Inhalt:
I.Leitkategorien
der Avantgarden
I.1.
Avantgarde als raumzeitliche Kategorie
I.2.
Der Mythos vom Avantgardekünstler, seinem Werk, seinem Rezipienten
II.Literarische
Entwürfe
II.1.
Der surrealistische Autor/Künstler und sein ideales Objekt: die weibliche
Kunst-Frau
II.2.
Der ideale surrealistische Raum: Großstadt/Straße, das Theater
des Grand Guignol und der
Boulevard
du Crime
III.
Das surrealistische Gesamtkunstwerk der Exposition Internationale du Surréalisme,
Paris 1938:
Irritation
oder Bestätigung von Autorschaft-Werk-Betrachter?
IV.
Die Fotografien der Surrealismus-Ausstellung: Steigerung des Ephemeren
oder Fixierung zum Werk
sekundärer
Ordnung und damit Re-Installation des Künstlers/Autors?
I
„Der
Begriff der Avantgarde bedarf der Aufklärung“,
schrieb Hans Magnus Enzensberger 1963 in seinem Aufsatz „Die Aporien
der Avantgarde“, (1) also in genau der
Zeit, als zumindest in den bildenden Künsten mit der Pop Art die ersten
Neo-Avantgarden die eng verknüpften Konzepte von Moderne, Modernismus
und Avantgarde außer Kraft zu setzen begannen. Bekanntermaßen
dem miltiärischen Kontext zugehörig, verbindet der Begriff Avantgarde
eine Stellung im Raum – das „avant“, d.h. die Position an der vordersten
Front – mit „garde“, also einem – wie es Renate Berger formulierte – „hoch
privilegierten, exklusiven, sich als Elite begreifenden und auf kämpferische
Auseinandersetzungen gerichteten Männerbund im (und für den Schutz)
eines Mächtigen.“ (2) Sie führt
weiter aus, daß in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich mit
der Übertragung des miltärischen Begriffs auf die Künste
der räumlichen Kennzeichnung von avant die zeitliche Dimension hinzugefügt
wird. Auch künstlerische Entwicklungen werden von nun an konsequent
in einer linearen Entwicklung gedacht. Dies geschieht jedoch nicht mehr
nur mit dem Blick zurück, wie dies allen damals florierenden historistischen
Perspektiven zueigen war. Avantgardismus wurde vielmehr von zahlreichen
Künstlern und Künstlergruppen nun auch programmatisch für
ihre eigene Gegenwart postuliert. Indem sich die Realisten, dann die Impressionisten,
Expressionisten, Dadaisten und Surrealisten parallel zu ihrer künstlerischen
Praxis als Vorhut einer neuen Kunst zu manifestieren suchen, schreiben
sie sich bereits in die zukünftige Kunstgeschichte ein. Oder, wie
es Enzensberger formulierte: „Das en
avant der Avantgarde möchte gleichsam Zukunft im Gegenwärtigen
verwirklichen, dem Gang der Geschichte vorgreifen.“ (3)
Hier
wird bereits deutlich, daß die Avantgarden sich damit nur noch fester
in die Linearität ihrer eigenen Konstruktion verspannen, ja daß
sie diese gleichsam selbst von der vergangenheit über die Gegenwart
in die Zukunft fortschreiben. Ein Dilemma, denn: wie kann man in einer
kontinuierlichen Vorwärts- bzw. Aufwärtsbewegung immer aufs Neue
den springenden Punkt markieren, der die Erneuerung erst ermöglicht?
Zwei
grundsätzlich verschiedenen Zeitkonzepte stehen sich also widersprüchlich
gegenüber: die punktuelle Setzung von etwas ganz Neuem, das künstlerische
Innovation heißt, und dessen Einordnung in die Kontinuität künstlerischen
Fortschritts. In dieser Dichotomie verbirgt sind ein sekundäres Problem.
Denn die punktuelle Setzung künstlerischer Innovation ist das Manifest
einer Selbsteinschätzung der Künstler in ihrer eigenen Gegenwart.
Durch seine Teilhabe am linearen Fortschrittsdenken tritt es jedoch gleichzeitig
in ein System der Wertung ein, das nicht das der Künstler, sondern
das der (Kunst)Historiker ist. Birgt der Begriff der Avantgarde nämlich
schon – räumlich gesehen – das Paradox, daß der Vorhut notwendig
das gros, d.h. die Masse der Truppe bzw. der Künstler, und schließlich
die Nachhut folgt, so kann auch zeitlich gesehen immer erst aus dem Blick
zurück entschieden wird, wer und was als Avantgarde Gültigkeit
erhält. Schon das Grundkonzept einer für die eigene Gegenwart
postulierten Selbstmanifestation der Künste als Avantgarden ist daher
ein brüchiges. Es stellt sich zudem historisch als ein Konzept heraus,
das notwendig auf einem in die Zukunft weisendes Glaubensbekenntnis gründet:
dem des Fortschrittglaubens, der auch für andere gesellschaftspolitische
Bereiche nicht erst heute zunehmend fragwürdig geworden ist.
Dennoch
hat sich das Avantgardekonzept als durchaus langlebig erwiesen. Ein Grund
hierfür ist sicherlich das hartnäckige Fortbestehen eines Progressionssdenkens
auch in den Künsten, das sich trotz vielfältiger Veränderungen
teilweise und in Einzelaspekten bis in die Postmoderne und die Neo-Avantgarden
fortgesetzt hat. Ein zweiter Grund ist möglicherweise in der Figur
des Avantgardekünstlers zu suchen, der als zentraler Bestandteil des
Kunstsystems trotz zahlreicher Modifikationen bis heute nicht ganz außer
Kraft gesetzt ist. Donald Kuspit hat dies folgendermaßen formuliert:
„Diese Vorstellung vom Avantgardekünstler wurde zur Existenzberechtigung
moderner Kunst, zu ihrem Kernstük, Rückgrat und ihrer Rechtfertigung
in einem. (..) Moderne Denker schrieben ihm besondere Authentizität,
Unverfälschtheit und Macht zu.“ (4).
Können
wir also von der Avantgarde in den bildenden Künsten keineswegs als
von einem Stil sprechen, so ist ihren verschiedenen Gruppierungen dennoch
ein vergleichbares Konzept des modernen Künstlers als Avantgardekünstler
gemeinsam, eines Künstlers, der stets Neues schafft. Damit tritt er
in Sezession zu bestehenden Kunstformen (daher die vielen Avantgarde-Gruppen,
die das Wort Sezession in ihrem Namen führen: Münchener, Wiener
Secession etc), damit grenzt er sich aber auch gesellschaftlich vom Mainstream
ab. Gerade aus dieser Positionierung im Kunst- wie im Gesellschaftssystem
leitet das Konzept des Avantgardekünstlers jedoch dessen spezifische
Authentizität ab. Nicht mehr visueller Spiegel der Gesellschaft, sprich
nicht mehr Reflex ihrer Oberflächen und Regelsysteme, sondern Ergründer
ihrer tieferen Struktur, nicht mehr ihr Apologet sondern ihr kritisches
Korrektiv will der Avantgardekünstler sein. Die Macht, die diesem
modernen Künstlermythos damit zugeschrieben wurde, trennte ihn jedoch
auch von seinen Rezipienten, machte ihn zur parareligiösen Heilsfigur,
dessen Werke die Betrachtergemeinde aus ihrer Blindheit erwecken sollten.
Zwei
ihm zugeschriebene Eigenschaften, die kausal eng miteinander verknüpft
sind, statten den Avantgardekünstler mit dieser christologischen,
heilsbringenden Macht aus: “eine davon schreibt ihm außergewöhnliche
Wahrnehmungsfähigkeit zu, die andere betrachtet ihn als einzig Authentischen
inmitten einer inauthentischen Gesellschaft. In Enrico Bajs Worten ist
dies der Grund, weshalb Avantgarde-Kunst, obwohl sie keine „definitive
Position“ bezieht, sich „Dingen auf formaler Ebene widersetzt“, das heißt,
von der Wahrnehmung her subversiv ist, und weshalb sie „sich der Bürokratie
widersetzt und sich gegen sie wendet“, das heißt innerhalb der Gesellschaft
subversiv erscheint. Der letzte mythologische Schliff wird dem Künstler
durch seine Idealisierung als Umwandler von Werten verliehen – für
seine Revolution innerhalb des Lebensgefühls, die seine perzeptuelle
und persönliche Authorität bewirkt und symbolisiert. Sie dient
nicht nur der eigenen Veränderung – seiner persönlichen Befreiung
aus der Agonie des Lebens, der er sich ständig bewußt ist, eine
Befreiung, die er sehnlichst herbeiwünscht – durch die Kunst, die
seine Authentizität verkörpert, verwandelt er auch die Leben
anderer."(5).
Nach
diesen einführenden Bemerkungen, in denen ich das grundlegende raumzeitliche
Konzept der Avantgarde beschrieben bzw. hinterfragt habe und nach dem kritischen
Blick auf seine Kernfigur, den Avantgardekünstler und sein Werk, möchte
ich mich jetzt näher auf meinen eigentlichen Gegenstand zubewegen,
nämlich den Surrealismus. Anhand eines ausgewählten Motivbereichs
und anhand einer speziellen medialen Perspektive möchte ich in Bezug
auf den Surrealismus danach fragen, wie sich die Avantgarde-Konzepte vom
Künstler als heilsbringendem Vermittler und seinem Werk als authentischer
widerständiger Botschaft in diesem Kontext konstituieren. Das heißt,
meine Fragen werden lauten: wie wird traditionelle Autorschaft hier einerseits
aufgekündigt andererseits modern gewendet und versteckt wieder eingeführt?
Welche Form des Werks wird hier in Szene gesetzt? Inwiefern unterscheidet
es sich vom geschlossenen homogenen Werkkorpus traditioneller Art bzw.
inwieweit schleicht sich der kompakte Werkbegriff auf versetzter, medialer
Ebene wieder ein? Und meiner Herkunft als Forscherin auf dem Gebiet der
Geschlechterforschung entsprechend, werde ich mit den Worten Renate Bergers
natürlich auch fragen: „Wie verhält sich die Idee
der Avantgarde zum Geschlecht der Avantgardisten? Auf welchen konkreten
(...)Vorstellungen von „Männlichkeit“ oder „Weiblichkeit“ baut sie
auf? Welche Vorurteilsstrukturen werden benutzt oder angegriffen?“ (6)
Im
engeren Sinn möchte ich Ihnen unter diesen Fragestellungen ein komplexes
Ausstellungsprojekt der Gruppe der Surrealisten vorstellen, das diese gleichsam
als letztes großes visuelles Manifest vor dem Ausbruch des zweiten
Weltkrieges inszeniert haben. Gemeint ist die Exposition internationale
du Surrealisme von 1938 in Paris, die –
wie der Name bereits sagt, Beiträge von über 60 Künstlerinnen
und Künstlern aus 14 Ländern in einem Gesamtkunstwerk zusammenführte,
d.h. in einer Rauminstallation avant la lettre. Diese umfangreiche Inszenierung
war durchgängig geprägt von zahlreichen Variationen eines Themas:
und zwar von sehr unterschiedlich umgestalteten Schaufensterpuppen. Die
surrealistischen Künstler, die sie überformten, waren bis auf
eine Ausnahme männlich, die künstlichen Mannequins bis auf eine
Ausnahme als gesteigerte Weiblichkeit in Szene gesetzt. Die klassische
Relation von männlich konnotiertem Autor und weiblich konnotiertem
Modell bleibt hier also erhalten. Hinzu kommt, daß die Schaufensterfigurinen
sehr naturalistisch waren, bevor sie von den Künstlern auf bizarre
Weise umhüllt wurden. Ihnen wohnt daher die illusionistische Potenz
der Verlebendigung inne, vermochte man doch erst auf den zweiten Blick
zu erkennen, ob es sich um eine „echte“ oder eine „künstliche“ Frau
handelte. Dies ist ein Vermögen, das die surrealistischen Künstler
explizit an den künstlichen Mannequins reizte. Der Ovid’sche Künstlermythos
von Pygmalion klingt hier an, jenem Künstler, der eine perfekte Frau
aus Marmor schuf, sich in sie verliebte, sie für echt nahm und Venus
um ihre Verlebendigung bat und diesen Wunsch gewährt bekam. Es ist
ein Mythos, der sich bereits seit dem 18. Jahrhundert dahingegend modernisierte,
daß Pygmalion durch seinen Blick der Liebe bzw. des Begehrens gepaart
mit seinem schöpferischen Können die künstliche Frau selbst
zu verlebendigen vermochte. Ich möchte Ihnen also die Ausstellung
sowohl als Inszenierungsform dieser Verlebendigungsstrategie zwischen surrealistischem
Künstler und seinem idealen surrealistischen Objekt – der Puppe -
vorstellen, in der traditionelle geschlechtsspezifisch kodierte Vorstellungen
des Künstlers fortleben. Gleichzeitig möchte ich aber auch nach
den avantgardistischen Aspekten der Erneuerung fragen, die die Surrealisten
proklamierten und teilweise auch einlösten. Denn sie versuchten durchaus
auf ihre Weise eine Kritik am Schöpfungsakt, handelte es sich doch
bei den Schaufensterpuppen eben nicht um selbst gestaltete, sondern um
appropriierte, lediglich aus einem anderen Kontext entlehnte Figuren. Damit
ging es den Surrealisten auch um eine Infragestellung von Autorschaft,
die jetzt nur noch passivisch und zufällig ihre idealen Objekte findet,
statt sie erfindet. Darüber hinaus arbeiteten sie an einer Kritik
des Kunstsystems, indem sie eine klassische Kunstgalerie in ein surreales
Panoptikum verwandelten, das den Ausstellungsraum gleichsam auf den Kopf
stellte. Und schließlich ging es ihnen um eine Kritik am damals virulent
werdenden rassistischen Körperbild des gesunden ganzen Körpers,
wie ihn der Nationalsozialismus unmittelbar zuvor offensiv ins Feld der
bildenden Kunst getragen hatten (Ausstellungen "Entarte Kunst"“und ihr
Pendantder „Große Deutsche
Kunstausstellung). Neben diesen sezessionistischen Anteilen in der Arbeit
der Surrealisten, die programmatisch und konkret avantgardistische Positionen
einzulösen versuchten, möchte ich also auch ihre blinden Flecken
nicht aus dem Blick verlieren, die wir – wie schon gesagt – erst posteriori
zu benennen vermögen. Einen blinden Fleck nannte ich bereits, er verdankt
sich einer Verhaftung im traditionellen Geschlechterdiskurs. Einen zweiten
blinden Fleck nehme ich in den Blick, indem ich die Auflösung des
Werkbegriffs im ephemeren, flüchtigen Objekt der Schaufensterpuppen,
die für sechs Wochen gemietet, überformt, dann wieder entkleidet
und an die Puppenfirma zurückerstattet wurden, hinterfrage. Ich hinterfrage
dies speziell vor dem Hintergrund ihrer fotografischen Überlieferung.
Denn die Ausstellung und vor allem die Schaufensterpuppen wurden von zeitgenössischen
Fotografinnen und Fotografen, die teils selbst dem Kreis der Surrealisten
angehörten, in zahlreichen Bildsequenzen aufgenommen und veröffentlicht.
Inwieweit die Fotografie selbst Teil eines Kunstkonzept des Ephemeren,
Vorübergehenden ist, inweit sie aber auch als Mittel der Verstetigung,
Fixierung und Festigung im Sinne eines traditionellen abgeschlossenen Werks
fungieren kann, wird daher ein weiterer Gegenstand meiner Ausführungen
sein.
IIa
Aber
nun zu den avantgardistischen Prämissen, die in der Internationalen
Surrealismus-Ausstellung von 1938 zum Tragen kamen. Dabei möchte ich
literarische Äußerungen zum Verhältnis von surrealistischem
Autor und seinem weiblichen Kunstmodell im Kontext des idealen surrealistischen
Raums heranziehen, um dann konkret auf die Exposition surrealiste
von 1938 und ihre fotografischen Umsetzungen einzugehen.
Zunächst
also zum literarischen Konnex von surrealistischem Autor, künstlichem
Modell und ihrer Begegnung im surrealistischen Stadtraum:
Nicht
nur Walter Benjamin, Siegfried Kracauer und Franz Hessel begaben sich in
der Nachfolge Baudelaires und Freuds auf die Straßen der Städte
und gerieten dort zwangsläufig immer wieder in die von zweifelhaften
Frauen bewohnten zwielichtigen Straßenlabyrinthe, um stets sich selbst
und dem eigenen Begehren zu begegnen. (7) Auch die Surrealisten, unter
ihnen Aragon, dann Breton machten die Straßen der Stadt zu imaginären
Orten ausgefallener Begegnungen mit dem Weiblichen. (8) Ihre Begehungsstruktur
ist dabei eine, die sich auf den Flaneur zurück bezieht. Sie gehen
nicht bestimmten Zielen nach, sondern lassen sich passiv von den Dingen
in der Stadt ansprechen. Die Schaufensterpuppen, jene von Aragon skizzierten
„modernen Skulpturen“ in der Passage de L’Opéra,
werden ihnen dabei zu Sphinxfiguren mit beschränkter Macht. Das große
Rätsel des 19. Jahrhunderts, die Terra incognita des weiblichen Sexus
verkörpernd, schlummert ihr Wirkungspotenzial unerkannt in der Verpuppung
ihrer altmodischen Erscheinung. Anders als die modernen Schaufensterpuppen
hinter denVitrinen, die dem Auge des geschäftigen Passanten nicht
preis geben, ob sie käufliche Ware oder Frau sind, haben die von den
Surrealisten beschworenen altmodischen, wächsernen Schaufenstermodelle
einen ganz anderen Status. Die weibliche Kunstfigur scheint bei ihnen in
einen Status der Latenz versetzt. Sie tritt in die Dingwelt der Stadt zurück,
um von dort aus unvermittelt eine ganz andere Wirkungsmacht zu entfalten.
Im
Rahmen surrealistischer Umkehrstrategien, die Realität als Effekt
der Imagination, Vernunft als Derivat des Irrationalen verstanden, bewegte
sich der moderne Pariser Stadtgänger wie gesagt nicht auf etwas zu,
sondern sah sich als Resonanzboden der Bewegungen der Stadt, als Registrierfeld,
in das sich die Menschen und Dinge wie in eine Wachstafel oder wie auf
das Negativ eines fotografischen Films eintragen. Die Vorstellung vom Stadtgänger
als Kamera ohne Verschluß kommt Bretons Charakterisierung des Surrealisten
in der Stadt als eine Art „Aufnahmeapparat“ überraschend nahe. Der
rezeptive, für alle Wunder der Stadt offene poète
en état desurprise
betritt nun als poète automatique
die Pariser Straßen.
Der
auktoriale Gestus vollkommen gesicherter Autorschaft scheint in diesem
passiven Aufnehmen ganz im Sinne des surrealistischen Automatismus Bretons
und Max Ernsts ausgesetzt. Zahlreiche Spuren gesteigerter Erwartung, die
als Antrieb erotischen Begehrens in die Stadtbegehung einfließen,
widersprechen dem jedoch und zeugen von der „künstlichen“ Ungerichtetheit
des Schritts wie des Blicks. Sie sind auf ein irgendwie geartetetes Ereignis,
den Zufall, den Schock gerichtet. Zumeist ist diese Erwartung wie in Bretons
textenNadja
und L‘amour fou nichts anderes
als das klassisch Beaudelaire‘sche Sehnen nach der „zufälligen“ Begegnung
mit der unbekannten Frau. Einer Art Wiederholungszwang nachgebend, findet
der Autor von Nadja sich immer
wieder im selben Viertel des Boulevard Bonne Nouvelle wieder, jenem schon
durch seinen Namen so vielversprechenden Ort der Stadt, dessen Attraktion
er gleichsam blind erlegen zu sein scheint.
Der
Stadtgänger Breton’scher Prägung befindet sich in einem Zustand,
der zwei Zeiten und zwei Vorstellungen des Blicks wie des Begehrens fusioniert.
Eine vehement auf die Zukunft gerichtete Bewegung der erotischen Suche,
die sich hinter dem Schleier des „erhofften Findens“, der überraschenden
Begegnung versteckt, trifft auf einen Modus der Nachträglichkeit,
wenn er plötzlich die ständige Wiederholung seiner Begehungsstruktur
der Stadt erkennt. Denn er überrascht sich selbst immer erst a posteriori
in der Zwangsläufigkeit seiner Bewegung. Im Moment, in dem er sich
selbst zum Objekt seiner Anschauung macht, findet er sich stets an denselben
Orten wieder. Der Gleichzeitigkeit von Begehren und Wiederholungszwang
korrspondiert die Simultaneität der auktorialen Bemächtigungsstrategie
des Autors gegenüber der Stadt und deren Verführungsmacht, die
den Stadtgänger wie eine Marionette lenkt. Durch die Überblendung
von Aktivum und Passivum, Agens und Stasis, von Erwartung des Neuen, Überraschenden
und der Zwangsläufigkeit des immer Gleichen, werden der Stadtgänger,
die Metropole, aber auch die Frau in der Stadt, zu lebendig-toten Chimären,
die beide zwischen Subjekt und Objekt changieren. Mal verlebendigen sich
ihm Stadt und Frau in einer Begegnung, die auch die Dinge zu ihm „sprechen“
läßt. Mal „findet man“ den Autor/Stadtgänger stets in derselben
Straße als Automaton, aufgezogen von einem unsichtbaren Mechanismus,
der scheinbar von der Stadt auf ihn übertragen wird: Maschine in der
Maschine. Das heißt, den Weg des Breton’schen Stadtgängers kreuzen
nicht nur Zeichen erotischer Lockung und Erfüllung, die das Geheimnis
der Stadt und der Frau frei zu geben scheinen, sondern auch deren beunruhigende
Kehrseite im Zeichen des erstarrten Panoptikums. Und nicht nur was
er sucht und findet, wird ihm doppelgesichtig, sondern in seiner zwanghaften
Bewegungsart selbst liegt bereits die Ambivalenz eines unheimlichen Flanierens
zwischen Begehren und Automatismus, Eros und Thanatos:
Walter
Benjamin hat diese Ambivalenz anhand Bretons Nadja- Figur herauskristallisiert.
Ihr kommt einerseits eine verlebendigende Funktion im Kontext des Stadtraums
zu, die der männlichen Ich-Figur dazu verhilft, aus den Verkrustungen
„altmodisch“ gewordener Dinge und Formen „das surrealistische
Gesicht der Stadt restlos herauszutreiben“.
(9) Andererseits gelingt ihr diese Vermittlung einer historischen Entbergungshandlung
nur indirekt. Erst indem sie selbst in die Nähe zu den Dingen in der
Stadt rückt und den Blick der Ich-Figur über sich auf diese lenkt,
kann sie zum Movens seiner Erforschungen werden. Sie ist damit primär
erkenntnisleitendes Vehikel und erst in zweiter Linie Ziel seines Begehrens:
Die
Funktion Nadjas ist, folgt man Benjamin, die Geschichte
der Stadt zu vergegenwärtigen,
die in ihren „überlebten“ und marginal gewordenen Dingen siedelt.
Diese Verlebendigung versteht er jedoch keineswegs im Sinne einer nostalgischen
Erinnerung, sondern er beschreibt sie deutlich in Analogie zum fotografischen
Akt. Das heißt, das Abgelebte soll aus seiner alten Sinnhaftigkeit
gelöst und zur – wenn auch banal gewordenen – Evidenz des Hier und
Jetzt verlebendigt werden. Nadja steht hier – Objekt neben Objekten - für
diese leere Evidenz der Oberfläche. Erst in dieser Banalisierung aber,
in dieser Rückführung auf nichts als ihre Oberfläche, können
die Dinge plötzlich die Imagination des Betrachters animieren und
andere Bedeutungen offenbaren. Weil Nadja den Dingen so nahe ist, wird
sie sowohl zum Agens wie zum Objekt dieser verlebendigenden Erkenntnis.
In ihrer Funktion des idealen surrealistischen Modells wird Nadja als Zwitterfigur
erkennbar, die neben ihrem Vermögen, dem Autor die Dinge zu verlebendigen,
indem er aus deren Oberfläche neue Bedeutungen entbirgt, notwendig
zur personifizierten Mortifikation wird. Im zwanghaften Wiederholungsgestus
des Autors fächert sich Nadja denn auch in vielfache Präfigurationen
und Nachbildungen auf. Ihr Auftauchen im Text erscheint daher wie eine
leere Durchgangsinstanz von der erwarteten Frau zu deren posthumer Betrachtung.
Die permanente Ersetzbarkeit von Nadja, die „aber jede andere
und sogar je eine bestimmte andere hätte sein können“,
(10) macht sie zum Auslöser und Objekt jener Such- und Entbergungsgeste,
die kein Ende findet. Damit ist sie dem idealen surrealistischen Objekt
verwandt, das durch Zufall gefunden (objet trouvé) oder aus der
Fülle der Dinge ausgewählt (ready made) wird, immer aber metonymisch
für ein Anderes einsteht. Indem Nadja Motor und Ziel des Begehrens
zugleich ist, das auf sie, aber auch über sie hinaus zielt, kann der
Autor/Stadtgänger sie jedoch nicht fixieren, um ihrer Oberfläche
einen „tieferen“ Sinn zu entreißen. Das heißt wir haben es
hier mit einer Konfiguration zu tun, die sowohl kontrollierte Autorschaft
wie auch die Fixierung und sinnhafte „Ergründung“ seines Objekts im
Werk zur Disposition stellt.
Das
künstliche Mannequin, die Wachsfigur taucht als eines ihrer Doubles
auch in Nadja auf. Sie wird
dabei zur paradigmatischen Umkehrfigur, die einer Kombination beider Zustandsformen,
derjenigen völliger Immobilität, die uneingeschränkte Untersuchung
erlaubt, und derjenigen unendlichen Ersatzes, am nächsten kommt:
„Die
hinreißende Wachsfigur, die man im Musée Grévin sehen
kann: es ist eine Frau, die im Schatten ihr Strumpfband befestigt, und
die einzige Figur, soviel ich weiß, die Augen hat, Augen, die herausfordern.“ (11)
Diese
letzte Substitution Nadjas ist – obwohl Ding – Verführerin, weil Trägerin
eines „lebendigen“ provozierenden Blicks. (12) In ihrer Überblendung
mit Nadja kann sie – und das erzählt die letzte Epsode, die unmittelbar
hierauf folgt – die Autorfigur tödlich erblinden lassen, wenn er sich
diesem Sog nicht entzieht.
Breton
beschreibt unmittelbar im Anschluß an die „Begegnung“ mit der wächsernen
Verführerin des Musée Grévin die berühmte Episode,
in der Nadja mit ihm zu verschmelzen droht: Ihr Fuß wird zu seinem,
während er auf das Gaspedal des Autos tritt, ihre Hand will gleichzeitig
seine Augen verdecken, während sie ihm den letzten Kuß als Zeichen
ewiger Vereinigung im Tod aufdrückt. Diese in die Marginalie einer
Anmerkung verschobene Szene ist jedoch der Angelpunkt der ganzen Geschichte,
aus der der Autor heldenhaft als geschlossenes Ich hervorgeht. Drohte die
Frage „Qui suis je?“, die er sich im ersten Satz von Nadja
stellt, in der völligen Auflösung des männlichen Ich im
weiblichen Anderen, in der Fusion von Eros und Thanatos, ihre Antwort zu
finden, so ist die letzte Episode mit Nadja auch diejenige, in der die
Ich-Figur zum männlichen Subjekt wird. Dies geschieht, indem die Figur
des Autors die ultimative Grenze, die in dieser tödlichen Schwellensituation
der verschmelzung lauert, bewußt nicht
übertritt. Mit dem lapidaren Satz „Ich brauche nicht hinzuzufügen,
daß ich diesem Verlangen nicht nachgab“
(13) bauter sich vielmehr genau
in dieser Situation zur integralen Ich-Figur auf und bestätigt dies,
indem er ab hier eine „andere“Frau
als Gegenüber konstruiert, ein „Du“, das Nadja nie sein konnte.
Die
deutlich sexuell konnotierte Wachspuppe kann diese Passage der Ich-Figur
innerhalb der Narration deshalb inaugurieren, weil sie einerseits Signum
permanenter Vervielfältigung eines lebendigen Weiblichen und damit
einer fortgesetzten Verführung zu erotischer Verschmelzung und Ichverlust
ist, während sie auf der anderen Seite in ihrer Stasis das fixe Gegenüber
verkörpert, das das männliche Betrachter- bzw. Autor-Subjekt
reinstalliert. (14) Hatte Breton bereits im „Surrealistischen Manifest“
von 1924 - ohne dies jedoch näher zu definieren – „le mannequin“,
die Wachsfigur bzw. Schaufensterpuppe, zum Exempel des Wunderbaren im Aragon’schen
Sinn des „Im Wirklichen aufscheinenden Widerspruchs“ erklärt(15),
so wird hier, vier Jahre später, in Nadja
deutlicher, welche grundlegende Signifikanz sie für die Konstitution
surrealistischer Autorschaft hat. Diese entwirft sich als permanente Handlung,
als stets neuer Akt des Durchgangs vom Status passiver Verschmelzung zur
aktiven Trennung von Ich und Du, Mensch und Ding, männlichem Autor
und weiblichem Objekt.
Das
künstliche Mannequin ist aber nicht nur bedeutsam als vexierbildartiges
Motiv sowie Auslöser männlichen Begehrens und surrealistisch
verstandener Autorschaft, wir müssen die weibliche Schaufenster- oder
Wachspuppe vielmehr auch im Koordinatensystem des surrealistischen Raums,
des surrealistischen Objekts
und des im Kern „fotografischen“Schaffensprozesses
surrealistischer Bildproduktion verstehen.
IIb
Daher
hier ein kleiner Exkurs zum Surrealistischen Stadtraum, der für die
Installation der Exposition Surrealiste
noch von Bedeutung sein wird:
Daß
die Stadt Paris zum paradigmatischen surrealistischen Raum avancierte,
in dem sich die ideale männliche Ich-Figur und sein ideales weibliches
Pendant, die künstliche Frau, begegnen, klang bereits an. Ihr „sürrealistisches
Gesicht“ jedoch zeigt die Stadt besonders an jenen Orten, an denen sich
örtliche wie zeitliche Verwerfungen abspielen. Eine solche Tempus-Verschiebung
hat Walter Benjamin besonders in den zum Interieur tendierenden Passagen
des 19. Jahrhunderts herauskristallisiert. Mit ihren inkompatiblen Materialien
und ekklektizistischen Formen beheimaten sie in der Moderne nicht mehr
die Prostituierten, „die Weibsfauna der Passagen, Huren, Grisetten,
alte hexenhafte Verkäuferinnen, gantières, demoiselles“
(16), sondern lediglich ihre altmodischen Doubles, die wächsernen
Büsten der Friseurläden. Aragons geheimnislosen Sphinxfigurinen
gleich, vermögen sie nur noch von der Diskrepanz von Vergangenheit
und Gegenwart zu künden:
„Oft
beherbergen diese Binnenräume veraltete Gewerbe und auch die durchaus
aktuellen bekommen in ihnen etwas Verschollenes. Es ist der Ort der Auskunfteien
und Ermittlungsinstitute, die da im trüben Licht der oberen Galerien
der Vergangenheit auf der Spur sind. In den Auslagen der Friseurläden
sieht man die letzten Frauen mit langen Haaren. Sie haben reich ondulierte
Haarmassen, die ‚indéfrisables‘ sind, versteinerte Haartouren. Kleine
Votivtafeln sollten sie denen weihen, die eine eigene Welt aus diesen Bauten
machten, Baudelaire und Odilon Redon, dessen Name selbst wie eine allzugut
gedrehte Locke fällt. Statt dessen hat man sie verraten und verkauft
und das Haupt der Salome zum Einsatz gemacht, wenn das, was dort von den
Konsolen träumt, nicht das einbalsamierte der Anna Czillag ist.“
(17)
Diese
städtischen Orte der Passagen, an denen sich die Zeiten wie im Palimpsest
schichten, finden ihre anthropomorphen Verkörperungen in den altmodischen
weiblichen Wachsfiguren. In ihrer Kombination aus Überkommenem und
marginal Gewordenem werden diese nach innen gefalteten Straßen mit
ihren künstlichen Bewohnerinnen jedoch auch zu Tatorten mit einer
„anarchischen Aura“, der der surrealistische „Erwartungsschrecken“ entgegenfiebert.
(18) Dort werden altertümliche Investigationsbüros und aus der
Mode gekommene Friseurpuppen zu unheimlichen Komplementärfiguren,
die das Verschollene darstellen und gleichzeitig aufzudecken versprechen.
Sie öffnen sich einem anderen Modus der Erkenntnis, indem sie zu Indizien,
zu „Beweisstücken im historischen Prozeß werden“. (19)
Weibliche Wachsfigur und Passagen potenzieren sich gegenseitig in ihrem
Schwellencharakter. In der anthropomorphen Übergangsfigur und in der
städtische Zwischenzone durchkreuzen sich die Zeitschichten. Die Passagen
machen die Stadt aber auch räumlich nach Innen und Außen durchlässig.
So wie die Wachsfigur in Nadja
zur Durchgangsinstanz eines Wandels vom verlorenen Ich zum rekonfigurierten
Ich wurde, so werden die Glas-Eisen-Galerien der Belle Epoque zu Orten
zeitlicher und räumlicher rites de passage
in der Moderne.
Neben
ihnen gibt es einen weiteren städtischen Ort, der für den Surrealismus
ähnlich wichtige mythische Qualitäten aufweist. Es sind die Boulevards
und Gassen, an denen sich die zwielichtigen Etablissements „niedriger Vergnügungen“
aneinanderreihen. Sie haben in noch höherem Maße Tatortcharakter.
Und so überrascht es nicht, daß Bretons Ich-Figur in Nadja
die Gegend um die Porte St. Denis durchstreift, von der der Boulevard Montmartre
mit seinen billigen Theatern, Kabaretts, Cafés, Kinos und dem wachsfigurenkabinett
des Musée Grévin abgeht. Es überrascht auch nicht, daß
der Autor ins „Thèatre des deuxMasques“
oder das „Théatre Moderne“ geht,
die in der grotesken Tradition des Grand Guignol
spielen, oder daß er einen winzigen Kinomathographen besucht, um
dort den fünften Teil eines „Grand Sérial mystérieux
en 15 episodes“ mit dem schönen
Titel „L’oeil deSatan“
anzuschauen. Der Boulevard du crime wird
hier als assoziativer Straßenraum aufgerufen, den die marktschreierischen
Schaustellungen grausamer und burlesker Theaterstücke, die Panoptiken
wächserner Unholde und später die Verkaufsstätten der Groschenblätter
mit den „faits divers“, den Feuilletonromanen und ungeheuerlichen Begebenheiten
aus der großen Stadt säumten. (20) Die vom Jahrmarkt stammenden
blutrünstigen Theater des Grand Guignol
(21) und die Kinos mit detektivischen Serienfilme à la Fantomas
waren vom Zentrum der Schaulust ins Obskure abgedrängt worden. Jenseits
bürgerlicher Hochkultur wurden sie gerade durch ihren kulturell wie
räumlich marginalisierten Status für die Surrealisten interessant.
In ihrer provokativen Zur-Schau-Stellung des Horrors und dessen Unterbrechung
im befreienden Lachen grotesker Einlagen tat sich zudem auch strukurell
eine Nähe zum Surrealen auf:
„Das
Grand Guignol steht im Zeichen des doppelgesichtigen Janus. Er hat zwei
Gesichter, oder zwei Masken: den Schrecken auf der einen Seite, das Lachen
auf der anderen. (...) Das Grand Guignol systematisiert in einem gewissen
Sinn dieses Verfahren, indem es die Spannungen des Lachens und des Entsetzens
ins Gleichgeicht bringt.“ (22)
Die
janusköpfige Struktur des Grand Guignol
erinnert an die chimärische Struktur der Wachsfigur des Musée
Grévin. Die Bühnenfiguren im Theater des Schreckens und des
Lachens changieren permanent zwischen verunglückten, vergifteten,
grausam zerstückelten Toten, die oftmals ganz offensichtlich durch
Puppendoubles in Szene gesetzt werden und ihrer fröhlichen Wiederauferstehung
im nächsten Akt. Denn:
„Ähnlich
wie im Alptraum, aber auch beim zerstörerischen Kinderspiel blieben
die Leichen am Grand-Guignol nicht lange liegen. Sie wurden noch gebraucht,
denn das Spiel ging weiter.“ (23)
Das
Grand-Guignol stand also ästhetisch für „konsequente
Geschmacklosigkeit als befreiende Lebendigkeit“ (24)
im Sinne antibürgerlicher Revolte. Darüberhinaus brachte es im
harten Wechsel von Schauerstück und Burleske den skandierenden Schnitt
zur Aufführung, der eine Realitätsebene von der anderen trennte
und der der kontingenten Wahrnehmungsstruktur in der Stadt ebenso entsprach
wie dem fotografischen wie filmischen Sehen und dem surrealistischen Prinzip
der Sabotage. Der Bruch des Schreckens durch das Lachen sprengt aus der
Erstarrung der Angst eine Pause, einen Zeitsprung heraus, der nicht nur
unmittelbare psychisch-physische Entlastung im Sinne der „Choc-Bewältigung“
ist (25), sondern die Chance birgt, diese in eine Öffnung der Wahrnehmung
umzulenken:
„Das
komische Stück, die Farce, der witzige Dialog sind ganz offensichtlich
nie mehr gewesen als das nötige Intermezzo, um die Zuschauer aus der
Ohnmacht der Angst soweit zu lösen, als es bedurfte, um ihr Verlangen
nach einer neuen Dosis starker Emotionen wiederzuerwecken.“
(26)
Der
intermittierende Akt selbst, der den Blick auf das Bühnengeschehen
relativiert, ist hier für surrealistische Künstler interessant.
Er entspricht ganz dem von Breton beschworenen „Zwischenraum“, der sich
ihm retrospektiv bei der Lektüre von Nadja
zwischen jedem Satz, jedem Wort auftat und neue Bedeutungen freigab, der
aber auch der Konfiguration des künstlichen Mannequins eigen ist.
„Der
Surrealismus stellt sich als Generalangriff auf eine Fassadenwelt dar,
die weggesprengt werden muss, wenn Erfahrung möglich werden soll und
nicht nur das Einsinken in die vorregulierte, durch Erwartungem und regeln
vergitterte Welt.“ (27) Daher ist
„die Keimzelle des surrealistischen Verfahrens der aktive, wenn man will,
experimentelle Zugriff auf einen Bruch in den Phänomenen, nicht dessen
schlichte Registrierung. (...) Choc und Pause markieren die Stelle, an
der Sabotage und Surrealismus einander beleuchten können.“
(28)
Weiblichkeit
und Stadtraum bedingen einander in ihren spezifisch surrealistischen Ausprägungen
als Umschlagfigur von Frau/Puppe und animierend kriminellem Tatort. Als
Verkörperungen jenes symptomatischen Bruchs der Sabotage, der surrealistisches
Handeln hervorbringt, gewinnen sie in den Ausstellungen und Fotografien
der Bewegung in den Dreißiger Jahren eine Schlüsselposition.
In der Exposition internationale du Surréalisme
von 1938 wurde schließlich die Schaufensterpuppe zum idealen surrealistischen
Objekt und die theatralische Inszenierung eines städtischen Tatorts
verwandelte den Galerieraum in eine Kombination von Grand Guignol
und Boulevard du crime.
III
Abb.
Einladungskarte zur Surrealismus Ausstellung, Paris 1938
Abb.
Denise Bellon: Le Taxi pluvieux von Salvador Dali.
Die
vierte Pariser Ausstellung der Surrealisten wurde am 17. Februar 1938 in
der von Georges Wildenstein geführten Galeriedes
Beaux Arts, in der Rue Faubourg Saint Honoré
eröffnet. (29) Die Tatsache, daß dort zuvor eine El Greco Ausstellung
stattgefunden hatte, macht deutlich, daß die Surrealisten hier dezidiert
das Terrain klassischer Kunstgalerien zur Folie ihrer auch räumlichen
Uminterpretationen machten. Wildenstein war souverän genug, ihnen
freie Hand zu geben. Die brisante Mischung aus gehobenem bürgerlichem
Kunst-Ambiente und vorhersehbarer surrealistischer Provokation trug sicher
dazu bei, daß die Galerie am Eröffnungsabend die Menge der Neugierigen
kaum zu fassen vermochte. Die Einladung hatte die Erwartung eines „delightful
horror“ geweckt, dem sich nur allzu viele Pariser der Haute Bourgeoisie
hinzugeben gedachten. (30) Wurde auf der Einladungskarte einerseits um
Erscheinen in Abendgarderobe zur extravaganten Stunde von 10:00 Uhr abends
gebeten, so ließ sie gleichzeitig keine Rückschlüsse auf
ausgestellte Werke oder beteiligte Künstler zu. Vielmehr versprach
sie imaginär anmutende Orte und phantastische Ereignisse. Die Erscheinung
von Androiden, das heißt von künstlichen menschenähnlichen
Wesen, wird gleich zweimal angekündigt, als Dingwesen
(êtres-objets), als Chimären
aus toter Materie und lebendiger Gestalt also, und als „authentischer Sproß
Frankensteins“ der – anscheinend ein „kleines Geheimnis“ verkörpernd
- den Namen „Enigmarelle“ – von Enigma/Geheimnis herrührend - erhielt.
Der Text bezeugt fiktiv – einer Geburtsurkunde gleich - die Konstruktion
dieses Automaten durch einen amerikanischen Ingenieur im Jahr 1900 und
kündigt sein Erscheinen für die Geisterstunde nach Mitternacht
an, wo er, aus falschem Fleisch und falschen Knochen zusammengesetzt, die
Ausstellung durchschreiten werde. Das Foto, dem diese Ankündigung
wie eine Bildlegende unterlegt ist, zeigt eine von Polizisten flankierte
Figur mit eckigem Körperbau und blonder Perücke, die jedoch weder
in dieser noch in einer anderen Gestalt bei der Vernissage auftauchte.
Die Allusionen in der Einladung an Groschenromane und Schauerstücke
aus dem Theater des Schreckens und des Lachens sind überdeutlich.
Sie werden zudem durch Versprechen hysterischer und anderer schockierender
Darbietungen ergänzt. Neben diesen Ereignissen, die der Ausstellung
schon vorab die Erwartungsangst unheimlicher Begebenheiten beimengten,
sind es vor allem bizarre und verführerische Orte, die den Besuchern
avisiert wurden: Betten am Rande von Wassertrichtern, Himmel aus Kohlesäcken
und die schönsten Straßen von Paris.
Und
tatsächlich hatten die Surrealisten, die sich im schmalen Katalog
wie Intendant, Dramaturg und Beleuchter eines Theaters vorstellten, ein
begehbares Environment geschaffen, das alle bisherige Konnotationen von
Kunstwerken und Galerieräumen außer Kraft setzte.
Im
Vorhof empfing die Gäste Dalis Regentaxi,
ein altes von Efeu um- und durchranktes Automobil aus der Marne-Gegend,
in dessen Fond eine weibliche Schaufensterpuppe in Abendrobe mit einer
Nähmaschine auf dem Nebensitz saß. Chauffeur war eine lebensgroße
Gliederpuppe, deren Kopf von einer dunklen Brille verdeckt und von einem
knöchernen Haifischmaul gerahmt war, als wäre es ein Sturzhelm.
Das Innere wurde kontinuierlich mit Wasser berieselt, so daß die
Abendtoilette der „Dame“ sich in schmutziges Leinen und die blonde Perücke
in filzige Strähnen verwandelte, während ein Vielzahl von Weinbergschnecken
ihre schleimigen Spuren hinterließen. In einem Text von Dali, der
das Ensemble in grotesker Sprachverschiebung kommentierte, spricht er neben
der symbolischen Zahl von zweihundert Schnecken von zwanzig winzigen Fröschen,
die kleine Goldkrönchen tragend das nasse Interieur belebten. (31)
Die märchenhafte Referenz an den Froschkönig und an Dornröschen
zugleich kennzeichnet die Insassen des Taxi pluvieux
als Figuren der Metamorphose zwischen Erstarrung und Verlebendigung. Als
Doppelgänger/Innen der Ausstellungsbesucher verweisen Sie so bereits
im Entrée auf den Durchgang durch die Ausstellung als Ritede
Passage, die niemanden unverändert
entläßt.
Abb.
Denise Bellon: Mannequins von Espinoza, Wolfgang Paalen und Dali, 1938.
Im
Anschluß an das Regentaxi führte die Ausstellung in einen langen,
von künstlichen Mannequins gesäumten Korridor der Plus
belles ruesde Paris. In
regelmäßigen Intervallen erwarteten die Besucher dort sechzehn
Schaufensterpuppen, die je von einem surrealistischen Künstler gestaltet
wurden. (32) Hinter ihnen zeigte ein Schild jeweils Straßennamen
an. Sie trugen entweder symbolträchtige reale Bezeichnungen Pariser
Geographien wieRue Vivienne, in
der Lautréamont wohnte,Rue Nicolas-Flamel,
die an einen mittelalterlichen Alchimisten gemahnte, Rue de
la vieille Lanterne, in der Gérard
de Nerval Selbstmord beging, oder sie hießen Passage
des Panoramas bzw. Porte des
Lilas und verwiesen damit auf von den Surrealisten
bevorzugte städtische Orte. (33) Andere Straßennamen entpuppten
sich jedoch als phantasiereiche Neuschöpfungen mit lyrischem oder
dämonischem Tenor: Hier wechselten unvermittelt die Rue
d‘une Perle, die Rue Cerise,
die Rue aux Lèvres,
in die Rue de la Glacière, die
Rue de la Transfusion du Sang oder
die Rue de tous les Diables. Neben
die Straßenschilder applizierten die Künstler Plakate, Zeichnungen
und Postkarten, die monografische Ausstellungshinweise mit Hinweisen auf
surrealistische Aktivitäten kombinierten. Sie gewinnen im pseudo-öffentlichen
Kontext der fingierten Straßen Aufruf- und Manifestcharakter.
Abb.
Josef Breitenbach: Internationale Surrealismus-Ausstellung Paris, Hauptraum,
1938.
Abb.
Raoul Ubac: Objekt des Hauptraums von Georges Hugnet: La Table est mise.
Der
Hauptraum der Ausstellung schließlich erweiterte die lineare Struktur
der Straße der Mannequins und ließ diese in einen zentralen
Ort münden. Hier waren die heterogenen Elemente nicht mehr additiv
rezipierbar, sondern kumulierten in einer dichten Gesamtinszenierung. Marcel
Jean hat diesen Raum am ausführlichsten beschrieben:
„Hier
schwamm das Wunderbare sozusagen auf der Oberfläche des Humors, war
der Raum verfremdet, eine phantastische Metapher, in die der Besucher,
ob er es wollte oder nicht, hineingezogen wurde: eine riesige gewölbte
Grotte aus zwölfhundert aufgehängten Kohlesäcken; der sanft
gewellte Boden war mit einem dicken Tepich welker Blätter bedeckt,
und in einer Bodenfalte schimmerteein
Teich mit Seerosen und Schilf. Inmitten dieser unterirdischen Lichtung,
einer Synthese der inneren und äußeren Welt, thronte auf einem
kleinen Podest als Zeichen der Freundschaft ein Brasero, eines dieser eisernen
Glutbecken vor den Terassen der Pariser Cafés, um die sich die Surrealisten
im Winter häufig zusammengefunden hatten, und in den Ecken des Saales
schimmerten unter golddurchwirkten Seidendecken vier prächtige, enorm
breite Betten als Zeichen der Liebe. Zu beiden Seiten des Brasero waren
an den Tetraedern zweier Drehtüren Graphiken angebracht. (...) Hinter
einem Wandschirm wurde Kaffee geröstet, im Untergeschoß verbreiteten
sich die Düfte Brasiliens, während ausdem
Lautsprecher die klopfenden Paradeschritte der deutschen Armee ertönten.“
(34)
Marcel
Jean spricht hier die Gruppenmythologie an, die diese maßgeblich
von Duchamp konzipierte Rauminszenierung prägte. Der Brasero, d.h.
der Kohleofen im Zentrum und die vier üppig ausgestatteten Betten
in den vier Ecken bilden gleichsam das symbolische Koordinatensystem eines
surrealistischen Kosmos, dessen Kern die (Männer)Freundschaft und
dessen Himmelsrichtungen die Variationen der Liebe sind. () In diese Grundstruktur
fügten sich surrealistische Objekte nahtlos ein, unter ihnen solche
mit anthropomorphen Anteilen wie Marcel Jeans bemalte Schneiderpuppe Horoscope,
Kurt Seligmanns Hocker auf vier Frauenbeinen mit dem Titel Ultramöbel,
Oscar Dominguez‘ Grammophon Jamais,
in dessen Trichter zwei künstliche Beine verschwanden, um als Hand
des Plattenarms wieder hervorzukommen, und Georges Hugnets La
Table est mise, ein Tisch, aus dessen
Oberfläche ein Puppenkopf mit blondem Haar wuchs. Die Wände hingegen
waren durchaus klassisch einer Vielzahl programmatischer Gemälde,
Zeichnungen und Collagen vorbehalten, eine statische Präsentation,
die nur durch die zwei Drehtüren Duchamps mit ihrer permanenten Bilderzirkulation
durchbrochen wurde. Dieses dicht gefüllte surrealistische Koordinatensystem
folgte – einer modernen Wunderkammer gleich – zwar einer eigenen Systematisierung,
vernetzte sich in der Fülle der ausgestellten „Meraviglien“ jedoch
unvermittelt zu einem Gewebe ganz eigener, zunächst undurchschaubarer
Bezüge. Gerade hierdurch aber hob der surrealistische Mikrokosmos
der Ausstellung von 1938 alle anderen Kosmologien mit ihren klaren, wenn
auch oft imaginären Ortzuschreibungen aus den Angeln: So lassen die
Naturreferenzen und -reste von See, Schilf, Laub einen öffentlichen
städtischen Ort, die Galerie, von innen überwuchern, und verwandeln
ihren kubischen Raum in eine amorphe Höhle. Die Kohlesäcke, mit
Papier zu prallen Volumina gebläht, werden zu modernen Stalaktiten,
die die Kategorien von Decke und Boden invertieren. Die akustischen und
geruchsbezogenen Elemente schließlich, präsent durch den intensiven
Duft frisch gemahlenen Kaffees und das monotone militärische Marschgeräusch
bzw. hysterische Gelächter aus dem Grammophon (36), drangen über
die Sinnesorgane von Nase und Ohr gleichsam direkt in die Besucher ein,
ließen deren Körper zu sensorischen Resonanzböden werden.
Diese wurden so zu Teilen der Inszenierung im Sinne von Membranen, durch
die die Reize der Ausstellung osmotisch hindurchgingen. Innen und Außen,
Oben und Unten, Natur und Kultur, Ausstellungsraum und Körperraum
durchmischten sich an diesem Ort zu einem Amalgam, das nicht einfach verkehrte
Welt sein wollte, sondern einen „anderen“ synthetischen Raum erwachsen
ließ. (37) Daran hatte nicht zuletzt auch die performative
Inszenierung der Ausstellung einen hohen Anteil, die das Verhältnis
von blickendem Subjekt und angeschautem Werk aufzulösen suchte. Wurden
die Besucher und Besucherinnen bereits bei ihrer Ankunft im Vorhof unvermittelt
mit ihren stillgelegten DoppelgängerInnen im Taxi pluvieux konfrontiert,
Spiegelbildern ihrer selbst als statische Ausstellungsobjekte, und fand
in den nach innen gestülpten „schönsten Straßen von Paris“
einen Begegnung statt, die die künstlichen Mannequins und die BesucherInnen
in einem wechselseitigen Défilé parallelisierte, so steigerte
sich diese Irritation von Betrachter, Betrachterin und angeschautem Objekt
durch die raffinierte Lichtinszenierung.
Man
Ray, Verantwortlicher für die Beleuchtung, hatte die Ausstellung durch
eine Schiene mit Tageslichtbirnen erhellen wollen. Am Abend der Eröffnung
inszenierte er jedoch eine ganz andere Art der Illumination, ob beabsichtigt
oder tatsächlich wegen eines Stromausfalls bleibt offen. Die Ausstellung
blieb jedenfalls unbeleuchtet, die Besucher erhielten eine Taschenlampe
Marke Mazda und mußten sich im Dunkeln ihren eigenen Weg durch die
Räume und zu den Exponaten suchen. Ein wichtiger Effekt war, daß
die eingeschränkten Lichtkegel Gemälde, Êtres-Objets, Schaufensterpuppen
und Mitbesucher gleichermaßen trafen.
„Unnötig
zu erwähnen“, schreibt Man Ray
nicht ohne Süffisanz, „daß die Taschenlampen mehr in
die Gesichter der Leute als auf die Werke selbst gerichtet wurden. Wie
bei jeder überfüllten Eröffnung wollte jeder wissen, wer
sonst noch da war.“ (38)
Die
Mannequins und anthropomorphen Objekte konnten so zu Besuchern werden,
die Besucher wiederum zu den für viele offenbar interessantesten Ausstellungsfiguren.
In dasselbe Licht der irrlichternden Suchscheinwerfer getaucht, entstammten
sie einer einzigen performativ und medial vermittelten Raumsphäre.
Der Kunstgriff Man Rays bestand darin, das sich die Ausstellung und ihre
Bewohner – d.h. die Puppen und Besucher - als Effekte der individuell ausgerichteten
Licht-Projektionen manifestierten.
In
der räumlichen wie ereignishaften Inszenierung der Ausstellung kommen
daher vielschichtige Refenzen zum Tragen, die in der Fotografie der Mannequins
ihre Modifikation und Steigerung erfuhren. Ex negativo bezog sich die Ausstellungsgestaltung
auf die Räume von Museum und Galerie, ins Positive gewendet auf diejenigen
des Kinos und der Großstadtstraße als Tatort.
Hatte
Breton dezidiert davon gesprochen, daß die Surrealismus-Ausstellung
von 1938 gegen die konventionelle Ordnung der Galerien und Museen rebellieren
wollte, so griff diese dennoch auf ältere Modelle zurück wie
die der Kunst- und Wunderkammern, in denen kosmologische Modelle sich mit
individuellen Vorlieben und Mythologien durchwirkten. Sie bezog sich aber
auch auf gleichzeitige Bestrebungen wie den Pavillon de l’Élégance
der Pariser Weltausstellung mit ihren künstlerisch gestalteten Interieurs
und Mannequins, wo sich Kunst und Kommerz bereits unheilig vereint hatten.
Mit den individuellen Lichtprojektionen durch die Besucher wurde die Ausstellung
darüber hinaus zum Auslöser und zur Folie eines Musée
imaginaire, das an die Stelle konventioneller
musealer Erfahrungen trat. Breton hat eine derartige Umwandlung traditioneller
Bildergalerien durch die Phantasien der (männlichen) Besucher bereits
in Nadja gepriesen:
„Ich habe Hochachtung vor jenen Männern, die sich nachts in einem Museum einschließen lassen, um bequem und zu verbotener Zeit, ein Frauenbildnis betrachten zu können, das sie mit einer Blendlaterne anleuchten. Notwendigerweise wissen sie nacher viel mehr von dieser Frau als wir. Möglicherweise will das Leben wie eine chiffrierte Botschaft entziffert werden. Geheime Treppen, Rahmen, aus denen schnell die Bilder gleiten und verschwinden, um einem Erzengel mit einem Schwert Platz zu machen, oder für jene, die allezeit vorrücken müssen; Knöpfe, auf die man sehr indirekt drückt und die die Veränderung eines ganzen Saales in seiner Höhe und Länge und den schnellsten Wechsel des Dekors hervorrufen; das größte Abenteuer des Geistes darf man sich wie eine derartige Reise ins Paradies der Fallen vorstellen.“ (39)
Im
Licht der Taschenlampe findet der Ablösungsprozeß statt, der
die eigenen immateriellen Vorstellungsbilder von ihrer manifesten Grundlage
löst, ohne daß die Referenz ganz aufgehoben ist. Damit ist die
Allusion an den Kinoraum eröffnet. Wie in den frühen Kinomatographen
müssen im Schein der Taschenlampen während der Eröffnung
der Surrealismusausstellung im Bewußtsein und vor den Augen der unterschiedlichsten
Besucher ganz individuelle filmische Narrationen abgelaufen sein. Nur,
daß das Publikum nicht fest in seinen Kinosesseln saß, sondern
im Gedränge von einer „festen Einstellung“ zur nächsten schwenkte
und sich ganz en passant aktiv seinen eigenen ephemeren Film schuf. Dem
Raumzitat des ins Kino transponierten Musée imaginaire
gesellte sich schließlich die Großstadt als geografische Metapher
hinzu. Insbesondere in den „schönsten Straßen von Paris“ trafen
die Besucher auf geputzte weibliche Kunstfiguren, die von der damaligen
Kunstkritik - sicher in Konformität mit den meisten Betrachtern -
als starre Strichmädchen bezeichnet wurden. (40) Ein sonst marginalisierter
Stadtraum wurde hier plötzlich sichtbar und auf engstem Terrain so
komprimiert, daß niemand ihm ausweichen konnte. Ort des Verbotenen,
wurde er in der Ausstellunsginszenierung nicht nur zur Metapher psychischer
Innenwelten sondern auch zum Exerzierfeld detektivischen Sehens. Mit den
Taschenlampen „bewaffnet“, wurden die Besucher gezwungenermaßen zu
Investigatoren und „Tätern“ zugleich. Im Akt des Ent-Deckens nämlich
ließen sie simultan das sichtbare Bild der verbotenen weiblichen
Verführerinnen erst entstehen. Mit der Beleuchtung vermeintlicher
Agentinnen krimineller Überschreitung verlebendigten die Besucher
die verbrecherischen Verführerinnen gleichsam selbst und ließen
sie ihre Wirkungsmacht erst voll entfalten. Die „Plusbelles
rues de Paris“ gaben sich damit als Boulevard
du Crime zu erkennen, an dem sich im Licht
individueller Projektionen stille Wachsfiguren eines Musée Grévin,
gefesselte, geknebelte Opfer des Grand Guignol
und schöne Prostituierte des Pariser Straßenstrichs der detektivischen
wie erotischen Schaulust gleichermaßen darboten.
Zusammenfassend
läßt sich also sagen, daß wir es hier mit einer umfassenden
Irritation der Kategorie singulärer Autorschaft zu tun haben, denn
siekommt in der Gesamtinszenierung
partiell zum Verschwinden. Der Künstler erfindet keine Werke, sondern
formt bereits Vorgefundenes um. Das „Werk“ löst sich zudem in der
Lichtperformance und durch seine zeitliche Struktur des Ephemeren, Flüchtigen
teils auf. Hinzu kommt, daß wir es mit einer Lockerung des Verhältnisses
von Werk und Betrachter zu tun haben, indem eine potentielle Umkehrung
von Objekt und Zuschauer inszeniert wird. Daß die Infragestellung
sowohl von Autorschaft wie von auktorialem Betrachter nur auf der Basis
einer Begehrensstruktur möglich ist, die das traditionelle Geschlechterverhältnis
von als männlich vorausgesetztem Künstler bzw. Rezipienten und
weiblichem Objekt zementiert, läßt sich ebenfalls als Zwischenergebnis
festhalten.
IV
Abb.
Raoul Ubac: Schaufensterpuppe von Maurice Henry, 1938
Abb.
Raoul Ubac: Schaufensterpuppe von Espinoza, 1938
Betrachtet
man nun die Fotografien, die
von der Internationalen Surrealismus-Ausstellung 1938 entstanden, fällt
rein quantitativ eine Diskrepanz zu den schriftlichen Äußerungen
über sie auf. In der Fotografie zogen die Mannequins der „schönsten
Pariser Straßen“ wesentlich häufiger das Auge auf sich als es
das komplexe Gefüge des Hauptraums vermochte. Fotografen und Fotografinnen
wie Raoul Ubac, Gaston Paris, Josef Breitenbach, Robert Valencay, Man Ray,
Denise Bellon und Thérèse Le Prat haben sich zumeist nicht
nur in Einzelbildern sondern in ganzen Bildsequenzen mit den surrealistischen
Mannequins von 1938 auseinandergesetzt. (41) Sie fanden dabei durchaus
unterschiedliche Zugangsweisen. Allen gemeinsam ist jedoch, daß sie
sich vom dichten Bedeutungsnetz der Figurinen und ihrer Räume affizieren
ließen. Jenseits des dokumentarischen Charakters, der bei einigen
mehr bei anderen weniger mitschwingt, iniziierten sie in ihren Fotografien
einen eigenen medialen Prozeß und schufen neue, fotografische Räume,
die die Ausstellung kongenial auch jenseits ihres zeitlich und räumlich
begrenzten Daseins in der Galerie Wildenstein fortsetzten.
Raoul
Ubac beispielsweise hat eine Serie von ganzfigurigen Aufnahmen der Mannequins
von Maurice Henry, Espinoza, Sonja Mossé, Max Ernst, Marcel Duchamp
gemacht, die die Puppen offenbar zum Teil während der Konstruktionsphase
zeigen, da ihnen noch einige Details fehlen. Er wählte eine undramatische
Beleuchtung, die die Details der Puppen in ein klares, nüchternes
Licht versetzten. Maurice Henrys Mannequin läßt so deutlich
das tuffige weiße Material der Watte erkennen, durch die ihr Kopf
wie in eine Wolke gehüllt scheint. Auch der dunkle Gazeschal mit der
Halskrause aus Wäscheklammern, der Büstenhalter aus feinen Fliegendrahtglocken,
der dunkle ährenbesteckte Rock mit der Gürtelschnalle, bestehend
aus einem Schloß und zwei Schlüsseln, sind klar auszumachen.
(42) Dasselbe gilt für die Puppe Espinozas, deren dunkler Umhang sich
in eine schmale Stoffbandage verlängert, dabei ein Bein, Taille und
Handgelenke umschlingt und als Acessoir zwischen elegantem modischem Dekor
und Fesselung changiert. Das Foto zeigt detailliert, wie die Hutkappe von
dem Knochen eines Tierschädels bekrönt wird und wie die Gelenke,
die bei der Puppe keine beweglichen Scharniere freigeben, sondern ihren
Körper aus einem Guß erscheinen lassen, am Knie, an der Leiste,
an den Fingern, in der Armbeuge und an der Schulter durch feine Stecknadelbündel
punktiert sind.
Abb.
Raoul Ubac: Schaufensterpuppe von Sonia Mossé, 1938
Abb.
Raoul Ubac: Schaufensterpuppe von Max Ernst, 1938
Ähnlich
nüchtern ist die Puppe Sonja Mossés ausgeleuchtet, deren dunkler
Witwenschleier sich in zweifachem Bausch am Hinterkopf und von der Wade
abwärts sammelt. Kleinere und größere Skorpionattrappen
akzentuieren in pointiertem fotografischem Schwarzweißkontrast Auge,
Mund, Brust und Bauch, während am Oberkörper künstliche
Seerosen erblühen und zwischen den Beinen der Kelch einer Lotusblume
hervorragt – die einzige Mannequin-Künstlerin hat damit auch die einzige
dezidiert phallische Interpretation des Puppengeschlechts im engeren Sinn
vorgenommen. Die Schaufensterpuppe Max Ernsts schließlich ist fotografisch
ebenfalls undramatisch in Szene gesetzt. Der schwarze Hut mit Witwenschleier
und durchsichtigem Umhang ist ebenso deutlich ins Licht gerückt wie
das weiße Dessous und die bis auf die Löcher und Laufmaschen
erkennbaren schwarzen Seidenstrümpfe, an deren Strumpfband sich die
am Boden liegende einzige männliche Puppe des Ensembles zu schaffen
macht. Mit weißer Weste und dem Malerkittel Max Ernsts bekleidet,
trägt sie den für den Surrealismus symbolträchtigen Kopf
des Löwen von Belfort: Emblem militärischer Macht, die hier von
der weiblichen Puppe gebrochen scheint. (80) Im Hintergrund sind im skandierten
Weiß-Schwarz die Mannequins von Miró und Espinoza zu sehen.
Was
in Josef Breitenbachs und Denise Bellons Fotos der Plus belles
rues de Paris durch den Kamerastandpunkt
deutlich als tiefenräumliche Staffelung der Puppen reinszeniert ist,
findet in Ubacs Foto der Ernst’schen Puppe seinen Widerhall: Den Stationen
eines Kreuzwegs ähnlich, wird das Auge von einer Figur zur nächsten
geleitet. Die ganzfigurig aufgnommenen Figuren Maurice Henrys, Espinozas,
Sonja Mossés, aber auch Duchamps und Seligmanns hat Ubac jedoch
ganz aus diesem Zusammenhang gelöst. Die ihnen zugeordneten Straßenschilder
sind nicht mehr zu sehen und die kommentierenden Plakate sind – wenn sie
überhaupt ins Bild ragen - stark angeschnitten. Die für die Wahrnehmung
der Puppen als Bewohnerinnen eines phantasmatische Straßenstrichs
vorausgesetzte Parataxe findet hier nicht im Einzelbild statt, sondern
verlagert sich auf die additive Zusammenschau der fotografierten
Mannequins. Das perfekte surrealistische Objekt ist so aus dem Stadtraum
in den Ausstellungsraum und von dort in den fotografischen Raum und damit
den des Betrachters gewandert. Die fotografierten Mannequins offenbaren
hier ihren Permutationscharakter in zwei Richtungen. Sie sind in ihrer medialen
Genealogie Doubles von Doubles, indem die reale begehrenswerte Frau auf
den Pariser Straßen erst in die flüchtigen, vielgesichtigen
literarischen Figuren Nadjas und ihres Alter Egos der Wachsfigur im Muséé
Grévin überwechselt, dann in die materiell fixierten Schaufensterpuppen,
die ihre merkantilen Gefängnisse hinter den Fenstern der Warenauslagen
verlassen haben, um in der Surrealismus-Ausstellung zügellos das Auge
der Besucher zu verwirren, und die schließlich in das fotografische
Mannequinbild wandert, wo sie – dem Betrachter scheinbar unendlich nahegerückt
-, sich seinem Zugriff noch mehr entzieht als Bretons Hauptfigur. Die fotografierten
Schaufensterpuppen werden aber auch durch ihre Reihung
als potentiell unendlich reproduzierbare Kunstfiguren ausgewiesen. Analog
der literarischen Folge der Vor- und Nachbilder Nadjas bildet die Parade
der sechzehn Mannequins schon in der Ausstellung ein Stakkato, das sich
nun in der fotografisch nahegelegten Sequenz von Ubacs isolierten Puppen
doppelt. Für beide Formen der scheinbar unendlichen Doublierung, die
einmal als in die genealogische Tiefe gehende vertikale und einmal als
horizontale Staffelung eines ikonografischen Moduls erfahrbar wird, ist
die Fotografie das kongeniale Medium. Durch die von Rosalind Krauss herauskristallisierte
Ästhetik des Abstandes vermag die Fotografie der Mannequins die Herkunft
der fotografierten weiblichen Figur von einer realen, zeit-räumlich
existenten Kunst-Figur zu bezeugen, zugleich vermag sie deren Vexiercharakter
in einem medialen Raum zu inkorporieren, in dem die reale Frau wie die
künstliche Puppe gleichermaßen aufgehoben sind. Die Frage Bretons „Wie
kann man die Wachshand von der wirklichen unterscheiden?“,
die erangesichts der Modeaufnahmen
Man Rays von lebenden wie künstlichen Modellen stellte, betrifft diese
Vexiermacht des Fotos. Er beantwortete sie ganz im Sinne einer rhetorischen
Frage selbst:
„Die
beiden Bilder sterben durch die gleiche Erschütterung und zur gleichen
Stunde, im gleichen sich verlierenden und verlöschenden Schein. Sie
sind immer gleich vollkommen, es fällt schwer zu denken, sie existierten
nicht auf derselben Ebene, man meint sie seien einander so unentbehrlich
wie das berührte und das berührende. (...) Wer das Schiff der
Fotografie sicher durch den nahezu unbegreiflichen Strudel der Bilder zu
lenken versteht, der wird das Leben wieder in seine Fänge ziehen,
so als ob man einen Film rückwärts drehen würde.“
(43)
Breton
beschreibt hier nicht von ungefähr gerade im Vergleich von lebendem
Modell und Puppe das mediale Vermögen der Fotografie, das abgebildete
Objekt gleichzeitig zu mortifizieren und zu verlebendigen. Die fotografische
Schicht nimmt beide gleichermaßen auf und gewährt ihnen hier
und nur hier den Raum, in dem sie sich gegenseitig das Potential perfekter
Erstarrung und pulsierenden Lebens verleihen können. Es ist aber auch
jene Eigenschaft, die ihm schon in Bezug auf Nadjas letzte Verkörperung
in der verführerischen Wachsfigur des Musée Grevin den doppelten
Status von passivem Aufnahmeapparat und auktorialem Künstlersubjekt
ermöglichte. Hier wird deutlich, wie die Doppelstruktur der Puppe
und der Fotografie in potenzierter Form wirksam wird, indem die erstarrte
Bewegung und ihre Umkehr in idealer Fusion in Erscheinung tritt. Daher
wird das fotografierte künstliche Mannequin
zum eigentlichen idealen surrealistischen Objekt. Ubac unterstrich darüber
hinaus mit seiner Art und Weise, die Mannequins der Surrealismus-Ausstellung
zunächst zu isolieren, um sie dann in eine eigene fotografische Staffelung
zu überführen, das andere genuin fotografische Vermögen.
Indem er gleichsam in der Horizontalen
Abzug für Abzug die gleichen, lediglich anders ausstaffierten Mannequins
vor unseren Augen aufreiht, verweist er einerseits symbolisch auf die mechanische
Reproduzierbarkeit des fotografischen Bildes, das mit jedem Abzug dieselbe
Aufnahme im gleichen Material ermöglicht. Die Puppe wird somit zu
Gleichnis des fotografischen Positivs. Sie weist auf dessen spezifischen
Werkcharakter als reproduzierbare stoffliche Visualisierung hin. Puppe
und Foto klassifizieren sich selbst und einander als Kopien, deren „Original“
nur als Negativ, als nicht
materialisierte Matrix gekennzeichnet wird, die jedoch gleichzeitig eine
unendliche Reproduktion generieren kann. Andererseits eröffnet Ubac
jedoch mit seiner Serie der fotografierten Mannequins eine Linearität,
die die zeitliche Folge ihrer Aufnahme überwunden hat. Die Reihung
der Abzüge ist nicht mehr an die Sequenz auf dem Negativfilm gebunden
und läßt sich ganz neu kombineren. Der Abstand zwischen den
Einzelaufnahmen wird somit zu jener Pause, die die Freiheit des kombinatorischen
surrealen Spiels eröffnete. So wie die Mannequins immer neue Einkleidungen
erhalten, lassen sich in der fotografischen Zusammenstellung die Karten
immer neu mischen. Die Schachfiguren können ungezählte Charaden
eingehen.
Abb.
Man Ray: Mannequin von Man Ray, 1938
Abb.
Man Ray: Mannequin von Dali, 1938
Anders
als Ubacs fotografische Sequenz isolierter Mannequins haben Breitenbach,
Bellon und Man Ray die Schaufensterpuppen der Ausstellung von 1938 deutlich
in ihren jeweiligen Kontext eingebettet. Durch die fotografische Kadrierung
erhalten sie gleichsam ein von den jeweiligen gestaltenden Künstlern
dicht besetztes Gehäuse, das sie wie in einen Kokon einspinnt und
sie von den anderen Puppen ganz anders abtrennt als die Fotos Ubacs. So
nimmt Man Ray sein eigenes Mannequin mit den Tonpfeifen auf dem Kopf, aus
denen Glühbirnen wie Seifenblasen wachsen, mit den kleinen Glastränen
auf den Wangen und den großen an den Achseln, mit dem Seidenband
um die Taille und der Aufschrift „Adieu foulard, Modèle déposé“,
sowie der tonnenartigen Metall-Ummantelung von den Knien abwärts,
nicht isoliert auf. Vielmehr sind deutlich das Straßenschild der „Rue
d’une Perle“, eine an die Wand applizierte
Wolke aus Pappe, auf der an einem Kleiderbügel zwei Herrenhüte
und zwei Mäntel hängen, und, rechts angeschnitten, Werbeplakate
für Man Ray-Ausstellungen zu erkennen. Das Mannequin hat hier seinen
eigenen kleinen Kosmos im fotografischen Bild erhalten, das keiner Egänzung
mehr durch die Addition in der fotografischen Sequenz bedarf. Auch Dalis
Mannequin, mit einer außereuropäischen Kopfmaske in Vogelform
bekrönt, einer gestrickten Gesichts- und Halsmaske, einem aufgeschlagenen
Ei am Brustansatz, mit dem von Löffelchen übesähten Körper
und einer kleinen Fledermaus auf dem Unterleib, ist in seine Umgebung fotografisch
eingepaßt, als wäre es nicht unbedingt eine Straße. Das
Möbelstück zur Rechten des Mannequins ist ein altmodisches Ausstattungsstück,
auf dem Dalis „Aphrodisisches Telefon“
mit der Hummerattrappe als Gabel steht. Die Schriftzüge des Straßenschildes
der „Passage des Panoramas“
sind klar zu entziffern. Ganz der städtischen Binnenstruktur der Passage
gemäß, gibt sich hier auch der fotografische Umraum als Interieur
zu erkennen. Der starke Schlagschatten macht das Licht als künstliche
Beleuchtung erfahrbar und die Dichte der lose an die Wand gehefteten Zeitungsausschnitte
und Postkarten weist eher auf eine individuelle Sammelleidenschaft hin
als auf eine nach außen gerichtete, plakative Botschaft. Die Tendenz
in diesen Mannequin-Fotos ist als eine Art „Privatisierung“ spürbar.
Die „Verinnerlichung“ der erotisch-kriminellen Pariser Straßen in
den imaginären Ausstellungsraum, der einen ganz anderen Öffentlichkeitscharakter
hat, wird hier weitergetrieben und in eine fast häusliche Idylle des
fotografischen Raums gefaßt. Der Fotografie selbst eignet hier also
einerseits der Benjamin‘sche Etui-Charakter des abgeschlossenen bürgerlichen
Gehäuses, andererseits werden hierdurch die sonst so heimischen Dinge
doppelt unheimlich. Denn im solchermaßen fotografisch geschaffenen
hermetischen Raum kippen die fröhlichen surrealen Vereinigungen unvermittelt
ins Klaustrophobische: Treffen nämlich wie bei Man Rays Puppe ein
wohlanständiger Trench mit Hut und ein aus der Abfalltonne ragendes
nacktes Kunstgeschöpf im bürgerlichen Interieur aufeinander,
so schwingt ein ungemütliches stummes Nebeneinander der Dinge mit,
die sich keineswegs vergnüglich vereinigen. Und wenn wie bei Dali
die Herrin des Hauses plötzlich primitivistisch maskiert vor ihrem
überfüllten Zettelkasteninterieur erscheint, ist nicht nur das
Hummer-Telefon, sondern jeder bürgerliche Ausstattungsgegenstand in
Gefahr, zum beißenden Werkzeug zu werden, der sich gegen die Bewohner
richtet. Der fotografische Ausschnitt als hermetischer Rahmen des bürgerlichen
Interieurs weist somit selbstreferentiell auf seinen Charakter als mediales
Prokrustesbett hin. Einer Zwangsjacke ähnlich, schließt er die
künstlichen Mannequins und ihre Ausstattung ein und läßt
ihren unheimlichen Vexiercharakter zwischen tot und lebendig gleichsam
implodieren. Diese fotografische „Verinnerlichung“ mag umso beklemmender
wahrgenommen werden, als in den nicht allzu großen Abzügen darüber
hinaus eine Miniaturisierung im Verhältnis zum Aufgenommenen stattfindet.
Zweidimensionalen Puppenstuben gleich, werden die Fotos zu starren Spiegeln
ihrer bürgerlichen Betrachter und ihres Ambientes..
Abb.
Man Ray: Mannequin von Duchamp, 1938
Abb.
Raoul Ubac: Mannequin von Duchamp, 1938
Wie
unterschiedlich dieselbe Schaufensterpuppe aufgenommen und gleichzeitig
die Intention ihres Konstrukteurs mit fotografischen Mitteln forciert werden
kann, zeigen zwei Fassungen von Man Ray und Ubac im Vergleich. Das relativ
karg ausstaffierte Mannequin Duchamps, dem der Künstler nur seinen
eigenen Hut, sein Hemd und Jackett, seine Kravatte, Weste und Schuhe „geliehen“
hat, scheint zwei völlig verschiedene fotografische Welten zu bewohnen.
Bei Man Ray ist das Mannequin von der linken Seite her vor der Wand mit
Zetteln, Plakaten und dem Straßenschild „Rue aux Lèvres“
so aufgestellt, so daß es einen unheimlichen Schatten auf sie wirft.
Die grelle Beleuchtung frontal auf die Figur läßt das Gesicht
und die entblößten Oberschenkel hell aufleuchten und in Kontrast
zum festen Panzer des Jacketts und zum steifen Hut treten, der wie ein
Fremdkörper auf dem Kopf des Mannequins sitzt. Das Licht gibt ansatzweise
zu erkennen, was der Schatten verbirgt: Der Körperkern ist weiblich
konnotiert, seine Schale männlich. Die scherenschnittartige Silhouette
jedoch verschmilzt beide Bedeutungen zu einer geschlechtlich uneindeutigen
Figur mit kantigem Umriß und lockiger Damenfrisur. Indem Man Ray
die Puppe und ihren Schatten zu gleichwertigen Akteuren seiner fotografischen
Einstellung macht, beteiligt er sich an Duchamps Strategie geschlechtlicher
Verunsicherung. War das Mannequin durch seine Einkleidung mit den männlichen
Attributen des Künstlers in die Rolle seines Doppelgängers bzw.
seiner Doppelgängerin geschlüpft, so konstituiert es im Umkehrschluß
sein Vor-Bild Duchamp über sein Nach-Bild, d.h. seinen Schatten an
der Wand, als geschlechtlich ambivalent. Verspricht die Puppe selbst durch
den Abstand zwischen Kostüm und Körperoberfläche noch die
Möglichkeit, im symbolischen Gestus des Entkleidens den eindeutigen
Sexus zu entdecken, so verweigert ihr durch die Lichtprojektion evozierter
Doppelgänger diese Erlösungsgeste. Die Fotografie fixiert beide
wiederum in derselben medialen Fläche. So unterbricht sie auch den
prüfenden Entdeckergestus an der plastische Puppe selbst, der den
Ausstellungbesuchern noch potenziell möglich war. Auf der anderen
Seite verleiht die Fotografie dem flüchtigen Schatten der Puppe in
der Ausstellung zu einer materialisierten Existenz. Der Abstand zwischen
beiden wird im fotografischen Abzug also geringer. Das Bild reflektiert
eine Art modernen fotografischen Ursprungsmythos. Indem es das Puppen-Double
eines abwesenden Duchamp und dessen Schatten-Double in ein Bild bringt,
spricht es vom fotografischen Verfahren, das entkörperlicht und gleichzeitig
einen anderen, medialen Körper schafft. Es gibt aber auch Auskunft
über die Irritation geschlechtlicher Eindeutigkeiten, die im Prozeß
dieses Transfers angelegt ist. Der Abzug bietet nur eine optische
Evidenz, er entzieht die aufgenommene Kunstfigur der taktilen Prüfung,
oder, man könnte sagen, sie verlagert diese Prüfung auf die geschmeidige
Oberfläche des Abzugs selbst. Der Abstand zwischen Körper und
Kostüm, zwischen weiblich und männlich, ist in der Fotografie
eingeschmolzen, wie dies der Schatten bereits vorgeführt hat. Die
Fotografie kann daher wie im Fall Man Rays zur Komplizin geschlechtlicher
Ambivalenzen werden, indem sie Uneindeutigkeiten des Sexus eine manifeste
fotografische Verkörperung verschafft. Fotografie weist sich hier
als „zweite Haut“ der Puppe aus, die deren ambivalenten Sexus signifiziert.
Raoul
Ubac hat Duchamps Schaufensterpuppe ganz anders aufgenommen. In engem Ausschnitt
weitgehend von ihrer Umgebung gelöst, zeigt er sie frontal, aus starker
Untersicht und von der Hüfte aufwärts. Das Licht schafft keinen
scharfen Schlagschatten, sondern leuchtet die unterschiedlichen Oberflächenqualitäten
der Materialien von metallischem Lockenhaar, groben und feinen Kleiderstoffen
und der stumpfen „Haut“ der Puppe aus. Ausschnitt und Kameraposition zeigen
die Puppe aus der Perspektive eines Adoranten wie das Idol in einem Schrein.
Der Fetisch wird jedoch als paradoxe Figur einer vielschichtigen Ent-Täuschung
errichtet. Duchamp hatte in der Bearbeitung seiner Puppe bereits mit der
Betrachter-Erwartung, das weibliche Geschlecht entblößt zu sehen,
gespielt, indem er lediglich das versiegelte, nihilierte Geschlecht der
Schaufensterpuppe zu sehen gab. Das nicht vorhandene Schamdreieck markierte
er gleichwohl mit seinem weiblichen Pseudonym „RROSE SÉLAVY“, mit
dem er seine eigenen transvestitischen Selbstportraits signierte und das
phonetisch bekanntlich den Satz „Eros c’est la vie“ ergibt. Wie eine Tätowierung
in die leblose „Haut“ der geschlechtlich indifferenten Kunstfigur punktiert,
konstituierte Duchamp den nicht vorhandenen Sexus der Puppe ein zweites
Mal als leeren Ort bzw. leeres Blatt, an dessen Stelle er eine sich unendlich
fortsetzende Inversion der Geschlechter treten läßt. Hatte er
sich in zahlriechen Selbstinszenierungen bereits von Duchamp zu Rrose Sélavy
transformiert, so tranformiert sich der als Rrose Sélavy signifizierter
Puppenkörper wieder zu Marcel Duchamp mit Hut und Kravatte. (44) Ubac
treibt dieses Spiel mit seiner Fotografie noch einen Schritt weiter. Er
zitiert durch die sakral anmutende Untersicht in blasphemischer Weise die
Errichtung des Fetisch als parareligiöses erotisches Idol. Die ideale
phallische Frau, die starre perfekte Puppe, stört jedoch in zweifacher
Weise die Funktion des Fetisch. Einmal aufgrund ihrer männlichen Einkleidung
durch Duchamp, zum anderen aber auch durch die nun fotografische Wiedereinsetzung
des weiblichen Geschlechts, das der Fetisch ja zu ersetzen versprach. Denn
Ubac hat das Mannequin so aufgenommen, daß dem neutralen Geschlecht
der Schaufensterpuppe ein Schatten eignet, der vexierbildartig wieder zur
Vulva wird. Die Beruhigung des versiegelten Sexus und des errichteten Fetisch
kippt durch die fotografische Inszenierung augenblicklich in das Unheimliche
des nun wieder sichtbar gemachten, einstmals so heimischen uterinen Ortes,
den Freud beschrieben hat.
Abb.
Gaston Paris: Mannequin von Oscar Dominguez, 1938
Abb.
Gaston Paris: Mannequin von Espinoza, 1938
Gaston
Paris wiederum hat eine Serie gänzlich anderer Aufnahmen gemacht.
Er geht mit der Kamera wesentlich näher an die Puppen heran und wählt
einen engen Ausschnitt, der nur Fragmente der Straßennamen und Wandapplikationen
sehen läßt. Die Kadrierung orientiert sich einerseits an der
Tradition der klassischen Porträtbüste, um diese umso wirkungsvoller
zu unterlaufen. Entgegen der Frontalität und der physiognomischen
Detailgenauigkeit des bürgerlichen Porträts, kippt Gaston Paris
die Perspektive und positioniert uns in starker Untersicht zu den sehr
nahe gerückten Puppengesichtern. Die schlaglichtartige Beleuchtung
schließlich tut das ihre, um die Züge der Mannequins zu dramatisieren,
aber auch zu verunklären. So durchschneidet der Schatten des metallenen
Hut-Reifens hart die Augenpartie der Puppe von Dominguez und ein Schattendreieck
scheint auf Kinnhöhe ihren Kopf vom Hals zu trennen. Espinozas Mannequin
ist durch die direkte Lichtsetzung von oben in eine helle obere und eine
dunkle untere Hälfte horizontal geteilt. Die expressionistische Lichtregie
betreibt in der Kombination mit der untersichtigen Nahaufnahme eine Strategie
faszinierter Annäherung und grausigen Ent-Deckens. Den Augen wird
noch in ihren Verschattungen ein lebendiges Licht aufgesetzt, während
die zum breiten Lächeln geöffneten Lippen aggressiv die Reihen
allzu regelmäßiger Puppenzähne aufblitzen lassen. Erscheint
die Körperoberfläche an der Schulterpartie noch wie eine weiche
Epidermis, so sind die gedrechselten Locken aus Metall gnadenlos ausgeleuchtet.
Das harte fotografische Hell-Dunkel, das die Puppen in lebendige und tote
Teile gliedert, bringt ihren zusammengesetzten Charakter nicht als erlösende
Bildpraxis ans Licht, sondern läßt das Betrachterauge verunsichert
hin- und herspringen. Gaston Paris hat hier jene Blickstruktur fotografisch
fixiert, die Man Ray den Ausstellungsbesuchern mit den Taschenlampen im
dunklen Raum aufgezwungen hatte. Die Mannequins auf den Fotos scheinen
wie durch individuelle Blitzlichter aus unmittelbarer Nähe erhellt,
überrascht von einer momentartigen Entdeckung, der ein detektivisches
Suchen im Dunklen vorausgegangen ist. Gaston Paris rettet also die Narration
des kriminalistischen Blicks und des Tatorts der „Plus belles
Rues de Paris“ in seine Nahaufnahmen. Unklar
bleibt jedoch, wer hier das Blitzlicht setzt, der Besucher mit der Mazda-Lampe
oder der Fotograf respektive Betrachter. Jedenfalls eignet dem fotografischen
Abzug etwas von einem Indiz, dem Beweisstück eines Verbrechens. In
der überdeterminierten Lichtinszenierung hat dieser Indiziencharakter
jedoch wiederum etwas kolportageartiges, das ihn in den Kontext eines Schauerstücks
à la Grand Guignol versetzt.
Ist hier eine verführerische Täterin überführt oder
haben wir ein Opfer vor uns, eine Tote, die mit weit aufgerissenen Augen
ins Leere schaut? Der in seinen Fotos konstruierten Betrachterperspektive
bieten die Bilder von Ubac beide Bedeutungen: Sie sind spielerische kriminalistische
Indizienzitate eines Verbechens der Verführung und der Mortifizierung
zugleich. Wer hier aber im engeren Sinn überführt wird, ist die
Fotografie selbst, die uns die Verführerinnen erst näher bringt
und verlebendigt, um sie im selben Zuge stillzulegen. Dies geschieht durchaus
nicht mit dem erhobenen Zeigerfinger einer medienpolitischen Decouvrierung,
sondern weist deutlich die Spuren des selbtironischen Spiels mit dem Surplus
schaustellerischer Groteske auf.
Abb.
Denise Bellon: Mannequin von André Masson, 1938.
Doch
die Fotografinnen und Fotografen rückten ihren idealen Pendants noch
näher auf den Leib. André Massons Puppe, der RueVivienne
zugeordnet, wurde bereits während der Ausstellung 1938 als eines der
beeindruckendsten Geschöpfe der „schönsten Straßen
von Paris“ rezipiert. Ihrem Kopf war ein
Vogelkäfig wie ein Helm übergestülpt, in den Goldfische
aus Zelluloid herein- und herauszuschweben schienen. Der Mund der Puppe
war mit einem wiesengrünen, samtenen Band verschlossen, an dessen
Stelle die Blüte eines Stiefmütterchens appliziert war. Oberhalb
des Geschlechts war ein von Glasaugen umkränztes metallenens Oval
angeheftet, von dem feine Federn nach oben führten. Und auf der mit
grobem Salz bedeckten Bodenplatte, ragten in Fallen gefangene Peperonischoten
wie winzige Phalli auf. (45) Denise Bellon, die mit ihrem Konvolut von
42 Fotos nicht nur quantitativ das breiteste Spektrum der Ausstellung aufgenommen
hat, widmete immerhin sechs davon dem Mannequin Massons. Die spektakuläre
Nahaufnahme ist innerhalb ihrer eigenen Annäherung, aber auch derjenigen
ihrer Fotokollegen, einzigartig. (46) In exakter Kadrierung hat die Fotografin
nur Kopf und Käfig frontal ins Bild gesetzt. Lediglich die Lettern
VIVIENNE des Straßenschildes gibt der obere Bildrand frei. Die Durchlässigkeit
des Vogelbauers, die bei der Begehung der Ausstellung durch die dreiseitige
Ansichtsmöglichkeit nachvollziehbar war und die durch die roten, an
den Seiten durch die Gitterstäbe schwimmenden Zelluloidfische akzentuiert
wurde, nimmt Bellon hier völlig zurück. Indem sie die Fotokanten
links, rechts und unten mit den Seiten des Käfigfront kongruent abschließen
läßt, interpretiert sie die räumliche Durchlässigkeit
in eine zweidimensionale Hermetik um. Die Buchstaben des Straßennamens
bringen hier ebenfalls keine Tiefenräumlichkeit ins Bild, sondern
binden umgekehrt Käfig und Kopf des Mannequins in das Schwarz-Weiß
der fotografischen Fläche ein, als wären sie Teil einer Schrift.
Im Zentrum der Fotografie wird uns als „Ausschnitt im Ausschnitt“ die Käfigtür
präsentiert, die das Gesicht des Mannequins wie eine unsichtbare Maske
rahmt, die aber auch Ort vielschichtiger optischer Durchlässigkeiten
ist, welche die hermetische Kadrierung des Fotos verweigerte. Aus dem Käfig
blicken uns die Augen des Mannequins unmittelbar an, ihre von feinen Stahldraht-Wimpern
umkränzten Augäpfel zeigen von Lichtreflexen verlebendigte Pupillen:
Ihr Blick durchdringt nicht nur die Grenze ihres Käfigs sondern auch
die unsichtbare Grenze der fotografischen Oberflächenmembran und erreicht
uns in direkter Adressierung im Raum des Rezipienten. Die Käfigtür
ist überdies so ausgrichtet, daß sie gleichsam beiden Raumschichten
angehört, sie kann den Käfig in Richtung des Betrachterraums
öffnen oder die gemeinsame Grenze von Fotografie und Käfig schließen.
Das Foto thematisiert somit die Ambivalenz des abgeschlossenen und gleichzeitig
optisch durchlässigen fotografischen Illusionsraumes, indem es die
Käfigfront und die fotografische Fläche in eins fallen läßt,
und indem es den „lebendigen“ Blick der Puppe erschafft und zugleich als
Überbrückung und Akzentuierung der Grenze beider Räume bewußt
macht.
Bellons
extreme Ausschnittswahl thematisiert aber auch in zentraler Weise die geschlechtlichen
Metonymien, die etwa Breton an der Masson’schen Puppe so begeisterten und
sie für ihn zur „Perle der Ausstellung“ machten. (47) In zahlreichen
Gemälden, Filmen, literarischen Zeugnissen und Fotografien praktizierten
die Surrealisten die Ersetzung von Geschlechtszeichen durch andere Körperteile
oder durch Zeichen der nicht- anthropomorphen Welt. Mund und Auge sind
die beliebtesten Ersatzorgane für das weibliche Geschlecht, Man Rays
überdimensionales Gemälde der über einer Landschaft schwebenden
monumentalen Lippen „A l’heure de l’observatoire – les amoureux“ von
1932/34, das im Hauptraum der Surrealismus-Ausstellung von 1938 hing, kann
hier gleichsam als Programmbild gelten, und Hans Bellmers seit 1934 kontinuierlich
in Minotaure veröffentlichten
Fotos der „Poupée“ waren mit ihren vielschichtigen Ersetzungsstrategien
der Geschlechtszeichen am Körper der Puppe den Surrealisten auch 1938
äußerst präsent. (48) Bellons Foto ist in diesem Kontext
zu verstehen. Es bringt zentral die Stelle am Mannequin Massons in den
Blick, wo sich die Geschlechtszeichen am dichtesten überlagern. Im
durch die Vergitterung verengten Gesichtsfeld trifft das Auge, das 1928
in Batailles „Histoire de l’oeil“ seine
sexuelle Apotheose erfuhr, (49) auf den geknebelten Mund, der – schon immer
stumm – symbolisch nochmals ausradiert wird, um auf ihm die grüne
Spielwiese der Natur zu errichten, auf der wiederum das Stiefmütterchen
(französisch doppeldeutig: pensé) zum Naturzitat des weiblichen
Geschlechts erblüht. Auge und Blume sind es, die hier zu sprechen
beginnen, sie gewinnen den Status komunikativer Zeichen, die uns direkt
adressieren. Diese Kompetenz gewinnen sie in ihrer metonymischen Bedeutung
als Geschlechtszeichen: Aus dem Körperkäfig blickt uns so in
komprimierter Form der geballte weibliche Sexus surrealistischer Männerphantasien
an. Daß die Fotografie Bellons diese moderne „Büchse der Pandora“
in ihrem unwiderbringlich geöffneten Zustand fixiert hat, unterlegt
die Wirkung des Masson’schen Mannequins auf den Betrachter mit dem leisen
Unbehagen einer nicht rückgängig zu machenden Überwältigungsmacht.
Der filmischen Großaufnahme vergleichbar, springt in der Fotografie
Denise Bellons durch die Engführung zwischen Betrachter und seinem
weiblichen Gegenüber des sexuell überdeterminierten, kompositen
surrealistischen Puppenobjekts etwas auf diesen über, das ihn an sie
bindet. An der Nabelschnur des Blicks sind beide aneinandergekettet und
an der fotografischen Membran scheinen ihre Körper wie die siamesischer
Zwillinge unlösbar aneinandergewachsen.
Abb.
Man Ray: Mannequin Man Rays, 1938.
Abb.
Man Ray: Buch-Umschlag Man Ray: Les mannequins – Ressurection des Mannequins,
Paris 1966.
Man
Ray war der einzige Künstler, der 1938 mit einem selbst ausgestatteten
Mannequin an den „plus belles rues de Paris“
beteiligt war, der darüber hinaus maßgeblich für die gesamte
Lichtregie verantwortlich war und der zudem die Ausstellung in zahlreichen
Fotografien festgehalten hat. Seine eigene Schaufensterpuppe hat er von
verschiedenen Positionen aus und aus unterschiedlichen Richtungen fotografiert,
einmal – wie wir bereits sahen - eingebettet in den näheren Kontext
der „Rue d‘une perle“, ein
anderes Mal wie hier im klassischen Büstenformat, das sowohl den Ausschnitt,
die Perspektive wie auch die Beleuchtung aus der traditionellen Porträtmalerei
und –fotografie entlehnt. Das Gesicht ist in eine dunkle und eine helle
Hälfte geteilt. Das kreiert einen lebendigen, expressiven Ausdruck,
unterstreicht aber auch das perfekte fabrikmäßige Ebenmaß
der Züge. In allen seinen Fotos vom eigenen Kunstgeschöpf schwingt
bei Man Ray vordergründig eine für ihn ungewohnte Ernsthaftigkeit
mit. Sie korrespondiert der Charakterisierung der Puppe mit ihren von Glastränen
benetzten Wangen als verletzte femme fragile, deren
Zerbrechlichkeit sich in den Glühbirnen ihres Kopfputzes spiegelt.
In der Gesamtgestaltung seines Mannequins wird als mögliche Ursache
für die großen Glastränen die Deponierung der Puppe in
einer metallenen Tonne sichtbar. Daß es sich solchermaßen um
ein „Modèle déposé“
handelt, wie auch die Inschrift ihres Gürtels kundtut, ist dabei in
zweifacher Weise zu verstehen: als von seinem Besitzer abgelegtes, überholtes
Modell und als aus seinem ursprünglichen Zusammenhang gerissene Deplazierung
vom Schaufenster in die Ausstellungsgalerie. Dem fotografischen Schulterbildnis
jedoch fehlt die Referenz der Abfalltonne, es läßt die Glastränen
unbegründet. Anders als Gaston Paris verfremdet Man Ray in seinem
Bild das traditionelle Formenvokabular der Porträtfotografie jedoch
nicht, sondern ruft gerade durch ihr bruchloses Zitat den Vexiercharakter
der Puppe hervor, die er über diese formale Adaption indirekt in den
Rang einer bürgerlichen Frau erhebt. Dem Foto Bellons vergleichbar,
läßt er die pygmalionisch verlebendigte Puppe im Foto über
den Blick direkt mit dem Betrachter „kommunizieren“. Ihre tränenumflorten
Augen gewinnen damit eine weitere Bedeutung. Signalisierten die Glastränen
am Mannequin selbst einen Gemütszustand, der sich als äußerlich
auf dem Puppenkörper appliziertes, nicht aus dem „Innern“ hervortretendes
Attribut zu erkennen gab, so verwandelt das Foto sie wieder in jenes Stadium
zwischen Verflüssigung und Kristallisation, die immer auch selbstreferentiell
den Werkcharakter des Fotografischen mit benennt. Die Narration, die der
Puppe als Modèle déposé zueigen
war, wird nun auf die fotografische Ebeben gehoben. Zwischen „echtem“ Sentiment
und dessen theatralischer Vortäuschung schwankend, richtet sich der
vorwurfsvolle Blick des Mannequins nun unmittelbar auf den Betrachter.
Man Ray spielt hier ein ironisches Spiel, das den Rezipienten in eine zwielichtige
Position bringt. Durch ihren vorwurfsvollen Blick zum Verursacher ihrer
zu Glas erstarrten Tränen gemacht, findet er sich unvermittelt in
einer unklaren melodramatischen Relation zur weiblichen Schaufensterfigur.
Mit diesem Kunstgriff gibt Man Ray die fotografische Macht der Verlebendigung
und der kristallinen Fixierung in die Hand des Betrachters weiter. Hatte
der Fotograf das Mannequin im Zitat des bürgerlichen Porträts
nobilitiert, so stellt er es nun umso schrankenloser dem Betrachter zur
Disposition.
Daß
er selbst seine Puppe nach Belieben demontieren und wiederauferstehen ließ,
zeigt sein 1966 in Paris in einer Auflage von 30 Stück publiziertes
Fotobuch mit dem bezeichnenden Titel „Les Mannequins – La Résurrection
des Mannequins“ (Mannequins- Wiederauferstehung der Mannequins).
Auf dem Titelblatt hat Man Ray das „Portraitfoto“ seiner Puppe von 1938
mittig in der Horizontalen durchschnitten und seinen Namen in großen,
mit dem Pinsel geschriebenen Lettern in den Zwischenraum gesetzt. Deutlicher
läßt sich die Reinstallation der auktorialen Geste des Künstlers
nicht ins Bild bringen. Die handschriftliche Signatur sprengt das homogene
fotografische Bild des eigenen weiblichen Geschöpfes, um die fünfzehn
Mannequins auf den folgenden Seiten des Buches in ihren integralen illusionistischen
Erscheinungen wieder aufleben zu lassen. Die Wiederauferstehung der Puppe
gründet auf derjenigen des Autors, ihre Zerstörung zieht die
seine jedoch nicht nach sich, sondern stabilisiert vielmehr seine Position.
Daß
Man Ray die künstlerische Destruktion und gleichzeitige bewundernde
Wiedererrichtung der weiblichen Schaufensterpuppen jedoch nicht nur als mediale
Potenz des Künstlers respektive Betrachters verstand, sondern mit
ihr eine durchaus sexuelle
männliche Potenz verband, legt die retrospektive Beschreibung seiner
ganz spezifischen „Begegegnung“ als Fotograf mit den künstlichen Schönen
der „Plus belles rues de Paris“
nahe:
„1937 werden neunzehn junge Frauen aus den Schaufenstern der Warenhäuser entführt und der Verrücktheit der Surrealisten ausgeliefert,“ schrieb Man Ray 1966 in „La Resurrection des Mannequins“, „die sogleich damit begannen, sie zu vergewaltigen, jeder auf seine eigene und unverwechselbare Weise und ohne im geringsten die Gefühle der Opfer zu beachten, die sich jedoch mit charmantestem Wohlwollen den beleidigenden Ehrbezeugungen unterzogen, die ihnen da aufgezwungen wurden, und dies in einer derart reinen Art, die die Erregung noch steigerte, die einen der aktivsten der Partner, einen gewissen Man Ray erfasste, der sich aufknöpfend, seinen Apparat hervorholte und die Orgie registrierte, weniger aus historischem Interesse, als um dem brennenden Verlangen nachzugeben, denn die Negative verschwanden sogleich in der Nacht des Vergessens, bis nach mehreren Jahrzehnten ein Zufall – zweifellos ein sachlicher – diesen Beweisstücken erlaubte, wiederentdeckt endlich sichtbar (zu werden). Glücklicherweise.“ (50)
Die
künstlerische Gestaltung der Mannequins wird ihm zur Vergewaltigung,
die fotografische Aufnahme zum exhibitionisten Akt. Beide setzen eine literarische
wie künstlerische Verlebendigung voraus, um die mediale wie sexuelle
Grenzüberschreitung erst symbolisch zu ermöglichen.
Abb.
Denise Bellon: Mannequin von Salvador Dali und Salvador Dali mit dem Kopf
des Chauffeurs aus dem Taxi pluvieux in den Händen, 1938.
Abb.
Denise Bellon: Mannequin von Dali, Chauffeur des Taxi pluvieux von Dali
und Salvador Dali, 1938
Denise
Bellon hat die Errichtung der kompositen Mannequins als Prozeß pygmalionischer
Gestaltung am konsequentesten interessiert. Von ihr stammen die meisten
Fotos von der Aufbauphase der Ausstellung, die die Künstler bei der
Gestaltung ihrer jeweiligen Mannequins zeigen. Sie spielt dabei mit erzählerischen
Inszenierungsformen der Fotografie, etwa wenn sie Dali und sein Mannequin
leicht von unten aufnimmt, so daß der Künstler seinem Idol,
das hier schon die Vogelkrone, aber noch nicht die Strickmaske trägt,
das Haupt des Chauffeurs aus dem Taxi pluvieux
wie ein Menschenopfer darzubringen scheint. Der Kopf der enthaupteten Gliederpuppe,
auf die Spitze getriebene Tautologie eines getöteten toten Dings,
greift in dieser Inszenierung augenzwinkernd die symbolische Praxis der Executio
in Effigie auf, um die bedingungslose
Anbetung des Künstlers für sein selbst erschaffenes ideales Objekt
in Szene zu setzen. Dies wird besonders deutlich, wenn in einem zweiten
Foto Dali die lebensgroße Gliederpuppe der Kamera und damit dem Betrachter
unmittelbar als eine Art „Delinquenten“ frontal präsentiertIn
beiden Fotografien rückt unmißverständlich ins Bild, daß
der Errichtung des künstlichen weiblichen Idols der Puppe ein symbolisches
Opfer im Sinne der Zerstörung körperlicher Integrität inhärent
ist.
Abb.
Denise Bellon: Mannequin vom Maurice Henry und Maurice Henry, 1938.
Den
Künstler Maurice Henry zeigt Denise Bellon in einer ganz anderen Umgangsweise
mit seinem Mannequin. Bis auf die hölzerne Texttafel auf dem Unterleib
ist sie bereits vollständig ausstaffiert und er legt gleichsam nur
noch letzte Hand an sie. Die Fotografin hat ihre Kamera so auf den Künstler
und seine Kreatur gerichtet, daß die Puppe ihn leicht überragt
und der Wattetuff ihres Kopfputzes wie eine schützende Wolke über
ihm zu schweben scheint. Maurice Henry neigt sich leicht zu ihr. Die Rechte
scheint er um ihre Taille zu legen und mit der Linken ergreift er ihr Handgelenk.
Die Geste ist ambivalent, sie läßt die Puppe einmal lebendig,
einmal dinghaft wirken. Denn der Künstler erscheint zugleich so, als
wolle er den starren Arm der Puppe in eine andere Postion bringen, aber
auch als wolle er mit galanter Armführung das Mannequin von seinem
Platz wegführen: eine Einladung zum Flanieren oder zum Tanz. Mit der
Inszenierung dieser unterschwellig zwiespältigen Umgangsweise der
Künstler mit ihrem Kunstgeschöpf gelingt es Denise Bellon, deren
Schwanken zwischen einer tiefen Entäuschung angesichts der in ihren
Augen unzulänglichen, korrekturbedürftigen Schaufensterpuppe
und der blinden Bewunderung ihrer schließlich rundum selbst gestalteten
Puppen zu zeigen. Diese Ambivalenz in Denise Bellons Foto von Maurice Henry
und Dali mit ihremseinem Mannequin findet ihre Analogie in Georges Hugnets
retrospektiver Beschreibung des ersten Umgangs der Surrealisten mit dem
„Rohmaterial“ der Schaufensterpuppen. Er beschwört mit literarischer
Suggestivität die enttäuschende Begegnung der Surrealisten mit
den ihnen zuerst zur Verfügung gestellten Mannequins, und ihren Austausch
durch die „idealen“ Puppen der Firma P.L.E.M. In der Gattung der Literatur
spiegelt er dabei paradigmatisch, wie die Demontage zur Voraussetzung der
Wiedererrichtung des männlichen Phantasmas von der perfekten Kunstfrau
wird:
„Eine
erste Schar von Frauen traf bei uns in der Faubourg Saint-Honoré
ein. Der wirre, ausgelassene Trupp mit den eher erborgten als unziemlichen
Gesten wartete dort, zusammengedrängt in einer kleinen Halle. Obwohl
elegant und anmutig, enttäuschten sie uns. Ihre Papphaare waren bemalt
und ihren Rehblick beschattete nur ein Pinselstrich. Ihre Mannequinanatomie
wirkte schlecht geschnitten, die Gelenke unbeholfen. Unsere Kälte
verriet so deutlich einhellige Enttäuschung , daß diese Frauen
ohne Zukunft verschwanden und ein paar Tage später andere, die ein
Kenner unter uns bei einem zweiten Hersteller ausgesucht hatte, an ihre
Stelle traten. Diese Schönheiten (...) verkörperten, in einem
Traum aus Pappe, das ewig Weibliche. Angesichts dieser schlanken Stars
mit funkelndem Haar, in langgeschwungenen, seidigen Winpern geborgenen
Augen, kleinen Apfelbrüsten und den Lenden einer Windhündin,
und deren gelassener Schamlosigkleit fühlten die surrealistischen
Künstler, denen die Bemühung vor Augen stand, sie zu idealisieren,
indem sie ihrem eigenen Begehren Gestalt verliehen, sämtlich in sich
die Seele Pygmalions.“ (51)
Die
Fotografien der Surrealismus-Ausstellung von 1938 – so läßt
sich zusammenfassen – haben dem surrealistischen Raum in der Galerie
des Beaux Arts und seinen künstlichen
Bewohnerinnen eigenständige, spezifisch fotografische Räume und
Zustandsformen hinzugefügt. Darüber hinaus haben sie eigene Betrachterperspektiven
geschaffen, die den Subjekt-Objekt-Status von Blickendem und Angeblicktem
auf einer eigenen medialen Ebene verunsicherten. Die Parataxe der Bilder
Ubacs und die Hermetik der Fotos von Bellon oder Breitenbach haben so die „Plus
belles rues de Paris“ speziell im
Medium der Fotografie auf spezifische Weise als gefährlichen Stadtraum
mit Tatortcharakter und als heimisch-unheimliches Interieur konstruiert.
Die blitzlichtartig erhellten Puppenbildnisse von Gaston Paris machten
die Betrachter angesichts der in lebendige und tote Teile gegliederten
Mannequins selbst zu Vexierfiguren zwischen kriminalistischem Entdecker
und voyeuristischem Schaulustigen. In ihnen wird die grundsätzliche
Aufkündigung eines vitalistischen, ganzheitlichen Körperbildes
und eine Irritation des Betrachterstatus besonders deutlich, die die Surrealisten
kunstpolitisch gegen das zeitgleiche hermetische Körperideal und den
Künstlerheros der Nationalsozialisten ins Feld führten. Allen
Fotografien ist darüber hinaus die Reflexion des eigenen Mediums in
der Ikonografie der Schaufensterpuppe inhärent. In einem Bild wie
Denise Bellons Nahaufnahme der Masson’schen Puppe wird exemplarisch deren
Funktion als Überbrückungs- und Irritationsmoment des fotografischen
Systems thematisiert. Daß die Surrealisten literarisch, inszenatorisch
und fotografisch die sexuell unterlegte Meisterzählung von Pygmalion
dennoch fortschrieben, mal mit feiner distanzierender (Selbst)Ironie, mal
mit der affirmativen Schlichtheit von Herrenwitzen, mag in der programmatischen
Unabgeschlossenheit ihres Werkbegriffs liegen. Der Inszenierung des Verlusts
eigener Autorschaft folgte daher oftmals ein erneuter medialer wie geschlechtsspezifischer
Bemächtigungsgestus, mit dem sich die surrealistischen Künstler
im Bild der Puppe wieder als „Herr“ über die Dinge respektive Frau
installierten. Die Paarung des Vexiercharakters von Puppe und fotografischem
Medium erlaubte ihnen in exemplarischer Weise, diese Unabgeschlossenheit
ihres Werkbegriffs zugleich als „work in progress“, das heißt als
fortgesetzte erotische Suche und künstlerische Fixierung zugleich
zu praktizieren und diesen Prozeßcharakter gleichzeitig allegorisch
ins Bild zu setzen. Reste traditioneller Autorschaft durchkreuzen sich
also mit deren Infragestellung im Zeichen der Moderne und weisen in Teilaspekten
auf postmoderne Versuche einer Aussetzung von Autoschaft voraus. Damit
möchte ich keineswegs erneut einer gefügigen Einbindung der Avantgarden
in eine lineare kunsthistorische Konstruktion das Wort reden. Vielmehr
war mir wichtig zu zeigen, daß meines Erachtens die komplexe Gleichzeitigkeit
von Ungleichzeitigem Kernpunkt der Avantgarden zu sein scheinen.
Anmerkungen:
1.Hans Magnus Enzensberger: Die Aporien der Avantgarde, in: Ders.: Einzelheiten II, Poesie und Politik, Frankfurt am Main 1963, S. 57.
2.Renate Berger: Avantgarde. Abschied vom 20. Jahrhundert, in: Jula Dech, Ellen Maurer (Hg.): dadazwischenreden zu Hannah Höch, Berlin 1991, S. 198.
3.(siehe Anmerkung 1), S. 59.
4.Donald Kuspit: Der Kult vom Avantgarde-Künstler, Klagenfurth 1995, S.12.
5.Ebda., S.5.
6.(siehe Anmerkung 2), S.200.
7.Sigmund Freud beschreibt diese Bewegung in seinem Essay über „Das Unheimliche“ als Beleg der Schicksalsmagie; Baudelaire reflektiert darüber in seinem Gedicht À une Passante; Kracauer widmet sich dem Aspekt des Labyrinthischen besonders in seinem Text Erinnerungen an eine Pariser Straße.
8.Louis Aragon: Pariser Landleben, Paris 1926, ; André Breton: Nadja, Paris 1928; Ders. L’Amour fou, Paris 1937.
9. Walter Benjamin: Der Sürrealismus. Die letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz, in: Ders.: Aufsätze, Essays, Vorträge. Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd.II, I, S.295-310, hier: S.300.
10.André Breton: Nadja, (siehe Anmerkung 8), S.117.
11.Ebda., S.116.
12.Breton verweigerte gezielt jede „Porträt“-Fotografie Nadjas, während er ihre zahlreichen Doubles durchaus visualisiert.
13.André Breton: Nadja, (siehe Anmerkung 8), S.117.
14.Ebda.
15.Vgl. „contradiction qui apparait dans le réel“, in: Aragon: Idées, in: La Révolution surréaliste, Nr.1, 1925, S.30.
16.Walter Benjamin: Das Passagen-Werk, hg. Von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1983, Bd.I, S.617.
17.Ebda.: S.270f.
18.Vgl. hierzu Karl-Heinz Bohrer: Die Ästhetik des Schreckens. Die pessimistische Romantik und Ernst Jüngers Frühwerk, München 1978, S. 382f. Hier geht Bohrer genauer auf Aragons und Benjamins Plötzlichkeitsmetaphorik speziell in bezug auf die Passagen ein.
19.Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schriften, Frankfurt am Main 1977, S. 148. Benjamin exemplifiziert dies an Atgets Paris-Bildern.
20.Der Boulevard du Temple mit seinen Lokalitäten volkstümlicher Theater und Jahrmarktsbuden erhielt als erster den Beinamen „Boulevard du crime“. Nach dessen Zerstörung im Rahmen der Haussmannschen Veränderungen verlagerten sich die Vergnügungsstätten und damit auch der Name auf den Boulevard Montmartre, wo sich auch heute noch viele Kinos und das Wachsfigurenmuseum Grévin berfinden. Vgl. Grand Guignol. Das Vergnügen, tausend Tode zu sterben. Frankreichs blutiges Theater, hg. von Karin Kersten und Caroline Neubaur, Berlin 1976, S.9.
21.Das Théatre du Grand Guignol existierte unter diesem Namen seit 1898 in der Rue Chaptal. Ebda., S.7.
22.Übersetzt nach Jean-Marie Thomasseau: Le Rire assassin. Courteline au Grand-Guignol, in: Europe, Revue littéraire mensuelle, 76. Jahrgang, Nr. 835/836, 1998, S. 172f.
23.(Siehe Anmerkung20),S.10.
24.Ebda., S.8.
25.Vgl. Walter Benjamins aufFreud und Simmel aufbauende Diskussion des „Choc“ und seiner Bewältigung als Symptom großstädtischer Wahrnehmung, Ders.: Über einige Motive bei Baudelaire, In: Ders. Illuminationen (vgl. Anmerkung19), S.185-229.
26.(Siehe Anm. 20), S. 10.
27.Rudolf M. Lüscher: Sabotage und Surrealismus, In: Ders.: Einbruch in den gewöhnlichen Ablauf der Ereignisse. Analysen, Kommentare, Berichte 1978-1983, Zürich 1984, S. 230.
28.Ebda., S. 234.
29.Die Ausstellung ist von Beteiligten und Besuchern vielfach beschrieben worden. Dennoch liegt bis heute keine umfassende Rekonstruktion des Bestandes inklusive der einzelnen Mannequins vor.
30.Vgl. Gérard Durozoi: Histoire du mouvement surréaliste, Paris1997, S. 342.
31.Dalis Wortspiel lautete: „Le Taxi pluvieux pour dame esnob et surréaliste comportera: de ‚l’obscuritébégétale“ installation de plui intériere, 200 escargots de bourgogne vibants, 12 grenboilles liliputicienes, portant chacune d’elles une très fine courone d’or agripé sur la tête“, zit. Nach: Daniel Abadie: L’Exposition internationale du surréalisme, Paris 1938, in: Ausstellungskatalog: Paris-Paris 1937-1957, Paris 1981, S. 72.
32.Über die exakte Zahlr der Puppen besteht keine einhellige Meinung. 16 sind fotografisch nachweisbar.
33.Vgl. Uwe Schneede: L’Exposition internationale du surréalisme, in: Katharina Hegewisch u.a. (Hg.):Die Kunst der Ausstellung, Frankfurt am Main 1991, S. 96.
34.Marcel Jean: Geschichte des Surrealismus, Köln 1968,(2), S. 281.
35.Uwe Schneede hat darauf hingewiesen, daß der Freundschaftsgestus der Ausstellung den politischen Bruch zwischen Dali und Ernst, Breton und Eluard überdeckte.
36.In der Literatur ist sowohl von hysterischem Lachen wie von militärischer Marschmusik aus dem Grammophon die Rede.
37.Ein Raum, der vielleicht am ehesten mit Michel Foucaults Konzept der Heterotopie zu fassen ist.
38.Man Ray: Selbstpotrait,(1963), München 1983, S. 276.
39.André Breton: Nadja, (siehe Anmerkung 8), S. 91.
40.„Dans un tapin immobile, un ensemble de filles étalèrent leurs charmes“, Daniel Abadie (siehe Anmerkung 31, S. 74.
41.Von allen bekannten FotografInnen sind mehr als zehn, manchmal mehr als 30 Bilder erhalten.
42.Später kam noch eine auf den Bauch applizierte beschriftete Holztafel mit einem kleinen Stundenglas hinzu.
43.André Breton: Der Surrealismus und die Malerei, Berlin 1967, S. 34.
44.Vgl. hierzu: Jennifer Blöessing: Rrose is a Rrose is a Rrose, Gender Performance in Photography, in: Ausstellungskatalog: Rrose is a Rrose is a Rrose, Guggenheim Museum, New York 1997, S. 18-129.; Katharina Sykora: Das Kleid des Geschlechts. Transvestismen im künstlerischen Selbstporträt, in: Heide Nixdorff (hg.): Das textile Medium als Phänomen der Grenze-Begrenzung- Entgrenzung, Berlin 1998, S. 123-139.
45.Vgl. Abadie (siehe Anmerkung31), S. 74.
46.Rotstiftmarierungen auf einigen Kontaktabzügen zeugen von der intensiven Nachbearbeitung und dem großen Interesse, das Bellon an dieser Bildlösung speziell in Bezug auf das Mannequin Massons hatte.
47.Vgl. Abadie, (siehe Anmerkung 31), S.74.
48.Vgl. Hans Bellmer: La Poupée, Variations sur le montage d’une mineure articulée, in: Minotaure, Nr.6, 1935, S.30f.
49.Batailles L’Histoire de l’œil wurde 1928 in nur 134 Exemplaren in Paris erstmals aufgelegt. Die zweite Auflage 1940 wurde von Bellmer illustriert.
50.Man Ray: Les mannequins – La Resurrection des mannequins, Paris 1966, zit. Nach: Nicole Parrot: Mannequins, Bern 1982, S. 151.
51.Übersetzt nach Georges Hugnet: L’Exposition internationale du surréalsme en 1938, zit. nach Abadie (siehe Anmerkung 31), S. 74.