden Gesprächen mit der Deutschen Bahn AG und der Messe Essen die noch fehlenden Grundstücksteile für den zukünftigen Rad-/Gehweg Gruga - St. Annental mit auf die Tagesordnung zu bringen. Auch das Thema Fahrradstation im Hauptbahnhof unterstütze er und werde es als "Chefsache" ansprechen. Als Fazit des ausgesprochenen ergiebigen Gespräches mit dem neuen Oberstadtdirektor läßt sich feststellen, daß die zugegebenermaßen nicht sonderlich hoch gesteckten Erwartungen übertroffen wurden, obwohl Hermann Hartwich viele seiner Zusagen recht wage formulierte. Festhalten läßt sich jedoch, daß der Rad verkehr auch in der Essener Verwaltungsspitze endlich einen festen Stellenwert gefunden zu haben scheint.

Jörg Brinkmann


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