Für die verschiedenen Theorien der Weltgesellschaft, wie sie zur Zeit von Helmut Willke, Rudolf Stichweh oder auch Norbert Bolz vertreten werden, spielt der Kommunikationsbegriff eine zentrale Rolle. Kommunikation hat den Vorzug, daß sie ohnehin auf Grenzenlosigkeit abonniert ist. Schon Luhmann hat festgestellt, in der Weltgesellschaft würden die Grenzen zwischen Staaten „weder von Wahrheiten noch von Krankheiten, weder von Bildung noch vom Fernsehen, weder vom Geld noch von der Liebe respektiert werden”, da die Kommunikationssysteme “unabhängig von Raumgrenzen” operieren.[8] Die Kommunikation läßt sich nicht aufhalten. Auch die von Stichweh gestellte rhetorische Frage, wie es denn mit der „Integration der Weltgesellschaft“ stehe, was denn also dazu und nicht dazu gehöre, hat sich damit erledigt, denn die Integration gelinge völlig „unproblematisch“, weil sie „durch Kommunikation als konstitutives Element des Systems gesichert“ ist. Wo immer und von wem auch immer kommuniziert wird, ich erinnere an die von Fuchs gegebenen Beispiele: „in New York“, „unter Terroristen“, vollzieht sich Kommunikation in der Weltgesellschaft.
„Die Tatsache eines weltweiten Kommunikationssystems kann nicht bestritten werden“, stellt Luhmann in der Politik der Gesellschaft fest.[9] Zwar erinnert Luhmann im selben Buch nochmals daran, „Kommunikation“ sei „an sich keine raumgebundene Operation“ (S. 263), doch hält er immerhin „Kommunikationstechnologien“ für notwendig, die den Raum des „weltweiten Kommunikationssystems“ überbrücken (S. 220). Zwar machen „Raumgrenzen“, so Luhmann in der Gesellschaft der Gesellschaft, in der Weltgesellschaft „keinen Sinn“ (S. 809), doch ohne raumüberwindende „Verbreitungsmedien“ geht es nicht (S. 203), denn die „weltweite Kommunikation“ wird in der Weltgesellschaft „telekommunikativ realisiert“ (S. 809). Insbesondere die „neuen Medien“, so Luhmann, „haben die Kommunikationsmöglichkeiten beträchtlich erweitert“ (S. 311). Spezifischer wird es jedoch nicht. Auch Stichweh hält den „Hinweis auf Telekommunikation“ für relevant,[10] ohne sich aber näher auf die Implikationen der Vorsilbe „Tele“ weiter einzulassen. Willke verweist pauschal auf die „neuen Technologien“ und die „Digitalisierbarkeit“ der Weltkommunikation, um alles weitere der Phantasie des Lesers zu überlassen.[11] Diese Gleichgültigkeit gegenüber den Medien der Weltgesellschaft überrascht nicht wirklich, denn die Luhmannsche Systemtheorie ist davon überzeugt, daß Medientechniken, ich zitiere, sich „völlig neutral“ zur Kommunikation verhalten.[12] „Auch und gerade die modernen elektronischen Kommunikationstechnologien“, so weiter Luhmann, „beruhen auf einer klaren Trennung der technischen Netzwerke von der Information und damit von der kulturellen Semantik, die mit ihrer Hilfe kommuniziert“ (S. 522). Eine „globale Kommunikationsinfrastruktur“ wird vorausgesetzt für den Vollzug von Weltgesellschaft,[13] doch wird die mediale Verfassung dieser Infrastruktur nicht näher untersucht, weil sie für die Kommunikation keinen Unterschied mache. Zwar gilt Kommunikation als das Medium der Gesellschaft,[14] und man könnte daher, soweit Kommunikation in der Weltgesellschaft Telekommunikation ist, von der Kommunikation als Medium in Medien sprechen, um dann entsprechende Anschlußfragen zu stellen, doch wird dies entweder ganz vermieden oder auf einer Ebene getan, die wiederum die Spezifität von Medientechniken ausblendet: Luhmanns dafür exemplarisches Buch über die Realität der Massenmedien macht keine Unterschiede zwischen Funk und Fernsehen, elektronischer Datenübermittlung und Druck. Und auch wenn Luhmann gelegentlich auf Schrift eingeht, ist ihm die Rücksicht auf „unterschiedliche Kommunikationsmedien [...] wie z.B. Ton, Papyrus, Pergament, und [...] Papier“, wie wir sie etwa von Harold Adams Innis kennen, vollkommen fremd.[15] Noch immer scheint es sich so zu verhalten, wie Carl Schmitt vor 70 Jahren festhielt: „scheinbar gibt es nichts Neutraleres als die Technik. Sie dient jedem so, wie der Rundfunk für Nachrichten aller Art und jeden Inhalts zu gebrauchen ist, oder wie die Post ihre Sendungen ohne Rücksicht auf den Inhalt befördert“.[16] Und wie beim Rundfunk unabhängig vom Inhalt die Reichweite des Senders zählen mag, kommt es Luhmann in Bezug auf „Verbreitungsmedien“ allein auf die „Reichweite sozialer Redundanz“ an.[17]
„Die atopische Gesellschaft muß sich in einer Welt ohne Land einrichten. Im Horizont des Atopischen verlieren sich die Stützpunkte erdenschwerer Verläßlichkeit und gravitätischer Traditionen. Sie machen einer konnektivistischen Fluidität Platz, deren Muster und Gestalten kommunikativ konstituierte Figuren bilden und die als Verdichtungen von Kommunikationen sich ebenso schnell auflösen können, wie sie entstanden sind.“ (S. 175)
In dieser Hymne an die ortlose Fluidität skizziert Helmut Willke sein „Atopia“, eine globalisierte Gesellschaft, für die „Ort, Raum und Entfernung [...] zunehmend zu vernachlässigenden Größen“ werden.[18] Seine Diagnose klingt vertraut: „Globale Infrastruktursysteme der Telekommunikation und der Verkehrstelematik, global präsente Massenmedien und Transaktionsnetze bagatellisieren den Platz, von dem aus man kommuniziert, bagatellisieren also Örtlichkeit.“ (S. 13) Die „neuen Kommunikationstechnologien“, heißt es auch in Luhmanns Gesellschaft der Gesellschaft, „bagatellisieren [...] den Platz“, weil alles zwar „anderswo“ stattfindet und „trotzdem nahezu gleichzeitig“. Die Folge ist auch für Luhmann eine „Bagatellisierung des Standortes“ (S. 152). Dies mag man akzeptieren oder bestreiten, wichtig für meine Argumentation sind hier die weiteren Konsequenzen, die aus diesem Befund gezogen werden. Denn Willke folgert aus der bereits im Kommunikationsbegriff selbst angelegten Raumlosigkeit der atopischen Gesellschaft das Ende des politischen Hegemonialstrebens. „Wenn Verortung und Ortbarkeit verloren gehen“, so Willke, dann stehe auch die „Überwindung hegemonialer internationaler Regimes“ auf der Tagesordnung (S. 198, 189). „Verortung und Ortbarkeit“, Begriffe aus der Geopolitik Haushofers und Schmitts, stehen hier für die militärischen und politischen Voraussetzungen des Freund-Feind-Denkens: der Feind muß ortbar sein, um verortet zu werden. „Wo steckt Osama bin Laden?“, lautete die entsprechende Frage in den letzten Wochen.[19] Wenn nun aber diesen Voraussetzungen des Politischen die Voraussetzung entzogen wird, weil es keinen Raum mehr gibt, in dem der Feind steht, dann werde zugleich auch, so Willke, den „Plagen wie Fremdenhaß, Chauvinismus, Nationalismus, Diktatur und Krieg, welche die Nationalstaaten über die Menschheit gebracht haben“, die Basis entzogen und „obsolet“ gemacht (S. 221). Der politische Wert des Raums verliere „inflationär an Wert“, infolgedessen schwinde die Bedeutung politischer Macht, die ja letztlich an die „glaubhafte Androhung physischer Gewalt“ gebunden war. Das Netzwerk der globalen Kommunikationssysteme kommuniziere machtfrei, da diese – selbstreferentiell wie die Kommunikation selbst – die „elementaren Werte und Regeln ihrer Selbststeuerung“ selbst festlegen (S. 230). Mit dem „Ende des Nationalstaates“ (S. 36, 86, 122) beginne dann das schon zitierte Atopia der „konnektivistischen Fluidität“ (S. 175), in dessen unendlichem Meer alle alten Mächte und Hegemonien endlich in der Deterritorialisierung untergehen (S. 189). Da diese friedliche, fluide und freie Weltgesellschaft sauber aus den systemtheoretischen Grundlagen deduziert wird, handelt es sich vermutlich um programmatische Implikationen der Theorie selbst.
Aber nicht nur Willke gelangt derart von der Deskription zur Präskription. Norbert Bolz kommt in seinem neuen Buch Weltkommunikation[20]zu den gleichen Schlüssen. Er setzt Niklas Luhmanns raumlose Theorie der Weltgesellschaft gegen Carl Schmitts politisches Raumdenken. Schmitt habe den „politischen Raum“ vom „Land, dann vom Meer und schließlich von der Luft her gedacht“. Staatliche Ordnung werde von ihm territorial verstanden. Das Erkennen von Freund und Feind erfordere „Ortung“. Tatsächlich setzen alle zentralen politischen Kategorien Schmitts einen Raum für Körper und Dinge voraus; die „kommunikative Erreichbarkeit“ der Personen, dies betont Bolz eigens, reicht dafür bei weitem nicht aus. Die „neuen Kommunikationsverhältnisse“, so lautet nun seine These, haben nun aber diesem Raumdenken jeden Boden entzogen. Die „elektromagnetischen Wellen haben den Raum so ‚erobert’, dass er sich zugleich aufgelöst hat. [...] Territorialität ist keine sinnvolle Sinngrenze mehr.“ Der persönliche Standort eines Teilnehmers der Weltkommunikation sei „gleichgültig“ geworden. Die „Weltgesellschaft kann man nicht mehr verorten.“ Der Territorialstaat erweist sich in dieser Perspektive als Relikt, das nicht etwa Flugzeugen oder Cruise Missiles, sondern den grenzenlosen Kommunikationen der Funktionssysteme nichts mehr entgegenzusetzen vermag. Was Bolz hier als „Bedeutungsschwund des Raums“ bezeichnet, führe aus technischen Gründen und daher unaufhaltsam in eine Weltgesellschaft, in der „geographische Grenzen, Geschichte (Tradition) und Nationalstaatlichkeit keine Rolle mehr spielen“ (S. 53). An Staat und Territorium könne man nur noch „katechontisch“ oder „anachronistisch festhalten“ (S. 45).
Wenn Bolz derart Luhmann gegen Schmitt ausspielt, läßt er das Raumdenken wortwörtlich „alt“ aussehen. Es ist anachronistisch, obsolet, überholt, und nur konservative Phantasten können daran festhalten. Doch wird so nur ein teleologisches Geschichtsmodell re-etabliert, das historische Phasen kennt, die wie bei einer mehrstufigen Rakete ausgebrannt zurückgelassen werden. Das Freund-Feind-Denken der Nationalstaaten, des polizeilichen und militärischen Zugriffs auf Körper im Raum, der Kämpfe der Kulturen, der Raumnahmen – die Epoche der Weltkommunikation läßt all dies hinter sich.
Der kommunikationstheoretische Zuschnitt der Systemtheorie legt offenbar ein ganz bestimmtes Verhältnis von Raum, Medien und Macht nahe. Die Raumlosigkeit der Kommunikation generell und im besonderen das Atopia auf Weltniveau nimmt der Macht, verstanden als „Möglichkeit, Räume mit Körpern zu besetzen und [Körper] aus Räumen zu verdrängen“,[21] ihr quasi „präsentistisches“ Apriori. Und weil der Medienbegriff semantisch vollkommen neutral gehalten wird, besteht keine Gefahr der Politisierung der Medien der Kommunikation, so daß dem Sprung der atopischen Weltgesellschaft aus dem blutigen Raum der Nationalgeschichte kein Hindernis im Wege steht.
Luhmanns Formel von der „Bagatellisierung des Standortes“[22] wird radikalisiert zur Vision einer total deterritorialisierten Weltgesellschaft. Wenn es, wie Deleuze und Guattari in den Tausend Plateaus schreiben, „eine der Hauptaufgaben des Staates ist, den Raum, über den er herrscht, einzukerben oder die glatten Räume als Kommunikationsmittel in den Dienst des eingekerbten Raums zu stellen“,[23] dann kann man nun getrost vom Ende des Staates sprechen.[24] Denn der Staat hat dann seinen Boden verloren, es gibt nur noch Meer, keine Ufer. Damit sind schließlich alle „Neutralisierungen und Entpolitisierungen“ abgeschlossen, denn nichts bleibt noch übrig, was noch politisch wäre. Weltweit herrscht nun jene absolute „Bewegungsfreiheit und Freiheit von Transaktionen zwischen Personen und Organisationen“,[25] die bereits Thomas Hobbes beschrieben und als sicheres Indiz für die Abwesenheit aller staatlichen Gewalt gedeutet hat.[26] Gegenwärtig, so Schmitt 1932, sei es eine „unehrliche Fiktion“ anzunehmen, dass ein solcher „Zustand“ auf Erden existiere, alles Gerede von einem „Weltstaat“ zum Trotz.[27] Dennoch erwartet man sich auch heute sicheren Transfer dieser Fiktion in die Realität von jener Macht, deren scheinbar neutralisierende und entpolitisierende Effekte Schmitt für ideologische Konstrukte hält: der Technik.
Mag der Gedanke an einen „Weltstaat“ auch unrealistisch sein, da Staaten nur im Plural auftreten, so kommt dem Konzept der Weltgesellschaft doch hohe Plausibilität zu. Niklas Luhmann und Rudolf Stichweh haben mit dem Stichwort „Weltgesellschaft“ jener neuen Tatsache Rechnung getragen, dass es zur Zeit nur eine einzige Gesellschaft gibt, in der mit potentiell globaler Reichweite kommuniziert wird. Dies war vorher anders: Kommunikationen im präkolumbianischen Maya-Reich, in Australien oder in Tibet hatten nicht die geringsten Konsequenzen in Europa – die Anschlußkommunikationen blieben auf die jeweiligen Gesellschaften beschränkt. So konnten einst Hochkulturen vergehen, ohne dass dies woanders überhaupt bemerkt wurde, während in der einen Weltgesellschaft ein schwacher Dollar, eine heimtückische Rinderseuche, ein neuer Roman, ein Attentat oder ein neuer Mobilfunkstandard weltweite Konsequenzen bewirkt. Wer es heute noch einmal mit Festungswirtschaft, geschlossenen Grenzen, gesperrten Telekommunikationsleitungen und Einfuhrverboten versuchen will, kann dies nur in der Weltgesellschaft tun. Das historisch Neue an der Weltgesellschaft ist die Tatsache: „Gesellschaft oder Weltgesellschaft kommt nur noch einmal vor. Es gibt keine anderen Gesellschaften oder Weltgesellschaften neben ihr.“[28] Das stimmt. Strittig ist aber, welche Konsequenzen aus diesem Faktum gezogen werden.
„scheint den Prozeß territorialer Zentralisierung voranzutreiben und mit den Vereinigten Staaten und Rußland wurden kontinentgroße Einzelstaaten weltpolitisch dominant, eine Tendenz, die [...] als der Hintergrund des deutschen Expansionismus im 20. Jahrhundert gedeutet werden kann.“ (S. 23, 24f)
Mit diesen Versuchen, Großraumordnungen zu bilden, sei es aber in der Weltgesellschaft vorbei, weil die weltweite Strukturbildung politischer Kommunikation zu einer „Egalisierung nationaler Souveränität“ führe. Wie die modernen Verfassungen des Nationalstaats allen Bürgern gleiche Rechte und Pflichten unabhängig von Macht, Rang, Einkommen und Stand einrichteten, würden „die Nationalstaaten als konstitutive Bürger“ behandelt, also als Gleiche unter Gleichen. In der Weltgesellschaft gibt es für Stichweh also ein einziges System politischer Kommunikation mit globaler Dimension, dessen Spielregeln für große und kleine Staaten genauso gelten wie in den Einzelstaaten für große und kleine Parteien. „Erstmals“, so wird betont, „unterscheiden sich die Überlebenswahrscheinlichkeiten für große und kleine Staaten nicht wesentlich, sind kleine Staaten nicht mehr auf geographische Sonderlagen und hegemoniale Unterordnung angewiesen.“ Dieses Ende der Hegemonial- und Machtpolitik großer und kleiner Staaten ist aber eher eine normative Implikation der Systemsoziologie als eine Beschreibung der politischen Realität der Weltgesellschaft. Wichtig für meine These ist, daß es eine in den Strukturen der globalen Kommunikation selbst angelegte Evolution sein soll, die pazifizierend wirke. Ich zitiere:
„Einmal wird es in der Weltgesellschaft wichtig, daß Kulturen nicht aggressiv-missionierend auftreten. Weltweit verbreitete kulturelle Komponenten müssen einen relativ geringen Grad von Expliziertheit aufweisen, und George Modelski schließt daran die Überlegung an, daß eine politische Führungsrolle im System der Weltgesellschaft nur für Staaten zugänglich sei, die nicht gleichzeitig eine kulturelle Mission verfolgen.“ (S. 44)
Stichweh spricht von einer „relativen globalen Homogenisierung“ im Medium der weltweiten „Vernetzung kommunikativer Ereignisse“. Der verwendete Netzwerkbegriff konnotiert ein Mit- und Nebeneinander gleichwertiger Knoten. Die Weltgesellschaft dämpfe die „nationalkulturellen Eigenheiten“ und „Idiosynkrasien“ ab und läute so das Ende der Hegemonien und den Anfang einer „egalitären“ Weltordnung ein. Und jene „Staaten“, die noch einen expansiven, „kulturell-missionarischen Zug aufweisen, werden im System der Weltgesellschaft politisch disprivilegiert.“ (S. 54) All dies stützt die Globalthese, daß die Epoche der Weltgesellschaft das Zeitalter der Hegemonien abgelöst habe oder doch bald ablösen werde oder ablösen müsse.
Dies mag so kommen oder nicht, interessant für unseren Zusammenhang ist wiederum die negative ‚Spiegelung’ klassischer geopolitischer Positionen. Einzig in einer Fußnote nähert sich Stichweh einmal positiv einer Schmittschen Überlegung an. Er schreibt, es werde „auch gerade aus der Sicht der Weltgesellschaft das Interesse an extraterrestrischer Intelligenz plausibel.“ (S. 242) Schmitt hatte im „Begriff des Politischen“ dem Weltstaat nur eine Chance für den Fall gegeben, daß die „Menschheit“ einen „Feind“ habe, der „nicht auf diesem Planeten“ existiere.[30] Überblickt man die gerade in jüngster Zeit breit zitierte Science Fiction-Literatur und die entsprechenden Filme, dann darf man sagen, daß zumindest in der „Fiktion“ der „Weltstaat“ überall dort entsteht, wo die Menschheit selbst in Frage steht. Ihren Independence Day feiert die Menschheit in dem Moment, wo der Alien als Feind erkannt und bekämpft wird. Doch hat der 11. September gezeigt, daß die sogenannte Menschheit auf dieser Welt genug Feinde zu finden vermag und der alien intruder bis auf weiteres die Gestalt von Arabern angenommen hat.
„Es ist offensichtlich, daß die Effektivität des Terrors wie auch anderer Formen globaler Kommunikation darin liegt, daß er die strengen Kopplungen der Strukturform Organisation (z.B. Hisbollah, GIA) mit den losen Kopplungen globaler Netzwerke (vielleicht Al Qaeda) vereint – und schließlich Netzwerke zweiter Ordnung aus diesen Organisationen und Netzwerken bildet. An diese Netzwerke können staatliche Organisationen assoziiert werden, oder Staaten mögen diese Netzwerke als Camouflage nutzen, aber entscheidend ist, daß keine Organisation und kein Staat für den Bestand der einmal existierenden Netzwerke entscheidend ist.“
Fällt eine Zelle aus, kann sie ersetzt werden. Daraus folgt: „Das Netzwerk ist hinreichend ortsunabhängig und kann durch Hinzukommen und Ausfallen von Netzwerkknoten seine Schwerpunkte verschieben, ohne daß dies noch als ein einigermaßen gut zu bestimmender räumlicher Vorgang gedacht werden könnte.“ Gegen so ein translokales Netzwerk könne kein „Staat [...] einen klassischen Krieg führen“, denn der Krieg ziele, so meint Stichweh etwa im Gegensatz zu Klassikern wie Clausewitz, auf die „Kontrolle eines Raums“, während „der Terrorismus weder im Raum verortet noch durch Kontrolle des Raums auszuschalten“ ist. Zwar spricht „eigentlich alles für punktuelle polizeiliche, geheimdienstliche und militärische Interventionen, die die Netzwerke an Hunderten und Tausenden von Punkten unterbrechen, so daß in diesen Netzwerken die Fähigkeit zur Organisation von Handlungen verlorengeht“, doch wird hier die Raumdimension dieser Interventionen nicht bedacht, die ja in der Tat nicht die „kommunikative Erreichbarkeit“ dieser Kotenpunkte voraussetzen, sondern die genaue Lokalisierung nach Höhe und Breite, so daß die Einsatzkräfte oder Waffen ihr Ziel präzise zu finden vermögen. Auch die Terroranschläge haben ja keine kontingenten, sondern planvoll ausgesuchte Ziele getroffen, so daß man bei aller losen Kopplung terroristischer Kommunikation zumindest punktuell von einer festen Kopplung an ganz bestimmte Körper im Raum ausgehen muß. Ohne Relevanz des physischen, geographischen Raums aber, zielen alle Maßnahmen, die nach dem 11. September ergriffen worden sind: von den Sicherheitskontrollen an Flughäfen und Grenzen bis zum Versuch, Mitglieder der Netzwerke zu lokalisieren und zu verhaften, an der Realität der Weltgesellschaft, wie Stichweh sie beschreibt, vollkommen vorbei.
Weiter spricht Stichweh von einem „Köperverzicht der Systeme“ der Weltgesellschaft, die allesamt „ohne Inanspruchnahme und Belastung des Körpers“ kommunizierten. Dem kann man insofern zustimmen, als naturgemäß in Sozialsystemen nicht Körper miteinander auf organischer Ebene kommunizieren, sondern Kommunikationen kommunizieren; doch kann man daraus wirklich folgern, daß „Nutzung und Zerstörung von Körpern“ durch den klassischen Krieg und neuen Terrorismus „völlig vom Raum“ abgelöst sei? Sicher ist es richtig, daß ein Netzwerk „sich von einer räumlichen Verortung unabhängig“ macht; dies hat sich im Falle des Internets gerade am 11. September in New York erwiesen, denn, so Friedrich Kittler (am 5. 10. 2001 in der FAZ), „das weltweite Netz konnte seinen ersten Sieg verbuchen“, und anders als das WTC sei der „Welthandel keineswegs zusammengebrochen“. Andererseits können die unter dem alten Namen „Rasterfahndung“ neu aufgelegten data mining-Programme als Versuch beschrieben werden, auch innerhalb fluider weltweiter Netzwerke Personen zu verorten, um sie schließlich – auf dem eigenen Hoheitsgebiet – zu verhaften.
Luhmann hat an einer entlegenen Stelle definiert, was „räumliche Integration heißt: [nämlich] daß die Freiheitsgrade der Systeme, also die Menge der Möglichkeiten, die sie realisieren können, abhängen von der Stelle im Raum, an der sie jeweils operieren, und damit abhängen von den jeweils besonderen lokalen Bedingungen.“[31] Dies gilt für die Sicherheitskontrolle am Flughafen genauso wie für die um Afghanistan herum aufmarschierten Truppen: was man tun kann, hängt auch ab „von der Stelle im Raum“. Luhmann und auch die Theorie der Weltgesellschaft gehen an diesem Punkt davon aus, daß sich alle diese Faktoren der Raumdimension in Zeit ummünzen und durch Medien aufheben lassen, so daß dann wieder von der „Bagatellisierung des Standortes“ (S. 152) auszugehen ist. Ich glaube nicht, daß dies in jedem Falle möglich ist. Vielmehr muß die politische und militärische Kommunikation in vielfacher Hinsicht auf die „jeweils besonderen lokalen Bedingungen“ Rücksicht nehmen; sie findet also im Raum ein Medium vor, das nicht vorgibt, aber einschränkt, was möglich ist.
Wenn die Unterscheidung des Raums: da oder dort, einen Unterschied macht, also den Systemzustand eines sinnverarbeitenden Systems verändert und mithin Information erzeugt, dann sollte man sie in den Rang einer Sinndimension befördern. Mit der Aufwertung des Raums würde man Anschluß gewinnen an den Stand der medientheoretischen Diskussion, welche Verbreitungsmedien nicht nur auf ihre temporalen Strukturen untersucht, sondern wesentlich auch auf räumliche. Der Raum würde auch Gewicht bekommen für die Wahl der raumüberwindenden Medien: Maultiere und Boten oder Datenpakete und Glasfaserleitungen. Saskia Sassen hat daran erinnert, daß die Rhetorik der globalen real-time-Kommunikation, die immer gleichzeitig überall stattzufinden scheint, den Blick dafür verstellt, daß “die führenden Telekommunikationsunternehmungen, um Telekommunikationsdienstleistungen anzubieten, die Distanz neutralisieren, einen Zugang zu echtem, materiellem Land brauchen, weil die wesentliche Technologie immer noch Glasfaser sind, und die sind auch ganz materiell.”[32] Da Land gebraucht wird und Land immer noch Hoheitsgebiet eines Staates ist, gehört zur politischen Souveränität die Möglichkeit, im Ausnahmefall die Kabel kappen lassen zu können. Die schon zitierte Behauptung, daß Grenzen zwischen Staaten “weder von Wahrheiten noch von Krankheiten, weder von Bildung noch vom Fernsehen, weder vom Geld noch von der Liebe respektiert werden”, ist also nur bedingt gültig, nämlich nur für den Normalfall. Daß die Funktionssysteme “unabhängig von Raumgrenzen” operieren, trifft nur dann zu, wenn der Verkehr von Daten und Gütern: also die entsprechende Technik funktioniert. Den Ausnahmefall zu denken, in dem auf Räume und Körper zugegriffen wird, vermeidet die Systemtheorie bisher. Deshalb kennt sie zwar infinite Hierarchien von Medium-Form-Unterscheidungen, nicht aber die Frage nach den Medien in Medien, die uns hier zum Raum, zum Körper und zur Technik geführt hat.