Stephanie Tasch

Für immer Mao-Pop? China und die "Weltkunst".

 

I. "Mr Livingstone, I presume?"

Der westliche Betrachter entdeckte im Fremden zunächst Bekanntes. In den
Werken der zeitgenössischen chinesischen Kunst, die im Westen seit Beginn
der neunziger Jahre ausgestellt wurden, war vor allem eines auffällig: Lag es
an der Auswahl, am Blick der westlichen Ausstellungskuratoren, oder ist
speziell die Malerei ein getreulicher Spiegel westlicher Erfolgskunst mit
chinesischen Charakteristika? Die Ausstellung "China Avantgarde" (Berlin
1993) vermittelte diesen Eindruck, der durch die Folge-Präsentation "China!"
(Bonn 1996) noch verstärkt wurde. Hier konzentrierte man den Blick
ausschlie?lich auf die Malerei eines bislang unbekannten Kontinents
zeitgenössischer Kunst, die ihre Teilhabe an der internationalen Kunstwelt
anscheinend durch Imitation bekannter Muster zu etablieren suchte.

Der kommerzielle wie mediale Erfolg der "politischen Pop Art", des "Mao
Pop" oder des "zynischen Realismus" verdankte sich daher nicht zuletzt
seiner Bestätigung westlicher Perspektiven auf die bildende Kunst peripherer
Nationen im allgemeinen und Chinas im besonderen: Seht da, die Chinesen,
beeindruckt von den Schöpfungen westlicher Kunstproduktion, eignen sich
ausgerechnet deren auch ökonomisch erfolgreichsten Stil, die Pop Art, an und
verleihen ihr durch das Ausspielen einer spezifisch politischen Ikonographie
einen zusätzlichen, dissidenten Aspekt. Die Bestätigung eigener Sichtweisen
ergibt sich hier auf zwei Ebenen: Zum einen steht die Uebernahme in Form
eines einseitigen Kulturtransfers von Westen nach Osten scheinbar bruchlos
in der Tradition chinesischer Akademielehre, welche die kunstvolle
Nachahmung verehrter Vorbilder aus der Geschichte der chinesischen
Tuschmalerei fordert und fördert. Zum anderen lä?t die eingeschränkte
Ikonographie der Arbeiten eine Tendenz zur "Exotisierung" und damit
kontinuierlichen Marginalisierung der zeitgenössischen chinesischen Kunst
zu.

Die Beharrung auf den Kategorien des "Chinesischen", "Politischen", "Pop-
Art-haften" erweist sich als produktive wie rezeptionsästhetische Sackgasse,
die auf längere Sicht die Integration in die internationale Kunstszene, wie sie
von Seiten der Künstler angestrebt wird, behindern könnte. Was sie auf
keinen Fall wollten, so der Konzeptkünstler Geng Jianyi kürzlich in einem
Gespräch, sei wie possierliche Äffchen aufzutreten, die in einem zu gro?en
Mantel die Kunststücke des Dompteurs reproduzierten.

II. "Picasso ist unser Banner und Kollwitz ist unser Vorbild"

Als die avantgardistische Künstlergruppe "Sterne" (xing xing) in Peking 1979
/ 80, unmittelbar nach Beginn der Oeffnungspolitik unter Deng Xiaoping, jene
Exponenten westlicher Kunst zu ihrer Losung machten, war dies ein Akt der
Wiederbelebung: Dem Ende der Qing-Dynastie 1911 folgte eine Periode des
kulturellen Aufbruchs und der Öffnung nach Westen. Auch hier war der
Kulturaustausch primär im Sinne eines einseitigen Kulturtransfers zu
verstehen, sei es durch Studienaufenthalte chinesischer Künstler in Japan ( wo
bereits westliche Malerie gelehrt wurde) oder Europa, sei es durch die
Rezeption westlicher bildender Kunst an den chinesischen Akademien und
Kunsthochschulen. Hier wurde die Auseinandersetzung mit dem Westen
durch die Intellektuellen der 4. Mai-Bewegung von 1919 entscheidend mit-
angeregt.

Mitte der achtziger Jahre ermöglichte die politisch-ökonomische Öffnung
Chinas erstmals einen breiteren Zugang chinesischer Künstler und
Kunststudenten zu Werken der westlichen bildenden Kunst, vermittelt durch
Monographien, Kataloge und Zeitschriften. Diese rein mediale Vermittlung
bildender Kunst, deren spezifische Qualitäten naturgemä? unvermittelt
blieben, steht ein verschwindend geringer Prozentsatz im Original gesehener
Kunstwerke gegenüber. Nach wie vor gelangt westliche Kunst nur spärlich,
und häufig in mittelmä?iger Qualität, in chinesische Museen und andere
Ausstellungsorte. Zudem finden solche Ausstellungen fast ausschlie?lich in
den politisch-ökonomischen Zentren (Peking, Shanghai) statt.

III. "Bonjour, Monsieur Courbet"

Die zeitgenössische Kunst in China ist mehr als "Mao Pop" - der Aufbruch
der jungen Künstler Mitte der achtziger Jahre führte parallel zu vielfältigen
Versuchen auf dem Feld neuerer künstlerischer Medien wie Video,
Performance, Konzeptkunst und Installation, seit Mitte der neunziger Jahre
auch interaktiver Kunstwerke auf CD-Rom und im Internet. Diese Arbeiten
nutzen die Möglichkeiten westlicher Kunststile, ohne diese zu imitieren.
Zudem handelt es sich nicht um Übernahmen historisch gewordener Stile,
sondern die aktuelle Umsetzung gegenwärtiger künstlerischer
Produktionsformen. Häufig arbeiteten oder arbeiten die Künstler in Gruppen,
wie etwa die Big Tail Elephant Group (Da Wei Xiang) in Guangzhou
(Kanton), zudem verlagern sich auch innerhalb Chinas die regionalen
Kunstzentren. Neben Peking und Shanghai gibt es lokale Kunstzentren auch
in Hangzhou (Provinz Zhejiang), Guangzhou, der regierungsunmittelbaren
Stadt Chong-qing und Chengdu (Provinz Sichuan).

Die schrittweise Integration chinesischer Gegenwartskünstler in das System
der nomadisierenden, internationalen Kunstszene betrifft dabei ebenso die
Generation der nach dem Tian'anmen-Massaker vom 4. Juni 1989 ins Exil
gegangenen Künstler wie eine jüngere Generation, die in China lebt und
arbeitet. Gerade in den letzten beiden Jahren ist die Teilnahme chinesischer
Künstler an den Gro?veranstaltungen der Kunst, aber auch an Gruppen- und
Einzelausstellungen im westlichen Ausland stetig gestiegen (documenta X
1997, Biennale Lyon 1997, Biennale Kwangju 1997, Skulpturenprojekt
Münster 1997, Gruppenausstellung "Another Long March" Breda 1997,
Gruppenausstellung "Cities on the Move" Wien / Bordeaux 1997 /98, Ga-
lerienprojekt "South of Yangtze" Vancouver 1998).

Dieses Interesse der ehemals unangefochtenen Zentren der Kunstszene an der
Peripherie hat inzwischen zu einem regelmä?igen Kunsttourismus in die
chinesischen Metropolen geführt; Peking und Shanghai liegen
selbstverständlich auf der Reiseroute der Kunstnomaden, Galeristen und
Kuratoren. Die wachsende Reisefreiheit ermöglicht umgekehrt einigen
chinesischen Künstlern, an den Ereignissen der Kunstwelt nicht mehr nur
medial vermittelt, sondern zunehmend auch persönlich teilzunehmen.

IV. "Another Long March"

Von entscheidender Bedeutung für alle Ueberlegungen zur zeitgenössischen
Kunst in China ist ihre Unsichtbarkeit im eigenen Land. Es handelt sich nach
wie vor um Werke, die beinahe ausschlie?lich für den Export in die
Kunstwelt und das hei?t, in den Westen, bestimmt sind. Ein ausdifferen-
ziertes, autonomes Kunstsystem für die Avantgarde existiert in China (noch)
nicht. Beschreibt man ein solches autonom operierendes Funktionssystem
zunächst schlicht als das Zusammenspiel von Künstlern, deren künstlerisches
Schaffen zugleich ihren Broterwerb darstellt, mit ebenso autonom agierenden
Galeristen und Kunsthändlern, die ihre Werke vertreten und einem ebenso
autonom zu denkenden Publikum von unabhängigen Kunstkritikern,
Sammlern, Museumskuratoren und interessierten Laien anbieten, so lä?t sich
im Hinblick auf die Situation in der Volksrepublik feststellen, da? von einem
System in diesem Sinne noch nicht die Rede sein kann. Die offizielle
Kulturpolitik favorisiert Ausstellungen traditioneller, historischer wie
aktueller Tuschmalerei, respektive etablierte Formen westlich inspirierter
Kunst wie die historisierenden Werke des in Shanghai und New York
lebenden Malers Chen Yifei. Die Werke der chinesischen Avantgarde
bleiben, mit wenigen Ausnahmen, unsichtbar und werden nur von einer sehr
eingeschränkten Öffentlichkeit rezipiert (Künstlerkollegen,
Familienangehörige, Freundeskreis, interessierte Ausländer). Im wesentlichen
ist das Rezeptionsmuster einer bildenden Kunst, die mit westlichen Mitteln
für einen kleinen Kreis von Interessenten mit vergleichbarer Bildung und
Interessenlage im Inland und ansonsten für den westlichen Markt produziert
wird, seit Beginn der Oeffnungspolitik unverändert geblieben.

Dennoch erweist es sich bei näherem Hinsehen als problematisch, immer und
sofort von "Dissidentenkunst" zu sprechen, wie es von einigen westlichen
Kommentatoren gern getan wird. Zwar stellt die blo?e Existenz dieser Kunst
in gewisser Hinsicht ein Politikum dar, eine Vielzahl ihrer Produzenten
definiert sich aber gerade nicht als dissident oder politisch arbeitend. Die
Obrigkeit wiederum reagiert weitgehend durch Nicht-Reaktion oder aktives
Ignorieren auf die Kunst, sie beobachtet und greift ein, sobald von ihr
gesetzte (und von Au?enseitern nicht überprüfbare) Grenzen überschritten
werden.

V. "Weltkunst" ?

Der Vortrag will am Beispiel aktueller chinesischer Kunst die Frage nach der
Kunst als ausdifferenziertem Sozialsystem im heutigen China untersuchen. Ob
diese Kunst an einer hypothetisch anzunehmenden "Weltkunst" partizipiert
oder diese mitkonstituiert, soll anhand der Arbeiten einiger ausgewählter
Künstler (Shen Fan *1952, Shi Yong *1963 und Zhou Tiehai *1966)
überprüft werden.