Die Campaign und der Gegner

Sprache nach dem Angriff auf die USA: Zur politischen Semantik von Feind, Verbrecher, Barbar und Krieg

Von Niels Werber

Wenn man nicht weiß, ob der Gegner als Feind oder Verbrecher ist, erklärt man ihn zum Barbar. Nur Susan Sontag hat zu schreiben gewagt, dass es sich bei den terroristischen Anschlägen auf New York und Washington weder um einen Angriff auf die Zivilisation, die Menschlichkeit oder die freie Welt handele noch um ein zweites Pearl Harbor. Doch dass sich "Amerika nun im Krieg befindet", hält sie für zutreffend. Europäische wie amerikanische Politiker sprechen unisono von Krieg, Bush nennt die Anschläge den Auftakt zum ersten Krieg dieses Jahrtausends. Die USA haben dem "Terrorismus den Krieg erklärt", und die Nato hat den Anschlag als "bewaffneten Angriff" gemäß Artikel 5 des Nato-Vertrages anerkannt. Auf Drängen der USA ist 1999 in das neue strategische Konzept des Bündnisses auch die Bekämpfung des Terrorismus eingegangen. Der Aktionsradius der neuen Nato wird dort aber nicht genau abgrenzt, womöglich, weil er nun keine Grenzen mehr hat. Wie sich ein Mitgliedsstaat im Bündnisfall beteiligt, bleibt ihm allerdings selbst überlassen.

Interpreten des Vertrags halten "Art des Bündnisfalls, Art der Bündnisverpflichtungen, Grad der militärischen Integration und geographische Reichweite" für unpräzise definiert (Johannes Varwick, Wichard Woyke, Die Zukunft der NATO, Opladen 2000). Dies befähigt zweifellos zu großer Flexibilität. Man kann zum Beispiel Hunderte von Marschflugkörpern abschießen und Tausende von Bomben abwerfen, ohne einen Krieg führen zu müssen. Der ehemalige Nato-Generalsekretär Solana erklärte zur Bombardierung Serbiens kategorisch: "Dies ist kein Krieg, schon gleich keiner gegen das jugoslawische Volk". Vielmehr handele es sich um eine "Militäroperation gegen Milosevic". Man könnte sich also Maßnahmen gegen Osama bin Laden vorstellen, die keinesfalls gegen das afghanische Volk gerichtet wären, selbst wenn die Raketen oder Bomben auch seine Existenz als Volk bedrohten.

Nunmehr aber herrsche Krieg, wird immer wieder betont. Warum? Warum geht man nicht, wie im Falle von terroristischen Anschlägen üblich, davon aus, es mit Verbrechern zu tun zu haben? Der Attentäter von Oklahoma wurde vor Gericht gestellt, überführt, verurteilt und hingerichtet. Carlos oder Terroristen der RAF wurden mit internationalen Haftbefehlen gesucht, gefasst, verurteilt und bestraft. Kein Staat, der von terroristischen Schlägen heimgesucht wurde, hat je den Krieg ausgerufen. Die Regierung der Bundesrepublik hat selbst 1977, im Zustand der Krise, vermieden, von Krieg zu sprechen, denn dies hätte zur Anerkennung der RAF als feindlicher Armee geführt. Statt dem Anspruch der RAF nachzukommen, als Kriegsgefangene im Sinne des Völkerrechts behandelt zu werden, wurde immer wieder betont, sie seien Verbrecher.

Und Verbrecher werden von der Polizei verhaftet und von Gerichten verurteilt, nicht aber von der Armee "gejagt" und in ihren "Löchern ausgeräuchert". Sollte bin Laden für die terroristischen Anschläge verantwortlich sein, müsste er dann nicht als Verbrecher behandelt werden und das hieße zunächst einmal: als Verdächtiger? "Jeder Mensch", so lautet Artikel 11 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, "der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist so lange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, nachgewiesen ist." Und "jeder Mensch", so Artikel 10, "hat in voller Gleichberechtigung Anspruch auf ein ... Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht". Es sind genau diese zivilisatorischen Standards, welche die amerikanische und deutsche Botschaften im Umgang den Taliban mit den inhaftierten Mitarbeitern von Shelter Now vermissen und in zähen Verhandlungen sicherzustellen suchen. Kann eine "90 prozentige" oder "ziemliche Sicherheit" amerikanischer Geheimdienste darüber, dass bin Laden schuldig sei, ein "öffentliches Verfahren" vor einem "unparteiischen Gericht" ersetzen?

Oder lässt die Art des Angriffs, die hohe Zahl der Opfer und das Ausmaß der Zerstörungen nicht zu, von einem Verbrechen auszugehen, weshalb es sich also um einen kriegerische Akt handeln müsse? Dem ließe sich entgegnen, dass gegen Serbien nie Krieg geführt worden ist. Man hat den Begriff Krieg stets vermieden, im Nato-Vertrag, auch in der UN-Charta ist immer nur von Maßnahmen die Rede, mit denen der Friede wiederherzustellen sei. Dies hat den Vorzug, dass unerhörte Maßnahmen möglich sind, ohne dass die Objekte dieser Maßnahmen jene Ansprüche geltend machen könnten, die einer kriegführenden Partei gebühren.

Landkriegsordnung, Rot-Kreuz-Konvention etc. können ignoriert werden, da kein Krieg herrscht, sondern nur einige Operationen durchgeführt werden, etwa gegen Banditen, wie im Falle Tschetscheniens, oder gegen Milsosevic, wie im Falle Serbiens. James Sheehan, der uns den Luftschlag gegen Serbien als humanitäre Maßnahme verkauft hat, skizziert (siehe FR vom 18. 9.) die Form der künftigen Sicherheitspolitik Europas entsprechend als Polizeiaktionen gegen Banditen.

Die USA wollen "Krieg gegen den Terrorismus" führen. Dies heißt aber offenbar nicht, dass sie bin Laden und seine Krieger als Kombattanten in einem regulären Krieg behandeln wollen, denn dies würde sie zu einem Feind aufwerten, mit dem nach Kriegsrecht verfahren werden muss. Die USA bereiten aber keinen "gehegten Krieg" des alten Völkerrechts vor, sondern den ersten Feldzug des Dritten Jahrtausends. Der Gegner dieser "Campaign" ist weder Feind noch Verbrecher, hat weder Anspruch auf einen fairen Prozess noch auf einen Kampf nach Kriegsrecht. Der Gegner wohnt in "Löchern", haust in "Höhlen", versteckt sich in "Unterschlüpfen", er steht außerhalb der Menschheit wie der Zivilisation, er repräsentiert das Böse. Er ist also gar kein Mensch. Er ist ein Barbar, der "ausgeräuchert" werden muss.

Da man bin Laden weder als Verbrecher noch als Feind anerkennen will, bietet sich Huntingtons Beschreibung globaler Konflikte als Clash of Civilizations als Alternativsemantik an. Der Terminus fiel noch am Abend des 11. September, Henry Kissinger verwandte ihn. In Huntingtons Szenario treten kulturell, ethnisch und religiös definierte Großräume gegeneinander an, die sich im Namen universeller Werte wechselseitig zu absoluten Feinden, zu Feinden der Menschheit stilisieren. Im Iran sprach man vom Teufel USA, umgekehrt stellten die USA einzelne Regionen "außerhalb der internationalen Ordnung und der zivilisierten Welt". Das binäre Schema lautet Zivilisation versus Barbarei. Um den Krieg der Kulturkreise zu vermeiden, hat Huntington auf eine Überlegung Carl Schmitts zurückgegriffen und den USA empfohlen, auf Interventionen in die Räume anderer Kulturen zu verzichten. Dies ist nun fünf Jahre her und man kann nicht sagen, dass sich die USA dieses Interventionsverbot für raumfremde Mächte zu eigen gemacht hätten. Was sie sich sehr wohl angeeignet haben, ist die Semantik des Clashs, welche andere Regeln "gegenüber den Barbaren" vorsieht als "gegenüber denen, die wie wir sind". In diesem Unterschied des zivilisatorischen Wir und dem extrazivilisatorischen Sie sieht Huntington den Kern furchtbarer Konflikte, die daher so grausam sein können, weil der andere nicht nach den eigenen Standards behandelt zu werden braucht. Auch der Terrorangriff auf die USA funktioniert nach dieser Logik, denn der Islam und selbst der heilige Krieg sehen keine Angriffe auf Zivilisten, Kinder und Frauen vor. Also können es auch keine gewesen sein, sondern andere, gegen die solch ein Angriff gerechtfertigt wäre.

Die Eskalationsfähigkeit dieser teuflischen Logik ist in jeder Hinsicht grenzenlos. Selbst wenn es im Westen nur um Rhetorik handelte, muss darauf verzichtet werden, den Gegner hors la lois zu stellen und als Unmenschen abzutun. Die NATO mus ihren Feind kennen, gewiss, und die USA müssen die Urheber der verbrecherischen Attentate vor Gericht stellen, doch auf einen Kreuzzug im Namen der Menschlichkeit und der Zivilisation sollten sie verzichten. Der Preis, den man zur Zeit für höchste Werte zu zahlen bereit ist, könnte sich als viel zu hoch erweisen.
 
 

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
Dokument erstellt am 20.09.2001 um 21:53:41 Uhr
Erscheinungsdatum 21.09.2001