Ruhr-Universität Bochum, WS 2002/ 03
Seminar: „M“. Medien, Massen, Manipulation in den 1920er Jahren
Dozent: Dr. Niels Werber
Referent: Wolfgang Wirsching
Das Genre der Science-Fiction und H. G. Wells The Island of Doctor Moreau
I. Zur Science-Fiction als Genre
1. Das Definitionsproblem
- sinnvolle Abgrenzung gegenüber Fantasy (v.a.
hinsichtlich Magie)
- Frage einer normativen Komponente in der Definition,
was den Erkenntniswert anbetrifft
→Selektion, Kanonisierung →Ausgrenzung
von Vielem, was mit Selbstverständlichkeit
als Science-Fiction
rezipiert wird
Definitionsvorschlag von Ulrich Suerbaum:
„Die Gattung Science-Fiction ist die Gesamtheit jener fiktiven Geschichten,
in denen Zustände und Handlungen geschildert werden,
die unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht möglich und
daher nicht glaubhaft darstellbar wären, weil sie Veränderungen
und Entwicklungen der Wissenschaft, der Technik, der politischen und gesellschaftlichen
Strukturen oder gar des Menschen selbst voraussetzen.“ ¹
2. Entstehungsgeschichte
2.1. „Vorgänger“-Gattungen
-Reisebericht ( Homers Odyssee,
Lukians Wahre Geschichten, Dantes Komödie, Defoes
Robinson Crusoe,
Swifts Gullivers Reisen, Melvilles Moby Dick,… )
-Utopie ( Mores Utopia,
Campanellas Sonnenstaat,…)
2.2. Neuheiten der Science-Fiction
-die (wie auch immer geartete)
wissenschaftliche/ technische/ sozio-strukturelle Verän-
derung, auf
welche die Story aufbaut (die gewissermaßen zu einer Desorientierung
des
Lesers führt
und so sein Misstrauen aufweicht²)
-die Narrativisierung der
Utopie (mögliche Umkehrung in eine Anti-Utopie)
2.3. Pioniere der Science-Fiction
-Mary Shelley mit Frankenstein,
Edgar Allen Poe, Franz Kafka, Jules Verne mit seinen
fantastischen
Reiseerzählungen; Herbert George Wells (1866-1946)
→das Genre erfährt
eine wesentliche Prägung durch die Ideen- und Technikgeschichte
des 19. Jahrhunderts (z. B. Industrialisierung, Mechanisierung, zunehmende
Mobili-
tät, Verstädterung, Darwinismus,…)
2.4. Die Pulp-Phase
-ab 1926: massenweise Verbreitung von Sci-Fi-Literatur in Form von Groschenromanen
und Romanserien (z. B. Hugo Gernsbecks Amazing Stories) auf dem US-
amerikanischen Markt
→ Science-Fiction
etabliert sich in einer Marktnische und gewinnt einen zunächst
noch
sehr
eingeschworenen Leserstamm, ist fortan aber für immer mit dem
negativen Image
des Schundromans behaftet. (In der Tat haben Untersuchungen als Lese-Motivationen
in erster Linie „Spannung“ und „Ablenkung“ ausgemacht.) Die Fluchtmöglichkeit
aus der Alltagswelt, die prinzipiell alle fiktionale Literatur bietet, ist
bei Sci-Fi um die interessante Komponente erweitert, dass sie die Wahrscheinlichkeit
der beschriebenen Ereignisse unter eine bestimmte Voraussetzung stellt und
ihre Einlösbarkeit für die Realität so offen hält.³
-Science-Fiction
hat die Zeichen der Zeit verstanden und zählt
heute zu den populär-
sten Genres
in Film und Fernsehen
II. Zu H. G. Wells The Island of Doctor Moreau (1896)
1. Inhalt
Der Schiffbrüchige Edward Prendick gelangt unfreiwillig auf eine entlegene
Insel mitten im Atlantik, auf welcher der verstoßene Wissenschaftler
Dr. Moreau seine fragwürdigen Experimente betreibt: Durch Vivisektion
erschafft er Tiermenschen, denen er vermittels Suggestion zugleich „Das Gesetz“
eingibt, das ihr zivilisiertes Verhalten und seine Macht über sie sicher
stellen soll. Die tierische Natur aber ist stärker. Es kommt zu Revolte
des Tiermenschenvolks gegen seinen Schöpfer, Moreau wird getötet,
Prendick dagegen gelingt nach einiger Zeit die Flucht von der Insel.
2. Zur Figur des Dr. Moreau und ihrer Position
o Dr. Moreau als einer der ersten Repräsentanten einer
personifizierten Bedrohlichkeit der modernen Wissenschaft
o Moreau hält sich dabei für nicht gewissenloser,
als „die Natur selbst ist“
o Die Verbreitung des „Gesetzes“ im Tiervolk verläuft
quasi-religiös (Der Roman erschien noch vor Erfindung des Radios), Moreau
wird zum Gott seiner Geschöpfe
o Moreau als Schöpfer innerhalb dieser „theological
grotesque“(Wells), der nur Devolution zustande bringt und dessen Gesetz keinen
Bestand hat
o Dennoch (oder gerade deshalb?) geben Moreaus Horrorwesen
ein treffendes Zerrbild der Menschheit, so empfindet es zumindest Prendick
nach seiner Rückkehr in die Zivilisation
III. Literaturhinweise
1. Suerbaum, Ulrich: Science fiction: Theorie u. Geschichte,
Themen u. Typen, Form u.
Weltbild. Stuttgart: Reclam, 1981.
2. Philmus, Robert: Into The Unknown. The Ervolution of
Science Fiction from Francis
Godwin to H. G. Wells. Berkeley/ Los Angeles: University of California Press:
1970.
3. Hallenberger, Gerd: Macht und Herrschaft in den Welten
der Science-Fiction: die po-
litische Seite der SF: eine inhaltliche Bestandsaufnahme. Meitingen: Corian-Verlag
Wimmer, 1986.
4. Harenbergs Lexikon der Weltliteratur