Jan
Vestweber Lars Karsten
Manipulation von Menschen und Massen durch Drogen
Aldous Huxley: Brave New World
Ein zentrales Motiv des Romans ist die
Droge Soma. Sie wird vom Staat als Teil des Lohns ans Volk verteilt, die Forschung
nach ihr wurde gar aus öffentlichen Geldern finanziert (178 nach Ford, ca.
2080 nach Christus).
Zweitausend
Pharmakologen und Biochemiker erhielten 178 nach Ford Forschungsmittel aus
öffentlichen Geldern... Sechs Jahre später wurde das ideale Rauschmittel bereits
fabrikmäßig hergestellt... Euphorisierend, narkotisierend, angenehme Halluzinationen
weckend... Alle Vorzüge des Christentums und des Alkohols ohne deren Nachteile...
Vergessen sie nicht: Ein Gramm versuchen ist besser als fluchen (S. 66-67).
Der Staat nimmt bereits während der „Schlafschule“
Einfluss auf die Menschen, so dass sie später bedenkenlos die Droge konsumieren.
Soma wird dabei sogar als Nachtisch zu Mahlzeiten in Restaurants konsumiert
(S. 86). Die scheinbar positiven Wirkungen der Droge sind ein Wohl- und generelles
Glücksgefühl, außerdem suggeriert Soma dem Konsumenten ein Gefühl der Geborgen-
und Zufriedenheit.
Aber sie waren
in eine andere Welt entrückt, in die durchglühte, farbenfrohe, unendlich freundliche
Welt des Somarausches. Wie nett, wie schön und hinreißend unterhaltsam alle
Menschen zu sein schienen... Aber Lenina und Henry hatten schon, wovon sie
geträumt. Sie fühlten sich geborgen, jetzt und hier, geborgen in lauem Klima,
unter zeitlos blauem Himmel... glichen sie Zwillingsembryos, die sanft miteinander
auf den Wogen eines in eine Flasche abgefüllten Ozeans von Blutsurrogat schaukelten
(S. 87-88).
Allerdings ziehen sich die Konsumenten
nach größeren eingenommenen Mengen häufig in eine eigene Welt zurück und sind
für ihre Umwelt nicht mehr empfänglich. Dies steht eigentlich im Gegensatz
zur Philosophie des Staates, der vollkommen auf Gemeinschaftlichkeit basiert.
Eine zweite
Dosis Soma, eine halbe Stunde vor Schließung der Dom-Diele eingenommen, hatte
eine undurchdringliche Mauer zwischen der rauen Wirklichkeit und ihren Gemütern
aufgerichtet. In einer Flasche verkorkt, überquerten sie die Straße; verkorkt
fuhren sie mit dem Aufzug in Henrys Wohnung im 28. Stockwerk hinauf (S. 88).
Soma findet auch rituelle Verwendung.
In Auflösungsritualen wird ein so genannter Eintrachtskelch gefüllt mit Erdbeereiscremesoma
gereicht. In Verbindung mit dem Soma wird in diesen anscheinend die Religion
ersetzenden Ritualen versucht, vollkommene Einheit zwischen zwölf Individuen
herzustellen (S. 91).
Die an das Soma gewöhnten Menschen leiden
unter psychischen Entzugserscheinungen, wenn etwas in ihren Augen Schreckliches
passiert und sie die Droge nicht zur Hand haben. Beispielsweise reagiert Lenina
beim Indianerritual im Reservat, bei dem ein Jüngling ausgepeitscht wird,
auf das hervortretende Blut mit dem augenblicklichen Wunsch nach Soma (S.
122). Somaentzug wir auch als Drohung und Druckmittel eingesetzt, um die
Leute bei einer Somaverteilung zur Ordnung zu rufen (S. 209).
Die Auswirkungen übermäßigem Konsums sind
am Beispiel Filines sichtbar. Nach ihrer Rückkehr aus dem Reservat nimmt sie
bis zu zwanzig Gramm täglich ein. Sie verliert infolgedessen vollständig den
Bezug zur Realität und lebt nur noch in ihrer eigenen Welt. Dies geht sogar
soweit, dass sie ihren eigenen Verfall nicht mehr bewusst wahrnimmt. Der
bei Filine anwesende Arzt räumt ein, dass der Konsum von Soma einige Jahre
Lebenszeit nimmt, stellt den Verlust aber im Vergleich zur Ewigkeit, von
der jeder Somaurlaub ein Stück sei, als gering dar (S. 156-158).
Soma wird auch in Liedern verherrlicht,
Lenina singt vor dem Rendezvous mit dem Wilden beispielsweise „Drück mich,
entrück mich“ (S.168). Als ihre Verabredung nicht wie gewünscht verläuft,
misst sie ihren Kummer in Gramm Soma.
Auf der Fahrt
ins sechsundzwanzigste Stockwerk hinab zog sie ihr Somafläschchen hervor.
Ein Gramm, entschied sie, genügte nicht; ihr Kummer wog schwerer als ein Gramm (S. 173).
Jeder erhält in der schönen neuen Welt
die Gelegenheit, tugendhaft zu sein. Eigenschaften wie zum Beispiel Geduld,
Langmut und Friedfertigkeit nämlich, die vorher nur durch große Willensanstrengung
und jahrelange Charakterbildung zu erlangen waren, können laut Weltaufsichtsrat
Mustafa Mannesmann nun mittels Somatabletten mühelos erreicht werden (S.234).
Soma wird auch eingesetzt, um einen Tumult,
durch den Wilden bei der Somaverteilung ausgelöst, aufzulösen. Die Streitenden
werden somit unfreiwillig zum friedfertigen Verhalten gezwungen (S. 213).
Der Somarausch scheint mit dem des Meskalins
vergleichbar zu sein. Filine nimmt Meskal während ihres Aufenthalts im Reservat
als Soma-Ersatz zu sich.
Was ich leiden
musste – und kein Gramm Soma weit und breit. Nur dann und wann ein Schluck
Mescal, wenn Popé welches brachte. Popé war einer meiner Freunde. Aber man
fühlt sich gar nicht wohl danach, nach Meskal, meine ich, und vom Peyotl wird
einem übel (S. 125).
Das Zeug in
dem Kürbis nannte er Meskal, aber Filine sagte, es sollte Soma heißen, nur
dass einem nachher übel davon werde (S. 131).
Aldous Huxley hat in seinem Essay „Die
Pforten der Wahrnehmung“ über eigene Erfahrungen mit Meskalin berichtet. Einige
davon scheinen identisch zu sein mit den Soma-Symptomen, die in Brave New
World geschildert werden.
Visuelle Eindrücke
sind erheblich verstärkt, und das Auge gewinnt einiges von der Fähigkeit
zu unbefangener Wahrnehmung zurück, die es während der Kindheit besaß, als
das durch die Sinne wahrgenommene nicht sogleich und automatisch einem Begriff
untergeordnet wurde... und das Interesse für die Zeit sinkt fast auf den
Nullpunkt (Die Pforten der Wahrnehmung,
S. 21).
Wie bezeichnend
ist... die unter der Einwirkung des Meskalins ungeheuer verstärkte Wahrnehmung
von Farbe (S. 22)!
Auch im Meskalinrausch stellt Huxley eine
Entrückung und innere Entfernung von der Außenwelt fest.
Dieses Teilhaben
an der offenkundigen Herrlichkeit der Dinge ließ sozusagen keinen Raum für
die gewöhnlichen, die notwendigen Angelegenheiten menschlichen Daseins, vor
allem blieb kein Raum für Menschen... Es waren meine Frau und ein Mann, den
ich schätze und sehr gern habe. Aber beide gehörten einer Welt an, aus der
mich für den Augenblick das Meskalin befreit hatte... (S. 29).
Die Ablehnung gegenüber Alkohol, die auch
schon in Brave New World auftaucht (er wird nur noch dazu verwendet, Deltas
und Epsilons bereits vor der „Entkorkung“ in ihrer Entwicklung zu hemmen),
vertritt Huxley ebenso in seinem Essay.
Für die meisten
Menschen ist Meskalin fast völlig unschädlich. Im Gegensatz zu Alkohol treibt
es nicht zu der Art von hemmungsloser Betätigung, die zu Raufereien, Verbrechen,
Gewalttaten und Verkehrsunfällen führt. Ein Mensch, der unter dem Einfluss
von Meskalin steht, kümmert sich ruhig um seine eigenen Angelegenheiten. Überdies
ist die Angelegenheit, um die er sich am meisten kümmert, ein Erlebnis der
erleuchtendsten Art... (S. 51).
Kritiker sehen Meskalin im Gegensatz zu
Huxley nicht als Alternative zum Alkohol, sondern würden diese eher in ein
Nebeneinander abwandeln.
Wenn man Meskalin
und LSD verbreitet, würde der Alkoholkonsum nicht unbedingt abnehmen, sondern
einem gefährlichen, aber bekannten Rauschgift würde eine noch ziemlich unerforschte
Droge zur Seite gestellt (Handbuch
der Rauschdrogen, S. 121).
Aldous Huxley sinniert in seinem Essay
über die Möglichkeiten der Neurologen und Pharmakologen, die ideale Droge
zu entwickeln. Die Vermutung liegt nahe, dass Soma seinen Vorstellungen davon
entspricht.
Man kann sich
darauf verlassen, dass, sobald die Psychologen und Soziologen die idealen
Eigenschaften eines solchen Präparats genau definieren, die Neurologen und
Pharmakologen entdecken werden, wie dieses Ideal verwirklicht werden kann,
oder wie man ihm zumindest näher kommen kann, als es in der weintrinkenden
Vergangenheit und der whiskytrinkenden, marihuanarauchenden und barbiturateschluckenden
Gegenwart möglich war (Pforten...,
S. 52).
Innerhalb der Fachliteratur wird die Droge
Meskalin folgendermaßen beschrieben:
Meskalin ist
ein Alkaloid aus dem Kaktus Peyote, der hauptsächlich in Mexico wächst. Das
Meskalin ist ein Halluzinogen, das starke Farbvisionen hervorrufen kann. Zunächst
nur von den Ureinwohnern Mexicos genossen, verbreitete es sich anschließend
auch bei den Indianern Nordamerikas. Dort wurde die Droge hauptsächlich bei
rituellen Handlungen benutzt. Von den psychischen Wirkungen ist das Meskalin
mit dem LSD vergleichbar (Thales
Themenhefte: Drogen, S. 39).
Peyote ist
der bekannteste rituell gebrauchte Kaktus...Die Wirkung...dauert bis zu zwölf
Stunden. Nicht selten kommt es zu einer religiös gefärbten, visionären Euphorie,
zu mystischem, ekstatischen Halluzinationen. Veränderungen aller Sinne, besonders
Farben werden übersteigert wahrgenommen.... Nebenwirkungen: ausgeprägte
Übelkeit und Erbrechen (Psychoaktive
Pflanzen, S. 62-63).
Neben... optischen
Halluzinationen... ist die Leuchtkraft aller Farben, die beobachtet werden,
stark gesteigert; die Konstanz der Umwelt wird aufgehoben, der Zeitsinn stark
beeinträchtigt... (Handbuch..., S. 119).
Die sozialen
Folgen sind, im Ganzen gesehen, eher erfreulich als unerfreulich... Die Peyotisten
sind untereinander freundlicher, im Allgemeinen mäßiger und friedfertiger
als Nicht-Peyotisten (Handbuch,
S. 122).
Ebenso werden Fälle von Entfremdung als
nicht ungewöhnlich bei Meskalin-Gebrauch beschrieben. Dieses entspricht der
völlig depersonalisierten Welt in Brave New World.
Fälle von
Depersonalisation sind eine häufige Begleiterscheinung des Halluzinogen-Konsums;
sie dienen, psychodynamisch gesehen, der Angstabwehr (Handbuch..., S. 123).
Der Name der Droge Soma hat eine historische
und mystische Bedeutung. Die Identität des sagenumwobenen Halluzinogens ist
bis heute umstritten. Allerdings gehen die Vermutungen dahin, dass es sich
bei Soma um einen Extrakt aus dem uns bekannten Fliegenpilz (Amanita muscaria)
handelt.
Gordon Wasson,
der zusammen mit dem französischen Mykologen Roger Heim auch die halluzinogen
Pilze Mexikos wieder entdeckte... hat sich wohl am gründlichsten mit der sakramentalen
Bedeutung des Fliegenpilzes beschäftigt. Er glaubt, dass das bisher rätselhafte
Soma der arischen Einwanderer nach Indien nichts anderes als Amanita muscaria
war. Lange Zeit ist die Identität von Soma eines der größten Rätsel für Mythologen
und Psychopharmakologen zugleich gewesen. Nach dem Bericht der Yajur-vedischen
Texte mussten die Götter ihren Mit-Gott Soma erschlagen, um das erste Opfer
einzuführen. Das Pressen des Soma, eine kultische Wiederholung dieser Tötung
(obschon wohl auch hier der Ritus älter ist als seine mythische Erklärung),
ergab einen Trank, der den Göttern Unsterblichkeit, den Menschen aber Visionen
verschaffte, die ziemlich eindeutig dafür sprechen, dass Soma ein Halluzinogen
war. Diesen Kult brachten die Arier mit sich, als sie vor etwa 3500 Jahren
von Norden her in das Tal der Indus einströmten. Die Hymnen, welche Priester
zu Ehren des verherrlichten Soma sangen, der die Menschen den Göttern gleich
machte, sind im ‚Rig-Veda’ erhalten... Lange Zeit haben Religionswissenschaftler
und Botaniker herumgerätselt, welche Pflanze sich hinter Soma verbirgt. Die
Zubereitung schien gegen das geläufigste Halluzinogen Indiens [Cannabis]
zu sprechen. Da Soma ausgepresst und noch am selben Tag getrunken werden
muss, kann es sich auch nicht um Wein oder ein anderes alkoholisches Getränk
gehandelt haben können, geschweige denn um Mohnsaft (Opiate). Von den Efeuarten,
dem wilden Wein und den Asklepiadeen, welche mit Soma identifiziert wurden,
sind keine halluzinogenen Wirkungen bekannt. 120 Hymnen sind allein über
Soma gedichtet worden. ‚Ist es möglich’, fragt Gordon Wasson, ‚dass so viel
über eine Pflanze geschrieben werden konnte, ohne das Aufschluss über ihre
Identität gegeben wurde?’ (Handbuch...,
S. 70, vergleiche auch: Thales Themenhefte S. 24 und Zauberpilze, S. 29 und
179).
Interessant ist in diesem Zusammenhang,
dass der Mit-Gott Soma von den anderen Göttern erschlagen werden musste, wie
auch die Menschen in Brave New World Gott, Religion und Anderes aufgeben mussten,
um „Glückseligkeit“ zu erlangen.
Die Wirkung des Fliegenpilzes ist wie
die des Meskalins halluzinogen. Sie wird beschrieben als:
Eher opiumartig
und erzeugt im Benutzer...eine Euphorie mit gewissen synästhetischen Visionen (Zauberpilze, S.22). Er ruft Halluzinationen,
sinnlosen Aufruhr, prophetische Sicht, sexuelle Energie und eine bemerkenswerte
Muskelstärke hervor (Zauberpilze, S. 180).
Der Fliegenpilz
spielte als Droge eigentlich nur im religiös-mystischen Rahmen eine Rolle.
Bei den sibirischen Stämmen wird er auch heute noch als Rauschmittel benutzt...
Ein bis vier Pilze lösen Dösigkeit, Schwindel und Euphorie sowie ein Gefühl
der Schwerelosigkeit aus, zu der auch farbige Visionen kommen können. Eine
Verdoppelung der Dosis führt zu deutlichen Vergiftungserscheinungen wie Verwirrtheit,
muskulären Zuckungen und lebhaften Trugbildern. Eine Dosis von mehr als zehn
Pilzen kann tödlich sein... (Thales...,
S. 24).
Im Allgemeinen
tritt nach etwa 30 Minuten je nach Dosis Benommenheit bis hin zu einem Dämmerschlaf
auf. Dabei kommt es oft zu farbigen Visionen und einer erhöhten Empfindsamkeit
für Geräusche. Halluzinationen und veränderte Größenwahrnehmung kommen vor.
Der gesamte Rausch dauert etwa 5-6 Stunden. (Psychoaktive..., S. 20).
Norbert Jacques: Dr. Mabuse, Der Spieler
/ Das Testament des Dr. Mabuse
Obwohl in den beiden Jacques-Romanen keine
Droge eine so zentrale Rolle zur Beeinflussung der Massen spielt wie Soma
in Brave New World, so nutzt auch Dr. Mabuse verschiedene Substanzen für
seine Zwecke. Neben den am häufigsten auftauchenden Drogen wie Alkohol und
Äther nutzt Mabuse aber auch ein nicht näher benanntes Gas, um im Taxi seines
Chauffeurs den Staatsanwalt Wenk auszuschalten (Dr. Mabuse, der Spieler, S.
29-30) sowie Skopulamin auf einer abgeschossenen Pfeilspitze, um Kriminalinspektor
Hoffmeister aus dem Weg zu räumen und in die Klinik des von ihm kontrollierten
Professor Born schaffen zu können (Das Testament des Dr. Mabuse, S. 42 und
116). Auch beweist er in Gestalt von Professor Born profunde Drogenkenntnisse,
als er über den Befund zu Hoffmeisters Symptomen befragt wird:
‚Gibt es ein
Gift, das aufs Gehirn wirkt... das rasch eintretende, sichtbare Störungen
des Gemüts hervorruft?’
‚O ja, zum
Beispiel Belladonna oder Stechapfel und vor allem das synthetische Atropin...
Außer den gewöhnlichen Erscheinungen, die in Konvulsionen, Zuckungen und so
weiter bestehen, kann es vorkommen, dass sich schwere Folgen im Gehirn bemerkbar
machen, Halluzinationen zum Beispiel. Es können daraus Delirien und Tobsuchtsanfälle
werden...’ (Testament..., S. 48).
Die am häufigsten vorkommende Droge ist
jedoch Alkohol. Mabuse benutzt ihn, um sowohl andere wie auch sich selbst
zu beeinflussen. In der Anfangsszene des „Spielers“ wird Alkohol beispielsweise
unterstützend eingesetzt, als Hull beim Kartenspiel unter Mabuses Hybnose
alle Hemmungen und 30,000 Mark verliert.
Er trank einige
Kognaks und ließ sich dann eine Flasche Sekt bringen. Das half aber zu nichts
weiterem, als dass er das Fach seiner Brieftasche wechselte und zu den Tausendern
griff... Dazu trank er, und alle Sinne, über die er die Herrschaft verloren
hatte, wurden feurig wie Vollbluthengste, die auf einer Heide dem Kutscher
durchbrennen. Sie rannten mit ihm in eine Wüste. Es gab keinen Weg mehr.
Ja, die Luft schien weggeatmet. Er fiel nur hin im Spiel (Spieler..., S. 1-2).
Auch um den in seiner Behandlung stehenden
Grafen Told zum Selbstmord zu treiben setzt Mabuse Alkohol ein.
‚Sie haben
Durst!’ befahl Mabuse.
‚Ja!’ flüsterte
der Graf.
‚Trinken Sie
Kognak und Tokaier gemischt. Soviel Sie wollen. Nur schwere Sachen! Der Alkohol
wird es Ihnen leichtmachen...’
(Spieler..., S. 107).
Mabuse selbst scheint bei nicht übermäßigem
Genuss fast immun gegen die Wirkung des Alkohols zu sein (Spieler..., S. 1).
Im weiteren Verlauf wird jedoch deutlich, dass Mabuse an den Gebrauch von
Alkohol lediglich ziemlich gewöhnt zu sein scheint, und sich durchaus in
wahren Alkohol-Exzessen, an denen auch seine Angestellten teilnehmen müssen,
gerne einen starken Rausch antrinkt (Spieler, S. 39 und 102). Exzessiver Alkohol-Konsum
scheint für Mabuse aber extrem wichtig zu sein. Er trinkt, um Einfälle zu
bekommen, seine Vorhaben planen zu können, aus der Realität zu fliehen, die
Außenwelt fernzuhalten, und seinen Größenwahn ausleben zu können.
Er musste
trinken. Er trank und feuerte seinen bösen starken Geist an. Seine Phantasie
fand im Rausch die Einfälle der großen Geschäfte, wenn sie von seinem Willen
alle Ablenkung nach außen fernhielt und der Rausch ihn in sich selbst einschloss
wie in eine Burg aus Tausendundeiner Nacht.
Das verstand
niemand. Der Alkohol war ihm ein Märchenerzähler, war ihm der Strom, der in
der Tiefe den Saft des Lebens trug und zum Schöpfen hinreichte. Er badete
in ihm wie in der Liebe zu einer Frau... Löste alle Gesetze auf und ließ ihn
im eigenen uneingeschränkt, hemmungslos wachsen, über alle Grenzen sich dehnen...
sein eignes System, seine eigne Welt und Sonne (Spieler..., S. 40).
Es geht ihm aber auch eindeutig darum,
zeitweise etwas wie einen Teil der Persönlichkeit zu unterdrücken:
Mabuse sehnte
sich nach einem Rausch, nach einem bleischweren Rausch, der ihn am Hals fasste
und unter das Wasser drückte... als gäbe man ihm einen Mühlstein als Schwimmgürtel
(Spieler..., S. 140).
Wenn ich betrunken
bin und den Haß nicht vergessen, aber etwas beiseitestellen kann, weil es
dann schönere Dinge gibt... (Spieler...,
S. 116).
Als Mabuse Professor Born in „Das Testament
des Dr. Mabuse“ seiner geistigen Kontrolle unterworfen hat übernimmt Born
auch Mabuses Trinkgewohnheiten. Der Alkoholdrang kehrt zurück, Born trinkt
sogar (wie Mabuse früher) Schnaps aus einem Weinglas:
Er empfand
eine gierige Sehnsucht, schweren alten Kognak zu trinken... Er suchte lange
unter den Schnapsflaschen, die vorhanden waren. Dann trank er stehend und
im Mantel ein Weinglas voll Aquavit... (Testament..., S. 185).
Alles, was in Mabuses Gehirn zu diesem
Zeitpunkt übrig ist, ist „ein Trieb, die Menschheit mit Verbrechen zu unterjochen“
(Testament..., S. 63). Genau diesen „Willen zur Macht“ hat nun Born übernommen,
also ist genau dieses Streben nach Herrschaft und die Sucht nach Macht das,
was Mabuse/Born mit dem Gebrauch von Alkohol zu isolieren und dabei alle anderen
Triebe zu unterdrücken versuchten.
Auch den ihn durch Mabuse befallenden
Wahnsinn vergleicht Born mit einem Rausch:
Und übrigens
hatte seine Begabung einen Reiz, der sich nur mit dem vergleichen ließ, den
man gewissen Giften nachsagte: einen Rausch, einen Zustand erhöhten Wohlbehagens,
eine Euphorie... Es war nichts so allgemein Seelisches, wie er es von der
Wirkung gewisser Derivate des Opiums kannte... (Testament..., S. 189).
Auf eine weitere Drogen-Anspielung verweist
Born selbst, als er über den von ihm geschaffene Charakter des Chemikers Dr.
Rauschmann bemerkt: „welch ein Name!“ (Testament..., S. 207).
Die zweite in „Dr. Mabuse, der Spieler“
häufig auftauchende Droge ist Äther. Er war in den 20ern ein weit verbreitetes
Rauschmittel:
Während Äther
heute nur noch selten als Rauschgift verwendet wird und auch seine medizinische
Bedeutung als Narkosemittel zurückgeht, ist er bereits lange vor der Entdeckung
seiner narkotischen Wirkung als Droge verwendet worden. Um 1839 wurden ‚Ätherparties’
in Boston und Philadelphia veranstaltet... In Irland begannen nach der Prohibitionskampagne
von 1840 die Wirte Äther auszuschenken... Ende des 19. Jahrhunderts griff
das Äthertrinken auf Norwegen und Deutschland über... Joel hat in den zwanziger
Jahren noch vier Fälle von Äthersucht in Berlin beschrieben. Einer der Kranken
trieb sich, das getränkte Taschentuch vor dem Mund, in halbdelirantem Zustand
in der Stadt herum... Die Äthersüchtigen waren sehr heruntergekommen und
an die Betäubung durch das Narkotikum stark fixiert... (Handbuch..., S. 33-35).
Auch dem Staatsanwalt Wenk wird auf den
Straßen Berlins Äther angeboten (Spieler..., S. 144).
Ein Angestellter Mabuses schlägt diesem
beispielsweise vor, den Kokainhandel in die Schweiz, den Mabuse offensichtliche
betreibt, auf Äther auszudehnen (Spieler..., S. 102 und 141). Mabuse lehnt
das jedoch ab, weil er mit Vorschlägen dieses Angestellten schlechte Erfahrungen
gemacht hat. Der Export von Prostituierten in die Schweiz, um den Handel mit
einem ebenfalls geschmuggelten Präparat gegen Syphilis anzukurbeln, lief offenbar
nicht wie erwünscht. Auch auf den Straßen von Berlin (Spieler..., S. 144)
und in einem Freudenhaus sind einige Drogen zu erhalten:
Die beiden
Herren gingen dann in ein Haus, in dem Äther, Kokain, Opium zu bekommen waren,
im Durchschnitt aber viel handgreiflichere Laster gepflogen wurden (Spieler..., S. 146).
Der Kokainhandel Mabuses zeigt zumindest,
dass er sich der Drogen auch bedient, um Geld für sein Urwald-Projekt zu bekommen.
Äther wird weiterhin benutzt, um durch die Wirkung von Mabuses Hypnose hervorgerufenes
unlogisches Verhalten zu beschreiben:
‚Er spielt,
als habe er Äther getrunken... Idiotie!’ (Spieler..., S. 15).
Auch in einer Rauschmetapher, die Wenk
unter Hypnose beschreibt, wird Äther verwandt:
Der Himmel
der Freiheit flutete herein und kam auf ihn zu, wie mit silbernen Zangen aus
Äther, um ihn an sich zu reißen und zu befreien (Spieler..., S. 156).
Auch nach dem Mord and Hull ist das Motiv
des Rausches zu finden:
Die Erdkrumen
hatten das Blut gierig zurückgesogen. Sie hatten sich daran berauscht. Und
aus dem Rausch des handgroßen Erdflecks stieg das Scheusal auf, wand sich
aus engem Winkel davon und errichtete sich durch die ganze Stadt (Spieler..., S. 67).
Literatur:
Huxley, Aldous, Schöne Neue
Welt. Frankfurt 2001 (OA: Brave New
World. London 1932)
Huxley, Aldous, Die Pforten
der Wahrnehmung. München 1970 (OA: London 1954)
Möller, Michael: Thales Themenhefte:
Drogen. Essen 1991
Jacques, Norbert: Dr. Mabuse,
der Spieler. Hamburg 1952 (OA: Berlin 1921/22)
Jacques, Norbert: Das Testament
des Dr. Mabuse. Hamburg 1994 (OA: Hamburg 1932/50)
Rippchen, Ronald: Zauberpilze.
Löhrbach ?
Schmidtbauer, Wolfgang/vom Scheidt, Jürgen:
Handbuch der Rauschdrogen. München 1971
Schuldes, Bert: Psychoaktive
Pflanzen. Löhrbach 2001.