Götz
Aly erschließt in seinem Buch über "Hitlers Volksstaat" die
Wirkmächtigkeit der Finanz- und Wirtschaftspolitik im Dritten Reich
Die
Behauptung, die Wehrmacht habe sich im großen und ganzen korrekt
verhalten, ist jedem aus den Legenden der eigenen Familie genauso
bekannt wie deren vage Erinnerung an Pelzmäntel, Weine, Delikatessen,
die aus dem besetzten Frankreich nach Hause gesendet wurden. Einen
Widerspruch musste darin offenbar niemand sehen, man hatte die Waren ja
bezahlt und daher wohl kaum einen "Raubkrieg" geführt.
Er habe
"bouquiniert", notiert Ernst Jünger mehrfach in seinen Pariser
Tagebüchern. Bei Antiquaren kauft er kostbare Seltenheiten aus dem 16.
und 17. Jahrhundert. Die "große Bücherstadt Paris" begeistert den
kultivierten Hauptmann zu einem Zeitpunkt, an dem er sich über die
beginnenden massenhaften Ermordungen hinter der Ostfront informiert und
schockiert zeigt. Mit "Entsetzen" hört er von der "Vergasung" der
Juden, die nunmehr ihre Erschießung abgelöst habe. Jünger weiß, dass
ihre "Umsiedlung" nur ein Euphemismus ist, kauft aber ohne
Gewissensbisse Bücher, Stiche und Drucke, trinkt erlesene Weine und
geht mit seinen deutschen und französischen Freunden, die sein Wissen
meist teilen, in die besten Restaurants. Ein Zusammenhang zwischen der
"Schinderwelt" im Osten und dem opulenten Leben im Westen scheint ihm
an keiner Stelle auf.
Ein Kronzeuge Götz Alys ist der junge
Soldat Heinrich Böll, der keinerlei Sympathien für das Regime hegt,
aber in Feldpostbriefen an die Familie von Kakao und Butter,
Modeartikeln und Delikatessen schwärmt, die er günstig kauft und
portofrei nach Köln expediert. Die Soldaten haben Geld genug, und die
Waren sind preiswert zu erstehen. Heimaturlauber führen mit sich, was
sie tragen können. Der Zoll wird von obersten Dienststellen angehalten
wegzuschauen, wenn die Landser "reich ins Heim" kommen. Die tausendfach
vermerkte Erfahrung eines steten Warenstroms ins Reich und des zum Teil
luxuriösen Lebens der Besatzungstruppen in den okkupierten Ländern
bleibt ohne Bewusstsein persönlicher Schuld.
Lenkung der Warenströme
Götz Alys Buch über
Hitlers Volksstaat weist
nach, dass Europa verhungern musste, damit Böll und Jünger einkaufen
konnten. Weiter erkundet er den systemstabilisierenden Effekt dieses
Kaufrauschs, der die materielle Zufriedenheit von Soldaten und
Heimatfront sicherstellt und so eine zumindest "passive Loyalität" der
überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung garantiert. Und Aly zeigt, dass
das von deutschen Finanz- und Wirtschaftsexperten erdachte und mit
Hilfe der Wehrmacht installierte System, das alle Waren heim ins Reich
lenkt, die Enteignung und Ermordung der europäischen Juden und das
Verhungern großer Bevölkerungsteile in den okkupierten Gebieten kühl
einkalkuliert hat.
Ein staunenswert perfides System verwandelte
dieses Rauben unvermerkt in Kaufen und nahezu jeden Reichsbürger und
Landser zu seinen Nutznießern, ohne dass dies den Beteiligten auch nur
auffallen konnte. Eines seiner vielen Instrumente ist der
Reichskreditkassenschein (RKK). Die RKK-Scheine lauteten auf Reichsmark
und wurden von deutschen Truppen überall im besetzten Europa als
Zahlungsmittel verwendet. Ob nun die Wehrmacht im großen Stil
Lebensmittel aufkaufte oder Böll Kölnisch Wasser, die Franzosen oder
Belgier erhielten statt Francs RKKs. Diese durften im Reich allerdings
nicht umlaufen, niemand konnte also damit Güter oder Dienstleistungen
aus Deutschland abziehen. Jede Bank der besetzten Staaten wurde
gezwungen, alle RKKs in Landeswährung umzutauschen. Handel und
Privatleute erhielten gegen RKKs also Franc, Gulden, Lewa, Kronen,
Finnmark etc. Statt die Bevölkerung durch Beschlagnahmungen gegen die
Besatzer aufzubringen, wurde sie zum Verkauf von Reserven und weiterer
Produktion motiviert, denn es wurde ja bezahlt. Die Banken reichten die
RKK-Scheine an die Notenbanken weiter und erhielten nicht etwa
Reichsmark, sondern ebenfalls Landeswährung in einem von der deutschen
Finanzverwaltung festgelegten Satz, der die Reichsmark enorm aufwertete.
Kein
Wunder, dass die Wehrmacht sich 1940 in einen beispiellosen Kaufrausch
stürzt. Aber damit nicht genug. Die RKKs flossen über die Notenbanken
wieder an die Wehrmacht, die dafür einkaufen und Sold an zufriedene
Soldaten auszahlen konnte, die dank der erzwungenen Abwertung der
Landeswährung ihren Kaufgelüsten hemmungslos frönten. Und was erhielten
die Notenbanken der besetzten Länder, die gezwungen waren, mit ihren
Währungen die RKKs zu decken? Eigentlich nichts, denn die RKKs wurden
verrechnet mit den enormen Zahlungen, welche die besetzten Länder als
Besatzungskosten leisten mussten. Wo die Güterausfuhr aus einem Land
die Okkupationskontributionen übertraf und so ein Guthaben bei der
Clearing-Zentrale in Berlin auflief, wurde dies in langlaufende
deutsche Staatsanleihen umgewandelt. Dies machte man auch mit
Verbündeten nicht anders, die wie alle besetzten Staaten auch gezwungen
waren, mit ihrem Handelsbilanzüberschuss den deutschen Krieg zu
kreditieren.
Geräuschlose Finanzierung
Reichsbankvizepräsident
Pohl schwärmt von der "geräuschlosen bankmäßigen Mittel und Methoden",
mit dem die Reichskreditkassen die "Finanzierung des deutschen Bedarfs
in das besetze Gebiet verlagern". Allerdings laufen alle diese
Maßnahmen auf einen Inflationsexport hinaus, da Waren abfließen und die
RKKs nur von der Notenpresse gedeckt werden. Tatsächlich beginnt sich
die Wehrmacht über Warenknappheit und Hyperinflation zu beschweren. Aly
zeigt, wie Wehrmacht und Finanzbürokratie die Möglichkeit entdecken,
Vermögen und Besitz in jüdischer Hand zu verwenden, um das Eigentum auf
den angespannten Märkten zu verkaufen und mit Gold, Aktien oder Devisen
die Landeswährung zu stabilisieren und mithin den RKKs wieder Kredit zu
gewähren. Auch hier wird das Kapital in deutsche Staatsanleihen
umgewandelt, wissend, dass deren Gläubiger "umgesiedelt", also vergast
werden. Auf jüdische Vermögen greifen Wehrmacht und Reichsbank immer
wieder skrupellos zurück, um Belastungsspitzen ihrer Währungsregimes
auszugleichen. Auch der von Jünger bewunderte Militärbefehlshaber in
Frankreich Stülpnagel, der am 20. Juli 1944 in Paris SS und Gestapo
verhaften ließ und dafür hingerichtet wurde, hat mit jüdischen
Milliarden die Kasse der Wehrmacht gefüllt. Die deutschen
Kriegsfinanzen waren auf Rückgriffe auf Vermögen aus jüdischer Hand
ausgelegt. Umgekehrt ließe sich behaupten, jeder Landser, der billig
Würste und Kaffee erstand, und jeder Hauptmann, der "bouquinierte",
habe mittelbar an jener Eskalation teilgenommen, die zur "Endlösung der
Judenfrage" führte, denn die Gläubiger dieses Systems mussten sterben.
Das Reich ließ sich so seine großzügige Steuer- und Sozialpolitik
finanzieren, der Heimatmarkt verfügte über genügend Waren, die
Wehrmacht konnte Nachschub und Sold bezahlen. Angesichts der großen
Menge der Akteure und Nutznießer der "bankmäßigen" Ausplünderung
Europas stellt Aly die Schuldfrage neu. Millionen von Deutschen hätten
die "verbrecherische Kehrseite" ihres "kriegssozialistisch versüßten
Wohllebens verdrängt". Im günstigsten Fall wird man sagen können, sie
hätten vom Zusammenhang zwischen Schnäppchenjagd und Judenvernichtung
nichts geahnt und seien ‚unwissende Vollstrecker' gewesen. Dies wird
man von vielen Experten der deutschen Dienststellen nun nicht mehr
behaupten können.
Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub,
Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. S. Fischer Verlag, Frankfurt am
Main 2005, 464 Seiten, 22,90 Euro.