Niels Werber

Vom Glück im Kampf

Krieg und Terror in der Popkultur

Da sitzen sie denn in einer Executive Lounge des Berliner Hotels Adlon mit Blick auf das Brandenburger Tor und reden und reden über die Welt, und das heißt: über die Popkultur, über Re-Modeling, Re-Launching, Retrolooks und Renaissancen. Die fünf jungen Herren in Anzügen von Hugo Boss, Jil Sander, Helmut Lang und Hermès-Hemden trinken Champagner von Moët und rauchen Zigaretten der Marke Marlboro. Da immer Revox-Studiobandmaschinen in der Nähe sind, die sich automatisch bei jedem stärkeren Hauch der Luft anschalten, ist das gesamte Gerede erhalten geblieben und liegt nun mit dem programmatischen Titel Tristesse Royal gedruckt vor. Interessant am Diskurs dieses gepflegten Edelquintetts aus Twens und Thirtysomethings ist die mehr oder minder offen formulierte Begeisterung für Krieg oder Terrorismus. ‚Soldat sein, Terrorist sein, ja, das wäre einmal eine schöne Abwechslung.’ Meine Frage lautet: wie kommt man zu so einer Haltung, und was folgt daraus?
Die jungen Herren, ihre Namen lauten übrigens Bessing, Kracht, Nickel, von Schönburg und von Stuckrad-Barre, unterhalten sich ausführlich über das kurrente Recycling, über die Kunst, alles zu wiederholen und als neu oder originell zu verkaufen, was die Herren leider durchschauen, weshalb eben alles nur altbekannt und langweilig ist statt neu und aufregend. Die Popkultur hat das Stadium einer selbstreflexiven Posthistoire erreicht, die ihre Bestände verwaltet und weiß, was sie da tut, und sich daher langweilt und darauf wartet, „das was passiert“, um mit Fünf Sterne deluxe zu sprechen. Nachdem die Herren Einigkeit darüber geschaffen haben, dass dem Popgott Prince sowohl als Symbol als auch als TAFKAP das Re-Modeling vollkommen missglückt sei, wird folgendermaßen das Thema gewechselt oder besser: verschärft:

„Unsere einzige Rettung“, so Alexander von Schönburg, Jahrgang 1969, britische Prep-School-Erziehung, „wäre eine Art Somme-Offensive. Unsere Langeweile bringt den Tod. Langsam komme ich zur Überzeugung, dass wir uns in einer ähnlichen Geistesverfassung finden wie die jungen Briten, die im Herbst 1914 enthusiastisch die Rugby-Felder von Eton und Harrow, die Klassenzimmer von Oxford und Cambridge verließen, um lachend in den Krieg gegen Deutschland zu ziehen.“[1]

Die Tristesse Royal Generation in einer Berliner Luxushotel-Lounge beschreibt sich hier selbst als Renaissance oder Re-Modelling der britischen Kriegs-Freiwilligen, deren frischer Strom sich in die hungrigen Gräben des Stellungskriegs ergoß. Die Grundlage für diese erstaunliche Analogie ist die Langeweile, die, von Baudelaire[2] geborgt, über der Runde als Spleen, Tristesse, Trübsaal oder Ennui das Zepter führt. Von Schönburg führt, während hinter ihm die untergehende Sonne an der „grün eloxierten Quadriga“ aufblitzt (S. 134), die Analogie fort:

„England war damals ebenfalls – wie heute Europa – am Ende einer Phase des Wohlstands und der Stabilität angekommen. Junge Menschen sehnten sich nach Aufregung, nach Heldentum, ja, Heldentod letztendlich. [...] In einer ganz ähnlichen Verfassung befindet sich unsere Generation heute. Wir werden von vorne bis hinten entertained. Die Spannung ist weg.“

Auch diese Diagnose ist ein Relaunch. Jean-François Lyotard hatte 1982 die Frage, „was ist Postmoderne?“, zuallererst mit dem Hinweis beantwortet, „wir befinden uns in einer Phase der Erschlaffung“.[3] Die dazu passende Mentalität ist für Lyotard die „melancholia“ (S. 140); und am Ende seines Essays nennt er „Terror“ und „Krieg“[4] als Alternativen, sich zu dieser Melancholie handelnd zu verhalten. Von Schönburg folgt den Stichworten des Lyotardschen Paradigmas und plädiert zunächst für den Krieg als Mittel gegen die Erschlaffung.

„Wäre das hier Cambridge und nicht Berlin, und wäre es jetzt der Herbst des Jahres 1914 und nicht der Frühling des Jahres 1999, wären wir die ersten, die sich freiwillig meldeten.“ (S. 138) Es wird dunkel, lautet die an diesen Monolog anschließende Notiz des Herausgebers, genau wie 1914 in Europa.

Von Schönburgs Thesen bleiben unwidersprochen. Langeweile und Spannungslosigkeit, massenmediale Bevormundung und verantwortungslose „Wohlstandsverwahrlosung“ (S. 138) bilden das Tertium der Generation 1999 und der Generation 1914, der Generation Golf und der Generation lost.[5] Die Differenz freilich wird vom Irrealis der Ausführungen eingestanden, aber dennoch, es ist etwas anderes zu sagen „säße man im Paris, tränke man Cocktails im Café Costes“, als „wäre das hier Cambridge 1914, meldeten wir uns freiwillig“. Nimmt man eine andere Textstelle hinzu, scheint es sich ohnehin eher um einen Optativ zu handeln. Von Schönburg offenbart sich nämlich bei einer Demonstration gegen den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr, die das Quintett gemeinsam besichtigt, als sie Unter-den-Linden zum Brandenburger Tor hochschlendern, als Bellizist: „Wenn ich schon diese Panzerfahrzeuge sehe, dann möchte ich doch auch die Steine fliegen sehen, die Knüppel oder Dachlatten, den Qualm. Napalm vielleicht.“ Man hofft auf „Ausschreitungen“ (S. 94), an denen man allerdings nicht teilzunehmen gedenkt, sondern die man gerne anschaut, während man selbst Sicherheitsabstand hält. Das Szenario erinnert an Tim Staffels Terrordrom aus dem Jahre 1998.

Bessing dagegen vermißt „Demonstrantinnen mit den Spaghettiträger-Kleidern von Donna Karan“, und Kracht lobt „die alte Ästhetik der Demonstration, wo man gutfrisierte Männer in Anzügen oder guten Jeansjacken sah, die, fotografiert von William Klein, bei den Mai-Unruhen in Paris mit Steinen warfen.“ (S. 95) Eckart Nickel erzählt, er habe bereits in Frankfurt Demonstrationen zugesehen: „Wir schauten meistens vom Café Kranzler an der Hauptwache aus“ zu (S. 95). Ganz im Einklang mit der Tradition philosophischer Ästhetik seit 250 Jahren möchte man das Schöne und Erhabene, Donna Karan und Napalm aus der Distanz genießen, vom Café Kranzler aus zum Beispiel. Ausschreitung mit Zuschauer könnte man das Modell in Anlehnung an Blumenberg nennen, es ist das Modell, das in der massenmedialen Kriegs- und Krawall-Berichterstattung zur Institution geworden ist. Und die Massenmedien, so lautet bereits die These von Karl Kraus zur Kriegsberichterstattung, konstruieren die Realität des Krieges für Anbieter und Nachfrager. Ein Reporter, einer der vielen Protagonisten in Kraus’ Die Letzten Tage der Menschheit, formuliert das Skript Ausschreitung mit Zuschauer so: „Gott beschütze! Sie haben recht – wozu man selbst dabei sein muß, seh ich auch nicht ein, man verliert nur Zeit, man soll drüber schreiben“ (S. 77). „Serbien muß sterbien“ (S. 72), der Journalist, der in Wien mit derartigen Parolen die Menge in Schwung bringt, freilich nicht. Und wo eine mal näher hinschaut, wie bei Kraus die bekannte Journalistin Alice Schalek, da sieht sie nicht den Krieg in Gestalt einer feuernden Batterie, sondern ein „Schauspiel“:

„Jetzt beginnt ein Schauspiel – also jetzt sagen Sie mir Herr Leutnant, ob eines Künstlers Kunst spannender, leidenschaftlicher dieses Schauspiel gestalten könnte. Jene, die daheim bleiben, mögen unentwegt den Krieg die Schmach des Jahrhunderts nennen [...], jene, die dabei sind, werden aber vom Fieber des Erlebens gepackt. Nicht wahr Herr Leutnant, Sie stehen doch mitten im Krieg, geben Sie zu, manch einer von Ihnen will gar nicht, dass er ende! DER OFFIZIER: Nein, das will keiner. Darum will jeder, dass er ende.“ (S. 189)

Gleichgültig gegen Reden und Sterben der Soldaten nimmt die Journalistin die Front genau so wahr, wie die Leitartikel es vorgeben, die sie ohnehin schon vorab zu schreiben pflegt. „Mir scheint, die Vorstellung ist zu Ende. Wie schade! Es war erstklassig“, bemerkt die Schalek nach Ende des Gefechts, und der Offizier fragt, ob sie zufrieden sei. „Wieso zufrieden?“, entgegnet sie, „zufrieden ist gar kein Wort! Nennt es Vaterlandsliebe, ihr Idealisten; Feindeshass, ihr Nationalen; nennt es Sport, ihr Modernen; Abenteuer, ihr Romantiker; nennt es Wonne der Kraft, ihr Seelenkenner – ich nenne es frei gewordenes Menschentum.“ Als der Offizier bemerkt, er wäre schon mit ein paar freien Tagen zufrieden, belehrt ihn die Reporterin: „Aber dafür sind Sie doch durch die stündliche Todesgefahr entschädigt, da erlebt man doch was!“ (S. 189) Als Tote gemeldet werden, zeigt die Schalek sich wiederum „vom Fieber des Erlebens gepackt“ (S. 190). Alles an der Front ist enorm interessant, sobald es vom Zauberstab der Massenmedien berührt worden ist.

Die Skripts der massenmedialen Konstruktion des Kriegs, die Kraus schon zu Kriegszeiten freilegt und parodiert, werden von Herrn von Schönburg anscheinend ironiefrei als „authentische“ Motive der Kriegsfreiwilligen zitiert. „Junge Menschen sehnten sich nach Aufregung, nach Heldentum, ja, Heldentod letztendlich“ (S. 138), um nur der Langeweile zu entkommen. Es fehlt an „Spannung“, meint von Schönburg, es herrscht die „Erschlaffung“, diagnostiziert Lyotard. Beide zitieren die journalistische Semantik des ersten Weltkrieges. „Kriege sind ein Segen“, bemerkt ein eifriger Zeitungs-Leser bei Kraus, aber „Friedenszeiten sind gefährliche Zeiten. Sie bringen allzu leicht Erschlaffung“ (S. 80). Was den zeitgenössischen Blick auf die Helden des WK I betrifft, hat von Schönburg also ganz recht: dieser Perspektive erscheinen Krieg und Tod vor allem als „interessant“ (Kraus, S. 244, S. 81), als Alternative zu Langeweile und Erschlaffung. Denn „der einzelne Mensch“, so zitiert Kraus die dazugehörige Anthropologie, „der einzelne Mensch braucht doch halt auch a wengerl Kampf und Sturm“, statt nur immer „Besitz, Ruhe“ und „Genuß“ (S. 80). „Es ist höchste Zeit, dass amal a Seelenaufschwung kommt!“, meint der erste Zeitungsleser, und der zweite bestätigt: „Ein Stahlbad brauch’mr! Ein Stahlbad!“ (S. 81) Der Krieg, wie er 1914 in Wien ankommt, ist ein Medienkrieg, eine massenmedial entworfene Realität, deren wichtigste Programmformel die Authentizität eines Kampfes ist, über dessen „wirkliche Wirklichkeit“, um diese paradoxe Formulierung Luhmanns aufzugreifen, von der Militärzensur tiefstes Schweigen bereitet ist.

Daß es im Krieg wie im Straßenkampf „anders ist als im Fernsehen“ (S. 95), wird freilich auch im Hotel Adlon zugestanden, aber auch bei dieser Behauptung handelt es sich um keinen Originalbeitrag, sondern um ein Zitat aus einer Ausgabe des Stern, in dem die Autorin Sybille Berg die Wahrhaftigkeit und Unmittelbarkeit ihres Kosovo-Besuches zur Schau stellt und selbstsicher polemisch gegen die Berichte der „Journalisten“ abgrenzt (S. 95). Berg betont, sie habe die Massenlager an der Grenze gerochen, gehört und geschaut, mit allen ihren Sinnen erfahren; sie schreibt, selig von Präsenz und Erleben: „es ist anders als im Fernsehen, das Lager“ (S. 95). Sibylle Berg zitiert hier nicht nur die Synästhesie des Kriegstheaters, die auch Ernst Jünger in den Stahlgewittern beschwört, wenn er schreibt, er höre, sehe und fühle die Front mit allen Sinnen,[6] sie recycled zugleich auch Karl Kraus’ Schalek, die ihren Kollegen in der Etappe des Kriegspressequartiers stolz erklärt, niemand könne nach „208 Leichenphotographien“ daran „zweifeln, daß ich mitten drin war im heroischen Erleben“ (S. 582). Im Gegensatz zu Sibylle Berg und den Autoren im Adlon führt Karl Kraus jedoch vor, daß auch dieses „Erleben“ keinesfalls authentisch ist, sondern von der Schalek nur das beobachtet und beschrieben werden kann, was sich in die Skripte des, wie sie selbst sagt, „eingelernten Theaterstücks“ der Schlacht fügt (S. 582). Luhmanns Diktum, was wir über die Welt wüssten, wüssten wir durch die Massenmedien,[7] lässt sich mithin selbstreflexiv zuspitzen: was die Massenmedien über die Welt wissen, wissen sie aus den Massenmedien. Ihre Welt ist eine selbstkonstruierte Welt. Was Kraus allerdings von Luhmann unterscheidet, ist der Glaube des Autors und Publizisten an die Möglichkeit einer unverstellten Berichterstattung über die Realität, während Luhmann die notorische Klage über die „Realitätsverzerrung“ und „Meinungsmanipulation“ der Massenmedien damit abweist, es gehe gar nicht anders (S. 174), da es keine Welt jenseits der Massenmedien gebe, deren Wahrheit unmanipuliert zu erkennen sei (S. 198). Auch die wirkliche Wirklichkeit erweist sich als Fiktion.

Zumindest Christian Kracht weiß um die operationale Geschlossenheit des Systems der massenmedialen Kommunikation und verweist sofort auf die popkulturellen Skripts, die Sibylle Berg zitiert, wenn sie authentisch wird:

„Das ist so ... so Costa-Gavras, ausgezeichnet. Sibylle Berg beschwört natürlich auch hiermit die Szene, in der Winona Ryder, also Sibylle Berg selbst, im Film ‚das Geisterhaus’ von dem damals noch unbekannten Vincent Gallo gefoltert wird...“ (S. 95)

Sibylle Berg führt also im Kosovo nur Skripte vor und re-modeled Winona Ryder gerade dann, wenn sie behauptet, sie könne das Leid wahrhaftig riechen und fühlen. Das popkulturelle Quintett glaubt „natürlich“ nicht mehr an die Möglichkeit authentischer Erfahrung, die – laut Karl Heinz Bohrer – viele Kriegsfreiwillige des ersten Weltkriegs durch die Evokation der sinnlichen Intensität der Front- und Schlachterfahrung zu schildern suchten (Bohrer, S. 141), aber das Quintett möchte diese Wahrnehmungsintensitäten sozusagen second hand konsumieren.

Von Schönburg spricht von jener „todbringenden Authentizität“ des Krieges (S. 137), welche die Autoren der Weltkriegsromane in verschiedenen Formen darzustellen suchten als Rausch, Intensität, Grauen, Synästhesie, Gemeinschaftsgefühl, Entgrenzung, als „tödliche Spannung“ bei Remarque (S. 82) oder als „höchste Spannung“ bei Ernst Jünger (Stahlgewitter, S. 260). Es ist diese „Spannung“, die von Schönburg 1999 in Europa so sehr vermisst, daß er sich eine „Somme-Offensive“ herbeiwünscht, an der er nicht teilzunehmen gedenkt, sondern deren „grauenhafte Berichte“ er als Lektüre schätzt (S. 138). Das Glück im Kampf, das Ernst Jünger vom Krieg zu erwarten schien, wenn er in den Stahlgewittern schreibt: „Der Krieg musste es ja bringen, das Große, Starke, Feierliche. Es schien uns männliche Tat, ein fröhliches Schützengefecht auf blumigen, blutbetauten Wiesen. »Kein schönrer Tod ist auf der Welt...«“, dieses Glück im Kampf wird von Schönburg zitiert, um in einer Welt völlig gleichgültiger Ereignisse jenen Rausch, jene Lust, jenes Grauen und jene Spannung zu genießen, die Jünger in Der Kampf als inneres Erlebnis zu beschreiben versucht hat.[8] Der Krieg wird so zum Entertainment einer „Generation“, deren einziges Leid es gerade ist, „von vorne und von hinten entertained“ zu werden (Tristesse, S. 138). Die ursprünglich kritische oder affirmative, pazifistische oder revanchistische Funktion der Kriegsliteratur der 20er und 30er Jahre wird restlos ausgetauscht gegen eine völlig unpolitische Unterhaltungsfunktion, zu der man mit dem NS-Autor Hans Zöberlein sagen kann, „auch der Krieg hat seine schöne Seite“, wenn man ihn nur recht ästhetisiert.[9] „Der Krieg ist schön“, schreibt auch Marinetti.[10] Und am schönsten ist der Krieg als Kinofilm.

In Die letzten Tage der Menschheit schwärmen die Berliner Padde und Kladde vom Krieg im Kino. „Hören Sie mal, in den nächsten Tagen wird in den Kinos der höchstinteressante Film: Die Sommeschlacht, das größte Ereignis in diesem Kriege, dem Publikum vorgeführt“. Padde weiß schon Bescheid, und erzählt die Handlung:

„Der Film ist im größten Kampfgewühl zustandegebracht worden. Vier Operateure sind bei der Aufnahme des Films gefallen, aber immer wieder traten neue an ihre Stelle, bis endlich das ganze Werk vollendet war, das unserem Nachruhm den Ruhm der heldenmütigsten Kämpfer künden soll. Mit atemloser Spannung machen wir Sprengung und Erstürmung eines Blockhauses und nach mächtigem Trommelfeuer einen Sturmangriff von nervenerschütternder Eindruckskraft mit. Wir sind mitten drin in den gewaltigen Erdfontänen von Minensprengung und Einschlägen schwerster Kaliber und in den weißen Rauchschwaden der Handgranaten und bewundern [...] den Todesmut der Truppen. [...] Auf allen Seiten sieht man die höchste Anspannung aller Kräfte, das Ausnützen, aber auch Abnützen der menschlichen Energie – wir sehen den siegenden Tod.“ (S. 491)

Wir machen mit, wir sind mitten drin, begeistern sich die Zuschauer, die nun endlich auch sagen können, sie seien dabeigewesen. Aber nicht nur die von Ludendorff gegründete UFA, auch Hollywood wittert eine Marktnische. In Arnolt Bronnens Roman Barbara la Marr begeistern sich die Produzenten über „Kriegsaufnahmen“, die „ganz billig“ zu haben seien, schlicht und einfach deshalb, weil man ja „echte“ nehmen kann (S. 86). Sowohl Padde und Kladde, als auch Bronnens Produzenten betonen zwar mit Recht das zu erwartende Interesse des Publikums an Kriegsfilmen, täuschen sich aber gleichermaßen, wenn sie meinen, der Weltkrieg könne einfach abgekurbelt werden. Tatsächlich wird er für den Film eigens inszeniert. So wie die österreichischen Batterien für die Schalek ein Trommelfeuer inszenieren und so wie im Wiener Prater ein „Schützengraben“ angelegt wird, „in welchem Provinzschauspieler Schießübungen vornehmen, telephonieren, schlafen, essen und Zeitungslesen“ (Kraus 244), so dreht der tatsächlich von Hollywood nach Frankreich gesendete Regisseur David W. Griffith sein Hearts of the World nicht an der Front, sondern stellt den Krieg lieber in Hollywood nach. Dies wird deshalb nötig, weil er bei Verdun nichts sieht, was sich zu filmen lohnte. Denn nicht nur Gasversehrte, die ganze Front ist blind. „I could see nothing“, schreibt Captain Robert Graves von Ranke in seinen Kriegserinnerungen Goodbye to all that, „nothing, except the wooden pickets supporting our protecting barbed wire entanglements, and a dark patch or two of bushes beyond“ (S. 104). Über den Auftakt der Somme-Schlacht berichtet Ernst Jünger, man habe „kein anderes Ziel im Auge“ gehabt als das „Niemandsland“ zwischen den „Drähten“ (Stahlgewitter, S. 98). Claude Simon beschreibt den Zug eines Regiments französischer Kavallerie, die nichts wahrnehmen, was „überhaupt in irgendeiner Weise so etwas wie einem Krieg ähnelte oder zumindest dem, was sie sich dunkel unter einem Krieg vorstellten“ (Akazie, S. 35), bis plötzlich in wenigen Augenblicken elf Offiziere und 546 Mann in einer „Mauer aus Feuer“ vernichtet werden (S. 51). Den Feind haben sie nicht gesehen, denn ihn sehen heißt: sterben. Jünger notiert, er habe „einer großen Kampfhandlung teilgenommen, ohne einen Gegner zu Gesicht bekommen zu haben“ (S. 38). Eine Kamera hätte hier keine Motive und ein Film keine Handlung gefunden. – Paul Virilio schreibt in seinem Essay Krieg und Kino, der Regisseur „Griffith war von der Front »schwer enttäuscht«, offenbar war die Realität des modernen Krieges nicht vereinbar mit dem Realismus des Kinos, wie er ihn verstand und wie das Publikum ihn verlangte. Er verließ den Kontinent und rekonstruierte die Schlachten“ – und „der Film wurde in den Vereinigten Staaten ein Erfolg“ (S. 27). Aufregung, Heldentum, Heldentod, wie von Schönburg es sich wünscht, lassen sich nicht abfilmen, sondern nur filmisch rekonstruieren. Die „933.000 Meter Film“, die allein die deutsche Luftaufklärung über den Schlachtfeldern aufnahm,[11] unterlagen ohnehin der Geheimhaltung und fanden im Militär ihr einziges Publikum.

Während die Filmgesellschaften in Hollywood oder Babelsberg Kriegsfilme drehen, die eine Handlung und einen Helden haben, entwickeln Frontsoldaten eine filmische Wahrnehmung ganz anderer Art. Für Edlef Köppens Unteroffizier Reisiger zerspellt die Realität zu einem schnell geschnittenen, wirr montierten Videoclip:

„Es blieb nicht mehr als ein Film, zu schnell gedreht, ungeschickt geschnitten, überhetzt, überhitzt, zu Bildchen, zu Fetzen zerrissen. [...], zusammenhanglos, unbegründbar, Wirrwarr ohne Ordnung und Gesetz.“ (S. 245).

Diese Kriegswahrnehmung verweigert sich der Sinnstiftung, der Erzählung, der Geschichte. Es ist vielleicht ein Markenzeichen der besseren Kriegsliteratur, daß sie ihre Protagonisten auf Heimaturlaub verstummen läßt. Sie berichten über Bagatellen, erzählen Anekdoten – das Erlebnis des Krieges selbst dagegen kann nicht erzählt werden. Diese Texte verdanken ihre Struktur oft allein den unpersönlichen zeitlichen und räumlichen Daten, Tag, Uhrzeit, Jahr und Ort der Schlachten. – Wenn man dagegen davon ausgehen möchte, daß zwei Millionen tote deutsche Soldaten für irgendeinen höheren Zweck gestorben sein müssen, weil die Vorstellung eines vollkommen sinnlosen und vergeblichen Todes unerträglich ist, wie beispielsweise Görge Friebott in Hans Grimms Volk ohne Raum, dann erhalten alle Erfahrungen eine über sich hinausweisende Bedeutung und die Form des Textes wird episch. Wo erzählt wird und die Narration Sinn stiftet, wo der unüberschaubare Krieg zum „Kampf Mann gegen Mann, Auge um Auge, Zahn um Zahn“ reduziert und wo der anonyme Tod des Menschenmaterials zum Märtyrertod verklärt wird, dort, so lautet die Vermutung von Jens Malte Fischer, haben wir es mit Propagandaliteratur zu tun. Den Opfer- und Heldentod kann sie nur feiern, indem sie das unfilmbare, nicht-repräsentative „Massensterben“ negiert.[12] Es sind also nicht die Texte von Kraus oder Köppen, die von Schönburg remodeled, um im „Heldentod“ dem Recycling der Posthistoire zu entgehen, sondern es ist der „antidemokratische Frontroman“.[13] Seine popkulturell anmutende Haltung zum Krieg ist nicht nur kokett und zynisch, sie hält es auch mit der formal anspruchlosesten und politisch bewußtlosesten Literatur.

Die entscheidende Frage lautete für mich nun aber nicht, wie denn der erste Weltkrieg authentisch darzustellen sei und welchen Literaten das womöglich gelungen sei, sondern was geschieht, wenn junge Autoren 1999 bestimmte Topoi der Kriegsliteratur der 20er Jahre zitieren, während Zugriffe auf gleichfalls zur Verfügung stehende Beobachtungen unterbleiben. Es geht mir zum einen um die Programmwahl eines bestimmten Recyclings. Diese Fragestellung zielt auf das Paradigma, aus dem die Texte selektieren; sie zielt also im Sinne des New Historicism auf „paradigmatische Achse des Textes [...] die Achse der Äquivalenz und damit die Achse der Kultur.“[14] Die Ermittlung möglicher „Äquivalenzen und Oppositionen“ des Berliner Kriegs-Recyclings führt mich zum Phänomen des Terrorismus, von dem sich das popkulturelle Quintett gleichfalls fasziniert zeigt. Die Gründe dafür, so lautet meine Vermutung, könnten die gleichen sein. Innerhalb des „Netzes“ einer „synchronen Kultur“[15] geben Krieg und Terror Antwort auf die gleiche Frage. Zum zweiten möchte ich die These Luhmanns überprüfen, daß das Gedächtnis der Gesellschaft ausschließlich in der Gegenwart operiert und weder eine „Rückkehr in die Vergangenheit“ erlaubt noch ein „Speicher von Daten und Informationen“ darstellt (Gesellschaft der Gesellschaft 578). Das Gedächtnis kondensiert Strukturen durch Wiederholung oder es vergißt sie und vergißt sogar dieses Vergessen, so daß keine Spur, keine trace zurückbleibt. Folglich liegt die „Doppelfunktion“ des Gedächtnisses im „Erinnern und Vergessen“, ohne die es „weder Lernen noch Evolution“ gäbe (579). Alles, was passiert, passiert für das System gleichzeitig, weder vergangene noch zukünftige Operationen sind für das System jetzt verfügbar. Das Gedächtnis speichert daher nicht einfach vergangene Operationen, um sie dann im Bedarfsfall zu erinnern, sondern reproduziert diese Operationen permanent und hält sie so als Struktur stets gegenwärtig. Die „Vergangenheit“ ist also „nur als Gegenwart präsent“ (Gesellschaft der Gesellschaft: 580). Was nicht in der aktuellen Reproduktion der Elemente des Systems reimprägniert wird, verschwindet im Vergessen. Aus dieser Theorie des sozialen Gedächtnisses folgt für meinen Gegenstand, die Rolle von Krieg und Terror in der Popkultur, daß im evolutionären Verlauf selektiven Erinnern und Vergessens neue Vergangenheiten entstehen, etwa eine Vergangenheit, die im ersten Weltkrieg eine spannende Alternative zur Langeweile sieht. Unsere erste Bezeichnung des popkulturellen Quartetts mit dem Begriff Posthistoire muß also relativiert werden, weil wir es nicht mit einem „Durcheinanders aller Stile und Möglichkeiten“ zu tun haben, wie Arnold Gehlen[16] formulierte, sondern mit dem Vergessen großer Teile der historischen „Bestände“. Ich werde dieser doppelten Problemstellung nun am Beispiel des Terrorismus nachgehen.

Von Schönburgs Thesen zum Krieg hatten Zustimmung gefunden. Christian Kracht meint gleichfalls, der einzige „Ausweg“ sei „der Krieg“. Joachim Bessing dagegen hat eine alternative, aber funktionsäquivalente Idee: „Von innen bomben. Das wäre mein Vorschlag.“ Von Schönburg kommentiert: „Ein interessanter [...] Vorschlag“, und Bessing legt los: „Bomben aus Semtex bauen und dann in Prada-Rucksäcken an die Art-Direktoren schicken, per Kurier. Oder das Café Costes oder das Adlon sprengen.“ Und von Schönburg bestätigt: „Interessant. Eine neue Form des urbanen Terrorismus als Anti-Konsum-Terror“, und Bessing fährt fort: „Anzüge in Armani-Boutiquen hängen, die innen mit Kontaktgift bestrichen sind, so daß der Käufer sofort stirbt.“ Allein Benjamin von Stückrath-Barre wendet ein, es handele sich hier ja wohl allein um Destruktion,

„wohingegen die RAF auch nichts anderes bewirkt hat, aber deren Ziel es zumindest war, nach der Zerstörung etwas Neues zu schaffen. [...] Die wollten also etwas zerstören für einen Neuanfang, von dem sie eine konkrete Vorstellung hatten. Das ist bei Joachim Bessing exakt nicht so.“ (S. 156)

Von Stückrath-Barre möchte eher Dekonstruktion als Destruktion, aber er hat einfach Bessings Vorschlag noch nicht recht verstanden. Der erklärt ihm nämlich, es gebe „da keine konkrete Vorstellung vom Danach. Es führt ins Garnichts. Es gibt auch nicht so etwas wie einen Inhalt“ (S. 156). Im Quintett kristallisieren sich zwei Perspektiven auf den Terror heraus. Die erste Variante ist ein Rainald Goetz-Recycling und wird von Stückrath-Barre vertreten. In Kontrolliert, Goetz’ Geschichte des Jahres 1977, stellt er die RAF in einen popkulturellen Kontext, dessen Formel so lautet: „Die Gleichung mit den fünf nicht Unbekannten Haß, Kunst, Terror, Schönheit, Punk löste sich im ich zur Lösung. [...] alles, was ich weiß, weiß ich im Namen des Wissens des Volkes vom Pop“ (S. 149). Der Protagonist Raspe interessiert sich nicht für die „Theorie der raf“, sondern für die „Augenblickslogik“ des „Handelns“ (S. 60). In der Intensität des Moments der Handlung entdeckt der Erzähler das Tertium von „Haß, Kunst, Terror, Schönheit, Punk“. Von Stückrath-Barre unterscheidet Bessings „Prada-Rucksackverschicker“ von den „RAF-Leuten, die ein Glühen in den Augen haben, zumindest für ein paar Jahre ihres Lebens“ (S. 156). Es geht ihm hier nicht um die Frage, ob die Prada-Terroristen „unmoralischer“ als die RAF wären, weil die einen politische Ziele verfolgen und die anderen nicht, sondern um die existentielle Erfahrung des Terrors, die Intensität, das „Glühen in den Augen“.

Die zweite Variante, die Joachim Bessing vertritt, recycled Brett Easton Ellis. Was Bessing ausführt, ist – wie das obligate „spare me“ (S. 55) – eins zu eins aus Glamorama kopiert, eine Referenz, die Bessing zu nennen sich erspart. Eine der vielen Szenen, die Bessing zitiert, spielt in der Model-Szene in Paris. Ellis’ Protagonist Victor Ward trägt ein „black Prada backpack“ mit sich herum (S. 374ff), das voll Semtex ist. Die Model-Terroristen sprengen das Café Flore und die Metro-Station Pont Royal. Sie vergiften den Pool im Ritz und planen ein Attentat auf die Glaspyramide des Louvre-Eingangs (S. 397). Ein Sprengstoff-Attentat wird detailliert geschildert, wobei Victor Ward besonderen Wert auf Markennamen legt: „a Japanese woman in the bloody tatters of a Chanel suit collapses in front of me. [...] Dead bellmen lay scattered among magazines and Louis Vitton luggage and heads blown off bodies”, einer der Köpfe könnte „Claudia Schiffer“ gehören (S. 407). Die Attentäter tragen mit Kevla gefütterte Giorgio Armani-Smokings. Die Bombe befand sich diesmal in einer „Gucci [...] bag“ (S. 405). Es versteht sich, daß diese Attentate keinen politischen Zweck verfolgen, sie sind purer Selbstzweck. Die Attentate der Prada- und Gucci-Terroristen folgen dabei einem konsequenten ästhetischen Programm, kein Element wird dem Zufall überlassen, alles ist sorgfältig geplant: die Outfits, das Objekt, der Sprengstoff und sein Versteck, die Opfer. Von der Bombe in der Chanel-Tasche bis zur Ritz-Suite, in der sie auf einem Luis Quinze Sofa deponiert wird, bis lauter Edeltouristen in Chanel-Kostümen und Models in Designer Prêt-a-Porter blutüberströmt und zerrissen umherfliegen. „Café Flore has been canvassed all week and a detailed description of its layout yielded the best table to leave the Prada backpack at“ (S. 347). Models bevölkern das hippe Café, alles paßt, die Bombe explodiert.

Bessing übernimmt nun dieses quasiästhetizistische Programm des L’art pour l’art-Terrors und verwandelt Claudia Schiffer von einem mutmaßlichen Opfer in eine potentielle Täterin. Ich zitiere:

„Wenn Claudia Schiffer das Hobby hätte, Briefbomben zu verschicken – kein Verdacht würde auf sie fallen. Claudia Schiffer ist für jeden allein dazu da, schön auszusehen, eben ein Supermodel zu sein. Niemand würde doch auf die Idee kommen, daß sie etwas tut, was anderen schadet. Das ist doch die Chance für Claudia Schiffer. Man denkt doch eher, der Terror dieser Supermodels richte sich gegen sie selbst; sie nehmen Drogen und lassen sich Silikon implantieren; Magersucht, Bulimie vielleicht manchmal noch. Aber man glaubt doch nicht, daß die Bomben kaufen oder verschicken würden. Dabei haben gerade die das Geld dazu.“ (S. 158)

Sie ist ein Model und sie sieht gut aus, also kann sie keine Terroristin sein, also wäre sie die perfekte Terroristin. Einen Grund dafür, warum aus Supermodels Terroristen werden sollten, eine Frage, die auch Bret Easton Ellis weder stellt noch beantwortet, gibt es nicht. „Weil sie es können“, könnte die selbstreferentielle Antwort lauten, die man auch von jugendlichen Amokschützen kennt, „ich habe es getan, weil ich es konnte“. Christian Kracht weist denn auch sofort auf das „Erschießen von High-School-Kindern neulich in Littleton“ hin (S. 159). Die Selbstreferenz des Terrors klingt wie ein Echo aus der Werbung – „just do it“, um Nike zu zitieren – und aus der Kunst; man denke etwa an Schillers berühmte Worte: etwas gefalle uns „in der bloßen Betrachtung und durch seine bloße Erscheinungsart“, ohne daß wir bei dieser „ästhetischen“ Betrachtung sonst „auf irgendeinen Zweck Rücksicht nehmen“ würden.[17] Das Attentat wird hier, um es mit einem anderen Kantianer: Thomas de Quincey zu formulieren, als „schöne Kunst betrachtet“. Von Stückrath-Barre hat es nicht verstanden und fragt bei Bessing noch einmal nach: „Ich verstehe deine Schlußfolgerungen daraus nicht.“ Und Bessing antwortet luzide: „Es kann natürlich auch keine geben.“ (S. 158) Das Programm des Prada-Terrorismus sieht weder Gründe noch Schlußfolgerungen, weder externe Zwecke noch endogene Motive vor, es folgt seiner eigenen Logik, die darin besteht, die Szenarien der Gewalt ästhetisch kohärent mit Elementen aus einem Paradigma auszustatten.

Genau diese popkulturelle, aus Glamorama stammende Ästhetik des Terrors gibt die Perspektive vor, mit der nun auch die RAF gesehen wird. [Beamer bitte: Websites] Der rote Stern ist längst zum coolen Logo auf T-Shirts geworden und der gut layoutete Satz „the gun speaks“ ziert die coole Website vom amerikanischen Lifestyle-Magazin eye mag, das die Baader-Meinhof-Gang als „one of this century’s most fascinating-and-violent-underground organizations“ feiert und darüber spekuliert, ob das bevorzugte Fluchtauto, der BMW, steigende Verkäufe zu verzeichnen hatte, weil das Akronym BMW Baader-Meinhof-Wagen bedeute. Der Jung-Hip-Hopper Jan Delay alias Jan Eißfeldt von den Absoluten Beginnern schwärmt im Stern (Nr. 16), das Thema RAF habe ihn „total geflasht und begeistert“, weshalb er umgehend ein Stück namens „Die Söhne Stammheims“ geschrieben habe. Christoph Roth, der gerade einen Fernsehfilm über Andreas Baader dreht, erzählt in der Süddeutschen Zeitung (17. / 18. 3. 2001) Anekdoten: daß Baader sich im Jordanischen Fatah-Lager weigerte, seine „hautenge, burgunderrote Samthose gegen Camouflage einzutauschen“, daß er in Paris die „Seidenhemden“ von Regis Debray trug, daß überhaupt die RAF-Crew „immer teuer gekleidet“ gewesen sei und Baader und Ensslin „öfter mal in Fred-Perry-Tenniskleidung und Schläger unter dem Arm Autos auschecken“ gegangen sind, vor allem Autos vom Typ „BMW 3.0 CS“. Er kolportiert das Hollywood-Gerücht, in Amerika sei „ein Baader-Meinhof-Film in Planung mit Brad Pitt als Baader“. Roth behauptet, Baader selbst habe die gesamten RAF-Aktionen als „Kino-Highlight“ inszeniert, mit spektakulären, spannenden Sequenzen und einem „Showdown“ am Ende. [Beamer: Holger Meins Scans] Es scheint, als ob die RAF immer schon der Devise der Popkultur gefolgt sei, die Gilbert & George 1969 formuliert haben: „Always be smartly dressed, well groomed relaxed friendly polite and in complete control“.[18] Der Terror wäre also von Beginn an ein ästhetisches Programm gewesen, ein Programm, das Ulf Poschardt in seinem Essay Cool beschrieben hat (Hamburg 2000). Diese coole Perspektive macht Rückblicke freilich leichter, denn über den richtigen Sitz der Frisur und die Wahl der richtigen Sonnenbrille kann jeder urteilen, man muß über das Jahrzehnt von 1967 bis 1977 nicht das geringste Wissen. Die Popkultur, so könnte man sagen, de-historisiert die Geschichte, sie verändert das kulturelle Gedächtnis. Als rein „ästhetisches Phänomen“ ist dann „das Dasein der Welt“ vielleicht nicht gerade „gerechtfertigt“,[19] weil Rechtfertigung eine juristische oder moralische Kategorie ist, aber doch angenommen als cool und interessant.

Der Autor Leander Scholz, Jahrgang 1969, zeigt uns in einer Tristesse Royal-Mischung aus Langeweile, Drogen, Medien, Mode und Lifestyle Baader und Ensslin als Liebespaar. Sein kürzlich erschienene Roman „Rosenfest“ (München 2001) beginnt mit Andreas Baader bei der Anti-Schah-Demo am 2. Juni 1967 in Berlin. Er „langweilte sich“ (S. 7) und ließ „unbeteiligt [...] den Fokus der Kamera über die grölende Menge gleiten. Eine menschliche Leberwurst, dachte er, die an beiden Enden auseinanderplatzen müßte, wenn die Schlagstöcke der Polizisten auf ihre Mitte einprügeln würden.“ (S. 8) Das tun die Einsatzkräfte aber vorerst nicht, weshalb der hier als einziger „elegant gekleidete“ Dandy Baader sich langweilt und eine Line einzieht, denn er hatte „es sich angewöhnt, zu solchen Ereignissen immer ein wenig Koks bei sich zu tragen.“ (S. 9) Diese Eröffnung des Romans wiederholt exakt die bereits zitierte Straßenszene vor dem Hotel Adlon: das popkulturelle Quintett vertritt sich die Beine, langweilt sich, trinkt Alkohol aus einem „Leatherman aus purem Gold“ (S. 97), vermißt gutgekleidete Demonstranten und/oder eine eskalationsbereite Polizei (S. 94). Selbst die Details der Metaphern stimmen. Eine Journalistin wird als „gutfrisierte Wurst“ bezeichnet (S. 95). – Andreas Baader aber bekommt bei Leander Scholz dann doch etwas zu sehen: geschildert wird der Tod Benno Ohnesorgs in der gängigen Splatter-Manier:

„Noch bevor Benno sich vollständig zum Lauf aufrichten konnte, drang eine 7,65 Millimeter starke Kugel über seinem rechten Ohr ein, durchwühlte das Gehirn und öffnete die Schädeldecke, daß man tief hinein sehen konnte. [...] Andreas Mund blieb sperrangelweit offen. Und die Polizisten sahen in der Nacht zum 3. Juni 1967, wie selbst ein Körper mit aufklaffendem Schädel noch einige Meter schleichen konnte, bis er in seiner eigenen blutigen Spur liegenblieb. [...] Der zusammensackende Körper machte ein Geräusch, als würde ein gespanntes Tuch langsam zerrissen. Echo der platzenden Arterien. Lauter Gerinnsel, das unter den Schuhsohlen klumpt. Körperkrach. [...] Wie konnte ein einzelner Körper so laut sein.“ (S. 20)

Das ist state of the art Gewaltdarstellung, cool und in slow motion, etwa wie in Natural Born Killers, deren Protagonisten Mega-Stars der Live-Berichterstattung sind. In Rosenfest werden die Terroristen inszeniert wie andere Stars auch. Shooting in Paris: Baader tritt in einem Café auf wie ein „professioneller Fotograf“ und redet im „Fotografenjargon“ auf Gudrun Ensslin ein: „Na komm schon, sagt er mit fester Stimme, ich will nur deine Augen, sonst nichts, sieh mich an, sieh mich einfach nur an“ (S. 140). Oder auch: „jetzt will ich deinen Mund, nur deinen Mund“ (S. 141) Ensslin lächelt, wirft ihren Kopf zurück und „fühlt sich [...] wie eine echte Pariserin mit einem französischen Mann an ihrer Seite, der sie sein Modell sein läßt, sein einziges verehrtes Fotomodell.“ (S. 142) Ensslin, das Model. Dann wird ein dunkelblauer Citroën geklaut, man fährt in die Toskana, in ein Landhaus, wo die Terroristen Tomaten mit Mozzarella auf der Terrasse essen und venezianischen Wein trinken. Gudrun trägt dazu eine übergroße „modische Sonnenbrille“, ihre Begleiterin Peggy einen champagnerfarbene BH mit „durchsichtig geflochtenen Körbchen“ (S. 170f), alles französischer Herkunft. „Alles, was wir zu sagen haben, werden wir von nun an schießen“, schreibt Baader aus Italien an die deutsche Presse, und fährt fort: „Schießen kann wie Ficken sein. Unser Spaß wird es sein, so lange eve of destruction zu spielen, bis sie es nicht mehr hören können“ (S. 212). Terror, Sex und Pop werden amalgamiert. Zurück in Deutschland, nach einem Sprengstoffanschlag und einem blutigen Schußwechsel mit der Polizei, probiert Gudrun in einer teuren Boutique eine teure rote Bluse an. „Die Bluse sitzt eng. Sie betont den Frauenoberkörper, der sich selbstbewußt präsentieren soll.“ Gudruns lange blonde Haare fallen auf das „aggressive Rot“ der Bluse, deren enger Schnitt die „Formen ihres Busens deutlich freigibt“, sie sieht gut aus (S. 244).

Man könnte hier einwenden, vieles entspreche doch den Tatsachen. Das mag stimmen. Es mag durchaus sein, daß Ensslin und Baader immer gut gekleidet waren, bevorzugt BMWs fuhren, Koks snieften oder guten Wein schätzten. Mir geht es aber hier genausowenig um die reale Realität des Terroristenalltags wie zuvor um die wirkliche Wirklichkeit des ersten Weltkriegs, sondern um die Auswahl und das Arrangement der Elemente in einem popkulturellen Tableau, um die Art des Recyclings, von der es abhängt, was erinnert und was vergessen wird. In Tristesse Royal, zumal bei Joachim Bessing, und in Scholz’ Roman wird der Terrorismus in ein ästhetisches Programm integriert, das – ganz anders als Goetz’ perspektivenreiche und differenzierte Sicht – kaum noch etwas zu tun hat mit politischen Motiven und Wirkungen, mit den Opfern der Anschläge und der Jagd der Täter durch das BKA. – 1967 und auch 1977 sind von diesem Tableau weit entfernt, denn es werden nur jene Elemente dieser historischen Schichten zitiert, die in das Programm einer coolen Ästhetik passen: Mode, Models, Drogen, Sex. Der Terrorismus wird so losgelöst von seiner historischen Umwelt, von seinem genuinen Kontext und selektiv für den Konsum der Gegenwart neu zurechtgemacht. Dieses Verfahren nennt das Quintett Remodeling. Genau wie vom ersten Weltkrieg bei Alexander von Schönburg kaum etwas ankommt, was mit den Jahren von 1914 bis 1918 zu tun hat, sondern eher literarische und vor allem massenmediale Klischees, so kommt auch vom Deutschen Herbst 77 und seiner Geschichte nichts an außer wiederum Klischees: Demonstrantinnen in Donna Karan-Kostümen und Terroristen in Armani-Anzügen. Nachdem man die historische Dimension des Kriegs und des Terrors abgestriffen hat, um wenige Elementarteilchen zu recyceln und in ein ganz und gar ästhetisiertes Paradigma einzufügen, kann man ohne weiteres sagen, „wir brauchen eine Somme-Offensive“ oder „von innen bomben“ sei cool. Die diachrone Dimension der Aussagen verschwindet beinahe komplett hinter der Semiose des stimmigen popkulturellen Arrangements, allenfalls bleibt soviel übrig, daß ein provokativer Effekt erzielt wird und sich zumindest ein paar Leser wünschen, ein Prada-Rucksack möge im Adlon landen. – Ist aber die historische Dimension des Terrors einmal völlig weggewischt, bleibt von ihm nichts weiter übrig als eine mediale Oberfläche, mit der die Popkultur spielen kann. Zwischen Supermodels und Terroristen besteht dann kein Unterschied mehr, denn in beiden Fällen hat man es mit Stars zu tun, deren Aufgabe es ist, schön und cool zu sein. In Tristesse Royal wird daher wie schon bei Bret Easton Ellis zwischen Terroristen und Models gar nicht mehr unterschieden, und ein Helfer am Set eines Shootings kann genausogut ein neues Magazin für eine Pistole besorgen wie einen neuen Film für die Kamera (S. 494ff). Es ist nur konsequent, eine Modestrecke im RAF-Stil zu fotografieren. Die Zeitschrift Tussi deluxe hat dies jüngst getan, und die Zeitschrift Max hat es umgehend recycled. Diese Oberfläche schauen wir uns jetzt einfach an.



[1] Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett, Berlin 1999, S. 137f.
[2] Vgl. Blumen des Bösen, Nr. LXXVI.
[3] In: Tumult 4, Weinheim 1982, S. 131-142, S. 131.
[4] Um genau zu sein: Terror des Ganzen und Krieg dem Ganzen.
[5] Vgl. Remarque, Im Westen nichts Neues, S. 89f.
[6] Jünger, In Stahlgewittern, S, 8.
[7] Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, S. 9.
[8] Ernst Jünger, Der Kampf als inneres Erlebnis, S. 48, 33, 99.
[9] Zit. n. Jens Malte Fischer, Polemos-Polemik, S. 75.
[10] Zit. n. Benjamin, Kunstwerk, S. 43.
[11] Siegert, L’Ombra della Macchina alata, S. 273.
[12] Jens Malte Fischer, Polemos-Polemik, S. 70f.
[13] Jens Malte Fischer, Polemos-Polemik, S. 70.
[14] Moritz Baßler, ‚Science of the Particular’. Perspektiven einer literaturwissenschaftlichen Texttheorie der Kultur, S. 8.
[15] Moritz Baßler, ‚Science of the Particular’. Perspektiven einer literaturwissenschaftlichen Texttheorie der Kultur, S. 8.
[16]Zeit-Bilder, 1960, 2., überarb. Aufl. 1965, 3. Aufl. 1986, S. 206.
[17] Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, Werke Bd. 5, S. 633f, FN 9.
[18] Zit n. Poschardt, Cool, S. 127.
[19] Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie, in: Nietzsche-Werke, Herausgegeben von Karl Schlechta, Bd. 1, S. 14.