Krieg ohne Politik

                   Zu einer fälligen Diskussion über Kriegsziele

                   Von Niels Werber

                   Außenminister Fischer eröffnete seinen Beitrag zur Debatte des Bundestages
                   über die Entsendung von 3900 Bundeswehrsoldaten in den "Krieg gegen den
                   Terror" mit Feststellung des niedrigen Niveaus. Zu Recht, denn zumal die
                   juristischen Assessoren, Doktoren und sogar Professoren stritten lieber um
                   die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes oder die
                   Feinheiten einer möglichen Rücknahme des Entsendebeschlusses durch das
                   Parlament, als darüber, welche souveränen Interessen des Staates die
                   Regierung dazu bringt, deutsche Truppen in einen Out-of-area-Einsatz zu
                   schicken. Auch die Grünen begnügten sich mit dem Hinweis, die Koalition
                   retten zu wollen, und wenn dann doch einmal positive Gründe angeführt
                   wurden, dann scheint es um die Rettung der afghanischen Frau vor dem
                   Tschadorzwang und ihre Emanzipation zu gehen, ein Motiv, das dem
                   weltweiten Einsatz der Bundeswehr Tür und Tor öffnen würde. Auch die
                   versprochene Verbindung von Macht und Moral führt geradewegs in einen
                   totalen Krieg, denn ein Kampf im Namen des Guten gegen das Böse kennt
                   weder Grenzen noch Maß.

                   Krieg ist, nach der klassischen Definition von Clausewitz, "die Fortsetzung
                   der Politik mit anderen Mitteln". Bundestag und Regierung haben weder die
                   Politik benannt, die deutsche Truppen in Afghanistan fortsetzen sollen, noch
                   die genauen Mittel bestimmt, mit denen dies geschehen soll. Wenn der
                   Aufbau einer Zivilgesellschaft oder die Durchführung demokratischer Wahlen
                   ein Ziel deutscher Außenpolitik sein solle, für das man Krieg zu führen bereit
                   ist, oder auch, wenn diese sich ganz auf die uneingeschränkte
                   Bündnissolidarität mit den USA beschränken will, dann müssse man sich auf
                   weitere Einsätze gefasst machen.

                   Der Hinweis Erhard Epplers, eine Verweigerung erzeuge den Eindruck von
                   Drückebergerei, mag zutreffen, kann aber eine positive Begründung nicht
                   ersetzen. Weder von deutschen Kriegszielen noch von den Mitteln, die
                   äußerstenfalls zur Erreichung dieser Ziele in die Waagschale geworfen
                   werden sollen, ist bisher die Rede gewesen. Vielleicht will Deutschland einen
                   Sitz im UN-Sicherheitsrat, wofür es beweisen muss, dass es weltweit für
                   Sicherheit zu sorgen bereit ist; vielleicht will Deutschland in seinem
                   militärischen Engagement Frankreich und England nicht nachstehen, um bei
                   der Neugestaltung der europäischen Sicherheitspolitik entscheidend
                   mitwirken zu können; vielleicht will Deutschland auch die Lebensweise des
                   Westens, die auch die unsere ist und die von den Terroristen in Frage gestellt
                   wurde, schützen helfen. Erst in Bezug zu solchen Zielen könnte diskutiert
                   werden, ob einige veraltete Transportflugzeuge und Sanitätszüge als Mittel
                   zum Zweck ausreichen oder nicht.

                   Im Gegensatz zu Eppler, der davon ausgeht, der Konflikt sei praktisch schon
                   zu Ende, sieht die wichtigste Sicherheitsberaterin des Präsidenten,
                   Condoleza Rice, den Konflikt im Eintritt in seine kritische Phase. Die
                   Führungsstruktur des Terroristen-Netzwerks Al Quaeda und ihre Gastgeber
                   sollen eliminiert werden, so lauten die in wünschenswertem Klartext
                   formulierten Aussagen der US-Regierung. Von einem militärischen Sieg der
                   USA wird man dann sprechen können, wenn dies ohne massive eigene
                   Verluste gelingen sollte. Aber gehört die Teilnahme an solchen "hunt &
                   kill-Missionen oder gar ihre eigenständige Durchführung durch
                   KSK-Kommandos überhaupt zu den deutschen Aufgaben? Gibt es eine
                   Strategie, welche die deutschen Truppen taktisch einbindet? Oder sollen
                   Sanitätseinheiten sich damit begnügen, die verwundeten Soldaten der
                   Alliierten zu pflegen, die den riskanten Krieg gegen den Terror auf
                   afghanischen Boden führen? Dafür wäre das Rote Kreuz womöglich besser
                   gerüstet. Keine dieser Fragen wurde im Bundestag gestellt, und statt zu
                   debattieren, warum deutsche Truppen als Kombattanten in einen
                   Kampfeinsatz geschickt werden, betrieb der Bundestag Nabelschau und
                   verwandelte eine außenpolitische Frage ersten Ranges in eine innenpolitische
                   Intrige um Fraktionsdisziplin, Umfaller, Wahlchancen, innerparteiliche
                   Rücksichten und Profilierungen.

                   Ein Leitartikel der taz hat die Logik des Schlachtfeldes dem Primat der Politik
                   entgegensetzt, als bedeutete der Beginn des Krieges stets das Ende der
                   Politik, und damit die Clausewitzsche Formel zerrissen, nach der der Krieg
                   die Politik mit anderen Mitteln fortsetze. In einer schönen, präzisen und
                   bündigen Habilitation über Das Rätsel Clausewitz (Fink Verlag, München
                   2001) hat Andreas Herberg-Rothe gezeigt, dass der Verfasser der berühmten
                   kriegstheoretischen Schrift Vom Kriege der Politik die Priorität einräumt, über
                   jene Ziele zu befinden, die durch einen Krieg oder andere Mittel erreicht
                   werden sollen. Die Politik gebe dem militärischen Instrument seine Zwecke
                   vor, weshalb sie "den ganzen kriegerischen Akt durchziehen und einen
                   fortwährenden Einfluss auf ihn ausüben wird". Alles andere, nämlich die
                   Führung des Krieges als Selbstzweck, sei blutrünstig.

                   Umgekehrt habe die politische Vorgabe der Ziele, deren Erreichung der Krieg
                   dient, eine begrenzende Wirkung auf die Kriegsführung, denn der nach einem
                   Sieg im Krieg herzustellende Friede wirke bereits im Krieg einer Eskalation
                   "zum Äußersten" entgegen: eine Provinz, die man selbst besitzen will, wird
                   man nicht vollkommen verwüsten, einen Feind, mit dem man schließlich in
                   Frieden leben will, wird man bereits im Kampf als gleichwertig, also als
                   Mensch behandeln. Eine Definition der Kriegsziele und der im Krieg zu
                   wagenden Mittel definiert also nicht nur den Moment, an dem der Frieden
                   beginnen kann, sondern begrenzt die Gewalt der Kriegsführung selbst durch
                   die Orientierung an einen nach Kriegsende zu schließenden Frieden.

                   Anders als die aus dem Kosovo und Mazedonien vertrauten humanitären
                   Missionen und Polizeieinsätze sieht Clausewitz klar umrissene "exit options"
                   vor. Eine Kriegszieldiskussion wäre nicht militaristisch, sondern ganz im
                   Gegenteil, sie würde zu politisch vorgegebenen Zielen führen, die im Krieg
                   erreicht oder nicht erreicht werden können. Die klare Zielvorgabe, die
                   Top-Terroristen und Taliban-Führer zu eliminieren, enthält eine ebenso klare
                   Ausstiegsoption der US-Streitkräfte. Die vage Hoffnung, in Afghanistan eine
                   Zivilgesellschaft zu errichten, vermeidet mit der Definition der Kriegsziele auch
                   jede Klarheit über das Ende des Kampfeinsatzes - es ist daher kein Wunder,
                   dass dem Bundestag die Möglichkeit suggeriert wird, dieses Ende jederzeit
                   nach eigenem Gusto beschließen zu dürfen.

                   Was steht der Bundeswehr bevor? Über "alle Data im Kriege" herrsche, so
                   Clausewitz, immer eine "große Ungewissheit", doch könne die Kritik dazu
                   beitragen, das Dämmerlicht aufzuhellen. Fest steht, dass sich Deutschland
                   nicht in einem existentiellen Krieg "um das politische Dasein" befindet, in
                   Afghanistan jedoch auf einen Feind treffen wird, der allerdings Krieg um seine
                   eigene kulturelle, religiöse und politische Existenz führt. Sie treffen auf
                   Partisanen der Tradition (Herfried Münkler), die im
                   religiös-fundamentalistischem Abwehrkampf gegen alles Andere und
                   Abweichende längst eine Lebensform gefunden haben.

                   Der Krieg gegen die sowjetische Besatzung, so Herberg-Rothe, hat zu einer
                   derartigen Totalisierung des Kampfes und der Ideologie geführt, dass es "zwar
                   den Partisanen gelang, die sowjetische Armee zu besiegen", jedoch auch die
                   Möglichkeit der Rückkehr zur ursprünglichen Lebensform verstellte.
                   Zumindest die überzeugten Koranschüler stehen nicht in einem Krieg, in dem
                   eine militärische Niederlage zu einem Frieden führen würde, sondern vor der
                   "Alternative Vernichtung oder Selbstvernichtung". Da sie den Gegner nicht als
                   "iustus hostis" achten, sondern als Ungläubige verachten, wird der Krieg von
                   ihnen "ungehegt" geführt, also ohne Rücksicht auf Kriegskonventionen.
                   Gefangene Bundeswehrsoldaten werden mit Exekution oder Folter zu rechnen
                   haben; die ersten Massaker der Nordallianz an kapitulierenden Taliban
                   demonstrieren, was überhaupt zu erwarten ist.

                   Das Problem, mit dem die Bundeswehr zu tun haben wird, ist die
                   Entstaatlichung des Krieges (Münkler, Krieg und Politik am Beginn des 21.
                   Jahrhunderts, in: Der Vater aller Dinge, hrsg. von K.P. Ließmann, Zsolnay
                   Verlag, Wien 2001). Für Partisanen, Söldner oder Warlords findet kein Krieg
                   Grenze und Ende durch den angestrebten Frieden, weil der Krieg zur
                   Existenzform geworden ist. Während Clausewitz von zwischen-staatlichen
                   Kriegen ausging, deren politischer "Zweck ein vorteilhafter Friede" darstellte,
                   der zwischen souveränen Staaten geschlossen wird und alle
                   Kampfhandlungen beendet, gibt es in Afghanistan keinen solchen Staat, der
                   ein dafür nötiges Gewaltmonopol inne hätte. Es mag einen Präsidenten
                   geben, Minister, Botschafter und sogar eine UN-Vertretung, aber keinen
                   Staat. Nichts steht hier einer totalen Entgrenzung der Gewalt entgegen als
                   die zur Verfügung stehenden Ressourcen.

                   In einem Luftkrieg gegen einen solchen Feind mag das keine Rolle spielen,
                   auf dem Boden schon. In Vietnam waren Wechselwirkungen zu beobachten
                   zwischen dem Vietcong und den US-Truppen, die alle Vorschriften hinter sich
                   ließen und sich fallweise den Krieg des Gegners zu eigen machten, um
                   zwischen Soldaten und Zivilisten keinen Unterschied zu machen und den
                   Feind ohne Rücksichten, absolut, zu bekämpfen. Colonel Kurtz in
                   Apocalypse Now repräsentiert diese Kriegsführung. Selbst eine disziplinierte
                   Armee zerfällt, wenn sie einen irregulären Krieg gegen einen Feind zu führen
                   hat, der fest an sein Recht glaubt, dem anderen keinerlei Rechte einräumen
                   zu müssen.

                   Im schlimmsten Fall trifft eine Truppe, die sich über die politischen Ziele ihrer
                   Mission im unklaren ist, auf einen Feind, der von einer politischen oder gar
                   staatlichen Kontrolle des Krieges weit entfernt ist. In diesem Fall könnte es
                   sein, dass sich die Parteien ganz der Logik des Schlachtfeldes überlassen.
                   Mit Gefallenen wird dann zu rechnen sein, aber man wird nicht wissen, wofür
                   sie ihr Leben riskiert haben.
 
 

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                   Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
                   Dokument erstellt am 29.11.2001 um 21:39:57 Uhr
                   Erscheinungsdatum 30.11.2001