Unsere Lage im Alpha-Quadranten

Durch die endlosen Weiten des Debattenfeuilletons führt der Weg zum ewigen Leben beziehungsweise zum Untergang der Menschheit. Es wäre schön, wenn die "FAZ" endlich einen täglichen Index einführen würde, der uns über unsere Chancen im Kampf gegen die Nanoroboter auf dem Laufenden hält
von NIELS WERBER
Die Atmosphäre des Konferenzraums vibriert energiegeladen, man erwartet fast, sie würde sich in Blitzen entladen. Ruhig und konzentriert, aber stets eingedenk der ungeheuren Tragweite der Entscheidung diskutieren die vielen Herren und wenigen Damen die Lage. Es gilt abzuschätzen, mit welcher bislang noch neutralen Partei ein langfristiges Bündnis gegen den äußeren Feind zu schließen sei. Für und Wider werden in aller Sorgfalt erwogen, kulturelle Gemeinsamkeiten und Differenzen, historische Konflikte und Allianzen, strategische und ökonomische Interessen, waffentechnische und logistische Standards bedacht. Folgt man der Debatte, dann fühlt man sich in sicheren Händen. Die unvermeidbare Entscheidung wird die richtige sein. Die Föderation wird auf Seiten der Klingonen oder mit der Hilfe der Romulaner die Bedrohung aus dem Dominium abzuwehren suchen.

Ignoriert man einmal den gegebenen Rahmen der Star-Trek-Konvention, dann könnte man versucht sein, aus der Tatsache, dass zwei Parteien ernsthaft und überlegt die interstellare Bündnispolitik diskutieren, zu folgern, Star Trek sei keine Fiktion, sondern echteste Wirklichkeit. Dieser Reality-Effekt verdankt sich den verwendeten Skripts. Ein Skript unterscheidet Meinungen nach alternativen Positionen und blendet die Einheit der Unterscheidung aus. Man kann, so ein Beispiel Niklas Luhmanns, für die Einführung des Euro sein, um die Integration Europas zu fördern, oder dagegen, weil man mehr Integration ablehnt, doch stellt das Skript keine Sekunde in Frage, dass der Euro tatsächlich Europa integrieren werde. Das Skript Romulaner oder Klingonen verstellt die Frage nach der Realität dieser Unterscheidung, genau deshalb kann die Lage im Alpha-Quadranten so erbittert erörtert werden.

Die von Frank Schirrmacher höchstselbst am 23. Mai 2000 als Nachhilfestunde für Europa eröffnete Debatte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung um Gentechnik, Nanotechnologie, Bioinformatik und Artificial Intelligence bedient sich in ähnlicher Weise eines Skripts. So wird etwa der Theologe Klaus Berger gefragt, ob wir heute nicht eine Theologie für Roboter brauchen. Aber ein Roboter, gibt der einigermaßen verblüffte Theologe zurück, habe doch gar keine Seele, keine Biografie, keinen Namen. Doch da kann ihn die FAZ belehren, dass der Computerforscher Ray Kurzweil oder der Unix-Entwickler Bill Joy und andere prophezeit hätten, bald könne niemand mehr Roboter von Menschen unterscheiden: Werde das menschliche Gehirn erst einmal gescannt und in einem Computer dupliziert, so seine Interviewer, seien solche Einwände eher akademischer Natur. Doch die ernsthafte Erörterung, ob eine Theologie für Turing-Maschinen notwendig sei, um jedes intelligente Leben zum Heil zu führen, unterschlägt den blinden Fleck des Skripts: die Frage, ob ein Download des Bewusstseins in einen Rechner nicht doch in den Bereich der Sciencefictionprosa gehört, wie Berger mutmaßt.

Mit dieser Annahme steht Berger eher allein. Bill Joy zum Beispiel wirft Ray Kurzweil Sorglosigkeit im Umgang mit den Bio- und Nanotechnologien vor. Dieser habe vergessen zu bedenken, dass Roboter einzelne Menschen, ja die Menschheit in Gefahr bringen könnten. Der Mensch könnte zu einer von mächtigen Robotern bedrohten Spezies werden. Überdies schlägt er vor, die gefährlichen Folgen abzuschätzen, die sich daraus ergäben, wenn manche Menschen dank teurer Technologien 200 Jahre alt würden, andere aber nicht. Man sollte, so warnt er, die Existenz der gesamten Menschheit nicht aufs Spiel setzen, nur weil ein paar Menschen ihren zweihundertsten Geburtstag feiern wollen. Das klingt alles sehr moralisch und vernünftig, solange man vergisst, dass wir keineswegs von der technischen Kompetenz ausgehen können, autonom denkende und handelnde Roboter herzustellen oder Nano-Bio-Techniken zu entwickeln, die uns auf molekularer Ebene reparieren und so relativ unsterblich machen.

Nur vier Tage später antwortet dann der sorglose Kurzweil in der FAZ auf Joy und bekennt, er teile dessen Befürchtungen. Der Nanotechnologe Hans Moravec vermute, der Mensch würde die Begegnung mit der überlegenen Spezies Roboter möglicherweise nicht überleben. Kurzweil gibt der Menschheit also eine Chance von fünfzig zu fünfzig - mit der zynischen Bemerkung, er sei eben ein unverbesserlicher Optimist. Joy, so berichtet die FAZ am Independence Day, veranschlage das Risiko der Ausrottung eher auf dreißig, höchstens fünfzig Prozent, halte es aber für möglich, dass frühzeitige Verteidigungsmaßnahmen zur Verminderung dieses Risikos greifen könnten. K. Eric Drexler, Gründervater der Nanotechnologie, etwa habe den Vorschlag gemacht, einen aktiven nanotechnologischen Schild zu schaffen, um uns vor gefährlichen Replikatoren zu schützen. Das erinnert an ganz andere Skripts: Schilde hoch! - Schilde sind hoch, Sir! Bill Joy bekannte sich übrigens in seinem Essay "Warum die Zukunft uns nicht braucht" ausdrücklich zu Gene Roddenberrys Star-Trek-Serie, die starken Eindruck auf ihn gemacht habe. Joy ist ein echter Trekkie, warum wird er dennoch ernst genommen? Weil er bei Sun Microsystems arbeitet, Multimillionär ist und Unix mitentwickelt hat? Ich glaube nicht.

Die FAZ-Debatte verdankt ihren Wirklichkeitseffekt dem verwendeten Skript. Die Debatte darüber, wie man sich gegen einen Roboteraufstand schützen könnte, welche sozialen Folgen die Unsterblichkeit bewirken werde oder wie man artificial life forms die Beichte abnehmen sollte, suggeriert erfolgreich, dass an den Voraussetzungen dieser Überlegungen keinerlei Zweifel bestehen. Äußerstenfalls gibt es das zwar alles noch nicht. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Die FAZ bleibt währendessen für uns am Ball. Vielleicht sollte ihr Feuilleton einen Index einführen, der uns tagtäglich über den aktuellen Stand unserer Überlebenschance im Kampf gegen die Roboter in Kenntnis setzte: 20 Prozent oder 50 Prozent. Dann reichte ein einziger Blick, um uns über unsere Lage im Alpha-Quadranten ein Bild zu machen.

Hinweis:
Bill Joy bekannte sich in seinem Essay "Warum die Zukunft uns nicht braucht" ausdrücklich zu Gene Roddenberrys Star-Trek-Serie.
taz Nr. 6190 vom 12.7.2000 Seite 15 Kultur 210 Zeilen