Die Wellen- bzw. Telegrafengleichung

AllgemeinesHerleitungLösung

Einleitung

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Ausbreitung von Lecher-Wellen auf Leitungen. Als Lecher-Wellen bezeichnet man transversal elektromagnetische Wellen (TEM-Wellen), d.h. solche die sich dadurch auszeichnen, dass sie weder eine elektrische noch magnetische Feldkomponente in Ausbreitungsrichtung, also in Richtung der Leitung, besitzen. Die hier beschriebenen Welleneffekte treten immer nur dann auf, wenn die Dimension der Leitung in der Größenordnung der Wellenlänge liegt. In diesen Fällen wird der Strom und die Spannung auf der Leitung auf einmal abhängig von der Ortskoordinate und von der Zeit. Genau diese Abhängigkeit wird von der Wellengleichung in Form einer partiellen Differentialgleichung zweiter Ordnung beschrieben.

Herleitung

Jede reale Leitung besitzt bestimmte Verluste. Im Folgenden wollen wir diese anhand der Zweidrahtleitung qualitativ mit Hilfe eines Ersatzschaltbildes erfassen. Abbildung 1 zeigt dazu einen Leitungsabschnitt der Länge dz:

infinitesimales Leitungsstück
Abb. 1

Man erkennt die Ortsabhängigkeit von Strom und Spannung dadurch, dass die Größen am Ausgangstor nicht identisch mit denen am Eingangstor sind. Der differentielle Anteil di des Stroms bildet sich durch Isolations- und Verschiebungsströme zwischen dem Hin- und Rückleiter aus. Sie sind in Abb. 1 durch die kurzen senkrechten Pfeile angedeutet. Der Isolations- oder Ableitungsstrom kann durch einen, von null verschiedenen, Leitwert und der Verschiebungsstrom durch eine Kapazität zwischen den beiden Leitern im Ersatzschaltbild berücksichtigt werden (siehe Abb. 2). Der differentielle Anteil der Spannung du, rührt von ohmschen Spannungsabfällen längs der Leitung (keine ideale Leitfähigkeit des Metalls κ ≠ ∞) und aufgrund des Induktionsgesetzes von der Induktivität der Leiterschleife. Da diese Verluste sowohl im Hin- als auch im Rückleiter entstehen, müßte man sie eigentlich im Ersatzschaltbild in beiden Strängen der Leitung durch entsprechende Elemente berücksichtigen. Der Einfacheit halber fassen wir sie jedoch, wie in Abb. 2 gezeigt, im Hinleiter zusammen:

Ersatzschaltbild eines Leistungsstücks
Abb. 2
R': WiderstandsbelagL': InduktivitätsbelagG': AbleitungsbelagC': Kapazitätsbelag

Bei homogenen, linearen, isotropen und dispersionsfreien Leitungen lassen sich alle Beläge dadurch bestimmen, indem man die Gesamtbeiträge der Leiterschleife durch die Länge der Leitung dividiert (Anmerkung: Dispersionsfreie oder verzerrungsfreie Materialien zeichnen sich durch eine frequenzunabhängige Phasengeschwindigkeit aus).
Mit Hilfe der Kirchhoffschen Maschen- und Knotengleichungen lassen sich nun sehr einfach aus dem Ersatzschaltbild zwei gekoppelte Differentialgleichungen aufstellen:

Stromverzweigung
Dabei gilt:
Spannungsumlauf
Dabei gilt:

Hierbei wurden zwei Vereinfachungen vorgenommen, ohne die das Problem nicht lösbar wäre:

Dieses gekoppelte DGL-System erster Ordnung läßt sich durch Elimination von u oder i in eine äquivalente DGL zweiter Ordnung überführen. Dazu differenzieren wir die Gleichung des Spannungsumlaufs nach dem Ort z und erhalten:

In die gewonnene Gleichung können wir nun die Beziehung aus der Stromverzweigung einsetzen (womit der Strom eliminiert wird). Durch einfaches umsortieren und ausklammern von L'C' ergibt sich die gesuchte Beziehung zwischen der Spannung U auf der Leitung, dem Ort z und der Zeit t:

Die abgeleitete Formel heißt Wellen- oder Telegrafengleichung für die Spannung (analog ergibt sich durch Elimination von u die gleiche Beziehung für den Strom i). Sie beschreibt jede Form von Wellenausbreitung auf einer Leitung, da sie sowohl im verlustbehafteten eingeschwungenen Zustand als auch im verlustfreien nicht eingeschwungenen Zustand, Gültigkeit besitzt. Ein großes Anwendungsgebiet ist z.B. die Impulsreflektometrie im Zeitbereich (TDR - Time Domain Reflectometry). Mit ihr ist es möglich Störstellen auf Leitungen über einfache Laufzeitmessungen zu identifizieren und zu lokalisieren (übrigens ist diese Technik auch das Grundprinzip von Ultraschall). Nähere Informationen dazu (leider nur auf englisch) gibt es hier:
www.thom-tech.comwww.tscm.commrtmag.com

Lösung (Ableitung von hin- und rücklaufender Welle)

Im Folgenden setzen wir, zur Vereinfachung, eine harmonische monofrequente Anregung der Frequenz ω = 2πf voraus. Damit lassen sich Strom und Spannung in komplexer Schreibweise wie folgt formulieren:

Die partielle Wellengleichung reduziert sich hiermit zu einer gewöhnlichen DGL: