Jan Vestweber    Lars Karsten
Manipulation von Menschen und Massen durch Drogen

 

Aldous Huxley: Brave New World

 

Ein zentrales Motiv des Romans ist die Droge Soma. Sie wird vom Staat als Teil des Lohns ans Volk verteilt, die Forschung nach ihr wurde gar aus öffentlichen Geldern finanziert (178 nach Ford, ca. 2080 nach Christus).

Zweitausend Pharmakologen und Biochemiker erhielten 178 nach Ford Forschungsmittel aus öffentlichen Geldern... Sechs Jahre später wurde das ideale Rauschmittel bereits fabrikmäßig hergestellt... Euphorisierend, narkotisierend, angenehme Halluzinationen weckend... Alle Vorzüge des Christentums und des Alkohols ohne deren Nachteile... Vergessen sie nicht: Ein Gramm versuchen ist besser als fluchen (S. 66-67).

Der Staat nimmt bereits während der „Schlafschule“ Einfluss auf die Menschen, so dass sie später bedenkenlos die Droge konsumieren. Soma wird dabei sogar als Nachtisch zu Mahlzeiten in Restaurants konsumiert (S. 86). Die scheinbar positiven Wirkungen der Droge sind ein Wohl- und generelles Glücksgefühl, außerdem suggeriert Soma dem Konsumenten ein Gefühl der Geborgen- und Zufriedenheit.

Aber sie waren in eine andere Welt entrückt, in die durchglühte, farbenfrohe, unendlich freundliche Welt des Somarausches. Wie nett, wie schön und hinreißend unterhaltsam alle Menschen zu sein schienen... Aber Lenina und Henry hatten schon, wovon sie geträumt. Sie fühlten sich geborgen, jetzt und hier, geborgen in lauem Klima, unter zeitlos blauem Himmel... glichen sie Zwillingsembryos, die sanft miteinander auf den Wogen eines in eine Flasche abgefüllten Ozeans von Blutsurrogat schaukelten (S. 87-88).

Allerdings ziehen sich die Konsumenten nach größeren eingenommenen Mengen häufig in eine eigene Welt zurück und sind für ihre Umwelt nicht mehr empfänglich. Dies steht eigentlich im Gegensatz zur Philosophie des Staates, der vollkommen auf Gemeinschaftlichkeit basiert.

Eine zweite Dosis Soma, eine halbe Stunde vor Schließung der Dom-Diele eingenommen, hatte eine undurchdringliche Mauer zwischen der rauen Wirklichkeit und ihren Gemütern aufgerichtet. In einer Flasche verkorkt, überquerten sie die Straße; verkorkt fuhren sie mit dem Aufzug in Henrys Wohnung im 28. Stockwerk hinauf (S. 88).

Soma findet auch rituelle Verwendung. In Auflösungsritualen wird ein so genannter Eintrachtskelch gefüllt mit Erdbeereiscremesoma gereicht. In Verbindung mit dem Soma wird in diesen anscheinend die Religion ersetzenden Ritualen versucht, vollkommene Einheit zwischen zwölf Individuen herzustellen (S. 91).

Die an das Soma gewöhnten Menschen leiden unter psychischen Entzugserscheinungen, wenn etwas in ihren Augen Schreckliches passiert und sie die Droge nicht zur Hand haben. Beispielsweise reagiert Lenina beim Indianerritual im Reservat, bei dem ein Jüngling ausgepeitscht wird, auf das hervortretende Blut mit dem augenblicklichen Wunsch nach Soma (S. 122). Somaentzug wir auch als Drohung und Druckmittel eingesetzt, um die Leute bei einer Somaverteilung zur Ordnung zu rufen (S. 209).

Die Auswirkungen übermäßigem Konsums sind am Beispiel Filines sichtbar. Nach ihrer Rückkehr aus dem Reservat nimmt sie bis zu zwanzig Gramm täglich ein. Sie verliert infolgedessen vollständig den Bezug zur Realität und lebt nur noch in ihrer eigenen Welt. Dies geht sogar soweit, dass sie ihren eigenen Verfall nicht mehr bewusst wahrnimmt. Der bei Filine anwesende Arzt räumt ein, dass der Konsum von Soma einige Jahre Lebenszeit nimmt, stellt den Verlust aber im Vergleich zur Ewigkeit, von der jeder Somaurlaub ein Stück sei, als gering dar (S. 156-158).

Soma wird auch in Liedern verherrlicht, Lenina singt vor dem Rendezvous mit dem Wilden beispielsweise „Drück mich, entrück mich“ (S.168). Als ihre Verabredung nicht wie gewünscht verläuft, misst sie ihren Kummer in Gramm Soma.

Auf der Fahrt ins sechsundzwanzigste Stockwerk hinab zog sie ihr Somafläschchen hervor. Ein Gramm, entschied sie, genügte nicht; ihr Kummer wog schwerer als ein Gramm (S. 173).

Jeder erhält in der schönen neuen Welt die Gelegenheit, tugendhaft zu sein. Eigenschaften wie zum Beispiel Geduld, Langmut und Friedfertigkeit nämlich, die vorher nur durch große Willensanstrengung und jahrelange Charakterbildung zu erlangen waren, können laut Weltaufsichtsrat Mustafa Mannesmann nun mittels Somatabletten mühelos erreicht werden (S.234).

Soma wird auch eingesetzt, um einen Tumult, durch den Wilden bei der Somaverteilung ausgelöst, aufzulösen. Die Streitenden werden somit unfreiwillig zum friedfertigen Verhalten gezwungen (S. 213).

Der Somarausch scheint mit dem des Meskalins vergleichbar zu sein. Filine nimmt Meskal während ihres Aufenthalts im Reservat als Soma-Ersatz zu sich.

Was ich leiden musste – und kein Gramm Soma weit und breit. Nur dann und wann ein Schluck Mescal, wenn Popé welches brachte. Popé war einer meiner Freunde. Aber man fühlt sich gar nicht wohl danach, nach Meskal, meine ich, und vom Peyotl wird einem übel (S. 125).

Das Zeug in dem Kürbis nannte er Meskal, aber Filine sagte, es sollte Soma heißen, nur dass einem nachher übel davon werde (S. 131).

Aldous Huxley hat in seinem Essay „Die Pforten der Wahrnehmung“ über eigene Erfahrungen mit Meskalin berichtet. Einige davon scheinen identisch zu sein mit den Soma-Symptomen, die in Brave New World geschildert werden.

Visuelle Eindrücke sind erheblich verstärkt, und das Auge gewinnt einiges von der Fähigkeit zu unbefangener Wahrnehmung zurück, die es während der Kindheit besaß, als das durch die Sinne wahrgenommene nicht sogleich und automatisch einem Begriff untergeordnet wurde... und das Interesse für die Zeit sinkt fast auf den Nullpunkt (Die Pforten der Wahrnehmung, S. 21).

Wie bezeichnend ist... die unter der Einwirkung des Meskalins ungeheuer verstärkte Wahrnehmung von Farbe (S. 22)!

Auch im Meskalinrausch stellt Huxley eine Entrückung und innere Entfernung von der Außenwelt fest.

Dieses Teilhaben an der offenkundigen Herrlichkeit der Dinge ließ sozusagen keinen Raum für die gewöhnlichen, die notwendigen Angelegenheiten menschlichen Daseins, vor allem blieb kein Raum für Menschen... Es waren meine Frau und ein Mann, den ich schätze und sehr gern habe. Aber beide gehörten einer Welt an, aus der mich für den Augenblick das Meskalin befreit hatte... (S. 29).

Die Ablehnung gegenüber Alkohol, die auch schon in Brave New World auftaucht (er wird nur noch dazu verwendet, Deltas und Epsilons bereits vor der „Entkorkung“ in ihrer Entwicklung zu hemmen), vertritt Huxley ebenso in seinem Essay.

Für die meisten Menschen ist Meskalin fast völlig unschädlich. Im Gegensatz zu Alkohol treibt es nicht zu der Art von hemmungsloser Betätigung, die zu Raufereien, Verbrechen, Gewalttaten und Verkehrsunfällen führt. Ein Mensch, der unter dem Einfluss von Meskalin steht, kümmert sich ruhig um seine eigenen Angelegenheiten. Überdies ist die Angelegenheit, um die er sich am meisten kümmert, ein Erlebnis der erleuchtendsten Art... (S. 51).

Kritiker sehen Meskalin im Gegensatz zu Huxley nicht als Alternative zum Alkohol, sondern würden diese eher in ein Nebeneinander abwandeln.

Wenn man Meskalin und LSD verbreitet, würde der Alkoholkonsum nicht unbedingt abnehmen, sondern einem gefährlichen, aber bekannten Rauschgift würde eine noch ziemlich unerforschte Droge zur Seite gestellt (Handbuch der Rauschdrogen, S. 121).

Aldous Huxley sinniert in seinem Essay über die Möglichkeiten der Neurologen und Pharmakologen, die ideale Droge zu entwickeln. Die Vermutung liegt nahe, dass Soma seinen Vorstellungen davon entspricht.

Man kann sich darauf verlassen, dass, sobald die Psychologen und Soziologen die idealen Eigenschaften eines solchen Präparats genau definieren, die Neurologen und Pharmakologen entdecken werden, wie dieses Ideal verwirklicht werden kann, oder wie man ihm zumindest näher kommen kann, als es in der weintrinkenden Vergangenheit und der whiskytrinkenden, marihuanarauchenden und barbiturateschluckenden Gegenwart möglich war (Pforten..., S. 52).

Innerhalb der Fachliteratur wird die Droge Meskalin folgendermaßen beschrieben:

Meskalin ist ein Alkaloid aus dem Kaktus Peyote, der hauptsächlich in Mexico wächst. Das Meskalin ist ein Halluzinogen, das starke Farbvisionen hervorrufen kann. Zunächst nur von den Ureinwohnern Mexicos genossen, verbreitete es sich anschließend auch bei den Indianern Nordamerikas. Dort wurde die Droge hauptsächlich bei rituellen Handlungen benutzt. Von den psychischen Wirkungen ist das Meskalin mit dem LSD vergleichbar (Thales Themenhefte: Drogen, S. 39).

Peyote ist der bekannteste rituell gebrauchte Kaktus...Die Wirkung...dauert bis zu zwölf Stunden. Nicht selten kommt es zu einer religiös gefärbten, visionären Euphorie, zu mystischem, ekstatischen Halluzinationen. Veränderungen aller Sinne, besonders Farben werden übersteigert wahrgenommen.... Nebenwirkungen: ausgeprägte Übelkeit und Erbrechen (Psychoaktive Pflanzen, S. 62-63).

Neben... optischen Halluzinationen... ist die Leuchtkraft aller Farben, die beobachtet werden, stark gesteigert; die Konstanz der Umwelt wird aufgehoben, der Zeitsinn stark beeinträchtigt... (Handbuch..., S. 119).

Die sozialen Folgen sind, im Ganzen gesehen, eher erfreulich als unerfreulich... Die Peyotisten sind untereinander freundlicher, im Allgemeinen mäßiger und friedfertiger als Nicht-Peyotisten (Handbuch, S. 122).

Ebenso werden Fälle von Entfremdung als nicht ungewöhnlich bei Meskalin-Gebrauch beschrieben. Dieses entspricht der völlig depersonalisierten Welt in Brave New World.

Fälle von Depersonalisation sind eine häufige Begleiterscheinung des Halluzinogen-Konsums; sie dienen, psychodynamisch gesehen, der Angstabwehr (Handbuch..., S. 123).

Der Name der Droge Soma hat eine historische und mystische Bedeutung. Die Identität des sagenumwobenen Halluzinogens ist bis heute umstritten. Allerdings gehen die Vermutungen dahin, dass es sich bei Soma um einen Extrakt aus dem uns bekannten Fliegenpilz (Amanita muscaria) handelt.

Gordon Wasson, der zusammen mit dem französischen Mykologen Roger Heim auch die halluzinogen Pilze Mexikos wieder entdeckte... hat sich wohl am gründlichsten mit der sakramentalen Bedeutung des Fliegenpilzes beschäftigt. Er glaubt, dass das bisher rätselhafte Soma der arischen Einwanderer nach Indien nichts anderes als Amanita muscaria war. Lange Zeit ist die Identität von Soma eines der größten Rätsel für Mythologen und Psychopharmakologen zugleich gewesen. Nach dem Bericht der Yajur-vedischen Texte mussten die Götter ihren Mit-Gott Soma erschlagen, um das erste Opfer einzuführen. Das Pressen des Soma, eine kultische Wiederholung dieser Tötung (obschon wohl auch hier der Ritus älter ist als seine mythische Erklärung), ergab einen Trank, der den Göttern Unsterblichkeit, den Menschen aber Visionen verschaffte, die ziemlich eindeutig dafür sprechen, dass Soma ein Halluzinogen war. Diesen Kult brachten die Arier mit sich, als sie vor etwa 3500 Jahren von Norden her in das Tal der Indus einströmten. Die Hymnen, welche Priester zu Ehren des verherrlichten Soma sangen, der die Menschen den Göttern gleich machte, sind im ‚Rig-Veda’ erhalten... Lange Zeit haben Religionswissenschaftler und Botaniker herumgerätselt, welche Pflanze sich hinter Soma verbirgt. Die Zubereitung schien gegen das geläufigste Halluzinogen Indiens [Cannabis] zu sprechen. Da Soma ausgepresst und noch am selben Tag getrunken werden muss, kann es sich auch nicht um Wein oder ein anderes alkoholisches Getränk gehandelt haben können, geschweige denn um Mohnsaft (Opiate). Von den Efeuarten, dem wilden Wein und den Asklepiadeen, welche mit Soma identifiziert wurden, sind keine halluzinogenen Wirkungen bekannt. 120 Hymnen sind allein über Soma gedichtet worden. ‚Ist es möglich’, fragt Gordon Wasson, ‚dass so viel über eine Pflanze geschrieben werden konnte, ohne das Aufschluss über ihre Identität gegeben wurde?’ (Handbuch..., S. 70, vergleiche auch: Thales Themenhefte S. 24 und Zauberpilze, S. 29 und 179).

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Mit-Gott Soma von den anderen Göttern erschlagen werden musste, wie auch die Menschen in Brave New World Gott, Religion und Anderes aufgeben mussten, um „Glückseligkeit“ zu erlangen.

Die Wirkung des Fliegenpilzes ist wie die des Meskalins halluzinogen. Sie wird beschrieben als:

Eher opiumartig und erzeugt im Benutzer...eine Euphorie mit gewissen synästhetischen Visionen (Zauberpilze, S.22). Er ruft Halluzinationen, sinnlosen Aufruhr, prophetische Sicht, sexuelle Energie und eine bemerkenswerte Muskelstärke hervor (Zauberpilze, S. 180).

Der Fliegenpilz spielte als Droge eigentlich nur im religiös-mystischen Rahmen eine Rolle. Bei den sibirischen Stämmen wird er auch heute noch als Rauschmittel benutzt... Ein bis vier Pilze lösen Dösigkeit, Schwindel und Euphorie sowie ein Gefühl der Schwerelosigkeit aus, zu der auch farbige Visionen kommen können. Eine Verdoppelung der Dosis führt zu deutlichen Vergiftungserscheinungen wie Verwirrtheit, muskulären Zuckungen und lebhaften Trugbildern. Eine Dosis von mehr als zehn Pilzen kann tödlich sein... (Thales..., S. 24).

Im Allgemeinen tritt nach etwa 30 Minuten je nach Dosis Benommenheit bis hin zu einem Dämmerschlaf auf. Dabei kommt es oft zu farbigen Visionen und einer erhöhten Empfindsamkeit für Geräusche. Halluzinationen und veränderte Größenwahrnehmung kommen vor. Der gesamte Rausch dauert etwa 5-6 Stunden. (Psychoaktive..., S. 20).

 

Norbert Jacques: Dr. Mabuse, Der Spieler / Das Testament des Dr. Mabuse

 

Obwohl in den beiden Jacques-Romanen keine Droge eine so zentrale Rolle zur Beeinflussung der Massen spielt wie Soma in Brave New World, so nutzt auch Dr. Mabuse verschiedene Substanzen für seine Zwecke. Neben den am häufigsten auftauchenden Drogen wie Alkohol und Äther nutzt Mabuse aber auch ein nicht näher benanntes Gas, um im Taxi seines Chauffeurs den Staatsanwalt Wenk auszuschalten (Dr. Mabuse, der Spieler, S. 29-30) sowie Skopulamin auf einer abgeschossenen Pfeilspitze, um Kriminalinspektor Hoffmeister aus dem Weg zu räumen und in die Klinik des von ihm kontrollierten Professor Born schaffen zu können (Das Testament des Dr. Mabuse, S. 42 und 116). Auch beweist er in Gestalt von Professor Born profunde Drogenkenntnisse, als er über den Befund zu Hoffmeisters Symptomen befragt wird:

‚Gibt es ein Gift, das aufs Gehirn wirkt... das rasch eintretende, sichtbare Störungen des Gemüts hervorruft?’

‚O ja, zum Beispiel Belladonna oder Stechapfel und vor allem das synthetische Atropin... Außer den gewöhnlichen Erscheinungen, die in Konvulsionen, Zuckungen und so weiter bestehen, kann es vorkommen, dass sich schwere Folgen im Gehirn bemerkbar machen, Halluzinationen zum Beispiel. Es können daraus Delirien und Tobsuchtsanfälle werden...’ (Testament..., S. 48).

Die am häufigsten vorkommende Droge ist jedoch Alkohol. Mabuse benutzt ihn, um sowohl andere wie auch sich selbst zu beeinflussen. In der Anfangsszene des „Spielers“ wird Alkohol beispielsweise unterstützend eingesetzt, als Hull beim Kartenspiel unter Mabuses Hybnose alle Hemmungen und 30,000 Mark verliert.

Er trank einige Kognaks und ließ sich dann eine Flasche Sekt bringen. Das half aber zu nichts weiterem, als dass er das Fach seiner Brieftasche wechselte und zu den Tausendern griff... Dazu trank er, und alle Sinne, über die er die Herrschaft verloren hatte, wurden feurig wie Vollbluthengste, die auf einer Heide dem Kutscher durchbrennen. Sie rannten mit ihm in eine Wüste. Es gab keinen Weg mehr. Ja, die Luft schien weggeatmet. Er fiel nur hin im Spiel (Spieler..., S. 1-2).

Auch um den in seiner Behandlung stehenden Grafen Told zum Selbstmord zu treiben setzt Mabuse Alkohol ein.

‚Sie haben Durst!’ befahl Mabuse.

‚Ja!’ flüsterte der Graf.

‚Trinken Sie Kognak und Tokaier gemischt. Soviel Sie wollen. Nur schwere Sachen! Der Alkohol wird es Ihnen leichtmachen...’ (Spieler..., S. 107).

Mabuse selbst scheint bei nicht übermäßigem Genuss fast immun gegen die Wirkung des Alkohols zu sein (Spieler..., S. 1). Im weiteren Verlauf wird jedoch deutlich, dass Mabuse an den Gebrauch von Alkohol lediglich ziemlich gewöhnt zu sein scheint, und sich durchaus in wahren Alkohol-Exzessen, an denen auch seine Angestellten teilnehmen müssen, gerne einen starken Rausch antrinkt (Spieler, S. 39 und 102). Exzessiver Alkohol-Konsum scheint für Mabuse aber extrem wichtig zu sein. Er trinkt, um Einfälle zu bekommen, seine Vorhaben planen zu können, aus der Realität zu fliehen, die Außenwelt fernzuhalten, und seinen Größenwahn ausleben zu können.

Er musste trinken. Er trank und feuerte seinen bösen starken Geist an. Seine Phantasie fand im Rausch die Einfälle der großen Geschäfte, wenn sie von seinem Willen alle Ablenkung nach außen fernhielt und der Rausch ihn in sich selbst einschloss wie in eine Burg aus Tausendundeiner Nacht.

Das verstand niemand. Der Alkohol war ihm ein Märchenerzähler, war ihm der Strom, der in der Tiefe den Saft des Lebens trug und zum Schöpfen hinreichte. Er badete in ihm wie in der Liebe zu einer Frau... Löste alle Gesetze auf und ließ ihn im eigenen uneingeschränkt, hemmungslos wachsen, über alle Grenzen sich dehnen... sein eignes System, seine eigne Welt und Sonne (Spieler..., S. 40).

Es geht ihm aber auch eindeutig darum, zeitweise etwas wie einen Teil der Persönlichkeit zu unterdrücken:

Mabuse sehnte sich nach einem Rausch, nach einem bleischweren Rausch, der ihn am Hals fasste und unter das Wasser drückte... als gäbe man ihm einen Mühlstein als Schwimmgürtel (Spieler..., S. 140).

Wenn ich betrunken bin und den Haß nicht vergessen, aber etwas beiseitestellen kann, weil es dann schönere Dinge gibt... (Spieler..., S. 116).

Als Mabuse Professor Born in „Das Testament des Dr. Mabuse“ seiner geistigen Kontrolle unterworfen hat übernimmt Born auch Mabuses Trinkgewohnheiten. Der Alkoholdrang kehrt zurück, Born trinkt sogar (wie Mabuse früher) Schnaps aus einem Weinglas:

Er empfand eine gierige Sehnsucht, schweren alten Kognak zu trinken... Er suchte lange unter den Schnapsflaschen, die vorhanden waren. Dann trank er stehend und im Mantel ein Weinglas voll Aquavit... (Testament..., S. 185).

Alles, was in Mabuses Gehirn zu diesem Zeitpunkt übrig ist, ist „ein Trieb, die Menschheit mit Verbrechen zu unterjochen“ (Testament..., S. 63). Genau diesen „Willen zur Macht“ hat nun Born übernommen, also ist genau dieses Streben nach Herrschaft und die Sucht nach Macht das, was Mabuse/Born mit dem Gebrauch von Alkohol zu isolieren und dabei alle anderen Triebe zu unterdrücken versuchten.

Auch den ihn durch Mabuse befallenden Wahnsinn vergleicht Born mit einem Rausch:

Und übrigens hatte seine Begabung einen Reiz, der sich nur mit dem vergleichen ließ, den man gewissen Giften nachsagte: einen Rausch, einen Zustand erhöhten Wohlbehagens, eine Euphorie... Es war nichts so allgemein Seelisches, wie er es von der Wirkung gewisser Derivate des Opiums kannte... (Testament..., S. 189).

Auf eine weitere Drogen-Anspielung verweist Born selbst, als er über den von ihm geschaffene Charakter des Chemikers Dr. Rauschmann bemerkt: „welch ein Name!“ (Testament..., S. 207).

Die zweite in „Dr. Mabuse, der Spieler“ häufig auftauchende Droge ist Äther. Er war in den 20ern ein weit verbreitetes Rauschmittel:

Während Äther heute nur noch selten als Rauschgift verwendet wird und auch seine medizinische Bedeutung als Narkosemittel zurückgeht, ist er bereits lange vor der Entdeckung seiner narkotischen Wirkung als Droge verwendet worden. Um 1839 wurden ‚Ätherparties’ in Boston und Philadelphia veranstaltet... In Irland begannen nach der Prohibitionskampagne von 1840 die Wirte Äther auszuschenken... Ende des 19. Jahrhunderts griff das Äthertrinken auf Norwegen und Deutschland über... Joel hat in den zwanziger Jahren noch vier Fälle von Äthersucht in Berlin beschrieben. Einer der Kranken trieb sich, das getränkte Taschentuch vor dem Mund, in halbdelirantem Zustand in der Stadt herum... Die Äthersüchtigen waren sehr heruntergekommen und an die Betäubung durch das Narkotikum stark fixiert... (Handbuch..., S. 33-35).

Auch dem Staatsanwalt Wenk wird auf den Straßen Berlins Äther angeboten (Spieler..., S. 144).

Ein Angestellter Mabuses schlägt diesem beispielsweise vor, den Kokainhandel in die Schweiz, den Mabuse offensichtliche betreibt, auf Äther auszudehnen (Spieler..., S. 102 und 141). Mabuse lehnt das jedoch ab, weil er mit Vorschlägen dieses Angestellten schlechte Erfahrungen gemacht hat. Der Export von Prostituierten in die Schweiz, um den Handel mit einem ebenfalls geschmuggelten Präparat gegen Syphilis anzukurbeln, lief offenbar nicht wie erwünscht. Auch auf den Straßen von Berlin (Spieler..., S. 144) und in einem Freudenhaus sind einige Drogen zu erhalten:

Die beiden Herren gingen dann in ein Haus, in dem Äther, Kokain, Opium zu bekommen waren, im Durchschnitt aber viel handgreiflichere Laster gepflogen wurden (Spieler..., S. 146).

Der Kokainhandel Mabuses zeigt zumindest, dass er sich der Drogen auch bedient, um Geld für sein Urwald-Projekt zu bekommen. Äther wird weiterhin benutzt, um durch die Wirkung von Mabuses Hypnose hervorgerufenes unlogisches Verhalten zu beschreiben:

‚Er spielt, als habe er Äther getrunken... Idiotie!’ (Spieler..., S. 15).

Auch in einer Rauschmetapher, die Wenk unter Hypnose beschreibt, wird Äther verwandt:

Der Himmel der Freiheit flutete herein und kam auf ihn zu, wie mit silbernen Zangen aus Äther, um ihn an sich zu reißen und zu befreien (Spieler..., S. 156).

Auch nach dem Mord and Hull ist das Motiv des Rausches zu finden:

Die Erdkrumen hatten das Blut gierig zurückgesogen. Sie hatten sich daran berauscht. Und aus dem Rausch des handgroßen Erdflecks stieg das Scheusal auf, wand sich aus engem Winkel davon und errichtete sich durch die ganze Stadt (Spieler..., S. 67).

 

Literatur:

Huxley, Aldous, Schöne Neue Welt. Frankfurt 2001 (OA: Brave New World. London 1932)

Huxley, Aldous, Die Pforten der Wahrnehmung. München 1970 (OA: London 1954)

Möller, Michael: Thales Themenhefte: Drogen. Essen 1991

Jacques, Norbert: Dr. Mabuse, der Spieler. Hamburg 1952 (OA: Berlin 1921/22)

Jacques, Norbert: Das Testament des Dr. Mabuse. Hamburg 1994 (OA: Hamburg 1932/50)

Rippchen, Ronald: Zauberpilze. Löhrbach ?

Schmidtbauer, Wolfgang/vom Scheidt, Jürgen: Handbuch der Rauschdrogen. München 1971

Schuldes, Bert: Psychoaktive Pflanzen. Löhrbach 2001.