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Das Siegel
Naturwissenschaften Ingenieurwissenschaften Geisteswissenschaften Medizinische Einrichtungen Zentrale Einrichtungen
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Bildbeschreibung
Was ist geistige Behinderung ?
Klassifikation von geistiger Behinderung nach ICD-10
und DSM-IV
Ursachen von geistiger Behinderung
Häufigkeit des Auftretens von geistiger Behinderung
Entwicklungsverlauf bei geistig behinderten Kindern
Verhaltensstörungen bei geistiger Behinderung
Ursachen von psychischen Störungen und Verhaltensstörungen bei geistig Behinderten
Soziale Kompetenz
Selektive Wahrnehmung
Soziale Informationsverarbeitung bei Kindern
Überprüfung der sozialen  Informations- verarbeitung bei geistig behinderten Kindern
Aufmerksamkeitsverhalten bei geistig behinderten Kindern
Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Emotionen und sozialer Kompetenz bei Kindern
Trainingsprogramme zur Verbesserung der sozialen Kompetenz
Literatur
pix Dr. Sven Bielski - Geistige Behinderung und soziale Kompetenz
Entdeckungen 1 Entdeckungen 2 Entdeckungen 3 Entdeckungen 4 Entdeckungen 5
 
   
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Verhaltensstörungen bei geistiger Behinderung

Castell, Biener, Artner und Dilling (1981) untersuchten in einer repräsentativen Querschnittsuntersuchung die Häufigkeit von psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern. Sie kamen zu dem Ergebnis, daß 5%, der von ihnen untersuchten 3.0 bis 14.11jährigen Kinder als psychisch gestört klassifiziert werden konnten.

Eine Expertenkommission hat im Auftrag der Bundesregierung im Jahre 1988 festgestellt, „...daß mindestens fünf Prozent aller Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre kinder- und jugendpsychiatrisch behandlungsbedürftig sind. Weitere 10 bis 13 Prozent zeigen Verhaltensstörungen oder psychische und soziale Auffälligkeiten" (Junglas, 1990, S. 94).

Jacobson (1990) wertete die Daten einer großen Population (n= 42479) geistig Behinderter im Hinblick auf das Vorkommen von psychischen Störungen aus. 8496 Personen (20%) erhielten die Doppeldiagnose psychische Störung und Entwicklungsstörung. 33983 Personen (80%) wurden nur als entwicklungsgestört eingestuft. Es muß allerdings angemerkt werden, daß in der Untersuchung ein Anteil von ca. 30.3% der Einstufung ‘mild mental retardation’ zugeordnet war. Diese Einstufung entspricht, wie bereits mehrfach erwähnt, nicht unbedingt dem deutschen Terminus der geistigen Behinderung. Jacobson differenzierte die Gesamtgruppe in zwei Teilgruppen. In der ersten Gruppe wurden die geistig Behinderten bis 22 Jahre zusammengefaßt, in der zweiten die über 22jährigen.

 

Tabelle 6: Häufigkeit des Vorkommens psychischer Störungen bei geistig Behinderten ( vgl. Jacobson, 1990, S. 588)
 


         
Wir erkennen anhand von Tabelle 6, daß Verhaltensstörungen im Kinder- und Jugendalter, genau wie bei nicht geistig behinderten Personen, bei Jungen gehäufter auftreten als bei Mädchen. Nach Angaben des DSM-III-R kann bei 9% der Jungen und bei zwei Prozent der Mädchen eine Störung des Sozialverhaltens diagnostiziert werden (Wittchen, Saß, Zaudig & Köhler, 1991).

Ansonsten sehen wir ein deutlich geringes Auftreten von psychischen Störungen bei geistig Behinderten im Alter von über 22 Jahren. Die niedrigen Raten dieser Gruppe erklärt Jacobson (1990) mit dem Ausschluß eines Teils der Fälle aufgrund unspezifizierter Diagnosen.

Anhand der dargestellten Untersuchungen können wir feststellen, daß psychische Störungen bei geistig behinderten Kindern und Jugendlichen erheblich öfter auftreten, als bei nicht Behinderten. Dem von Jacobson ermittelten Anteil von 25.67 % psychisch gestörter Kinder und Jugendlicher, steht ein Anteil von 5% bei der Normalbevölkerung entgegen. Es muß allerdings einschränkend angemerkt werden, daß beide Untersuchungen aufgrund der unterschiedlichen Stichproben nicht direkt miteinander vergleichbar sind.

Matson , Gardner, Coe und Sovner (1991) beschreiben die psychischen Störungen einer Gruppe von 506 amerikanischen erwachsenen geistig Behinderten, die nach dem Diagnoseschema der AAMR (vgl. Punkt 1.1.2) als severely mental retarded (32.3%) und profoundly mental retarded (62.7%) eingestuft wurden. Es zeigten 45.8% der Stichprobe selbstverletzendes Verhalten. 37.7% zeigten Steorotypen. Probleme der Impulskontrolle wurden bei 72.9% der Stichprobe diagnostiziert. Psychiatrische Störungen der Gruppen eins und zwei des triadischen Systems der Psychiatrie (vgl. Huber, 1994) wurden erheblich weniger diagnostiziert. Beispielsweise wurden schizophrene Störungen nur bei 0.6% der Stichprobe festgestellt.

Lotz und Koch (1994) geben einen Überblick über 75 durchgeführte Studien zur Fragestellung des Auftretens von psychischen Störungen bei geistig Behinderten. Sie zeigen, daß in der Bundesrepublik bislang drei Studien zu dieser Fragestellung durchgeführt worden sind. Drei viertel der Studien insgesamt sind in den USA und in Großbritannien erstellt worden. Die beiden Autoren attestieren eine Zunahme der Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet, da 68% der von ihnen gesichteten Untersuchungen in den Jahren nach 1981 durchgeführt worden sind. Sie gehen nach Sichtung der Studien von einem Anteil von 30-40% psychisch gestörter geistig behinderter Menschen aus. Die am häufigsten gestellten Diagnosen sind Verhaltensstörungen und psychotisches Verhalten. Sie stellen weiterhin fest, daß bei Menschen mit leichter geistiger Behinderung häufiger neurotische Störungen und Persönlichkeitsstörungen, sowie affektive und schizophrene Psychosen festgestellt werden. Verhaltensstörungen werden dagegen häufiger bei schwerer geistig behinderten Menschen diagnostiziert. Weiterhin behaupten sie, daß Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen häufiger bei männlichen Probanden festgestellt wurden. Im Gegensatz dazu wurden affektive und insbesondere depressive Störungen vermehrt bei weiblichen geistig Behinderten beobachtet. Dieses deckt sich mit dem Vorkommen dieser Störungen in der Normalbevölkerung.

Ein Großteil dieser Studien griff allerdings auf ‘Gelegenheitsstichproben’ von jeweils gerade innerhalb großer Einrichtungen leicht verfügbaren geistig Behinderten zurück. Die Mehrzahl der Studien untersuchte eine heterogene Stichprobe, heterogen sowohl nach dem Alter, wie nach dem Behinderungsgrad der Probanden. Einige machten keine Angaben hinsichtlich Alter, Geschlecht und Behinderungsgrad der untersuchten Personen. Dieses könnte Auswirkungen auf die Repräsentativität der Ergebnisse haben.

Meins (1994) kommt nach Sichtung des Forschungsstandes zu dem Ergebnis, daß bei leicht geistig Behinderten die Prävalenz von psychischen Störungen um etwa 50% über dem Niveau der Normalbevölkerung liegt. Bei schwerer geistiger Behinderung geht er von einer zwei- bis dreifach höheren Prävalenz gegenüber Normalintelligenten aus.

Gaerdt, Jäckel und Kischkel (1989) beschreiben eine Studie von Rutter aus dem Jahre 1976. Dieser ermittelte bei der Untersuchung aller Kinder einer Gemeinde auf der Isle of Wight ein um das Vier- bis Fünffache erhöhtes Vorkommen von psychischen Störungen bei geistig behinderten Kindern.

Reiss, Goldberg, und Ryan (1993) geben an, daß amerikanische Gesundheitsbehörden von einer Quote zwischen 10 und 40 % an psychischen Störungen bei geistig Behinderten ausgehen. Im Gegensatz dazu kamen verschiedene amerikanische Studien nur auf eine Quote von 10 bis 20 % (ebd.). Reiss et al. (ebd.) geben weiterhin an, daß bei geistig Behinderten im Bereich psychische Störungen Probleme des Sozialverhaltens am verbreitetsten sind.
Nach Angaben im ICD-10 der WHO (vgl. Dilling, Mombour & Schmidt, 1993) liegt die Prävalenzrate für psychiatrische Störungen bei geistig Behinderten mindestens drei- bis viermal so hoch wie bei der Normalbevölkerung.