RAD im Pott, Ausgabe Frühjahr 1996:

Umweltverbund erleidet Rückschläge

SPD-Verkehrspolitik auf der Kippe?

Essen - eine Asphaltwüste. Ein Umstand, an dem sich bis heute immer noch nicht viel geändert hat. Jahrzehntelang ist der Autoverkehr einseitig gefördert worden, wobei alle anderen Verkehrsteilnehmer, Fußgänger, Bus- und Bahnbenutzer und Radfahrer gewaltig ins Hintertreffen geraten sind. Zu Beginn der 90er Jahre schien jedoch eine Trendwende sichtbar zu werden. Da propagierte die SPD, die einen großen Teil der verfehlten Verkehrspolitik zu verantworten hatte, auf einem extra einberufenen Parteitag die "Verkehrswende". Und es wurden auch einige entsprechende Entscheidungen getroffen, so z.B. die Ablehnung der Autobahn A 52 durch den Essener Norden sowie der Bundesstraße B 227n durch das Land schaftsschutzgebiet Asbachtal. Daß aber von dieser "Verkehrswende" die umweltfreundlichen Verkehrsteilnehmer profitierten, läßt sich nur im Ansatz erkennen. So ist Essen Mitglied im Förderprogramm "Fahrradfreundliche Stadt" geworden, aber diesbezügliche Fortschritte kommen recht langsam voran. Hier hat sich überwiegend die Verwaltung positiv hervorgetan, die Politik ließ allenfalls in einigen Bezirksvertretungen etwas von sich hören. Und wenn dann doch einmal fortschrittliche Maßnahmen umgesetzt werden sollten, geschah dieses so unglücklich, daß der umgekehrte Effekt erzielt wurde - siehe Gemarkenstraße.

Insgesamt ist Essen von einer wirklich umweltfreundlichen Verkehrspolitik, wie sie z.B. in Freiburg, Bremen und Münster betrieben wird, immer noch meilenweit entfernt. Und trotzdem hat die SPD offensichtlich den Rückwärtsgang eingelegt. Bekanntestes und meistdiskutiertes Beispiel ist die mittlerweile beschlossene Stilllegung der oberirdisch fahrenden Straßenbahn in Altenessen zugunsten einer vierspurigen Schnellstraße bzw. einer U-Bahn, die von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird und zudem noch auf Teilstrecken eine andere Linienführung aufweist. Inzwischen wird sogar von einer vorgezogenen Stillegung der Straßenbahn gesprochen, obwohl die U- Bahn noch lange nicht fertig ist. Daß die geplante verkehrsberuhigte Führung der Altenessener Straße im Zentrum von Altenessen auch schon wieder zur Disposition steht, obwohl die schnellstraßenmäßig ausgebaute Wilhelm-Nieswandt-Allee unmittelbar parallel läuft, wundert dann auch nicht mehr. Aber damit nicht genug. Bei der derzeitig geführten Diskussion um eine beschleunigte Führung der Straßenbahn auf der Steeler Straße mit gleichzeitig erweiterten Radverkehrsanlagen scheinen nun maßgebliche Teile der SPD auch hier kalte Füße zu bekommen. Ein Grund: Es entfielen zu viele Parkplätze. Das trifft aber nur an wenigen Stellen zu. Zweiter Grund: Ein vierspuriges Befahren der Steeler Straße sei nicht mehr möglich. Das ist es aber auch heute schon nicht mehr, wegen der vielen parkenden Autos. Daß die SPD wieder zu einer autoorientierten Partei zu werden droht, belegen auch andere Beispiele: So hört man vom jahrelang diskutierten Weiterbau der U 17 über die Margarethenhöhe hinaus zur Karstadt-Hauptverwaltung nichts mehr. Aber dafür um so mehr von der Weiter führung der A 52 mitten durch den dicht besiedelten Essener Norden. Diese Autobahn ist (neben CDU und FDP) auch von einigen maßgeblichen SPD-Leuten wieder gezielt ins Gespräch gebracht worden. Das erscheint um so bedenklicher, wenn man sich vor Augen hält, daß der Essener CDU-Chef Königshofen nach seinem Einzug in den Bundestag 1994 ausgerechnet in den Verkehrsausschuß gewählt wurde und dort nun ebenfalls den Weiterbau der A 52 betreibt. Und wie fix so etwas gehen kann, zeigt das Beispiel Bochum mit dem drohenden Weiterbau der berühmt berüchtigten DüBoDo (A 44). Die Nachbarstadt, bislang als Gegner dieser unseligen Verbindung bekannt, ist vor wenigen Wochen umgekippt. Stellt sich die Frage, ob Essen mit seinem Baustop der A 44 und der damit verbundenen B 227n langfristig standhaft bleiben wird. Noch weitere Beispiele gefällig? Statt auf der Alfredstraße (B 224) den von vielen Bürgern gewünschten Busverkehr zwischen Bredeney und der Innenstadt (1986 eingestellt) wiederaufzunehmen, plant man sogar einen sechsspurigen Ausbau der Straße. Dafür ist man von einer Abdeckung des Ruhrschnellweges (A 40) im hochbelasteten Essener Westen weiter entfernt denn je. Außerdem ist Essen bislang eine der ganz wenigen Städte, die keine Niederflur-Straßenbahn besitzen. Was können wir Radler bzw. die anderen umweltfreundlichen Verkehrsteilnehmer noch von einer SPD erwarten, die sich offensichtlich wieder dem Auto zuwendet und damit die Umwelt hintenanstellt? Düstere Aussichten, wenn sich diese Politik durchsetzt.

Jörg Brinkmann


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