Ruhr-Universität Bochum
Germanistisches Institut

Wintersemester 2002/2003

HS: "M", Mabuse, Moriati, Morvitius, Medien, Massen und Manipulation in den 20er Jahren.

Dozent: Dr. Niels Werber

Referent: Claus Zielke

Organisationsstrukturen der Macht in Fiktion und Realität in den 20er Jahren – ein Vergleich

I.Thematische Einführung

Technik spielte in den 20er Jahren eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft. Sie war Erlösung und Bedrohung zugleich. Der gerade überstandene Weltkrieg hatte gezeigt, wozu Technik in der Lage war. In der Nachkriegszeit wurde Technik zu etwas von jedermann Beherrschbarem. Insbesondere das Automobil ermöglichte einen ganz persönlichen Umgang mit Technik und Geschwindigkeit. Zeit und Raum wurden hier scheinbar überwunden. Ein Gefühl der persönlichen Freiheit wurde ermöglicht.

Was die Faszination insbesondere des Automobils ausmachte war einerseits eine verständliche Mechanik (gegenüber der unsichtbaren Elektrizität) und die mögliche Beherrschung dieser Technik. Besonders die Geschwindigkeit der technischen Errungenschaften hatte nachhaltigen Eindruck auf die Menschen. Schnelle Autos waren ein Stück Freiheit aber auch eine Bedrohung, Flugzeuge konnten einen Menschen innerhalb kürzester Zeit über alle Landesgrenzen hinaus bringen, Filme nötigten das Auge des Betrachters dazu Bilder in einer ungewohnten Geschwindigkeit wahrzunehmen und schließlich musste sich der Arbeiter dem Tempo der Maschinen anpassen, die er bediente bzw. die ihn bedienten.

Das Leben des Arbeiters war systematisiert. Das heißt, es gab verschiedene (technische) Systeme, in denen er eingegliedert war. Nicht er bestimmte wie sein Leben verlief, sondern diese Systeme. Den Arbeitsablauf bestimmte das Produktionssystem, die vermeintliche Freiheit hinterm Steuer wurde durch das Verkehrssystem beschränkt und die Freizeit war oft auch nur ein Teil des Produktionssystems.

Es stellt sich hier die Frage, ob dem Arbeiter seine Stellung innerhalb des Systems auch bewusst war. Die aus Amerika kommenden Organisations- und Produktionssysteme Taylorismus und Fordismus wurden nicht zwingend als ausbeutend empfunden. Im Gegenteil: Insbesondere der Fordismus wurde als Möglichkeit angesehen, die Gesellschaft zu sozialisieren und zu entklassifizieren. Aber nicht in einem sozialistischen Sinn, dass alle gleich sind, sondern dass alle die Möglichkeit haben sich das Gleiche zu kaufen.

Letztlich lief das System Fords darauf hinaus, dass alle Arbeiter mitsamt ihren Familien das gleiche Ziel haben sollten: das durch die Arbeit im Betrieb erworbene Geld für den Kauf eines Model-T auszugeben, mit ihm in die Natur zu fahren um sich von den Strapazen der Arbeit zu erholen. Dass die Praxis sowohl in Amerika als auch in Deutschland anders aussah, lässt sich denken. Die Idealvorstellungen einer neuen Gesellschaft wie sie Taylor und Ford hatten wurden so nicht umgesetzt.

Die Normierung des Arbeitsvorganges, des Werkzeugs und schließlich des Arbeiters selber war eine Grundvoraussetzung beider Systeme, sollten sie reibungslos funktionieren. Die Organisation der Arbeit im Betrieb konnte hierarchisch, wie Taylor es sich vorstellte oder absolutistisch, wie Ford es umsetzte, geschehen.

An dieser Stelle ist es nun interessant, wie die zeitgenössische Literatur dieses Thema aufgenommen und verarbeitet hat. In den Büchern von Mynona und Norbert Jacques geht es, wenn man es abstrakt betrachtet, ebenfalls um Betriebe, die von einem alleinigen Chef geleitet werden mit der Absicht die Welt zu verändern. Mittel sind hier ebenfalls die Normierung des Betriebes, die Zuhilfenahme der modernsten Technik, das Ausschalten von Arbeitseinheiten, die den Betrieb stören und die direkte Beeinflussung (Manipulation) der Betriebsmitglieder.

Einführende Zitate zum Referat am 11.12.02: "Organisationsstrukturen der Macht in Fiktion und Realität in den 20er Jahren"

Zu "Fordismus":

– "Die Grenzen des "Scientific Management" überschritt Ford aber auch gegenüber seinen Arbeitern mit einem paternalistischen System "sozialer Rationalisierung" (Frese, 1991), das jenes von Alfred Krupp weit in den Schatten treten ließ. Im Werk stellt er ihnen ein ausgedehntes Modell der Fürsorge, wie Unfallverhütung, Krankenversorgung; Werkschulen und Kino zur Verfügung. Darüber hinaus gewährte er Arbeitserleichterungen, wie den "sauberen Arbeitsplatz" und eben auch das "Fließband" samt "8-Stunden-Tag" in der "40-Stunden-Woche". Die Gestaltung ihres erweiterten Feierabends und Wochenendes außerhalb des Werkes schrieb er ihnen allerdings nach seinen eigenen puritanischen Grundsätzen vor: [...] Daß die Arbeiter sich auch wirklich tagein, tagaus nur für Fords Interessen einsetzten, darüber wachte das sogenannte "Educational Department", die "Erziehungsabteilung"."
Fehl, Gerhard: Welcher Fordismus eigentlich?. In: Bittner, Regina; u.a. (Red.): Zukunft aus Amerika. Fordismus in der Zwischenkriegszeit: Siedlung, Stadt, Raum. Dessau 1995, S. 20.
– "Es gab also Arbeit für jedermann. Es war nur nötig, irgendeinen bestimmten Griff zu machen, den man in Stunden sicher beherrschen lernte. Diesen Griff, diese einfachste Verrichtung, hatte man, dazu zwang der Mechanismus des Arbeitsverlaufs, innerhalb der Arbeitszeit so oft, so regelmäßig und so ununterbrochen, als nur irgendmöglich zu machen."
Vershofen, Wilhelm: Über das Verhältnis von technischer Vernunft und wirtschaftlicher Wertung. In: Nürnberger Beiträge zu den Wirtschaftswissenschaften, Heft 3. Nürnberg 1925, S. 12.
– "Immer ist es dann ein Fortschritt von der Art, daß irgendein, etwa dreiaktiger Prozeß bisher gleich als solcher in geschlossener Reihe vollzogen wurde, also 1, 2, 3, 1, 2, 3, 1, 2, 3... und nun werden drei Dauerprozesse daraus: 1, 1, 1, 1, 1, 1, ...2, 2, 2, 2, 2, 2, ...3, 3, 3, 3, 3, 3, ...Dies ist ja der Sinn der technischen Arbeitsteilung, der Stückelung des Vollzugs, wobei im Zusammenspiel der Produktion auch immer mehr der Rollen an die Beteiligten zu verteilen sind."
Gottl-Ottlilienfeld, Friedrich von: Fordismus. Über Industrie und Technische Vernunft. Jena 1926, S.22:
– "Hohe Löhne helfen zum Glück die Kosten verringern, weil die Leute, da sie keine pekuniären Sorgen haben, in ihrer Arbeit immer tüchtiger werden. Die Einführung des Mindestlohnes von 5 Dollar für einen achtstündigen Arbeitstag war einer der klügsten Sachritte in der Preisabbaupolitik, die wir je getan haben. Wie weit wir in dieser Richtung noch gehen könnten, läßt sich einstweilen nicht ermessen." S.172.
– "In den meisten Fällen ist der Mensch mit einer Maschine besser dran als ohne sie. Durch sorgfältige Ausarbeitung von Entwurf und Produktionsverfahren sind wir in der Lage, die art von Maschine herzustellen, die die manuelle Energie des Menschen am höchsten vervielfacht; somit ermöglichen wir es dem Betreffenden, seine Dienstleistung und damit auch seinen Lebensstandard zu erhöhen." S. 172 f.
– "Es ist natürlich möglich, daß eines Tages sämtliche Waren so billig und in solcher Fülle produziert werden, daß die Überproduktion Wahrheit geworden ist. Wir sehen jedoch diesem Zeitpunkt keineswegs mit Sorgen, sondern mit der allergrößten Freude entgegen. Nichts könnte herrlicher sein, als eine Welt, in der jeder alles hat, was er braucht." S. 180 f.
Ford, Henry: Mein Leben und Werk. Leipzig 1936.
Zu "Taylorismus":

– "Daneben strebt Taylor wie auch Ford ein mehr Geistiges an. In einem Vortrag, kurz vor seinem Tode, betont Taylor, daß er im letzten ende eine geistige Umwälzung anbahnen will in dem Verhältnis zwischen Leitung und Belegschaft des Betriebes." S. 3.

– "Kein Wunder, daß auch darum die Welt aufzuhorchen begann, als Taylor und seine Schule auftraten; erst recht aufhorcht, was ihr nunmehr Ford zu sagen weiß. Die Welt, die sich auch nach seiner Meinung in Unrast quält, sich schwanger fühlt eines Neuen und in einem ihrer Teile schon an einer bösen Fehlgeburt dahinsiecht". S. 3.
– (Kritik an Taylor): "Keinerlei noch so einschneidender Wandel in den Formen der Wirtschaft und des Zusammenlebens überhaupt kann uns daraus befreien. Ist doch dieser betriebsgroßtechnische Stil der Produktion offenbar der für unser Leben in Massen zwingend notwendige, gleichsam der massennotwendige Stil; [...] im weiten Ganzen bleibt der Betrieb, mit allen seinen Härten und Schatten, das Massenlos." S. 4
– "Das Taylorsystem selber läßt sich gemäß seiner reifsten Ausprägung in der Praxis wohl auf die Formel bringen: Organisatorisch zwangsläufige Bestgestaltung der ausführenden Arbeit im Betriebe." S. 6 f.
– "Von sich aus hat der "getaylorte" Arbeiter rein nur den höchsten Arbeitseifer aufzubringen, um das vorgeschriebene Tempo einzuhalten; im übrigen ist ihm alles eisern vorgeschrieben, bis in die allerkleinste Bewegung, er ist regelrecht darauf gedrillt. Ei Arbeitsbüro, als Hirn und Herz zugleich des Taylorbetriebes, besorgt vorweg die sogenannte "Normung" aller jener Handgriffe und ihrer Behelfe." S. 7.
– "Unter dem stählernen Stempel der "Normung" wird die Persönlichkeit des Arbeiters totgequetscht. Und wenn in Sachen der Leitung ganz grundsätzlich auch an Stelle der Persönlichkeit Organisation gesetzt wird, so läuft dies zusammen hinaus auf eine Orgie der Organisation jenes Geistes, oder vielmehr jener Geistlosigkeit, für die ein Henry Ford nur Hohn und Verachtung hat." S. 8.
Gottl-Ottlilienfeld, Friedrich von: Fordismus. Über Industrie und Technische Vernunft. Jena 1926.
– "Man studiere die genaue Reihenfolge der grundlegenden Operationen, welche jeder einzelne dieser Leute immer wieder ausführt, wenn er die fragliche Arbeit verrichtet, ebenso die Werkzeuge, die jeder einzelne benutzt. [...] Man messe mit der Stoppuhr die Zeit, welche zu jeder dieser Einzeloperationen nötig ist, und suche dann die schnellste Art und Weise herauszufinden, auf die sie sich ausführen läßt."
Taylor, Frederik W.: Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. München Berlin 1919, S. 125 f.
 


 

II.Leitmotive bei Morvitius/Sucram und Mabuse


Morvitius/Sucram
Identität: 1. Großindustrieller / Filmmogul; 2. Chef einer Verbrecherorganisation

Ziele: Weltbeherrschung, alle Macht und alles Geld, Schaffung einer neuen, perfekten Welt

Mittel: Film, Geld, Bestechung, Technik, Werbung, Magie (Manipulation)

Organisationsstruktur: totalitär, kapitalistisch, jedes Mitglied hat seinen bestimmten Platz / seine bestimmte Aufgabe (Normierung), absolute Loyalität der Mitglieder gefordert

Mabuse

Identität: Psychoanalytiker, Chef einer Verbrecherorganisation

Ziele: Gründung eines eigenen Kaiserreiches, Zerstörung der herrschenden Gesellschaft

Mittel: Geld, Terror, Bestechung, Technik, Hypnose (Manipulation)

Organisationsstruktur: totalitär, kapitalistisch, jedes Mitglied hat seinen bestimmten Platz / seine bestimmte Aufgabe (Normierung), absolute Loyalität der Mitglieder gefordert



III.Leitmotive bei Taylor und Ford


Taylor
Identität: Fabrikarbeiter à Chefingenieur à Manager, Buchautor: entwickelte eine "wissenschaftliche Betriebsführung"

Ziele: Rationalisierung und Optimierung der Produktion, geistige Umwälzung im Verhältnis zwischen Leitung und Belegschaft, größtmöglicher Wohlstand und dadurch Abwendung vom Sozialismus.

Mittel: Stoppuhr

Organisationsstrukturen: Planungsbüros, Hierarchie, Fabrikation als geschlossenes System in dem alles ineinander greift, Normierung der Arbeitsbedingungen

Ford

Identität: Firmenchef

Ziele: eine bessere Welt, in der sich jeder das kaufen kann, was er braucht (Friede zwischen Arbeit und Kapital)

Mittel: Technik, Massenproduktion, Rationalisierung der Arbeit, Vorgabe des Arbeitsrhythmus, Bindung der Arbeiter an Betrieb (Bestechung durch hohe Löhne und Sozialleistungen)

Organisationsstrukturen: paternalistisch, Überwachung der Arbeiter, Ordnung, kein Stillstand in der Produktion, just in time Produktion, vertikale Integration der Fertigungsvorgänge (Von der Erzeugung des Rohmaterials bis zum Verkauf des Produkts alles in einer Hand)


IV.Resümee

Was allen gemeinsam zu sein scheint, ist das Ziel die bestehende Welt zu verändern. Das Mittel, das alle dafür benutzen, ist die Manipulation der Massen. Morvitius bedient sich einmal des Films als Träger seiner Botschaften und ein anderes Mal der grauen Magie, der Kraft seines Willens. Mabuse hypnotisiert seine Opfer und verunsichert die Massen durch seine Machenschaften. Taylor sieht seine Utopie verwirklicht, indem er Arbeitsvorgänge und den dazu gehörigen Arbeiter normiert. Ford schließlich manipuliert seine Arbeiter durch die strikte Vorgabe eines Arbeitsrhythmus, dem sich jeder Arbeiter unterordnen muss.

Der Unterschied der zuletzt genannten Methoden ist der, dass bei Taylor ein Mensch die Zeit vorgibt und bei Ford eine Maschine.

Aber noch etwas vereint die vier Figuren: Die Geschwindigkeit. Die scheinbare Beherrschung der Zeit und des Raums. Morvitius ist dank seiner Schärpe in der Lage den Raum zu überwinden und den Ort in "Gedankengeschwindigkeit" zu wechseln. Mabuse verfügt über große, schnelle Autos, Boote und Flugzeuge, die ihn innerhalb kürzester Zeit überall hin bringen können. Er ist außerdem ein Pünktlichkeitsfanatiker. Bei Taylor und Ford liegt es auf der Hand, dass es in ihren Systemen auf die richtige Geschwindigkeit ankommt. Einmal auf die, die der Mensch vorgibt und einmal auf die, welche die Maschine vorgibt. Bei Taylor und Ford ist die Zeit sogar ein Mittel zur Manipulation.

Letztlich leben alle vier Modelle von der genauen Planung ihrer ausführenden Elemente.

Manipulation, Geschwindigkeit, und Planung sind also die herausragenden Gemeinsamkeiten.

Diese drei Begriffe scheinen die Menschen in den 20er Jahren sehr beschäftigt zu haben, finden sie sich doch in "Brave New World" genauso wieder wie im Programm eines Adolf Hitler: In "Mein Kampf".

Literatur

Fehl, Gerhard: Welcher Fordismus eigentlich?. In: Bittner, Regina; u.a. (Red.): Zukunft aus Amerika. Fordismus in der Zwischenkriegszeit: Siedlung, Stadt, Raum. Dessau 1995

Ford, Henry: Mein Leben und Werk. Leipzig 1936

Gottl-Ottlilienfeld, Friedrich von: Fordismus. Über Industrie und Technische Vernunft. Jena 1926

Hughes, Thomas P.: Die Erfindung Amerikas: der technologische Aufstieg in den USA seit 1870. München 1991

Taylor, Frederik W.: Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung. München Berlin 1919

Vershofen, Wilhelm: Über das Verhältnis von technischer Vernunft und wirtschaftlicher Wertung. In: Nürnberger Beiträge zu den Wirtschaftswissenschaften, Heft 3. Nürnberg 1925