Ringvorlesung Avantgarden der Kunst und Literatur:

Surrealismus, Kunstkörper, Fotografie

Bochum, 1.12.1999

Inhalt:

I.Leitkategorien der Avantgarden

I.1. Avantgarde als raumzeitliche Kategorie

I.2. Der Mythos vom Avantgardekünstler, seinem Werk, seinem Rezipienten

II.Literarische Entwürfe

II.1. Der surrealistische Autor/Künstler und sein ideales Objekt: die weibliche Kunst-Frau

II.2. Der ideale surrealistische Raum: Großstadt/Straße, das Theater des Grand Guignol und der

Boulevard du Crime

III. Das surrealistische Gesamtkunstwerk der Exposition Internationale du Surréalisme, Paris 1938:

Irritation oder Bestätigung von Autorschaft-Werk-Betrachter?

IV. Die Fotografien der Surrealismus-Ausstellung: Steigerung des Ephemeren oder Fixierung zum Werk

sekundärer Ordnung und damit Re-Installation des Künstlers/Autors?


 


I


 


Der Begriff der Avantgarde bedarf der Aufklärung“, schrieb Hans Magnus Enzensberger 1963 in seinem Aufsatz „Die Aporien der Avantgarde“, (1) also in genau der Zeit, als zumindest in den bildenden Künsten mit der Pop Art die ersten Neo-Avantgarden die eng verknüpften Konzepte von Moderne, Modernismus und Avantgarde außer Kraft zu setzen begannen. Bekanntermaßen dem miltiärischen Kontext zugehörig, verbindet der Begriff Avantgarde eine Stellung im Raum – das „avant“, d.h. die Position an der vordersten Front – mit „garde“, also einem – wie es Renate Berger formulierte – „hoch privilegierten, exklusiven, sich als Elite begreifenden und auf kämpferische Auseinandersetzungen gerichteten Männerbund im (und für den Schutz) eines Mächtigen.“ (2) Sie führt weiter aus, daß in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich mit der Übertragung des miltärischen Begriffs auf die Künste der räumlichen Kennzeichnung von avant die zeitliche Dimension hinzugefügt wird. Auch künstlerische Entwicklungen werden von nun an konsequent in einer linearen Entwicklung gedacht. Dies geschieht jedoch nicht mehr nur mit dem Blick zurück, wie dies allen damals florierenden historistischen Perspektiven zueigen war. Avantgardismus wurde vielmehr von zahlreichen Künstlern und Künstlergruppen nun auch programmatisch für ihre eigene Gegenwart postuliert. Indem sich die Realisten, dann die Impressionisten, Expressionisten, Dadaisten und Surrealisten parallel zu ihrer künstlerischen Praxis als Vorhut einer neuen Kunst zu manifestieren suchen, schreiben sie sich bereits in die zukünftige Kunstgeschichte ein. Oder, wie es Enzensberger formulierte: „Das en avant der Avantgarde möchte gleichsam Zukunft im Gegenwärtigen verwirklichen, dem Gang der Geschichte vorgreifen.“ (3) 

Hier wird bereits deutlich, daß die Avantgarden sich damit nur noch fester in die Linearität ihrer eigenen Konstruktion verspannen, ja daß sie diese gleichsam selbst von der vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft fortschreiben. Ein Dilemma, denn: wie kann man in einer kontinuierlichen Vorwärts- bzw. Aufwärtsbewegung immer aufs Neue den springenden Punkt markieren, der die Erneuerung erst ermöglicht? 

Zwei grundsätzlich verschiedenen Zeitkonzepte stehen sich also widersprüchlich gegenüber: die punktuelle Setzung von etwas ganz Neuem, das künstlerische Innovation heißt, und dessen Einordnung in die Kontinuität künstlerischen Fortschritts. In dieser Dichotomie verbirgt sind ein sekundäres Problem. Denn die punktuelle Setzung künstlerischer Innovation ist das Manifest einer Selbsteinschätzung der Künstler in ihrer eigenen Gegenwart. Durch seine Teilhabe am linearen Fortschrittsdenken tritt es jedoch gleichzeitig in ein System der Wertung ein, das nicht das der Künstler, sondern das der (Kunst)Historiker ist. Birgt der Begriff der Avantgarde nämlich schon – räumlich gesehen – das Paradox, daß der Vorhut notwendig das gros, d.h. die Masse der Truppe bzw. der Künstler, und schließlich die Nachhut folgt, so kann auch zeitlich gesehen immer erst aus dem Blick zurück entschieden wird, wer und was als Avantgarde Gültigkeit erhält. Schon das Grundkonzept einer für die eigene Gegenwart postulierten Selbstmanifestation der Künste als Avantgarden ist daher ein brüchiges. Es stellt sich zudem historisch als ein Konzept heraus, das notwendig auf einem in die Zukunft weisendes Glaubensbekenntnis gründet: dem des Fortschrittglaubens, der auch für andere gesellschaftspolitische Bereiche nicht erst heute zunehmend fragwürdig geworden ist. 

Dennoch hat sich das Avantgardekonzept als durchaus langlebig erwiesen. Ein Grund hierfür ist sicherlich das hartnäckige Fortbestehen eines Progressionssdenkens auch in den Künsten, das sich trotz vielfältiger Veränderungen teilweise und in Einzelaspekten bis in die Postmoderne und die Neo-Avantgarden fortgesetzt hat. Ein zweiter Grund ist möglicherweise in der Figur des Avantgardekünstlers zu suchen, der als zentraler Bestandteil des Kunstsystems trotz zahlreicher Modifikationen bis heute nicht ganz außer Kraft gesetzt ist. Donald Kuspit hat dies folgendermaßen formuliert: „Diese Vorstellung vom Avantgardekünstler wurde zur Existenzberechtigung moderner Kunst, zu ihrem Kernstük, Rückgrat und ihrer Rechtfertigung in einem. (..) Moderne Denker schrieben ihm besondere Authentizität, Unverfälschtheit und Macht zu.“ (4). 

Können wir also von der Avantgarde in den bildenden Künsten keineswegs als von einem Stil sprechen, so ist ihren verschiedenen Gruppierungen dennoch ein vergleichbares Konzept des modernen Künstlers als Avantgardekünstler gemeinsam, eines Künstlers, der stets Neues schafft. Damit tritt er in Sezession zu bestehenden Kunstformen (daher die vielen Avantgarde-Gruppen, die das Wort Sezession in ihrem Namen führen: Münchener, Wiener Secession etc), damit grenzt er sich aber auch gesellschaftlich vom Mainstream ab. Gerade aus dieser Positionierung im Kunst- wie im Gesellschaftssystem leitet das Konzept des Avantgardekünstlers jedoch dessen spezifische Authentizität ab. Nicht mehr visueller Spiegel der Gesellschaft, sprich nicht mehr Reflex ihrer Oberflächen und Regelsysteme, sondern Ergründer ihrer tieferen Struktur, nicht mehr ihr Apologet sondern ihr kritisches Korrektiv will der Avantgardekünstler sein. Die Macht, die diesem modernen Künstlermythos damit zugeschrieben wurde, trennte ihn jedoch auch von seinen Rezipienten, machte ihn zur parareligiösen Heilsfigur, dessen Werke die Betrachtergemeinde aus ihrer Blindheit erwecken sollten. 

Zwei ihm zugeschriebene Eigenschaften, die kausal eng miteinander verknüpft sind, statten den Avantgardekünstler mit dieser christologischen, heilsbringenden Macht aus: “eine davon schreibt ihm außergewöhnliche Wahrnehmungsfähigkeit zu, die andere betrachtet ihn als einzig Authentischen inmitten einer inauthentischen Gesellschaft. In Enrico Bajs Worten ist dies der Grund, weshalb Avantgarde-Kunst, obwohl sie keine „definitive Position“ bezieht, sich „Dingen auf formaler Ebene widersetzt“, das heißt, von der Wahrnehmung her subversiv ist, und weshalb sie „sich der Bürokratie widersetzt und sich gegen sie wendet“, das heißt innerhalb der Gesellschaft subversiv erscheint. Der letzte mythologische Schliff wird dem Künstler durch seine Idealisierung als Umwandler von Werten verliehen – für seine Revolution innerhalb des Lebensgefühls, die seine perzeptuelle und persönliche Authorität bewirkt und symbolisiert. Sie dient nicht nur der eigenen Veränderung – seiner persönlichen Befreiung aus der Agonie des Lebens, der er sich ständig bewußt ist, eine Befreiung, die er sehnlichst herbeiwünscht – durch die Kunst, die seine Authentizität verkörpert, verwandelt er auch die Leben anderer."(5). 

Nach diesen einführenden Bemerkungen, in denen ich das grundlegende raumzeitliche Konzept der Avantgarde beschrieben bzw. hinterfragt habe und nach dem kritischen Blick auf seine Kernfigur, den Avantgardekünstler und sein Werk, möchte ich mich jetzt näher auf meinen eigentlichen Gegenstand zubewegen, nämlich den Surrealismus. Anhand eines ausgewählten Motivbereichs und anhand einer speziellen medialen Perspektive möchte ich in Bezug auf den Surrealismus danach fragen, wie sich die Avantgarde-Konzepte vom Künstler als heilsbringendem Vermittler und seinem Werk als authentischer widerständiger Botschaft in diesem Kontext konstituieren. Das heißt, meine Fragen werden lauten: wie wird traditionelle Autorschaft hier einerseits aufgekündigt andererseits modern gewendet und versteckt wieder eingeführt? Welche Form des Werks wird hier in Szene gesetzt? Inwiefern unterscheidet es sich vom geschlossenen homogenen Werkkorpus traditioneller Art bzw. inwieweit schleicht sich der kompakte Werkbegriff auf versetzter, medialer Ebene wieder ein? Und meiner Herkunft als Forscherin auf dem Gebiet der Geschlechterforschung entsprechend, werde ich mit den Worten Renate Bergers natürlich auch fragen: „Wie verhält sich die Idee der Avantgarde zum Geschlecht der Avantgardisten? Auf welchen konkreten (...)Vorstellungen von „Männlichkeit“ oder „Weiblichkeit“ baut sie auf? Welche Vorurteilsstrukturen werden benutzt oder angegriffen?“ (6)

Im engeren Sinn möchte ich Ihnen unter diesen Fragestellungen ein komplexes Ausstellungsprojekt der Gruppe der Surrealisten vorstellen, das diese gleichsam als letztes großes visuelles Manifest vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges inszeniert haben. Gemeint ist die Exposition internationale du Surrealisme von 1938 in Paris, die – wie der Name bereits sagt, Beiträge von über 60 Künstlerinnen und Künstlern aus 14 Ländern in einem Gesamtkunstwerk zusammenführte, d.h. in einer Rauminstallation avant la lettre. Diese umfangreiche Inszenierung war durchgängig geprägt von zahlreichen Variationen eines Themas: und zwar von sehr unterschiedlich umgestalteten Schaufensterpuppen. Die surrealistischen Künstler, die sie überformten, waren bis auf eine Ausnahme männlich, die künstlichen Mannequins bis auf eine Ausnahme als gesteigerte Weiblichkeit in Szene gesetzt. Die klassische Relation von männlich konnotiertem Autor und weiblich konnotiertem Modell bleibt hier also erhalten. Hinzu kommt, daß die Schaufensterfigurinen sehr naturalistisch waren, bevor sie von den Künstlern auf bizarre Weise umhüllt wurden. Ihnen wohnt daher die illusionistische Potenz der Verlebendigung inne, vermochte man doch erst auf den zweiten Blick zu erkennen, ob es sich um eine „echte“ oder eine „künstliche“ Frau handelte. Dies ist ein Vermögen, das die surrealistischen Künstler explizit an den künstlichen Mannequins reizte. Der Ovid’sche Künstlermythos von Pygmalion klingt hier an, jenem Künstler, der eine perfekte Frau aus Marmor schuf, sich in sie verliebte, sie für echt nahm und Venus um ihre Verlebendigung bat und diesen Wunsch gewährt bekam. Es ist ein Mythos, der sich bereits seit dem 18. Jahrhundert dahingegend modernisierte, daß Pygmalion durch seinen Blick der Liebe bzw. des Begehrens gepaart mit seinem schöpferischen Können die künstliche Frau selbst zu verlebendigen vermochte. Ich möchte Ihnen also die Ausstellung sowohl als Inszenierungsform dieser Verlebendigungsstrategie zwischen surrealistischem Künstler und seinem idealen surrealistischen Objekt – der Puppe - vorstellen, in der traditionelle geschlechtsspezifisch kodierte Vorstellungen des Künstlers fortleben. Gleichzeitig möchte ich aber auch nach den avantgardistischen Aspekten der Erneuerung fragen, die die Surrealisten proklamierten und teilweise auch einlösten. Denn sie versuchten durchaus auf ihre Weise eine Kritik am Schöpfungsakt, handelte es sich doch bei den Schaufensterpuppen eben nicht um selbst gestaltete, sondern um appropriierte, lediglich aus einem anderen Kontext entlehnte Figuren. Damit ging es den Surrealisten auch um eine Infragestellung von Autorschaft, die jetzt nur noch passivisch und zufällig ihre idealen Objekte findet, statt sie erfindet. Darüber hinaus arbeiteten sie an einer Kritik des Kunstsystems, indem sie eine klassische Kunstgalerie in ein surreales Panoptikum verwandelten, das den Ausstellungsraum gleichsam auf den Kopf stellte. Und schließlich ging es ihnen um eine Kritik am damals virulent werdenden rassistischen Körperbild des gesunden ganzen Körpers, wie ihn der Nationalsozialismus unmittelbar zuvor offensiv ins Feld der bildenden Kunst getragen hatten (Ausstellungen "Entarte Kunst"“und ihr Pendantder „Große Deutsche Kunstausstellung). Neben diesen sezessionistischen Anteilen in der Arbeit der Surrealisten, die programmatisch und konkret avantgardistische Positionen einzulösen versuchten, möchte ich also auch ihre blinden Flecken nicht aus dem Blick verlieren, die wir – wie schon gesagt – erst posteriori zu benennen vermögen. Einen blinden Fleck nannte ich bereits, er verdankt sich einer Verhaftung im traditionellen Geschlechterdiskurs. Einen zweiten blinden Fleck nehme ich in den Blick, indem ich die Auflösung des Werkbegriffs im ephemeren, flüchtigen Objekt der Schaufensterpuppen, die für sechs Wochen gemietet, überformt, dann wieder entkleidet und an die Puppenfirma zurückerstattet wurden, hinterfrage. Ich hinterfrage dies speziell vor dem Hintergrund ihrer fotografischen Überlieferung. Denn die Ausstellung und vor allem die Schaufensterpuppen wurden von zeitgenössischen Fotografinnen und Fotografen, die teils selbst dem Kreis der Surrealisten angehörten, in zahlreichen Bildsequenzen aufgenommen und veröffentlicht. Inwieweit die Fotografie selbst Teil eines Kunstkonzept des Ephemeren, Vorübergehenden ist, inweit sie aber auch als Mittel der Verstetigung, Fixierung und Festigung im Sinne eines traditionellen abgeschlossenen Werks fungieren kann, wird daher ein weiterer Gegenstand meiner Ausführungen sein.


 


IIa


 


Aber nun zu den avantgardistischen Prämissen, die in der Internationalen Surrealismus-Ausstellung von 1938 zum Tragen kamen. Dabei möchte ich literarische Äußerungen zum Verhältnis von surrealistischem Autor und seinem weiblichen Kunstmodell im Kontext des idealen surrealistischen Raums heranziehen, um dann konkret auf die Exposition surrealiste von 1938 und ihre fotografischen Umsetzungen einzugehen.

Zunächst also zum literarischen Konnex von surrealistischem Autor, künstlichem Modell und ihrer Begegnung im surrealistischen Stadtraum:

Nicht nur Walter Benjamin, Siegfried Kracauer und Franz Hessel begaben sich in der Nachfolge Baudelaires und Freuds auf die Straßen der Städte und gerieten dort zwangsläufig immer wieder in die von zweifelhaften Frauen bewohnten zwielichtigen Straßenlabyrinthe, um stets sich selbst und dem eigenen Begehren zu begegnen. (7) Auch die Surrealisten, unter ihnen Aragon, dann Breton machten die Straßen der Stadt zu imaginären Orten ausgefallener Begegnungen mit dem Weiblichen. (8) Ihre Begehungsstruktur ist dabei eine, die sich auf den Flaneur zurück bezieht. Sie gehen nicht bestimmten Zielen nach, sondern lassen sich passiv von den Dingen in der Stadt ansprechen. Die Schaufensterpuppen, jene von Aragon skizzierten „modernen Skulpturen“ in der Passage de L’Opéra, werden ihnen dabei zu Sphinxfiguren mit beschränkter Macht. Das große Rätsel des 19. Jahrhunderts, die Terra incognita des weiblichen Sexus verkörpernd, schlummert ihr Wirkungspotenzial unerkannt in der Verpuppung ihrer altmodischen Erscheinung. Anders als die modernen Schaufensterpuppen hinter denVitrinen, die dem Auge des geschäftigen Passanten nicht preis geben, ob sie käufliche Ware oder Frau sind, haben die von den Surrealisten beschworenen altmodischen, wächsernen Schaufenstermodelle einen ganz anderen Status. Die weibliche Kunstfigur scheint bei ihnen in einen Status der Latenz versetzt. Sie tritt in die Dingwelt der Stadt zurück, um von dort aus unvermittelt eine ganz andere Wirkungsmacht zu entfalten. 

Im Rahmen surrealistischer Umkehrstrategien, die Realität als Effekt der Imagination, Vernunft als Derivat des Irrationalen verstanden, bewegte sich der moderne Pariser Stadtgänger wie gesagt nicht auf etwas zu, sondern sah sich als Resonanzboden der Bewegungen der Stadt, als Registrierfeld, in das sich die Menschen und Dinge wie in eine Wachstafel oder wie auf das Negativ eines fotografischen Films eintragen. Die Vorstellung vom Stadtgänger als Kamera ohne Verschluß kommt Bretons Charakterisierung des Surrealisten in der Stadt als eine Art „Aufnahmeapparat“ überraschend nahe. Der rezeptive, für alle Wunder der Stadt offene poète en état desurprise betritt nun als poète automatique die Pariser Straßen. 

Der auktoriale Gestus vollkommen gesicherter Autorschaft scheint in diesem passiven Aufnehmen ganz im Sinne des surrealistischen Automatismus Bretons und Max Ernsts ausgesetzt. Zahlreiche Spuren gesteigerter Erwartung, die als Antrieb erotischen Begehrens in die Stadtbegehung einfließen, widersprechen dem jedoch und zeugen von der „künstlichen“ Ungerichtetheit des Schritts wie des Blicks. Sie sind auf ein irgendwie geartetetes Ereignis, den Zufall, den Schock gerichtet. Zumeist ist diese Erwartung wie in Bretons textenNadja und L‘amour fou nichts anderes als das klassisch Beaudelaire‘sche Sehnen nach der „zufälligen“ Begegnung mit der unbekannten Frau. Einer Art Wiederholungszwang nachgebend, findet der Autor von Nadja sich immer wieder im selben Viertel des Boulevard Bonne Nouvelle wieder, jenem schon durch seinen Namen so vielversprechenden Ort der Stadt, dessen Attraktion er gleichsam blind erlegen zu sein scheint. 

Der Stadtgänger Breton’scher Prägung befindet sich in einem Zustand, der zwei Zeiten und zwei Vorstellungen des Blicks wie des Begehrens fusioniert. Eine vehement auf die Zukunft gerichtete Bewegung der erotischen Suche, die sich hinter dem Schleier des „erhofften Findens“, der überraschenden Begegnung versteckt, trifft auf einen Modus der Nachträglichkeit, wenn er plötzlich die ständige Wiederholung seiner Begehungsstruktur der Stadt erkennt. Denn er überrascht sich selbst immer erst a posteriori in der Zwangsläufigkeit seiner Bewegung. Im Moment, in dem er sich selbst zum Objekt seiner Anschauung macht, findet er sich stets an denselben Orten wieder. Der Gleichzeitigkeit von Begehren und Wiederholungszwang korrspondiert die Simultaneität der auktorialen Bemächtigungsstrategie des Autors gegenüber der Stadt und deren Verführungsmacht, die den Stadtgänger wie eine Marionette lenkt. Durch die Überblendung von Aktivum und Passivum, Agens und Stasis, von Erwartung des Neuen, Überraschenden und der Zwangsläufigkeit des immer Gleichen, werden der Stadtgänger, die Metropole, aber auch die Frau in der Stadt, zu lebendig-toten Chimären, die beide zwischen Subjekt und Objekt changieren. Mal verlebendigen sich ihm Stadt und Frau in einer Begegnung, die auch die Dinge zu ihm „sprechen“ läßt. Mal „findet man“ den Autor/Stadtgänger stets in derselben Straße als Automaton, aufgezogen von einem unsichtbaren Mechanismus, der scheinbar von der Stadt auf ihn übertragen wird: Maschine in der Maschine. Das heißt, den Weg des Breton’schen Stadtgängers kreuzen nicht nur Zeichen erotischer Lockung und Erfüllung, die das Geheimnis der Stadt und der Frau frei zu geben scheinen, sondern auch deren beunruhigende Kehrseite im Zeichen des erstarrten Panoptikums. Und nicht nur was er sucht und findet, wird ihm doppelgesichtig, sondern in seiner zwanghaften Bewegungsart selbst liegt bereits die Ambivalenz eines unheimlichen Flanierens zwischen Begehren und Automatismus, Eros und Thanatos:

Walter Benjamin hat diese Ambivalenz anhand Bretons Nadja- Figur herauskristallisiert. Ihr kommt einerseits eine verlebendigende Funktion im Kontext des Stadtraums zu, die der männlichen Ich-Figur dazu verhilft, aus den Verkrustungen „altmodisch“ gewordener Dinge und Formen „das surrealistische Gesicht der Stadt restlos herauszutreiben“. (9) Andererseits gelingt ihr diese Vermittlung einer historischen Entbergungshandlung nur indirekt. Erst indem sie selbst in die Nähe zu den Dingen in der Stadt rückt und den Blick der Ich-Figur über sich auf diese lenkt, kann sie zum Movens seiner Erforschungen werden. Sie ist damit primär erkenntnisleitendes Vehikel und erst in zweiter Linie Ziel seines Begehrens:

Die Funktion Nadjas ist, folgt man Benjamin, die Geschichte der Stadt zu vergegenwärtigen, die in ihren „überlebten“ und marginal gewordenen Dingen siedelt. Diese Verlebendigung versteht er jedoch keineswegs im Sinne einer nostalgischen Erinnerung, sondern er beschreibt sie deutlich in Analogie zum fotografischen Akt. Das heißt, das Abgelebte soll aus seiner alten Sinnhaftigkeit gelöst und zur – wenn auch banal gewordenen – Evidenz des Hier und Jetzt verlebendigt werden. Nadja steht hier – Objekt neben Objekten - für diese leere Evidenz der Oberfläche. Erst in dieser Banalisierung aber, in dieser Rückführung auf nichts als ihre Oberfläche, können die Dinge plötzlich die Imagination des Betrachters animieren und andere Bedeutungen offenbaren. Weil Nadja den Dingen so nahe ist, wird sie sowohl zum Agens wie zum Objekt dieser verlebendigenden Erkenntnis. In ihrer Funktion des idealen surrealistischen Modells wird Nadja als Zwitterfigur erkennbar, die neben ihrem Vermögen, dem Autor die Dinge zu verlebendigen, indem er aus deren Oberfläche neue Bedeutungen entbirgt, notwendig zur personifizierten Mortifikation wird. Im zwanghaften Wiederholungsgestus des Autors fächert sich Nadja denn auch in vielfache Präfigurationen und Nachbildungen auf. Ihr Auftauchen im Text erscheint daher wie eine leere Durchgangsinstanz von der erwarteten Frau zu deren posthumer Betrachtung. Die permanente Ersetzbarkeit von Nadja, die „aber jede andere und sogar je eine bestimmte andere hätte sein können“, (10) macht sie zum Auslöser und Objekt jener Such- und Entbergungsgeste, die kein Ende findet. Damit ist sie dem idealen surrealistischen Objekt verwandt, das durch Zufall gefunden (objet trouvé) oder aus der Fülle der Dinge ausgewählt (ready made) wird, immer aber metonymisch für ein Anderes einsteht. Indem Nadja Motor und Ziel des Begehrens zugleich ist, das auf sie, aber auch über sie hinaus zielt, kann der Autor/Stadtgänger sie jedoch nicht fixieren, um ihrer Oberfläche einen „tieferen“ Sinn zu entreißen. Das heißt wir haben es hier mit einer Konfiguration zu tun, die sowohl kontrollierte Autorschaft wie auch die Fixierung und sinnhafte „Ergründung“ seines Objekts im Werk zur Disposition stellt.

Das künstliche Mannequin, die Wachsfigur taucht als eines ihrer Doubles auch in Nadja auf. Sie wird dabei zur paradigmatischen Umkehrfigur, die einer Kombination beider Zustandsformen, derjenigen völliger Immobilität, die uneingeschränkte Untersuchung erlaubt, und derjenigen unendlichen Ersatzes, am nächsten kommt:

„Die hinreißende Wachsfigur, die man im Musée Grévin sehen kann: es ist eine Frau, die im Schatten ihr Strumpfband befestigt, und die einzige Figur, soviel ich weiß, die Augen hat, Augen, die herausfordern.“ (11)

Diese letzte Substitution Nadjas ist – obwohl Ding – Verführerin, weil Trägerin eines „lebendigen“ provozierenden Blicks. (12) In ihrer Überblendung mit Nadja kann sie – und das erzählt die letzte Epsode, die unmittelbar hierauf folgt – die Autorfigur tödlich erblinden lassen, wenn er sich diesem Sog nicht entzieht. 

Breton beschreibt unmittelbar im Anschluß an die „Begegnung“ mit der wächsernen Verführerin des Musée Grévin die berühmte Episode, in der Nadja mit ihm zu verschmelzen droht: Ihr Fuß wird zu seinem, während er auf das Gaspedal des Autos tritt, ihre Hand will gleichzeitig seine Augen verdecken, während sie ihm den letzten Kuß als Zeichen ewiger Vereinigung im Tod aufdrückt. Diese in die Marginalie einer Anmerkung verschobene Szene ist jedoch der Angelpunkt der ganzen Geschichte, aus der der Autor heldenhaft als geschlossenes Ich hervorgeht. Drohte die Frage „Qui suis je?“, die er sich im ersten Satz von Nadja stellt, in der völligen Auflösung des männlichen Ich im weiblichen Anderen, in der Fusion von Eros und Thanatos, ihre Antwort zu finden, so ist die letzte Episode mit Nadja auch diejenige, in der die Ich-Figur zum männlichen Subjekt wird. Dies geschieht, indem die Figur des Autors die ultimative Grenze, die in dieser tödlichen Schwellensituation der verschmelzung lauert, bewußt nicht übertritt. Mit dem lapidaren Satz „Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß ich diesem Verlangen nicht nachgab“ (13) bauter sich vielmehr genau in dieser Situation zur integralen Ich-Figur auf und bestätigt dies, indem er ab hier eine „andere“Frau als Gegenüber konstruiert, ein „Du“, das Nadja nie sein konnte. 

Die deutlich sexuell konnotierte Wachspuppe kann diese Passage der Ich-Figur innerhalb der Narration deshalb inaugurieren, weil sie einerseits Signum permanenter Vervielfältigung eines lebendigen Weiblichen und damit einer fortgesetzten Verführung zu erotischer Verschmelzung und Ichverlust ist, während sie auf der anderen Seite in ihrer Stasis das fixe Gegenüber verkörpert, das das männliche Betrachter- bzw. Autor-Subjekt reinstalliert. (14) Hatte Breton bereits im „Surrealistischen Manifest“ von 1924 - ohne dies jedoch näher zu definieren – „le mannequin“, die Wachsfigur bzw. Schaufensterpuppe, zum Exempel des Wunderbaren im Aragon’schen Sinn des „Im Wirklichen aufscheinenden Widerspruchs“ erklärt(15), so wird hier, vier Jahre später, in Nadja deutlicher, welche grundlegende Signifikanz sie für die Konstitution surrealistischer Autorschaft hat. Diese entwirft sich als permanente Handlung, als stets neuer Akt des Durchgangs vom Status passiver Verschmelzung zur aktiven Trennung von Ich und Du, Mensch und Ding, männlichem Autor und weiblichem Objekt. 

Das künstliche Mannequin ist aber nicht nur bedeutsam als vexierbildartiges Motiv sowie Auslöser männlichen Begehrens und surrealistisch verstandener Autorschaft, wir müssen die weibliche Schaufenster- oder Wachspuppe vielmehr auch im Koordinatensystem des surrealistischen Raums, des surrealistischen Objekts und des im Kern „fotografischen“Schaffensprozesses surrealistischer Bildproduktion verstehen.


 


IIb


 


Daher hier ein kleiner Exkurs zum Surrealistischen Stadtraum, der für die Installation der Exposition Surrealiste noch von Bedeutung sein wird:

Daß die Stadt Paris zum paradigmatischen surrealistischen Raum avancierte, in dem sich die ideale männliche Ich-Figur und sein ideales weibliches Pendant, die künstliche Frau, begegnen, klang bereits an. Ihr „sürrealistisches Gesicht“ jedoch zeigt die Stadt besonders an jenen Orten, an denen sich örtliche wie zeitliche Verwerfungen abspielen. Eine solche Tempus-Verschiebung hat Walter Benjamin besonders in den zum Interieur tendierenden Passagen des 19. Jahrhunderts herauskristallisiert. Mit ihren inkompatiblen Materialien und ekklektizistischen Formen beheimaten sie in der Moderne nicht mehr die Prostituierten, „die Weibsfauna der Passagen, Huren, Grisetten, alte hexenhafte Verkäuferinnen, gantières, demoiselles“ (16), sondern lediglich ihre altmodischen Doubles, die wächsernen Büsten der Friseurläden. Aragons geheimnislosen Sphinxfigurinen gleich, vermögen sie nur noch von der Diskrepanz von Vergangenheit und Gegenwart zu künden:

„Oft beherbergen diese Binnenräume veraltete Gewerbe und auch die durchaus aktuellen bekommen in ihnen etwas Verschollenes. Es ist der Ort der Auskunfteien und Ermittlungsinstitute, die da im trüben Licht der oberen Galerien der Vergangenheit auf der Spur sind. In den Auslagen der Friseurläden sieht man die letzten Frauen mit langen Haaren. Sie haben reich ondulierte Haarmassen, die ‚indéfrisables‘ sind, versteinerte Haartouren. Kleine Votivtafeln sollten sie denen weihen, die eine eigene Welt aus diesen Bauten machten, Baudelaire und Odilon Redon, dessen Name selbst wie eine allzugut gedrehte Locke fällt. Statt dessen hat man sie verraten und verkauft und das Haupt der Salome zum Einsatz gemacht, wenn das, was dort von den Konsolen träumt, nicht das einbalsamierte der Anna Czillag ist.“ (17) 

Diese städtischen Orte der Passagen, an denen sich die Zeiten wie im Palimpsest schichten, finden ihre anthropomorphen Verkörperungen in den altmodischen weiblichen Wachsfiguren. In ihrer Kombination aus Überkommenem und marginal Gewordenem werden diese nach innen gefalteten Straßen mit ihren künstlichen Bewohnerinnen jedoch auch zu Tatorten mit einer „anarchischen Aura“, der der surrealistische „Erwartungsschrecken“ entgegenfiebert. (18) Dort werden altertümliche Investigationsbüros und aus der Mode gekommene Friseurpuppen zu unheimlichen Komplementärfiguren, die das Verschollene darstellen und gleichzeitig aufzudecken versprechen. Sie öffnen sich einem anderen Modus der Erkenntnis, indem sie zu Indizien, zu „Beweisstücken im historischen Prozeß werden“. (19) Weibliche Wachsfigur und Passagen potenzieren sich gegenseitig in ihrem Schwellencharakter. In der anthropomorphen Übergangsfigur und in der städtische Zwischenzone durchkreuzen sich die Zeitschichten. Die Passagen machen die Stadt aber auch räumlich nach Innen und Außen durchlässig. So wie die Wachsfigur in Nadja zur Durchgangsinstanz eines Wandels vom verlorenen Ich zum rekonfigurierten Ich wurde, so werden die Glas-Eisen-Galerien der Belle Epoque zu Orten zeitlicher und räumlicher rites de passage in der Moderne. 

Neben ihnen gibt es einen weiteren städtischen Ort, der für den Surrealismus ähnlich wichtige mythische Qualitäten aufweist. Es sind die Boulevards und Gassen, an denen sich die zwielichtigen Etablissements „niedriger Vergnügungen“ aneinanderreihen. Sie haben in noch höherem Maße Tatortcharakter. Und so überrascht es nicht, daß Bretons Ich-Figur in Nadja die Gegend um die Porte St. Denis durchstreift, von der der Boulevard Montmartre mit seinen billigen Theatern, Kabaretts, Cafés, Kinos und dem wachsfigurenkabinett des Musée Grévin abgeht. Es überrascht auch nicht, daß der Autor ins „Thèatre des deuxMasques“ oder das „Théatre Moderne“ geht, die in der grotesken Tradition des Grand Guignol spielen, oder daß er einen winzigen Kinomathographen besucht, um dort den fünften Teil eines „Grand Sérial mystérieux en 15 episodes“ mit dem schönen Titel „L’oeil deSatan“ anzuschauen. Der Boulevard du crime wird hier als assoziativer Straßenraum aufgerufen, den die marktschreierischen Schaustellungen grausamer und burlesker Theaterstücke, die Panoptiken wächserner Unholde und später die Verkaufsstätten der Groschenblätter mit den „faits divers“, den Feuilletonromanen und ungeheuerlichen Begebenheiten aus der großen Stadt säumten. (20) Die vom Jahrmarkt stammenden blutrünstigen Theater des Grand Guignol (21) und die Kinos mit detektivischen Serienfilme à la Fantomas waren vom Zentrum der Schaulust ins Obskure abgedrängt worden. Jenseits bürgerlicher Hochkultur wurden sie gerade durch ihren kulturell wie räumlich marginalisierten Status für die Surrealisten interessant. In ihrer provokativen Zur-Schau-Stellung des Horrors und dessen Unterbrechung im befreienden Lachen grotesker Einlagen tat sich zudem auch strukurell eine Nähe zum Surrealen auf:

„Das Grand Guignol steht im Zeichen des doppelgesichtigen Janus. Er hat zwei Gesichter, oder zwei Masken: den Schrecken auf der einen Seite, das Lachen auf der anderen. (...) Das Grand Guignol systematisiert in einem gewissen Sinn dieses Verfahren, indem es die Spannungen des Lachens und des Entsetzens ins Gleichgeicht bringt.“ (22)

Die janusköpfige Struktur des Grand Guignol erinnert an die chimärische Struktur der Wachsfigur des Musée Grévin. Die Bühnenfiguren im Theater des Schreckens und des Lachens changieren permanent zwischen verunglückten, vergifteten, grausam zerstückelten Toten, die oftmals ganz offensichtlich durch Puppendoubles in Szene gesetzt werden und ihrer fröhlichen Wiederauferstehung im nächsten Akt. Denn: 

„Ähnlich wie im Alptraum, aber auch beim zerstörerischen Kinderspiel blieben die Leichen am Grand-Guignol nicht lange liegen. Sie wurden noch gebraucht, denn das Spiel ging weiter.“ (23)

Das Grand-Guignol stand also ästhetisch für „konsequente Geschmacklosigkeit als befreiende Lebendigkeit“ (24) im Sinne antibürgerlicher Revolte. Darüberhinaus brachte es im harten Wechsel von Schauerstück und Burleske den skandierenden Schnitt zur Aufführung, der eine Realitätsebene von der anderen trennte und der der kontingenten Wahrnehmungsstruktur in der Stadt ebenso entsprach wie dem fotografischen wie filmischen Sehen und dem surrealistischen Prinzip der Sabotage. Der Bruch des Schreckens durch das Lachen sprengt aus der Erstarrung der Angst eine Pause, einen Zeitsprung heraus, der nicht nur unmittelbare psychisch-physische Entlastung im Sinne der „Choc-Bewältigung“ ist (25), sondern die Chance birgt, diese in eine Öffnung der Wahrnehmung umzulenken:

„Das komische Stück, die Farce, der witzige Dialog sind ganz offensichtlich nie mehr gewesen als das nötige Intermezzo, um die Zuschauer aus der Ohnmacht der Angst soweit zu lösen, als es bedurfte, um ihr Verlangen nach einer neuen Dosis starker Emotionen wiederzuerwecken.“ (26)

Der intermittierende Akt selbst, der den Blick auf das Bühnengeschehen relativiert, ist hier für surrealistische Künstler interessant. Er entspricht ganz dem von Breton beschworenen „Zwischenraum“, der sich ihm retrospektiv bei der Lektüre von Nadja zwischen jedem Satz, jedem Wort auftat und neue Bedeutungen freigab, der aber auch der Konfiguration des künstlichen Mannequins eigen ist.

„Der Surrealismus stellt sich als Generalangriff auf eine Fassadenwelt dar, die weggesprengt werden muss, wenn Erfahrung möglich werden soll und nicht nur das Einsinken in die vorregulierte, durch Erwartungem und regeln vergitterte Welt.“ (27) Daher ist „die Keimzelle des surrealistischen Verfahrens der aktive, wenn man will, experimentelle Zugriff auf einen Bruch in den Phänomenen, nicht dessen schlichte Registrierung. (...) Choc und Pause markieren die Stelle, an der Sabotage und Surrealismus einander beleuchten können.“ (28)

Weiblichkeit und Stadtraum bedingen einander in ihren spezifisch surrealistischen Ausprägungen als Umschlagfigur von Frau/Puppe und animierend kriminellem Tatort. Als Verkörperungen jenes symptomatischen Bruchs der Sabotage, der surrealistisches Handeln hervorbringt, gewinnen sie in den Ausstellungen und Fotografien der Bewegung in den Dreißiger Jahren eine Schlüsselposition. In der Exposition internationale du Surréalisme von 1938 wurde schließlich die Schaufensterpuppe zum idealen surrealistischen Objekt und die theatralische Inszenierung eines städtischen Tatorts verwandelte den Galerieraum in eine Kombination von Grand Guignol und Boulevard du crime.


 


III


 


Abb. Einladungskarte zur Surrealismus Ausstellung, Paris 1938

Abb. Denise Bellon: Le Taxi pluvieux von Salvador Dali.

Die vierte Pariser Ausstellung der Surrealisten wurde am 17. Februar 1938 in der von Georges Wildenstein geführten Galeriedes Beaux Arts, in der Rue Faubourg Saint Honoré eröffnet. (29) Die Tatsache, daß dort zuvor eine El Greco Ausstellung stattgefunden hatte, macht deutlich, daß die Surrealisten hier dezidiert das Terrain klassischer Kunstgalerien zur Folie ihrer auch räumlichen Uminterpretationen machten. Wildenstein war souverän genug, ihnen freie Hand zu geben. Die brisante Mischung aus gehobenem bürgerlichem Kunst-Ambiente und vorhersehbarer surrealistischer Provokation trug sicher dazu bei, daß die Galerie am Eröffnungsabend die Menge der Neugierigen kaum zu fassen vermochte. Die Einladung hatte die Erwartung eines „delightful horror“ geweckt, dem sich nur allzu viele Pariser der Haute Bourgeoisie hinzugeben gedachten. (30) Wurde auf der Einladungskarte einerseits um Erscheinen in Abendgarderobe zur extravaganten Stunde von 10:00 Uhr abends gebeten, so ließ sie gleichzeitig keine Rückschlüsse auf ausgestellte Werke oder beteiligte Künstler zu. Vielmehr versprach sie imaginär anmutende Orte und phantastische Ereignisse. Die Erscheinung von Androiden, das heißt von künstlichen menschenähnlichen Wesen, wird gleich zweimal angekündigt, als Dingwesen (êtres-objets), als Chimären aus toter Materie und lebendiger Gestalt also, und als „authentischer Sproß Frankensteins“ der – anscheinend ein „kleines Geheimnis“ verkörpernd - den Namen „Enigmarelle“ – von Enigma/Geheimnis herrührend - erhielt. Der Text bezeugt fiktiv – einer Geburtsurkunde gleich - die Konstruktion dieses Automaten durch einen amerikanischen Ingenieur im Jahr 1900 und kündigt sein Erscheinen für die Geisterstunde nach Mitternacht an, wo er, aus falschem Fleisch und falschen Knochen zusammengesetzt, die Ausstellung durchschreiten werde. Das Foto, dem diese Ankündigung wie eine Bildlegende unterlegt ist, zeigt eine von Polizisten flankierte Figur mit eckigem Körperbau und blonder Perücke, die jedoch weder in dieser noch in einer anderen Gestalt bei der Vernissage auftauchte. Die Allusionen in der Einladung an Groschenromane und Schauerstücke aus dem Theater des Schreckens und des Lachens sind überdeutlich. Sie werden zudem durch Versprechen hysterischer und anderer schockierender Darbietungen ergänzt. Neben diesen Ereignissen, die der Ausstellung schon vorab die Erwartungsangst unheimlicher Begebenheiten beimengten, sind es vor allem bizarre und verführerische Orte, die den Besuchern avisiert wurden: Betten am Rande von Wassertrichtern, Himmel aus Kohlesäcken und die schönsten Straßen von Paris. 

Und tatsächlich hatten die Surrealisten, die sich im schmalen Katalog wie Intendant, Dramaturg und Beleuchter eines Theaters vorstellten, ein begehbares Environment geschaffen, das alle bisherige Konnotationen von Kunstwerken und Galerieräumen außer Kraft setzte. 

Im Vorhof empfing die Gäste Dalis Regentaxi, ein altes von Efeu um- und durchranktes Automobil aus der Marne-Gegend, in dessen Fond eine weibliche Schaufensterpuppe in Abendrobe mit einer Nähmaschine auf dem Nebensitz saß. Chauffeur war eine lebensgroße Gliederpuppe, deren Kopf von einer dunklen Brille verdeckt und von einem knöchernen Haifischmaul gerahmt war, als wäre es ein Sturzhelm. Das Innere wurde kontinuierlich mit Wasser berieselt, so daß die Abendtoilette der „Dame“ sich in schmutziges Leinen und die blonde Perücke in filzige Strähnen verwandelte, während ein Vielzahl von Weinbergschnecken ihre schleimigen Spuren hinterließen. In einem Text von Dali, der das Ensemble in grotesker Sprachverschiebung kommentierte, spricht er neben der symbolischen Zahl von zweihundert Schnecken von zwanzig winzigen Fröschen, die kleine Goldkrönchen tragend das nasse Interieur belebten. (31) Die märchenhafte Referenz an den Froschkönig und an Dornröschen zugleich kennzeichnet die Insassen des Taxi pluvieux als Figuren der Metamorphose zwischen Erstarrung und Verlebendigung. Als Doppelgänger/Innen der Ausstellungsbesucher verweisen Sie so bereits im Entrée auf den Durchgang durch die Ausstellung als Ritede Passage, die niemanden unverändert entläßt.

Abb. Denise Bellon: Mannequins von Espinoza, Wolfgang Paalen und Dali, 1938.

Im Anschluß an das Regentaxi führte die Ausstellung in einen langen, von künstlichen Mannequins gesäumten Korridor der Plus belles ruesde Paris. In regelmäßigen Intervallen erwarteten die Besucher dort sechzehn Schaufensterpuppen, die je von einem surrealistischen Künstler gestaltet wurden. (32) Hinter ihnen zeigte ein Schild jeweils Straßennamen an. Sie trugen entweder symbolträchtige reale Bezeichnungen Pariser Geographien wieRue Vivienne, in der Lautréamont wohnte,Rue Nicolas-Flamel, die an einen mittelalterlichen Alchimisten gemahnte, Rue de la vieille Lanterne, in der Gérard de Nerval Selbstmord beging, oder sie hießen Passage des Panoramas bzw. Porte des Lilas und verwiesen damit auf von den Surrealisten bevorzugte städtische Orte. (33) Andere Straßennamen entpuppten sich jedoch als phantasiereiche Neuschöpfungen mit lyrischem oder dämonischem Tenor: Hier wechselten unvermittelt die Rue d‘une Perle, die Rue Cerise, die Rue aux Lèvres, in die Rue de la Glacière, die Rue de la Transfusion du Sang oder die Rue de tous les Diables. Neben die Straßenschilder applizierten die Künstler Plakate, Zeichnungen und Postkarten, die monografische Ausstellungshinweise mit Hinweisen auf surrealistische Aktivitäten kombinierten. Sie gewinnen im pseudo-öffentlichen Kontext der fingierten Straßen Aufruf- und Manifestcharakter.

Abb. Josef Breitenbach: Internationale Surrealismus-Ausstellung Paris, Hauptraum, 1938.

Abb. Raoul Ubac: Objekt des Hauptraums von Georges Hugnet: La Table est mise.

Der Hauptraum der Ausstellung schließlich erweiterte die lineare Struktur der Straße der Mannequins und ließ diese in einen zentralen Ort münden. Hier waren die heterogenen Elemente nicht mehr additiv rezipierbar, sondern kumulierten in einer dichten Gesamtinszenierung. Marcel Jean hat diesen Raum am ausführlichsten beschrieben:

„Hier schwamm das Wunderbare sozusagen auf der Oberfläche des Humors, war der Raum verfremdet, eine phantastische Metapher, in die der Besucher, ob er es wollte oder nicht, hineingezogen wurde: eine riesige gewölbte Grotte aus zwölfhundert aufgehängten Kohlesäcken; der sanft gewellte Boden war mit einem dicken Tepich welker Blätter bedeckt, und in einer Bodenfalte schimmerteein Teich mit Seerosen und Schilf. Inmitten dieser unterirdischen Lichtung, einer Synthese der inneren und äußeren Welt, thronte auf einem kleinen Podest als Zeichen der Freundschaft ein Brasero, eines dieser eisernen Glutbecken vor den Terassen der Pariser Cafés, um die sich die Surrealisten im Winter häufig zusammengefunden hatten, und in den Ecken des Saales schimmerten unter golddurchwirkten Seidendecken vier prächtige, enorm breite Betten als Zeichen der Liebe. Zu beiden Seiten des Brasero waren an den Tetraedern zweier Drehtüren Graphiken angebracht. (...) Hinter einem Wandschirm wurde Kaffee geröstet, im Untergeschoß verbreiteten sich die Düfte Brasiliens, während ausdem Lautsprecher die klopfenden Paradeschritte der deutschen Armee ertönten.“ (34)

Marcel Jean spricht hier die Gruppenmythologie an, die diese maßgeblich von Duchamp konzipierte Rauminszenierung prägte. Der Brasero, d.h. der Kohleofen im Zentrum und die vier üppig ausgestatteten Betten in den vier Ecken bilden gleichsam das symbolische Koordinatensystem eines surrealistischen Kosmos, dessen Kern die (Männer)Freundschaft und dessen Himmelsrichtungen die Variationen der Liebe sind. () In diese Grundstruktur fügten sich surrealistische Objekte nahtlos ein, unter ihnen solche mit anthropomorphen Anteilen wie Marcel Jeans bemalte Schneiderpuppe Horoscope, Kurt Seligmanns Hocker auf vier Frauenbeinen mit dem Titel Ultramöbel, Oscar Dominguez‘ Grammophon Jamais, in dessen Trichter zwei künstliche Beine verschwanden, um als Hand des Plattenarms wieder hervorzukommen, und Georges Hugnets La Table est mise, ein Tisch, aus dessen Oberfläche ein Puppenkopf mit blondem Haar wuchs. Die Wände hingegen waren durchaus klassisch einer Vielzahl programmatischer Gemälde, Zeichnungen und Collagen vorbehalten, eine statische Präsentation, die nur durch die zwei Drehtüren Duchamps mit ihrer permanenten Bilderzirkulation durchbrochen wurde. Dieses dicht gefüllte surrealistische Koordinatensystem folgte – einer modernen Wunderkammer gleich – zwar einer eigenen Systematisierung, vernetzte sich in der Fülle der ausgestellten „Meraviglien“ jedoch unvermittelt zu einem Gewebe ganz eigener, zunächst undurchschaubarer Bezüge. Gerade hierdurch aber hob der surrealistische Mikrokosmos der Ausstellung von 1938 alle anderen Kosmologien mit ihren klaren, wenn auch oft imaginären Ortzuschreibungen aus den Angeln: So lassen die Naturreferenzen und -reste von See, Schilf, Laub einen öffentlichen städtischen Ort, die Galerie, von innen überwuchern, und verwandeln ihren kubischen Raum in eine amorphe Höhle. Die Kohlesäcke, mit Papier zu prallen Volumina gebläht, werden zu modernen Stalaktiten, die die Kategorien von Decke und Boden invertieren. Die akustischen und geruchsbezogenen Elemente schließlich, präsent durch den intensiven Duft frisch gemahlenen Kaffees und das monotone militärische Marschgeräusch bzw. hysterische Gelächter aus dem Grammophon (36), drangen über die Sinnesorgane von Nase und Ohr gleichsam direkt in die Besucher ein, ließen deren Körper zu sensorischen Resonanzböden werden. Diese wurden so zu Teilen der Inszenierung im Sinne von Membranen, durch die die Reize der Ausstellung osmotisch hindurchgingen. Innen und Außen, Oben und Unten, Natur und Kultur, Ausstellungsraum und Körperraum durchmischten sich an diesem Ort zu einem Amalgam, das nicht einfach verkehrte Welt sein wollte, sondern einen „anderen“ synthetischen Raum erwachsen ließ. (37) Daran hatte nicht zuletzt auch die performative Inszenierung der Ausstellung einen hohen Anteil, die das Verhältnis von blickendem Subjekt und angeschautem Werk aufzulösen suchte. Wurden die Besucher und Besucherinnen bereits bei ihrer Ankunft im Vorhof unvermittelt mit ihren stillgelegten DoppelgängerInnen im Taxi pluvieux konfrontiert, Spiegelbildern ihrer selbst als statische Ausstellungsobjekte, und fand in den nach innen gestülpten „schönsten Straßen von Paris“ einen Begegnung statt, die die künstlichen Mannequins und die BesucherInnen in einem wechselseitigen Défilé parallelisierte, so steigerte sich diese Irritation von Betrachter, Betrachterin und angeschautem Objekt durch die raffinierte Lichtinszenierung. 

Man Ray, Verantwortlicher für die Beleuchtung, hatte die Ausstellung durch eine Schiene mit Tageslichtbirnen erhellen wollen. Am Abend der Eröffnung inszenierte er jedoch eine ganz andere Art der Illumination, ob beabsichtigt oder tatsächlich wegen eines Stromausfalls bleibt offen. Die Ausstellung blieb jedenfalls unbeleuchtet, die Besucher erhielten eine Taschenlampe Marke Mazda und mußten sich im Dunkeln ihren eigenen Weg durch die Räume und zu den Exponaten suchen. Ein wichtiger Effekt war, daß die eingeschränkten Lichtkegel Gemälde, Êtres-Objets, Schaufensterpuppen und Mitbesucher gleichermaßen trafen.

„Unnötig zu erwähnen“, schreibt Man Ray nicht ohne Süffisanz, „daß die Taschenlampen mehr in die Gesichter der Leute als auf die Werke selbst gerichtet wurden. Wie bei jeder überfüllten Eröffnung wollte jeder wissen, wer sonst noch da war.“ (38)

Die Mannequins und anthropomorphen Objekte konnten so zu Besuchern werden, die Besucher wiederum zu den für viele offenbar interessantesten Ausstellungsfiguren. In dasselbe Licht der irrlichternden Suchscheinwerfer getaucht, entstammten sie einer einzigen performativ und medial vermittelten Raumsphäre. Der Kunstgriff Man Rays bestand darin, das sich die Ausstellung und ihre Bewohner – d.h. die Puppen und Besucher - als Effekte der individuell ausgerichteten Licht-Projektionen manifestierten.

In der räumlichen wie ereignishaften Inszenierung der Ausstellung kommen daher vielschichtige Refenzen zum Tragen, die in der Fotografie der Mannequins ihre Modifikation und Steigerung erfuhren. Ex negativo bezog sich die Ausstellungsgestaltung auf die Räume von Museum und Galerie, ins Positive gewendet auf diejenigen des Kinos und der Großstadtstraße als Tatort. 

Hatte Breton dezidiert davon gesprochen, daß die Surrealismus-Ausstellung von 1938 gegen die konventionelle Ordnung der Galerien und Museen rebellieren wollte, so griff diese dennoch auf ältere Modelle zurück wie die der Kunst- und Wunderkammern, in denen kosmologische Modelle sich mit individuellen Vorlieben und Mythologien durchwirkten. Sie bezog sich aber auch auf gleichzeitige Bestrebungen wie den Pavillon de l’Élégance der Pariser Weltausstellung mit ihren künstlerisch gestalteten Interieurs und Mannequins, wo sich Kunst und Kommerz bereits unheilig vereint hatten. Mit den individuellen Lichtprojektionen durch die Besucher wurde die Ausstellung darüber hinaus zum Auslöser und zur Folie eines Musée imaginaire, das an die Stelle konventioneller musealer Erfahrungen trat. Breton hat eine derartige Umwandlung traditioneller Bildergalerien durch die Phantasien der (männlichen) Besucher bereits in Nadja gepriesen:

„Ich habe Hochachtung vor jenen Männern, die sich nachts in einem Museum einschließen lassen, um bequem und zu verbotener Zeit, ein Frauenbildnis betrachten zu können, das sie mit einer Blendlaterne anleuchten. Notwendigerweise wissen sie nacher viel mehr von dieser Frau als wir. Möglicherweise will das Leben wie eine chiffrierte Botschaft entziffert werden. Geheime Treppen, Rahmen, aus denen schnell die Bilder gleiten und verschwinden, um einem Erzengel mit einem Schwert Platz zu machen, oder für jene, die allezeit vorrücken müssen; Knöpfe, auf die man sehr indirekt drückt und die die Veränderung eines ganzen Saales in seiner Höhe und Länge und den schnellsten Wechsel des Dekors hervorrufen; das größte Abenteuer des Geistes darf man sich wie eine derartige Reise ins Paradies der Fallen vorstellen.“ (39)

Im Licht der Taschenlampe findet der Ablösungsprozeß statt, der die eigenen immateriellen Vorstellungsbilder von ihrer manifesten Grundlage löst, ohne daß die Referenz ganz aufgehoben ist. Damit ist die Allusion an den Kinoraum eröffnet. Wie in den frühen Kinomatographen müssen im Schein der Taschenlampen während der Eröffnung der Surrealismusausstellung im Bewußtsein und vor den Augen der unterschiedlichsten Besucher ganz individuelle filmische Narrationen abgelaufen sein. Nur, daß das Publikum nicht fest in seinen Kinosesseln saß, sondern im Gedränge von einer „festen Einstellung“ zur nächsten schwenkte und sich ganz en passant aktiv seinen eigenen ephemeren Film schuf. Dem Raumzitat des ins Kino transponierten Musée imaginaire gesellte sich schließlich die Großstadt als geografische Metapher hinzu. Insbesondere in den „schönsten Straßen von Paris“ trafen die Besucher auf geputzte weibliche Kunstfiguren, die von der damaligen Kunstkritik - sicher in Konformität mit den meisten Betrachtern - als starre Strichmädchen bezeichnet wurden. (40) Ein sonst marginalisierter Stadtraum wurde hier plötzlich sichtbar und auf engstem Terrain so komprimiert, daß niemand ihm ausweichen konnte. Ort des Verbotenen, wurde er in der Ausstellunsginszenierung nicht nur zur Metapher psychischer Innenwelten sondern auch zum Exerzierfeld detektivischen Sehens. Mit den Taschenlampen „bewaffnet“, wurden die Besucher gezwungenermaßen zu Investigatoren und „Tätern“ zugleich. Im Akt des Ent-Deckens nämlich ließen sie simultan das sichtbare Bild der verbotenen weiblichen Verführerinnen erst entstehen. Mit der Beleuchtung vermeintlicher Agentinnen krimineller Überschreitung verlebendigten die Besucher die verbrecherischen Verführerinnen gleichsam selbst und ließen sie ihre Wirkungsmacht erst voll entfalten. Die „Plusbelles rues de Paris“ gaben sich damit als Boulevard du Crime zu erkennen, an dem sich im Licht individueller Projektionen stille Wachsfiguren eines Musée Grévin, gefesselte, geknebelte Opfer des Grand Guignol und schöne Prostituierte des Pariser Straßenstrichs der detektivischen wie erotischen Schaulust gleichermaßen darboten. 

Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß wir es hier mit einer umfassenden Irritation der Kategorie singulärer Autorschaft zu tun haben, denn siekommt in der Gesamtinszenierung partiell zum Verschwinden. Der Künstler erfindet keine Werke, sondern formt bereits Vorgefundenes um. Das „Werk“ löst sich zudem in der Lichtperformance und durch seine zeitliche Struktur des Ephemeren, Flüchtigen teils auf. Hinzu kommt, daß wir es mit einer Lockerung des Verhältnisses von Werk und Betrachter zu tun haben, indem eine potentielle Umkehrung von Objekt und Zuschauer inszeniert wird. Daß die Infragestellung sowohl von Autorschaft wie von auktorialem Betrachter nur auf der Basis einer Begehrensstruktur möglich ist, die das traditionelle Geschlechterverhältnis von als männlich vorausgesetztem Künstler bzw. Rezipienten und weiblichem Objekt zementiert, läßt sich ebenfalls als Zwischenergebnis festhalten.


 


IV


 


Abb. Raoul Ubac: Schaufensterpuppe von Maurice Henry, 1938

Abb. Raoul Ubac: Schaufensterpuppe von Espinoza, 1938

Betrachtet man nun die Fotografien, die von der Internationalen Surrealismus-Ausstellung 1938 entstanden, fällt rein quantitativ eine Diskrepanz zu den schriftlichen Äußerungen über sie auf. In der Fotografie zogen die Mannequins der „schönsten Pariser Straßen“ wesentlich häufiger das Auge auf sich als es das komplexe Gefüge des Hauptraums vermochte. Fotografen und Fotografinnen wie Raoul Ubac, Gaston Paris, Josef Breitenbach, Robert Valencay, Man Ray, Denise Bellon und Thérèse Le Prat haben sich zumeist nicht nur in Einzelbildern sondern in ganzen Bildsequenzen mit den surrealistischen Mannequins von 1938 auseinandergesetzt. (41) Sie fanden dabei durchaus unterschiedliche Zugangsweisen. Allen gemeinsam ist jedoch, daß sie sich vom dichten Bedeutungsnetz der Figurinen und ihrer Räume affizieren ließen. Jenseits des dokumentarischen Charakters, der bei einigen mehr bei anderen weniger mitschwingt, iniziierten sie in ihren Fotografien einen eigenen medialen Prozeß und schufen neue, fotografische Räume, die die Ausstellung kongenial auch jenseits ihres zeitlich und räumlich begrenzten Daseins in der Galerie Wildenstein fortsetzten.

Raoul Ubac beispielsweise hat eine Serie von ganzfigurigen Aufnahmen der Mannequins von Maurice Henry, Espinoza, Sonja Mossé, Max Ernst, Marcel Duchamp gemacht, die die Puppen offenbar zum Teil während der Konstruktionsphase zeigen, da ihnen noch einige Details fehlen. Er wählte eine undramatische Beleuchtung, die die Details der Puppen in ein klares, nüchternes Licht versetzten. Maurice Henrys Mannequin läßt so deutlich das tuffige weiße Material der Watte erkennen, durch die ihr Kopf wie in eine Wolke gehüllt scheint. Auch der dunkle Gazeschal mit der Halskrause aus Wäscheklammern, der Büstenhalter aus feinen Fliegendrahtglocken, der dunkle ährenbesteckte Rock mit der Gürtelschnalle, bestehend aus einem Schloß und zwei Schlüsseln, sind klar auszumachen. (42) Dasselbe gilt für die Puppe Espinozas, deren dunkler Umhang sich in eine schmale Stoffbandage verlängert, dabei ein Bein, Taille und Handgelenke umschlingt und als Acessoir zwischen elegantem modischem Dekor und Fesselung changiert. Das Foto zeigt detailliert, wie die Hutkappe von dem Knochen eines Tierschädels bekrönt wird und wie die Gelenke, die bei der Puppe keine beweglichen Scharniere freigeben, sondern ihren Körper aus einem Guß erscheinen lassen, am Knie, an der Leiste, an den Fingern, in der Armbeuge und an der Schulter durch feine Stecknadelbündel punktiert sind. 

Abb. Raoul Ubac: Schaufensterpuppe von Sonia Mossé, 1938

Abb. Raoul Ubac: Schaufensterpuppe von Max Ernst, 1938

Ähnlich nüchtern ist die Puppe Sonja Mossés ausgeleuchtet, deren dunkler Witwenschleier sich in zweifachem Bausch am Hinterkopf und von der Wade abwärts sammelt. Kleinere und größere Skorpionattrappen akzentuieren in pointiertem fotografischem Schwarzweißkontrast Auge, Mund, Brust und Bauch, während am Oberkörper künstliche Seerosen erblühen und zwischen den Beinen der Kelch einer Lotusblume hervorragt – die einzige Mannequin-Künstlerin hat damit auch die einzige dezidiert phallische Interpretation des Puppengeschlechts im engeren Sinn vorgenommen. Die Schaufensterpuppe Max Ernsts schließlich ist fotografisch ebenfalls undramatisch in Szene gesetzt. Der schwarze Hut mit Witwenschleier und durchsichtigem Umhang ist ebenso deutlich ins Licht gerückt wie das weiße Dessous und die bis auf die Löcher und Laufmaschen erkennbaren schwarzen Seidenstrümpfe, an deren Strumpfband sich die am Boden liegende einzige männliche Puppe des Ensembles zu schaffen macht. Mit weißer Weste und dem Malerkittel Max Ernsts bekleidet, trägt sie den für den Surrealismus symbolträchtigen Kopf des Löwen von Belfort: Emblem militärischer Macht, die hier von der weiblichen Puppe gebrochen scheint. (80) Im Hintergrund sind im skandierten Weiß-Schwarz die Mannequins von Miró und Espinoza zu sehen. 

Was in Josef Breitenbachs und Denise Bellons Fotos der Plus belles rues de Paris durch den Kamerastandpunkt deutlich als tiefenräumliche Staffelung der Puppen reinszeniert ist, findet in Ubacs Foto der Ernst’schen Puppe seinen Widerhall: Den Stationen eines Kreuzwegs ähnlich, wird das Auge von einer Figur zur nächsten geleitet. Die ganzfigurig aufgnommenen Figuren Maurice Henrys, Espinozas, Sonja Mossés, aber auch Duchamps und Seligmanns hat Ubac jedoch ganz aus diesem Zusammenhang gelöst. Die ihnen zugeordneten Straßenschilder sind nicht mehr zu sehen und die kommentierenden Plakate sind – wenn sie überhaupt ins Bild ragen - stark angeschnitten. Die für die Wahrnehmung der Puppen als Bewohnerinnen eines phantasmatische Straßenstrichs vorausgesetzte Parataxe findet hier nicht im Einzelbild statt, sondern verlagert sich auf die additive Zusammenschau der fotografierten Mannequins. Das perfekte surrealistische Objekt ist so aus dem Stadtraum in den Ausstellungsraum und von dort in den fotografischen Raum und damit den des Betrachters gewandert. Die fotografierten Mannequins offenbaren hier ihren Permutationscharakter in zwei Richtungen. Sie sind in ihrer medialen Genealogie Doubles von Doubles, indem die reale begehrenswerte Frau auf den Pariser Straßen erst in die flüchtigen, vielgesichtigen literarischen Figuren Nadjas und ihres Alter Egos der Wachsfigur im Muséé Grévin überwechselt, dann in die materiell fixierten Schaufensterpuppen, die ihre merkantilen Gefängnisse hinter den Fenstern der Warenauslagen verlassen haben, um in der Surrealismus-Ausstellung zügellos das Auge der Besucher zu verwirren, und die schließlich in das fotografische Mannequinbild wandert, wo sie – dem Betrachter scheinbar unendlich nahegerückt -, sich seinem Zugriff noch mehr entzieht als Bretons Hauptfigur. Die fotografierten Schaufensterpuppen werden aber auch durch ihre Reihung als potentiell unendlich reproduzierbare Kunstfiguren ausgewiesen. Analog der literarischen Folge der Vor- und Nachbilder Nadjas bildet die Parade der sechzehn Mannequins schon in der Ausstellung ein Stakkato, das sich nun in der fotografisch nahegelegten Sequenz von Ubacs isolierten Puppen doppelt. Für beide Formen der scheinbar unendlichen Doublierung, die einmal als in die genealogische Tiefe gehende vertikale und einmal als horizontale Staffelung eines ikonografischen Moduls erfahrbar wird, ist die Fotografie das kongeniale Medium. Durch die von Rosalind Krauss herauskristallisierte Ästhetik des Abstandes vermag die Fotografie der Mannequins die Herkunft der fotografierten weiblichen Figur von einer realen, zeit-räumlich existenten Kunst-Figur zu bezeugen, zugleich vermag sie deren Vexiercharakter in einem medialen Raum zu inkorporieren, in dem die reale Frau wie die künstliche Puppe gleichermaßen aufgehoben sind. Die Frage Bretons „Wie kann man die Wachshand von der wirklichen unterscheiden?“, die erangesichts der Modeaufnahmen Man Rays von lebenden wie künstlichen Modellen stellte, betrifft diese Vexiermacht des Fotos. Er beantwortete sie ganz im Sinne einer rhetorischen Frage selbst:

„Die beiden Bilder sterben durch die gleiche Erschütterung und zur gleichen Stunde, im gleichen sich verlierenden und verlöschenden Schein. Sie sind immer gleich vollkommen, es fällt schwer zu denken, sie existierten nicht auf derselben Ebene, man meint sie seien einander so unentbehrlich wie das berührte und das berührende. (...) Wer das Schiff der Fotografie sicher durch den nahezu unbegreiflichen Strudel der Bilder zu lenken versteht, der wird das Leben wieder in seine Fänge ziehen, so als ob man einen Film rückwärts drehen würde.“ (43)

Breton beschreibt hier nicht von ungefähr gerade im Vergleich von lebendem Modell und Puppe das mediale Vermögen der Fotografie, das abgebildete Objekt gleichzeitig zu mortifizieren und zu verlebendigen. Die fotografische Schicht nimmt beide gleichermaßen auf und gewährt ihnen hier und nur hier den Raum, in dem sie sich gegenseitig das Potential perfekter Erstarrung und pulsierenden Lebens verleihen können. Es ist aber auch jene Eigenschaft, die ihm schon in Bezug auf Nadjas letzte Verkörperung in der verführerischen Wachsfigur des Musée Grevin den doppelten Status von passivem Aufnahmeapparat und auktorialem Künstlersubjekt ermöglichte. Hier wird deutlich, wie die Doppelstruktur der Puppe und der Fotografie in potenzierter Form wirksam wird, indem die erstarrte Bewegung und ihre Umkehr in idealer Fusion in Erscheinung tritt. Daher wird das fotografierte künstliche Mannequin zum eigentlichen idealen surrealistischen Objekt. Ubac unterstrich darüber hinaus mit seiner Art und Weise, die Mannequins der Surrealismus-Ausstellung zunächst zu isolieren, um sie dann in eine eigene fotografische Staffelung zu überführen, das andere genuin fotografische Vermögen. Indem er gleichsam in der Horizontalen Abzug für Abzug die gleichen, lediglich anders ausstaffierten Mannequins vor unseren Augen aufreiht, verweist er einerseits symbolisch auf die mechanische Reproduzierbarkeit des fotografischen Bildes, das mit jedem Abzug dieselbe Aufnahme im gleichen Material ermöglicht. Die Puppe wird somit zu Gleichnis des fotografischen Positivs. Sie weist auf dessen spezifischen Werkcharakter als reproduzierbare stoffliche Visualisierung hin. Puppe und Foto klassifizieren sich selbst und einander als Kopien, deren „Original“ nur als Negativ, als nicht materialisierte Matrix gekennzeichnet wird, die jedoch gleichzeitig eine unendliche Reproduktion generieren kann. Andererseits eröffnet Ubac jedoch mit seiner Serie der fotografierten Mannequins eine Linearität, die die zeitliche Folge ihrer Aufnahme überwunden hat. Die Reihung der Abzüge ist nicht mehr an die Sequenz auf dem Negativfilm gebunden und läßt sich ganz neu kombineren. Der Abstand zwischen den Einzelaufnahmen wird somit zu jener Pause, die die Freiheit des kombinatorischen surrealen Spiels eröffnete. So wie die Mannequins immer neue Einkleidungen erhalten, lassen sich in der fotografischen Zusammenstellung die Karten immer neu mischen. Die Schachfiguren können ungezählte Charaden eingehen. 

Abb. Man Ray: Mannequin von Man Ray, 1938

Abb. Man Ray: Mannequin von Dali, 1938

Anders als Ubacs fotografische Sequenz isolierter Mannequins haben Breitenbach, Bellon und Man Ray die Schaufensterpuppen der Ausstellung von 1938 deutlich in ihren jeweiligen Kontext eingebettet. Durch die fotografische Kadrierung erhalten sie gleichsam ein von den jeweiligen gestaltenden Künstlern dicht besetztes Gehäuse, das sie wie in einen Kokon einspinnt und sie von den anderen Puppen ganz anders abtrennt als die Fotos Ubacs. So nimmt Man Ray sein eigenes Mannequin mit den Tonpfeifen auf dem Kopf, aus denen Glühbirnen wie Seifenblasen wachsen, mit den kleinen Glastränen auf den Wangen und den großen an den Achseln, mit dem Seidenband um die Taille und der Aufschrift „Adieu foulard, Modèle déposé“, sowie der tonnenartigen Metall-Ummantelung von den Knien abwärts, nicht isoliert auf. Vielmehr sind deutlich das Straßenschild der „Rue d’une Perle“, eine an die Wand applizierte Wolke aus Pappe, auf der an einem Kleiderbügel zwei Herrenhüte und zwei Mäntel hängen, und, rechts angeschnitten, Werbeplakate für Man Ray-Ausstellungen zu erkennen. Das Mannequin hat hier seinen eigenen kleinen Kosmos im fotografischen Bild erhalten, das keiner Egänzung mehr durch die Addition in der fotografischen Sequenz bedarf. Auch Dalis Mannequin, mit einer außereuropäischen Kopfmaske in Vogelform bekrönt, einer gestrickten Gesichts- und Halsmaske, einem aufgeschlagenen Ei am Brustansatz, mit dem von Löffelchen übesähten Körper und einer kleinen Fledermaus auf dem Unterleib, ist in seine Umgebung fotografisch eingepaßt, als wäre es nicht unbedingt eine Straße. Das Möbelstück zur Rechten des Mannequins ist ein altmodisches Ausstattungsstück, auf dem Dalis „Aphrodisisches Telefon“ mit der Hummerattrappe als Gabel steht. Die Schriftzüge des Straßenschildes der „Passage des Panoramas“ sind klar zu entziffern. Ganz der städtischen Binnenstruktur der Passage gemäß, gibt sich hier auch der fotografische Umraum als Interieur zu erkennen. Der starke Schlagschatten macht das Licht als künstliche Beleuchtung erfahrbar und die Dichte der lose an die Wand gehefteten Zeitungsausschnitte und Postkarten weist eher auf eine individuelle Sammelleidenschaft hin als auf eine nach außen gerichtete, plakative Botschaft. Die Tendenz in diesen Mannequin-Fotos ist als eine Art „Privatisierung“ spürbar. Die „Verinnerlichung“ der erotisch-kriminellen Pariser Straßen in den imaginären Ausstellungsraum, der einen ganz anderen Öffentlichkeitscharakter hat, wird hier weitergetrieben und in eine fast häusliche Idylle des fotografischen Raums gefaßt. Der Fotografie selbst eignet hier also einerseits der Benjamin‘sche Etui-Charakter des abgeschlossenen bürgerlichen Gehäuses, andererseits werden hierdurch die sonst so heimischen Dinge doppelt unheimlich. Denn im solchermaßen fotografisch geschaffenen hermetischen Raum kippen die fröhlichen surrealen Vereinigungen unvermittelt ins Klaustrophobische: Treffen nämlich wie bei Man Rays Puppe ein wohlanständiger Trench mit Hut und ein aus der Abfalltonne ragendes nacktes Kunstgeschöpf im bürgerlichen Interieur aufeinander, so schwingt ein ungemütliches stummes Nebeneinander der Dinge mit, die sich keineswegs vergnüglich vereinigen. Und wenn wie bei Dali die Herrin des Hauses plötzlich primitivistisch maskiert vor ihrem überfüllten Zettelkasteninterieur erscheint, ist nicht nur das Hummer-Telefon, sondern jeder bürgerliche Ausstattungsgegenstand in Gefahr, zum beißenden Werkzeug zu werden, der sich gegen die Bewohner richtet. Der fotografische Ausschnitt als hermetischer Rahmen des bürgerlichen Interieurs weist somit selbstreferentiell auf seinen Charakter als mediales Prokrustesbett hin. Einer Zwangsjacke ähnlich, schließt er die künstlichen Mannequins und ihre Ausstattung ein und läßt ihren unheimlichen Vexiercharakter zwischen tot und lebendig gleichsam implodieren. Diese fotografische „Verinnerlichung“ mag umso beklemmender wahrgenommen werden, als in den nicht allzu großen Abzügen darüber hinaus eine Miniaturisierung im Verhältnis zum Aufgenommenen stattfindet. Zweidimensionalen Puppenstuben gleich, werden die Fotos zu starren Spiegeln ihrer bürgerlichen Betrachter und ihres Ambientes..

Abb. Man Ray: Mannequin von Duchamp, 1938

Abb. Raoul Ubac: Mannequin von Duchamp, 1938

Wie unterschiedlich dieselbe Schaufensterpuppe aufgenommen und gleichzeitig die Intention ihres Konstrukteurs mit fotografischen Mitteln forciert werden kann, zeigen zwei Fassungen von Man Ray und Ubac im Vergleich. Das relativ karg ausstaffierte Mannequin Duchamps, dem der Künstler nur seinen eigenen Hut, sein Hemd und Jackett, seine Kravatte, Weste und Schuhe „geliehen“ hat, scheint zwei völlig verschiedene fotografische Welten zu bewohnen. Bei Man Ray ist das Mannequin von der linken Seite her vor der Wand mit Zetteln, Plakaten und dem Straßenschild „Rue aux Lèvres“ so aufgestellt, so daß es einen unheimlichen Schatten auf sie wirft. Die grelle Beleuchtung frontal auf die Figur läßt das Gesicht und die entblößten Oberschenkel hell aufleuchten und in Kontrast zum festen Panzer des Jacketts und zum steifen Hut treten, der wie ein Fremdkörper auf dem Kopf des Mannequins sitzt. Das Licht gibt ansatzweise zu erkennen, was der Schatten verbirgt: Der Körperkern ist weiblich konnotiert, seine Schale männlich. Die scherenschnittartige Silhouette jedoch verschmilzt beide Bedeutungen zu einer geschlechtlich uneindeutigen Figur mit kantigem Umriß und lockiger Damenfrisur. Indem Man Ray die Puppe und ihren Schatten zu gleichwertigen Akteuren seiner fotografischen Einstellung macht, beteiligt er sich an Duchamps Strategie geschlechtlicher Verunsicherung. War das Mannequin durch seine Einkleidung mit den männlichen Attributen des Künstlers in die Rolle seines Doppelgängers bzw. seiner Doppelgängerin geschlüpft, so konstituiert es im Umkehrschluß sein Vor-Bild Duchamp über sein Nach-Bild, d.h. seinen Schatten an der Wand, als geschlechtlich ambivalent. Verspricht die Puppe selbst durch den Abstand zwischen Kostüm und Körperoberfläche noch die Möglichkeit, im symbolischen Gestus des Entkleidens den eindeutigen Sexus zu entdecken, so verweigert ihr durch die Lichtprojektion evozierter Doppelgänger diese Erlösungsgeste. Die Fotografie fixiert beide wiederum in derselben medialen Fläche. So unterbricht sie auch den prüfenden Entdeckergestus an der plastische Puppe selbst, der den Ausstellungbesuchern noch potenziell möglich war. Auf der anderen Seite verleiht die Fotografie dem flüchtigen Schatten der Puppe in der Ausstellung zu einer materialisierten Existenz. Der Abstand zwischen beiden wird im fotografischen Abzug also geringer. Das Bild reflektiert eine Art modernen fotografischen Ursprungsmythos. Indem es das Puppen-Double eines abwesenden Duchamp und dessen Schatten-Double in ein Bild bringt, spricht es vom fotografischen Verfahren, das entkörperlicht und gleichzeitig einen anderen, medialen Körper schafft. Es gibt aber auch Auskunft über die Irritation geschlechtlicher Eindeutigkeiten, die im Prozeß dieses Transfers angelegt ist. Der Abzug bietet nur eine optische Evidenz, er entzieht die aufgenommene Kunstfigur der taktilen Prüfung, oder, man könnte sagen, sie verlagert diese Prüfung auf die geschmeidige Oberfläche des Abzugs selbst. Der Abstand zwischen Körper und Kostüm, zwischen weiblich und männlich, ist in der Fotografie eingeschmolzen, wie dies der Schatten bereits vorgeführt hat. Die Fotografie kann daher wie im Fall Man Rays zur Komplizin geschlechtlicher Ambivalenzen werden, indem sie Uneindeutigkeiten des Sexus eine manifeste fotografische Verkörperung verschafft. Fotografie weist sich hier als „zweite Haut“ der Puppe aus, die deren ambivalenten Sexus signifiziert.

Raoul Ubac hat Duchamps Schaufensterpuppe ganz anders aufgenommen. In engem Ausschnitt weitgehend von ihrer Umgebung gelöst, zeigt er sie frontal, aus starker Untersicht und von der Hüfte aufwärts. Das Licht schafft keinen scharfen Schlagschatten, sondern leuchtet die unterschiedlichen Oberflächenqualitäten der Materialien von metallischem Lockenhaar, groben und feinen Kleiderstoffen und der stumpfen „Haut“ der Puppe aus. Ausschnitt und Kameraposition zeigen die Puppe aus der Perspektive eines Adoranten wie das Idol in einem Schrein. Der Fetisch wird jedoch als paradoxe Figur einer vielschichtigen Ent-Täuschung errichtet. Duchamp hatte in der Bearbeitung seiner Puppe bereits mit der Betrachter-Erwartung, das weibliche Geschlecht entblößt zu sehen, gespielt, indem er lediglich das versiegelte, nihilierte Geschlecht der Schaufensterpuppe zu sehen gab. Das nicht vorhandene Schamdreieck markierte er gleichwohl mit seinem weiblichen Pseudonym „RROSE SÉLAVY“, mit dem er seine eigenen transvestitischen Selbstportraits signierte und das phonetisch bekanntlich den Satz „Eros c’est la vie“ ergibt. Wie eine Tätowierung in die leblose „Haut“ der geschlechtlich indifferenten Kunstfigur punktiert, konstituierte Duchamp den nicht vorhandenen Sexus der Puppe ein zweites Mal als leeren Ort bzw. leeres Blatt, an dessen Stelle er eine sich unendlich fortsetzende Inversion der Geschlechter treten läßt. Hatte er sich in zahlriechen Selbstinszenierungen bereits von Duchamp zu Rrose Sélavy transformiert, so tranformiert sich der als Rrose Sélavy signifizierter Puppenkörper wieder zu Marcel Duchamp mit Hut und Kravatte. (44) Ubac treibt dieses Spiel mit seiner Fotografie noch einen Schritt weiter. Er zitiert durch die sakral anmutende Untersicht in blasphemischer Weise die Errichtung des Fetisch als parareligiöses erotisches Idol. Die ideale phallische Frau, die starre perfekte Puppe, stört jedoch in zweifacher Weise die Funktion des Fetisch. Einmal aufgrund ihrer männlichen Einkleidung durch Duchamp, zum anderen aber auch durch die nun fotografische Wiedereinsetzung des weiblichen Geschlechts, das der Fetisch ja zu ersetzen versprach. Denn Ubac hat das Mannequin so aufgenommen, daß dem neutralen Geschlecht der Schaufensterpuppe ein Schatten eignet, der vexierbildartig wieder zur Vulva wird. Die Beruhigung des versiegelten Sexus und des errichteten Fetisch kippt durch die fotografische Inszenierung augenblicklich in das Unheimliche des nun wieder sichtbar gemachten, einstmals so heimischen uterinen Ortes, den Freud beschrieben hat. 

Abb. Gaston Paris: Mannequin von Oscar Dominguez, 1938

Abb. Gaston Paris: Mannequin von Espinoza, 1938

Gaston Paris wiederum hat eine Serie gänzlich anderer Aufnahmen gemacht. Er geht mit der Kamera wesentlich näher an die Puppen heran und wählt einen engen Ausschnitt, der nur Fragmente der Straßennamen und Wandapplikationen sehen läßt. Die Kadrierung orientiert sich einerseits an der Tradition der klassischen Porträtbüste, um diese umso wirkungsvoller zu unterlaufen. Entgegen der Frontalität und der physiognomischen Detailgenauigkeit des bürgerlichen Porträts, kippt Gaston Paris die Perspektive und positioniert uns in starker Untersicht zu den sehr nahe gerückten Puppengesichtern. Die schlaglichtartige Beleuchtung schließlich tut das ihre, um die Züge der Mannequins zu dramatisieren, aber auch zu verunklären. So durchschneidet der Schatten des metallenen Hut-Reifens hart die Augenpartie der Puppe von Dominguez und ein Schattendreieck scheint auf Kinnhöhe ihren Kopf vom Hals zu trennen. Espinozas Mannequin ist durch die direkte Lichtsetzung von oben in eine helle obere und eine dunkle untere Hälfte horizontal geteilt. Die expressionistische Lichtregie betreibt in der Kombination mit der untersichtigen Nahaufnahme eine Strategie faszinierter Annäherung und grausigen Ent-Deckens. Den Augen wird noch in ihren Verschattungen ein lebendiges Licht aufgesetzt, während die zum breiten Lächeln geöffneten Lippen aggressiv die Reihen allzu regelmäßiger Puppenzähne aufblitzen lassen. Erscheint die Körperoberfläche an der Schulterpartie noch wie eine weiche Epidermis, so sind die gedrechselten Locken aus Metall gnadenlos ausgeleuchtet. Das harte fotografische Hell-Dunkel, das die Puppen in lebendige und tote Teile gliedert, bringt ihren zusammengesetzten Charakter nicht als erlösende Bildpraxis ans Licht, sondern läßt das Betrachterauge verunsichert hin- und herspringen. Gaston Paris hat hier jene Blickstruktur fotografisch fixiert, die Man Ray den Ausstellungsbesuchern mit den Taschenlampen im dunklen Raum aufgezwungen hatte. Die Mannequins auf den Fotos scheinen wie durch individuelle Blitzlichter aus unmittelbarer Nähe erhellt, überrascht von einer momentartigen Entdeckung, der ein detektivisches Suchen im Dunklen vorausgegangen ist. Gaston Paris rettet also die Narration des kriminalistischen Blicks und des Tatorts der „Plus belles Rues de Paris“ in seine Nahaufnahmen. Unklar bleibt jedoch, wer hier das Blitzlicht setzt, der Besucher mit der Mazda-Lampe oder der Fotograf respektive Betrachter. Jedenfalls eignet dem fotografischen Abzug etwas von einem Indiz, dem Beweisstück eines Verbrechens. In der überdeterminierten Lichtinszenierung hat dieser Indiziencharakter jedoch wiederum etwas kolportageartiges, das ihn in den Kontext eines Schauerstücks à la Grand Guignol versetzt. Ist hier eine verführerische Täterin überführt oder haben wir ein Opfer vor uns, eine Tote, die mit weit aufgerissenen Augen ins Leere schaut? Der in seinen Fotos konstruierten Betrachterperspektive bieten die Bilder von Ubac beide Bedeutungen: Sie sind spielerische kriminalistische Indizienzitate eines Verbechens der Verführung und der Mortifizierung zugleich. Wer hier aber im engeren Sinn überführt wird, ist die Fotografie selbst, die uns die Verführerinnen erst näher bringt und verlebendigt, um sie im selben Zuge stillzulegen. Dies geschieht durchaus nicht mit dem erhobenen Zeigerfinger einer medienpolitischen Decouvrierung, sondern weist deutlich die Spuren des selbtironischen Spiels mit dem Surplus schaustellerischer Groteske auf.

Abb. Denise Bellon: Mannequin von André Masson, 1938.

Doch die Fotografinnen und Fotografen rückten ihren idealen Pendants noch näher auf den Leib. André Massons Puppe, der RueVivienne zugeordnet, wurde bereits während der Ausstellung 1938 als eines der beeindruckendsten Geschöpfe der „schönsten Straßen von Paris“ rezipiert. Ihrem Kopf war ein Vogelkäfig wie ein Helm übergestülpt, in den Goldfische aus Zelluloid herein- und herauszuschweben schienen. Der Mund der Puppe war mit einem wiesengrünen, samtenen Band verschlossen, an dessen Stelle die Blüte eines Stiefmütterchens appliziert war. Oberhalb des Geschlechts war ein von Glasaugen umkränztes metallenens Oval angeheftet, von dem feine Federn nach oben führten. Und auf der mit grobem Salz bedeckten Bodenplatte, ragten in Fallen gefangene Peperonischoten wie winzige Phalli auf. (45) Denise Bellon, die mit ihrem Konvolut von 42 Fotos nicht nur quantitativ das breiteste Spektrum der Ausstellung aufgenommen hat, widmete immerhin sechs davon dem Mannequin Massons. Die spektakuläre Nahaufnahme ist innerhalb ihrer eigenen Annäherung, aber auch derjenigen ihrer Fotokollegen, einzigartig. (46) In exakter Kadrierung hat die Fotografin nur Kopf und Käfig frontal ins Bild gesetzt. Lediglich die Lettern VIVIENNE des Straßenschildes gibt der obere Bildrand frei. Die Durchlässigkeit des Vogelbauers, die bei der Begehung der Ausstellung durch die dreiseitige Ansichtsmöglichkeit nachvollziehbar war und die durch die roten, an den Seiten durch die Gitterstäbe schwimmenden Zelluloidfische akzentuiert wurde, nimmt Bellon hier völlig zurück. Indem sie die Fotokanten links, rechts und unten mit den Seiten des Käfigfront kongruent abschließen läßt, interpretiert sie die räumliche Durchlässigkeit in eine zweidimensionale Hermetik um. Die Buchstaben des Straßennamens bringen hier ebenfalls keine Tiefenräumlichkeit ins Bild, sondern binden umgekehrt Käfig und Kopf des Mannequins in das Schwarz-Weiß der fotografischen Fläche ein, als wären sie Teil einer Schrift. Im Zentrum der Fotografie wird uns als „Ausschnitt im Ausschnitt“ die Käfigtür präsentiert, die das Gesicht des Mannequins wie eine unsichtbare Maske rahmt, die aber auch Ort vielschichtiger optischer Durchlässigkeiten ist, welche die hermetische Kadrierung des Fotos verweigerte. Aus dem Käfig blicken uns die Augen des Mannequins unmittelbar an, ihre von feinen Stahldraht-Wimpern umkränzten Augäpfel zeigen von Lichtreflexen verlebendigte Pupillen: Ihr Blick durchdringt nicht nur die Grenze ihres Käfigs sondern auch die unsichtbare Grenze der fotografischen Oberflächenmembran und erreicht uns in direkter Adressierung im Raum des Rezipienten. Die Käfigtür ist überdies so ausgrichtet, daß sie gleichsam beiden Raumschichten angehört, sie kann den Käfig in Richtung des Betrachterraums öffnen oder die gemeinsame Grenze von Fotografie und Käfig schließen. Das Foto thematisiert somit die Ambivalenz des abgeschlossenen und gleichzeitig optisch durchlässigen fotografischen Illusionsraumes, indem es die Käfigfront und die fotografische Fläche in eins fallen läßt, und indem es den „lebendigen“ Blick der Puppe erschafft und zugleich als Überbrückung und Akzentuierung der Grenze beider Räume bewußt macht. 

Bellons extreme Ausschnittswahl thematisiert aber auch in zentraler Weise die geschlechtlichen Metonymien, die etwa Breton an der Masson’schen Puppe so begeisterten und sie für ihn zur „Perle der Ausstellung“ machten. (47) In zahlreichen Gemälden, Filmen, literarischen Zeugnissen und Fotografien praktizierten die Surrealisten die Ersetzung von Geschlechtszeichen durch andere Körperteile oder durch Zeichen der nicht- anthropomorphen Welt. Mund und Auge sind die beliebtesten Ersatzorgane für das weibliche Geschlecht, Man Rays überdimensionales Gemälde der über einer Landschaft schwebenden monumentalen Lippen „A l’heure de l’observatoire – les amoureux“ von 1932/34, das im Hauptraum der Surrealismus-Ausstellung von 1938 hing, kann hier gleichsam als Programmbild gelten, und Hans Bellmers seit 1934 kontinuierlich in Minotaure veröffentlichten Fotos der „Poupée“ waren mit ihren vielschichtigen Ersetzungsstrategien der Geschlechtszeichen am Körper der Puppe den Surrealisten auch 1938 äußerst präsent. (48) Bellons Foto ist in diesem Kontext zu verstehen. Es bringt zentral die Stelle am Mannequin Massons in den Blick, wo sich die Geschlechtszeichen am dichtesten überlagern. Im durch die Vergitterung verengten Gesichtsfeld trifft das Auge, das 1928 in Batailles „Histoire de l’oeil“ seine sexuelle Apotheose erfuhr, (49) auf den geknebelten Mund, der – schon immer stumm – symbolisch nochmals ausradiert wird, um auf ihm die grüne Spielwiese der Natur zu errichten, auf der wiederum das Stiefmütterchen (französisch doppeldeutig: pensé) zum Naturzitat des weiblichen Geschlechts erblüht. Auge und Blume sind es, die hier zu sprechen beginnen, sie gewinnen den Status komunikativer Zeichen, die uns direkt adressieren. Diese Kompetenz gewinnen sie in ihrer metonymischen Bedeutung als Geschlechtszeichen: Aus dem Körperkäfig blickt uns so in komprimierter Form der geballte weibliche Sexus surrealistischer Männerphantasien an. Daß die Fotografie Bellons diese moderne „Büchse der Pandora“ in ihrem unwiderbringlich geöffneten Zustand fixiert hat, unterlegt die Wirkung des Masson’schen Mannequins auf den Betrachter mit dem leisen Unbehagen einer nicht rückgängig zu machenden Überwältigungsmacht. Der filmischen Großaufnahme vergleichbar, springt in der Fotografie Denise Bellons durch die Engführung zwischen Betrachter und seinem weiblichen Gegenüber des sexuell überdeterminierten, kompositen surrealistischen Puppenobjekts etwas auf diesen über, das ihn an sie bindet. An der Nabelschnur des Blicks sind beide aneinandergekettet und an der fotografischen Membran scheinen ihre Körper wie die siamesischer Zwillinge unlösbar aneinandergewachsen.

Abb. Man Ray: Mannequin Man Rays, 1938.

Abb. Man Ray: Buch-Umschlag Man Ray: Les mannequins – Ressurection des Mannequins, Paris 1966.

Man Ray war der einzige Künstler, der 1938 mit einem selbst ausgestatteten Mannequin an den „plus belles rues de Paris“ beteiligt war, der darüber hinaus maßgeblich für die gesamte Lichtregie verantwortlich war und der zudem die Ausstellung in zahlreichen Fotografien festgehalten hat. Seine eigene Schaufensterpuppe hat er von verschiedenen Positionen aus und aus unterschiedlichen Richtungen fotografiert, einmal – wie wir bereits sahen - eingebettet in den näheren Kontext der „Rue d‘une perle“, ein anderes Mal wie hier im klassischen Büstenformat, das sowohl den Ausschnitt, die Perspektive wie auch die Beleuchtung aus der traditionellen Porträtmalerei und –fotografie entlehnt. Das Gesicht ist in eine dunkle und eine helle Hälfte geteilt. Das kreiert einen lebendigen, expressiven Ausdruck, unterstreicht aber auch das perfekte fabrikmäßige Ebenmaß der Züge. In allen seinen Fotos vom eigenen Kunstgeschöpf schwingt bei Man Ray vordergründig eine für ihn ungewohnte Ernsthaftigkeit mit. Sie korrespondiert der Charakterisierung der Puppe mit ihren von Glastränen benetzten Wangen als verletzte femme fragile, deren Zerbrechlichkeit sich in den Glühbirnen ihres Kopfputzes spiegelt. In der Gesamtgestaltung seines Mannequins wird als mögliche Ursache für die großen Glastränen die Deponierung der Puppe in einer metallenen Tonne sichtbar. Daß es sich solchermaßen um ein „Modèle déposé“ handelt, wie auch die Inschrift ihres Gürtels kundtut, ist dabei in zweifacher Weise zu verstehen: als von seinem Besitzer abgelegtes, überholtes Modell und als aus seinem ursprünglichen Zusammenhang gerissene Deplazierung vom Schaufenster in die Ausstellungsgalerie. Dem fotografischen Schulterbildnis jedoch fehlt die Referenz der Abfalltonne, es läßt die Glastränen unbegründet. Anders als Gaston Paris verfremdet Man Ray in seinem Bild das traditionelle Formenvokabular der Porträtfotografie jedoch nicht, sondern ruft gerade durch ihr bruchloses Zitat den Vexiercharakter der Puppe hervor, die er über diese formale Adaption indirekt in den Rang einer bürgerlichen Frau erhebt. Dem Foto Bellons vergleichbar, läßt er die pygmalionisch verlebendigte Puppe im Foto über den Blick direkt mit dem Betrachter „kommunizieren“. Ihre tränenumflorten Augen gewinnen damit eine weitere Bedeutung. Signalisierten die Glastränen am Mannequin selbst einen Gemütszustand, der sich als äußerlich auf dem Puppenkörper appliziertes, nicht aus dem „Innern“ hervortretendes Attribut zu erkennen gab, so verwandelt das Foto sie wieder in jenes Stadium zwischen Verflüssigung und Kristallisation, die immer auch selbstreferentiell den Werkcharakter des Fotografischen mit benennt. Die Narration, die der Puppe als Modèle déposé zueigen war, wird nun auf die fotografische Ebeben gehoben. Zwischen „echtem“ Sentiment und dessen theatralischer Vortäuschung schwankend, richtet sich der vorwurfsvolle Blick des Mannequins nun unmittelbar auf den Betrachter. Man Ray spielt hier ein ironisches Spiel, das den Rezipienten in eine zwielichtige Position bringt. Durch ihren vorwurfsvollen Blick zum Verursacher ihrer zu Glas erstarrten Tränen gemacht, findet er sich unvermittelt in einer unklaren melodramatischen Relation zur weiblichen Schaufensterfigur. Mit diesem Kunstgriff gibt Man Ray die fotografische Macht der Verlebendigung und der kristallinen Fixierung in die Hand des Betrachters weiter. Hatte der Fotograf das Mannequin im Zitat des bürgerlichen Porträts nobilitiert, so stellt er es nun umso schrankenloser dem Betrachter zur Disposition. 

Daß er selbst seine Puppe nach Belieben demontieren und wiederauferstehen ließ, zeigt sein 1966 in Paris in einer Auflage von 30 Stück publiziertes Fotobuch mit dem bezeichnenden Titel „Les Mannequins – La Résurrection des Mannequins“ (Mannequins- Wiederauferstehung der Mannequins). Auf dem Titelblatt hat Man Ray das „Portraitfoto“ seiner Puppe von 1938 mittig in der Horizontalen durchschnitten und seinen Namen in großen, mit dem Pinsel geschriebenen Lettern in den Zwischenraum gesetzt. Deutlicher läßt sich die Reinstallation der auktorialen Geste des Künstlers nicht ins Bild bringen. Die handschriftliche Signatur sprengt das homogene fotografische Bild des eigenen weiblichen Geschöpfes, um die fünfzehn Mannequins auf den folgenden Seiten des Buches in ihren integralen illusionistischen Erscheinungen wieder aufleben zu lassen. Die Wiederauferstehung der Puppe gründet auf derjenigen des Autors, ihre Zerstörung zieht die seine jedoch nicht nach sich, sondern stabilisiert vielmehr seine Position. 

Daß Man Ray die künstlerische Destruktion und gleichzeitige bewundernde Wiedererrichtung der weiblichen Schaufensterpuppen jedoch nicht nur als mediale Potenz des Künstlers respektive Betrachters verstand, sondern mit ihr eine durchaus sexuelle männliche Potenz verband, legt die retrospektive Beschreibung seiner ganz spezifischen „Begegegnung“ als Fotograf mit den künstlichen Schönen der „Plus belles rues de Paris“ nahe:

„1937 werden neunzehn junge Frauen aus den Schaufenstern der Warenhäuser entführt und der Verrücktheit der Surrealisten ausgeliefert,“ schrieb Man Ray 1966 in „La Resurrection des Mannequins“, „die sogleich damit begannen, sie zu vergewaltigen, jeder auf seine eigene und unverwechselbare Weise und ohne im geringsten die Gefühle der Opfer zu beachten, die sich jedoch mit charmantestem Wohlwollen den beleidigenden Ehrbezeugungen unterzogen, die ihnen da aufgezwungen wurden, und dies in einer derart reinen Art, die die Erregung noch steigerte, die einen der aktivsten der Partner, einen gewissen Man Ray erfasste, der sich aufknöpfend, seinen Apparat hervorholte und die Orgie registrierte, weniger aus historischem Interesse, als um dem brennenden Verlangen nachzugeben, denn die Negative verschwanden sogleich in der Nacht des Vergessens, bis nach mehreren Jahrzehnten ein Zufall – zweifellos ein sachlicher – diesen Beweisstücken erlaubte, wiederentdeckt endlich sichtbar (zu werden). Glücklicherweise.“ (50)

Die künstlerische Gestaltung der Mannequins wird ihm zur Vergewaltigung, die fotografische Aufnahme zum exhibitionisten Akt. Beide setzen eine literarische wie künstlerische Verlebendigung voraus, um die mediale wie sexuelle Grenzüberschreitung erst symbolisch zu ermöglichen.

Abb. Denise Bellon: Mannequin von Salvador Dali und Salvador Dali mit dem Kopf des Chauffeurs aus dem Taxi pluvieux in den Händen, 1938.

Abb. Denise Bellon: Mannequin von Dali, Chauffeur des Taxi pluvieux von Dali und Salvador Dali, 1938

Denise Bellon hat die Errichtung der kompositen Mannequins als Prozeß pygmalionischer Gestaltung am konsequentesten interessiert. Von ihr stammen die meisten Fotos von der Aufbauphase der Ausstellung, die die Künstler bei der Gestaltung ihrer jeweiligen Mannequins zeigen. Sie spielt dabei mit erzählerischen Inszenierungsformen der Fotografie, etwa wenn sie Dali und sein Mannequin leicht von unten aufnimmt, so daß der Künstler seinem Idol, das hier schon die Vogelkrone, aber noch nicht die Strickmaske trägt, das Haupt des Chauffeurs aus dem Taxi pluvieux wie ein Menschenopfer darzubringen scheint. Der Kopf der enthaupteten Gliederpuppe, auf die Spitze getriebene Tautologie eines getöteten toten Dings, greift in dieser Inszenierung augenzwinkernd die symbolische Praxis der Executio in Effigie auf, um die bedingungslose Anbetung des Künstlers für sein selbst erschaffenes ideales Objekt in Szene zu setzen. Dies wird besonders deutlich, wenn in einem zweiten Foto Dali die lebensgroße Gliederpuppe der Kamera und damit dem Betrachter unmittelbar als eine Art „Delinquenten“ frontal präsentiertIn beiden Fotografien rückt unmißverständlich ins Bild, daß der Errichtung des künstlichen weiblichen Idols der Puppe ein symbolisches Opfer im Sinne der Zerstörung körperlicher Integrität inhärent ist. 

Abb. Denise Bellon: Mannequin vom Maurice Henry und Maurice Henry, 1938.

Den Künstler Maurice Henry zeigt Denise Bellon in einer ganz anderen Umgangsweise mit seinem Mannequin. Bis auf die hölzerne Texttafel auf dem Unterleib ist sie bereits vollständig ausstaffiert und er legt gleichsam nur noch letzte Hand an sie. Die Fotografin hat ihre Kamera so auf den Künstler und seine Kreatur gerichtet, daß die Puppe ihn leicht überragt und der Wattetuff ihres Kopfputzes wie eine schützende Wolke über ihm zu schweben scheint. Maurice Henry neigt sich leicht zu ihr. Die Rechte scheint er um ihre Taille zu legen und mit der Linken ergreift er ihr Handgelenk. Die Geste ist ambivalent, sie läßt die Puppe einmal lebendig, einmal dinghaft wirken. Denn der Künstler erscheint zugleich so, als wolle er den starren Arm der Puppe in eine andere Postion bringen, aber auch als wolle er mit galanter Armführung das Mannequin von seinem Platz wegführen: eine Einladung zum Flanieren oder zum Tanz. Mit der Inszenierung dieser unterschwellig zwiespältigen Umgangsweise der Künstler mit ihrem Kunstgeschöpf gelingt es Denise Bellon, deren Schwanken zwischen einer tiefen Entäuschung angesichts der in ihren Augen unzulänglichen, korrekturbedürftigen Schaufensterpuppe und der blinden Bewunderung ihrer schließlich rundum selbst gestalteten Puppen zu zeigen. Diese Ambivalenz in Denise Bellons Foto von Maurice Henry und Dali mit ihremseinem Mannequin findet ihre Analogie in Georges Hugnets retrospektiver Beschreibung des ersten Umgangs der Surrealisten mit dem „Rohmaterial“ der Schaufensterpuppen. Er beschwört mit literarischer Suggestivität die enttäuschende Begegnung der Surrealisten mit den ihnen zuerst zur Verfügung gestellten Mannequins, und ihren Austausch durch die „idealen“ Puppen der Firma P.L.E.M. In der Gattung der Literatur spiegelt er dabei paradigmatisch, wie die Demontage zur Voraussetzung der Wiedererrichtung des männlichen Phantasmas von der perfekten Kunstfrau wird:

„Eine erste Schar von Frauen traf bei uns in der Faubourg Saint-Honoré ein. Der wirre, ausgelassene Trupp mit den eher erborgten als unziemlichen Gesten wartete dort, zusammengedrängt in einer kleinen Halle. Obwohl elegant und anmutig, enttäuschten sie uns. Ihre Papphaare waren bemalt und ihren Rehblick beschattete nur ein Pinselstrich. Ihre Mannequinanatomie wirkte schlecht geschnitten, die Gelenke unbeholfen. Unsere Kälte verriet so deutlich einhellige Enttäuschung , daß diese Frauen ohne Zukunft verschwanden und ein paar Tage später andere, die ein Kenner unter uns bei einem zweiten Hersteller ausgesucht hatte, an ihre Stelle traten. Diese Schönheiten (...) verkörperten, in einem Traum aus Pappe, das ewig Weibliche. Angesichts dieser schlanken Stars mit funkelndem Haar, in langgeschwungenen, seidigen Winpern geborgenen Augen, kleinen Apfelbrüsten und den Lenden einer Windhündin, und deren gelassener Schamlosigkleit fühlten die surrealistischen Künstler, denen die Bemühung vor Augen stand, sie zu idealisieren, indem sie ihrem eigenen Begehren Gestalt verliehen, sämtlich in sich die Seele Pygmalions.“ (51)

Die Fotografien der Surrealismus-Ausstellung von 1938 – so läßt sich zusammenfassen – haben dem surrealistischen Raum in der Galerie des Beaux Arts und seinen künstlichen Bewohnerinnen eigenständige, spezifisch fotografische Räume und Zustandsformen hinzugefügt. Darüber hinaus haben sie eigene Betrachterperspektiven geschaffen, die den Subjekt-Objekt-Status von Blickendem und Angeblicktem auf einer eigenen medialen Ebene verunsicherten. Die Parataxe der Bilder Ubacs und die Hermetik der Fotos von Bellon oder Breitenbach haben so die „Plus belles rues de Paris“ speziell im Medium der Fotografie auf spezifische Weise als gefährlichen Stadtraum mit Tatortcharakter und als heimisch-unheimliches Interieur konstruiert. Die blitzlichtartig erhellten Puppenbildnisse von Gaston Paris machten die Betrachter angesichts der in lebendige und tote Teile gegliederten Mannequins selbst zu Vexierfiguren zwischen kriminalistischem Entdecker und voyeuristischem Schaulustigen. In ihnen wird die grundsätzliche Aufkündigung eines vitalistischen, ganzheitlichen Körperbildes und eine Irritation des Betrachterstatus besonders deutlich, die die Surrealisten kunstpolitisch gegen das zeitgleiche hermetische Körperideal und den Künstlerheros der Nationalsozialisten ins Feld führten. Allen Fotografien ist darüber hinaus die Reflexion des eigenen Mediums in der Ikonografie der Schaufensterpuppe inhärent. In einem Bild wie Denise Bellons Nahaufnahme der Masson’schen Puppe wird exemplarisch deren Funktion als Überbrückungs- und Irritationsmoment des fotografischen Systems thematisiert. Daß die Surrealisten literarisch, inszenatorisch und fotografisch die sexuell unterlegte Meisterzählung von Pygmalion dennoch fortschrieben, mal mit feiner distanzierender (Selbst)Ironie, mal mit der affirmativen Schlichtheit von Herrenwitzen, mag in der programmatischen Unabgeschlossenheit ihres Werkbegriffs liegen. Der Inszenierung des Verlusts eigener Autorschaft folgte daher oftmals ein erneuter medialer wie geschlechtsspezifischer Bemächtigungsgestus, mit dem sich die surrealistischen Künstler im Bild der Puppe wieder als „Herr“ über die Dinge respektive Frau installierten. Die Paarung des Vexiercharakters von Puppe und fotografischem Medium erlaubte ihnen in exemplarischer Weise, diese Unabgeschlossenheit ihres Werkbegriffs zugleich als „work in progress“, das heißt als fortgesetzte erotische Suche und künstlerische Fixierung zugleich zu praktizieren und diesen Prozeßcharakter gleichzeitig allegorisch ins Bild zu setzen. Reste traditioneller Autorschaft durchkreuzen sich also mit deren Infragestellung im Zeichen der Moderne und weisen in Teilaspekten auf postmoderne Versuche einer Aussetzung von Autoschaft voraus. Damit möchte ich keineswegs erneut einer gefügigen Einbindung der Avantgarden in eine lineare kunsthistorische Konstruktion das Wort reden. Vielmehr war mir wichtig zu zeigen, daß meines Erachtens die komplexe Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem Kernpunkt der Avantgarden zu sein scheinen. 

Anmerkungen:

1.Hans Magnus Enzensberger: Die Aporien der Avantgarde, in: Ders.: Einzelheiten II, Poesie und Politik, Frankfurt am Main 1963, S. 57.

2.Renate Berger: Avantgarde. Abschied vom 20. Jahrhundert, in: Jula Dech, Ellen Maurer (Hg.): dadazwischenreden zu Hannah Höch, Berlin 1991, S. 198.

3.(siehe Anmerkung 1), S. 59.

4.Donald Kuspit: Der Kult vom Avantgarde-Künstler, Klagenfurth 1995, S.12.

5.Ebda., S.5.

6.(siehe Anmerkung 2), S.200.

7.Sigmund Freud beschreibt diese Bewegung in seinem Essay über „Das Unheimliche“ als Beleg der Schicksalsmagie; Baudelaire reflektiert darüber in seinem Gedicht À une Passante; Kracauer widmet sich dem Aspekt des Labyrinthischen besonders in seinem Text Erinnerungen an eine Pariser Straße.

8.Louis Aragon: Pariser Landleben, Paris 1926, ; André Breton: Nadja, Paris 1928; Ders. L’Amour fou, Paris 1937.

9.      Walter Benjamin: Der Sürrealismus. Die letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz, in: Ders.: Aufsätze, Essays, Vorträge. Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd.II, I, S.295-310, hier: S.300.

10.André Breton: Nadja, (siehe Anmerkung 8), S.117.

11.Ebda., S.116.

12.Breton verweigerte gezielt jede „Porträt“-Fotografie Nadjas, während er ihre zahlreichen Doubles durchaus visualisiert.

13.André Breton: Nadja, (siehe Anmerkung 8), S.117.

14.Ebda.

15.Vgl. „contradiction qui apparait dans le réel“, in: Aragon: Idées, in: La Révolution surréaliste, Nr.1, 1925, S.30.

16.Walter Benjamin: Das Passagen-Werk, hg. Von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1983, Bd.I, S.617.

17.Ebda.: S.270f.

18.Vgl. hierzu Karl-Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk, München 1978, S. 382f. Hier geht Bohrer genauer auf Aragons und Benjamins Plötzlichkeitsmetaphorik speziell in bezug auf die Passagen ein.

19.Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schriften, Frankfurt am Main 1977, S. 148. Benjamin exemplifiziert dies an Atgets Paris-Bildern.

20.Der Boulevard du Temple mit seinen Lokalitäten volkstümlicher Theater und Jahrmarktsbuden erhielt als erster den Beinamen „Boulevard du crime“. Nach dessen Zerstörung im Rahmen der Haussmannschen Veränderungen verlagerten sich die Vergnügungsstätten und damit auch der Name auf den Boulevard Montmartre, wo sich auch heute noch viele Kinos und das Wachsfigurenmuseum Grévin berfinden. Vgl. Grand Guignol. Das Vergnügen, tausend Tode zu sterben. Frankreichs blutiges Theater, hg. von Karin Kersten und Caroline Neubaur, Berlin 1976, S.9.

21.Das Théatre du Grand Guignol existierte unter diesem Namen seit 1898 in der Rue Chaptal. Ebda., S.7.

22.Übersetzt nach Jean-Marie Thomasseau: Le Rire assassin. Courteline au Grand-Guignol, in: Europe, Revue littéraire mensuelle, 76. Jahrgang, Nr. 835/836, 1998, S. 172f.

23.(Siehe Anmerkung20),S.10.

24.Ebda., S.8.

25.Vgl. Walter Benjamins aufFreud und Simmel aufbauende Diskussion des „Choc“ und seiner Bewältigung als Symptom großstädtischer Wahrnehmung, Ders.: Über einige Motive bei Baudelaire, In: Ders. Illuminationen (vgl. Anmerkung19), S.185-229.

26.(Siehe Anm. 20), S. 10.

27.Rudolf M. Lüscher: Sabotage und Surrealismus, In: Ders.: Einbruch in den gewöhnlichen Ablauf der Ereignisse. Analysen, Kommentare, Berichte 1978-1983, Zürich 1984, S. 230.

28.Ebda., S. 234.

29.Die Ausstellung ist von Beteiligten und Besuchern vielfach beschrieben worden. Dennoch liegt bis heute keine umfassende Rekonstruktion des Bestandes inklusive der einzelnen Mannequins vor.

30.Vgl. Gérard Durozoi: Histoire du mouvement surréaliste, Paris1997, S. 342.

31.Dalis Wortspiel lautete: „Le Taxi pluvieux pour dame esnob et surréaliste comportera: de ‚l’obscuritébégétale“ installation de plui intériere, 200 escargots de bourgogne vibants, 12 grenboilles liliputicienes, portant chacune d’elles une très fine courone d’or agripé sur la tête“, zit. Nach: Daniel Abadie: L’Exposition internationale du surréalisme, Paris 1938, in: Ausstellungskatalog: Paris-Paris 1937-1957, Paris 1981, S. 72.

32.Über die exakte Zahlr der Puppen besteht keine einhellige Meinung. 16 sind fotografisch nachweisbar.

33.Vgl. Uwe Schneede: L’Exposition internationale du surréalisme, in: Katharina Hegewisch u.a. (Hg.):Die Kunst der Ausstellung, Frankfurt am Main 1991, S. 96.

34.Marcel Jean: Geschichte des Surrealismus, Köln 1968,(2), S. 281.

35.Uwe Schneede hat darauf hingewiesen, daß der Freundschaftsgestus der Ausstellung den politischen Bruch zwischen Dali und Ernst, Breton und Eluard überdeckte.

36.In der Literatur ist sowohl von hysterischem Lachen wie von militärischer Marschmusik aus dem Grammophon die Rede.

37.Ein Raum, der vielleicht am ehesten mit Michel Foucaults Konzept der Heterotopie zu fassen ist.

38.Man Ray: Selbstpotrait,(1963), München 1983, S. 276.

39.André Breton: Nadja, (siehe Anmerkung 8), S. 91.

40.„Dans un tapin immobile, un ensemble de filles étalèrent leurs charmes“, Daniel Abadie (siehe Anmerkung 31, S. 74.

41.Von allen bekannten FotografInnen sind mehr als zehn, manchmal mehr als 30 Bilder erhalten.

42.Später kam noch eine auf den Bauch applizierte beschriftete Holztafel mit einem kleinen Stundenglas hinzu.

43.André Breton: Der Surrealismus und die Malerei, Berlin 1967, S. 34.

44.Vgl. hierzu: Jennifer Blöessing: Rrose is a Rrose is a Rrose, Gender Performance in Photography, in: Ausstellungskatalog: Rrose is a Rrose is a Rrose, Guggenheim Museum, New York 1997, S. 18-129.; Katharina Sykora: Das Kleid des Geschlechts. Transvestismen im künstlerischen Selbstporträt, in: Heide Nixdorff (hg.): Das textile Medium als Phänomen der Grenze-Begrenzung- Entgrenzung, Berlin 1998, S. 123-139.

45.Vgl. Abadie (siehe Anmerkung31), S. 74.

46.Rotstiftmarierungen auf einigen Kontaktabzügen zeugen von der intensiven Nachbearbeitung und dem großen Interesse, das Bellon an dieser Bildlösung speziell in Bezug auf das Mannequin Massons hatte.

47.Vgl. Abadie, (siehe Anmerkung 31), S.74.

48.Vgl. Hans Bellmer: La Poupée, Variations sur le montage d’une mineure articulée, in: Minotaure, Nr.6, 1935, S.30f.

49.Batailles L’Histoire de l’œil wurde 1928 in nur 134 Exemplaren in Paris erstmals aufgelegt. Die zweite Auflage 1940 wurde von Bellmer illustriert.

50.Man Ray: Les mannequins – La Resurrection des mannequins, Paris 1966, zit. Nach: Nicole Parrot: Mannequins, Bern 1982, S. 151.

51.Übersetzt nach Georges Hugnet: L’Exposition internationale du surréalsme en 1938, zit. nach Abadie (siehe Anmerkung 31), S. 74.