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Das Siegel
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Bildbeschreibung
Was ist geistige Behinderung ?
Klassifikation von geistiger Behinderung nach ICD-10
und DSM-IV
Ursachen von geistiger Behinderung
Häufigkeit des Auftretens von geistiger Behinderung
Entwicklungsverlauf bei geistig behinderten Kindern
Verhaltensstörungen bei geistiger Behinderung
Ursachen von psychischen Störungen und Verhaltensstörungen bei geistig Behinderten
Soziale Kompetenz
Selektive Wahrnehmung
Soziale Informationsverarbeitung bei Kindern
Überprüfung der sozialen  Informations- verarbeitung bei geistig behinderten Kindern
Aufmerksamkeitsverhalten bei geistig behinderten Kindern
Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Emotionen und sozialer Kompetenz bei Kindern
Trainingsprogramme zur Verbesserung der sozialen Kompetenz
Literatur
pix Dr. Sven Bielski - Geistige Behinderung und soziale Kompetenz
Entdeckungen 1 Entdeckungen 2 Entdeckungen 3 Entdeckungen 4 Entdeckungen 5
 
   
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Häufigkeit des Auftretens von geistiger Behinderung



Sander (1973) beschreibt in einem Gutachten für die Bildungskommision des deutschen Bildungsrates die Häufigkeit und Verbreitung von sonderschulbedürftigen Behinderten in der Bundesrepublik. Er gibt an, daß amtliche Behindertenstatistiken für im Schulpflichtalter stehende Personen nicht geführt werden. Die bis zu diesem Zeitpunkt durchgeführten Prävalenzstudien werden von ihm auf Grund vorliegender Mängel kritisiert. Häufig wurden Schulleiter befragt, wieviel ihrer Schüler sie als geistig behindert einstufen würden. Die Definition von geistiger Behinderung wurde in diesen Studien also den Befragten überlassen. Die Reliabilität dieser Untersuchungen ist deshalb durchaus als fragwürdig anzusehen. Bei einer Zusammenfassung der Studien und Expertenschätzungen kommt er zu folgendem Resultat: „Wir kommen daher zusammenfassend zu der Annahme, daß durchschnittlich 0,6% der Kinder im Schulpflichtalter als sonderschulbedürftige geistig Behinderte zu betrachten sind" (S. 36).

Bach (1990) gibt an, daß eines von 200 Kindern geistig behindert ist. Dieses entspricht ebenfalls einer Quote von 0.6%. Er bezieht sich auf verschiedene, von ihm nicht näherbeschriebene, Untersuchungen. Auch Speck (1980) und Rauh (1995) geben einen Anteil von 0.6% geistig Behinderter in Deutschland an.

Wendeler (1993) bezieht sich auf eine Studie von Liebmann und behauptet: „Die Häufigkeit geistiger Behinderungen ist bei Jungen höher als bei Mädchen" (Wendeler, 1993, S. 22). Er gibt für Jungen eine Prävalenz von 2.9% und für Mädchen von 0.54% an. Auch Baird und Sadovnick (1985) stellen eine leicht erhöhte Prävalenz bei Jungen fest (vgl. Tabelle 5). Katusic et al. (1995) stellen allerdings in ihrer Untersuchung eine erhöhte Prävalenz bei Mädchen fest.

Katusic et al. (1995) haben die Häufigkeit geistig behinderter Kinder in einem Geburtsjahrgang (n = 5919) in Rochester (Minnesota) untersucht. Sie stellen eine Prävalenz von 0.91% fest. Dabei ist die Prävalenz für leichte geistige Behinderung 0.42% und für schwere geistige Behinderung 0.49%. Bei Jungen stellen sie eine höhere Prävalenz für leichte geistige Behinderung fest; 0.53% für leichte und 0.29% für schwere geistige Behinderung. Bei Mädchen stellen sie ein umgekehrtes Verhältnis fest. Die Prävalenz beträgt für leichte geistige Behinderung 0.31% und für schwere geistige Behinderung 0.69%.

In einer Untersuchung bei 12058 Kindern eines Geburtsjahrganges in Nordfinnland haben Rantakallio und von Wendt (1986) einen Anteil von 0.74% schwer geistig Behinderter (Einstufung severe IQ < 50) bestimmt. 0.5% der Kindern konnten von ihnen in die Kategorie leicht geistig behindert (IQ 50-70) eingestuft werden. 1.34% dieser Kinder sind nach ihren Ergebnissen in die Kategorie mental subnormality (IQ 71-85) einzuordnen.

Baird und Sadovnick (1985) untersuchten die Häufigkeit des Vorkommens von geistig Behinderten in British Columbia, Kanada. In British Columbia wird seit 1952 ein zentrales Behindertenregister geführt. Nach diesem Register ergibt sich eine Quote von 0.77% geistig Behinderter im Alter von 15-29 Jahren. Die Einteilung der Behinderungsgrade wird in diesem Register anhand der ICD 9 Klassifizierungen durchgeführt (ICD 9 und ICD 10 IQ-Werte sind identisch, vgl. Punkt 1.1.4). Die genauen Ergebnisse können Tabelle 5 entnommen werden. Angemerkt werden muß, daß mit Borderline der IQ Bereich zwischen 70 und 90 klassifiziert ist. Da diese Klassifikation nicht in den Bereich der geistigen Behinderung fällt, ist in der letzten Spalte von Tabelle 5 das Gesamtergebnis ohne Borderlinefälle hinzugefügt worden. Die Prävalenz von geistig Behinderten beträgt nach dieser Korrektur 0.56%.

 
 

    Tabelle 5: Geschlechtsspezifische Prävalenz für geistige Behinderung bei 15-29jährigen in British Columbia im Jahre 1982 (aus Baird und Sadovnick, 1985, S. 327)
 
Männer 
 
Frauen 
 
Gesamt 
 
Klassifikation
n
Prävalenz 
n
Prävalenz 
n
Prävalenz 
Borderline 
927
 2,5 
616 
1,7
1543
 2,1
Mild 
701
 1,9 
520 
1,4 
1221 
1,7
Moderate 
 473
1,3 
354 
827 
1,1
Severe
 266 
0,7 
188 
 0,5
454 
0,6
profound 
220 
0,6 
 173
 0,5 
393
0,5
Unspezifiziert 
692
1,9 
 579 
1,6 
1271
1,7
Gesamt 
3279 
8,8 
2430
 6,6
5709
 7,7
Gesamt (o. Borderline)
2352
6,4 
1814
5
4166
 5,6

Die Ergebnisse dieser Studie sind allerdings vorsichtig zu interpretieren, da für ca. ein viertel der Fälle keine IQ-Werte vorliegen.

Sonnander, Emanuelsson und Kebbon (1993) untersuchten die Häufigkeit von geistiger Behinderung in Schweden. Sie geben einen Anteil von 0.44% von geistig Behinderten an. Der Anteil von leicht geistig Behinderten (mild mentally retarded) beträgt nach ihren Angaben weniger als 25% an der Gesamtgruppe der geistig Behinderten.

Vollkommen von den bisherigen Studien abweichende Ergebnisse beschreibt McDermott (1994). Sie errechnete anhand von Angaben aus 92 verschiedenen Schulbezirken in Süd Carolina Prävalenzzahlen für geistige Behinderung und für Lernbehinderung. Für geistige Behinderung ergibt sich danach eine Prävalenz von 0.42%. Leichte geistige Behinderung (educable mental handicap) hat danach eine Prävalenz von 0.37%, schwere geistige Behinderung (trainable mental handicap) eine Prävalenz von 0.036% und sehr schwere geistige Behinderung (profound) eine Prävalenz von 0.067%. McDermott (ebd.) geht davon aus, daß viele der als geistig behindert eingestuften Kinder aufgrund von sozioökonomischen Faktoren klassifiziert wurden. Sie beschreibt weiterhin, daß viele Kinder, die ein langsames Lerntempo zeigen, mit der Einstufung mild metal retardation versehen werden. Außerdem nimmt sie an, daß in den meisten Fällen nicht nach der AAMR-Richtlinie klassifiziert wurde. Sonnander et al. (1993) erklären den hohen Anteil der mild mentally retarded an der Gesamtgruppe der geistig Behinderten in den USA unter anderem damit, daß in den Vereinigten Staaten eine Diagnosenstellung es vereinfacht, soziale Hilfsleistungen des Staates zu erhalten.

Die betrachteten Prävalenzangaben, bei Ausklammerung der Studie von McDermott, schwanken zwischen 0.44% und 1.29%. Ausgehend davon, daß die Stichproben der dargestellten Studien nicht repräsentativ sind, daß der IQ mit verschiedenen Meßverfahren erhoben wurde oder teilweise sogar nur geschätzt wurde und daß den Untersuchungen unterschiedliche Definitionen von geistiger Behinderung zugrunde lagen, ist von einer Prävalenz für geistige Behinderung auszugehen, die im Bereich zwischen 0.5% und 1% liegen könnte. Diese Einschätzung deckt sich in etwa mit der Einschätzung im DSM-IV (vgl. Saß et al., 1996). Hier wird von einer Prävalenz von circa einem Prozent ausgegangen, aber auch eingeräumt, daß die Prävalenzangaben  in verschiedenen Studien aufgrund der unterschiedlichen Definitionen, Ermittlungsmethoden und untersuchten Populationen erheblich variieren.

Da den schweren geistigen Behinderungen in der Regel eine organische Ätiologie zugrunde liegt, ist nicht davon auszugehen, daß sich die Prävalenz in verschiedenen Staaten der westlichen Hemisphäre stark von einander unterscheidet. Lediglich bei den leichteren Formen von geistiger Behinderung sind, aufgrund von differierenden Sozialstrukturen und verschiedenen Bildungs- und Fördersystemen, unterschiedliche Prävalenzen in den einzelnen Ländern zu erwarten.