Siegte beim Gerichtsverfahren um die Aidsmedikamente in
Südafrika wirklich die Dritte Welt? John le Carrés
Biotech-Thriller "Der ewige Gärtner" legt etwas anderes
nahe: Die Pharmakonzerne verfügen nun über viele
menschliche Versuchskaninchen
von NIELS WERBER
Verfügen Sie über Kapital, das unruhig darauf wartet, sich zu
vermehren? Sind Sie zudem skrupellos und suchen nach
unkonventionellen Anlageideen? Dann wenden Sie sich an die
Weltgesundheitsorganisation, die WHO. Dort erkundigen Sie
sich nach schwer heilbaren Seuchen, Pestilenzen und anderen
Krankheiten, die Länder in der Dritten Welt heimsuchen:
Malaria, Aids, multiresistente Tuberkulose, Hepatitis etc. Unter
den verursachenden Viren, Erregern und Bakterien wählen Sie
jene, die auch in Europa und Nordamerika vorkommen.
Der nächste Schritt ist einfach: Sie lassen sich von der WHO die
Namen jener Pharma- und Biotechnologiefirmen mitteilen, die an
der Erforschung dieser Erreger und der Entwicklung von
Medikamenten beteiligt sind. Finden Sie ein Unternehmen, das
diese Forschung nicht nur im Labor, sondern auch in den
seuchengeplagten Ländern der Dritten Welt betreibt, dann haben
Sie Ihre künftige Aktie gefunden: Sie heißt ThreeBees, B, B
&
B, jedenfalls in der Welt, wie sie John le Carré in seinem Roman
"Der ewige Gärtner" entwirft.
Denn ThreeBees benutzt Kenia als biotechnisches Großlabor
und die Einheimischen als Versuchskaninchen. Afrika ist ihr
Testmarkt. Bevor die Hightech- Medikamente aus den
Genlabors auf die anspruchsvollen Märkte des Westens
geworfen werden, müssen sie durch die klinischen Tests
hindurch, Tests, die nur an erkrankten Menschen durchgeführt
werden können. Und wo findet man so viele erkrankte
Menschen wie in Afrika, wo findet man derartig
kooperationsbereite Behörden und Krankenhäuser, wo sonst
sind die Patienten so geduldig und dankbar, wo können "Fehler"
so leicht "korrigiert", ja "ausgemerzt" werden wie in einer
korrupten, verarmten Semidiktatur? Das Geld der Anleger wird
seinen Weg überall dorthin finden, wo die Seuchen am ärgsten
wüten, wo die desolatesten Zustände herrschen und wo die
zynischsten Ärzte und Biologen ihre Versuchsreihen durchführen.
Vor kurzem, am 20. April, berichtete die taz vom "Jubel im
Gerichtssaal" in Pretoria, der nach dem "Sieg" der
"Entwicklungsländer" über jene 39 "mächtigen multinationalen
Konzerne der internationalen pharmazeutischen Industrie"
ausgebrochen ist. Trotz der sonst heiligen Patentrechte der
Pharmafirmen dürfen in Südafrika billige Kopien von
Aidsmedikamenten importiert und vertrieben werden. Hat man
zufällig gerade le Carrés Pharma-Thriller gelesen, dann bleibt
einem der Jubel im Halse stecken. Denn Afrika, so darf man den
Erfahrungen der Protagonisten aus dem Milieu der
Entwicklungshelfer, Ärzte, Diplomaten und Unternehmer in
Kenia entnehmen, Afrika ist kein Markt für teure Medikamente,
sondern ein gigantischer Feldversuch, in dem diese teuren
Medikamente zuallererst getestet werden, bevor sie dann
patentrechtlich geschützt unter dem Markennamen bekannter
Hersteller in unsere Apotheken und Kliniken kommen.
Man muss für diese Einschätzung natürlich nicht unbedingt
Romane lesen, man könnte sich auch den
Nasdaq-Biotech-Aktienindex zu Gemüte führen (NBI), der
vollkommen unbeeindruckt von der angeblichen Niederlage
gegen die Dritte Welt weiter gegen Norden marschierte. Dass
das südafrikanische Gesundheitsministerium nun die
"Pharmaindustrie" dazu einlädt, in einer gemeinsamen
Arbeitsgruppe die afrikanische Gesundheitsversorgung zu
organisieren, könnte ein Le-Carré-Leser freilich als Bestätigung
der paranoidesten Befürchtungen verstehen: Die Konzerne
sichern sich auf höchster Regierungsebene einen neuen
Testmarkt.
Le Carré selbst hält zwar seinen Roman im Vergleich mit dem
echten "pharmazeutischen Dschungel" für "so harmlos wie eine
Urlaubspostkarte", aber das Kenia-Komplott, das seinen Thriller
strukturiert, ist dennoch haarstäubend genug. Der Roman nimmt
sich viel Zeit, um zu der Verstrickung eines globalen
Pharmariesen und seiner unehelichen kenianischen Tochterfirma
mit den lokalen Behörden und der britischen Regierung
hinzuführen. Die Ermittlungen in einer Mordsache führen ganz
allmählich, aber unaufhaltsam zu dieser unheilvollen private
public partnership hin. Die Gattin eines britischen Diplomaten in
Nairobi ist auf einem Jeepausflug zu entfernten
Ausgrabungsstätten überfallen, ausgeraubt, geschändet und
ermordet worden. Der Anfang eines Krimis, sollte man meinen;
und ganz genregemäß beginnen Botschaft und Behörden mit
ihren Ermittlungen und Vertuschungen.
Die schöne, junge, ermordete Tessa scheint Affären gepflegt zu
haben, sie scheint nicht allein gereist zu sein, eine peinliche
Angelegenheit für das britische Diplomatenkorps, das die
gesamte Angelegenheit in allerhöchstem Auftrag Whitehalls unter
einen Teppich zu kehren gehalten ist, der ohnehin in Kenia viele
Ecken und Enden hat, die leicht anzuheben sind. Dieses
Reinemachen führt allerdings immer tiefer in den Dreck hinein,
der nichts mehr mit der schmutzigen Wäsche außerehelicher
Passionen zu tun hat, sondern mit einer globalen Verschwörung
zur Vermehrung von Shareholder-Value um jeden Preis.
Dieser erzählerische Übergang aus den privaten Sphären eines
Mordes aus Leidenschaft in ein weltumspannendes Komplott
gelingt le Carré meisterhaft. Aber vielleicht ist Komplott das
falsche Wort, weil es suggeriert, es gebe einige Verschwörer, die
alles planen, um ihre Absichten durchzusetzen. Man könnte wohl
eher von einem emergenten Effekt sprechen, der sich dem
Zusammentreffen ganz unterschiedlicher Gesetzmäßigkeiten des
Marktes, der Forschung, der Entwicklungshilfe, der NGOs, der
Diplomatie und des Begehrens verdankt. Dieses Feld der
verschiedensten Interessen wird vom "ewigen Gärtner" bestellt.
Der Titel zeigt an, dass wir es bei le Carré mit einem Pessimisten
zu tun haben. Sein Biotech-Thriller ist ein strong buy.
John le Carré: "Der ewige Gärtner". Aus dem Englischen von
Werner Schmitz, List Verlag, München 2001, 558 Seiten, 44,90
DM
taz Nr. 6438 vom 5.5.2001, Seite 14, 198 Kommentar, NIELS
WERBER, Rezension