Hauptseminar „M“
WS 2002/03
Sexualmoral und die „Neue Frau“ in der Literatur
der 20er Jahre am
Beispiel von Aldous Huxleys Brave New World
„Don’t imagine that I’d
had any
indecorous relation
with the girl.
and normal“[1]
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte ein gesellschaftlicher Modernisierungsprozeß in Europa ein, der zu einer Umgestaltung der Gesellschaft führte[2]. Durch die neu entstehende Einstellung der Bevölkerung zu Phänomenen wie Vergnügungsindustrie, Freizeit und Sport, mit der zunehmenden Anonymität der entstehenden Großstädte und der damit verbundenen Herauslösung des Individuums aus seinen kleinstädtischen, familiären Bindungen wandelten sich nicht nur die Moralvorstellungen, sondern veränderte sich auch das herkömmliche Rollenverständnis der Geschlechter. Erst der erste Weltkrieg bedeutete die einschneidende Zäsur für eine neue Position der Frau in der Gesellschaft im politischen und sozialen Sinn, wie sie von der um die Jahrhundertwende in Deutschland entstandenen Frauenbewegung gefordert wurde: durch die Abwesenheit der Männer übernahmen Frauen neue Aufgaben in Gesellschaft und Arbeitswelt, vor allem in der Rüstungsindustrie. Nach Kriegsende wurde mit der Rückkehr der Frontsoldaten zwar die Mehrzahl der Frauen wieder aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt, doch trotz geringerer Bezahlung und schlechterer Aufstiegsmöglichkeiten stellten die Frauen in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren etwa 36% der erwerbstätigen Bevölkerung. Ihre Betätigungsfelder lagen vor allem in den Fabriken, in der Landwirtschaft und im Bürowesen. Mit der Einführung des Wahlrechts für Frauen zu Beginn der Weimarer Republik erfüllte sich eine der politischen Hauptforderungen der Frauenbewegung, hinzu kamen bessere Bildungschancen und das Anwachsen der Zahl der Studentinnen an den Universitäten.
Durch diesen emanzipatorischen Erfolg, ein neues weibliches Selbstverständnis und die veränderten Moralvorstellungen boten sich in den zwanziger Jahren vor allem für eine elitäre Gruppe junger, ungebundener Frauen neue Möglichkeiten für bisher unvorstellbare Lebensplanungen. Akademikerinnen, Schriftstellerinnen, Journalistinnen und Künstlerinnen brachen mit dem traditionell weiblichen Lebensstil ihrer Mütter und lebten jenseits der konventionellen Auffassung von Ehe und weiblichem Bezugsfeld. Die Protagonistinnen dieser Neuen Frau entstammten vor allem großbürgerlichen und adeligen Kreisen mit entsprechenden finanziellen Möglichkeiten für einen normabweichenden Lebensstil und uneingeschränktem Konsum an Mode, Unterhaltung und Freizeit. Sie orientierten sich hierbei – wie es in fast allen gesellschaftlichen Bereichen im Europa dieser Zeit typisch war – am amerikanischen Vorbild[3]. Das Image der emanzipierten Frau, die „einen Bubikopf und kurze Röcke trägt, die ihren eigenen, wenn auch knappen Lebensunterhalt verdient, ihre sexuellen Partner selbst wählt, und, wenn sie dazu gezwungen ist, entweder abtreibt oder eine Verbindung mit einem unauffälligen, aber wohlhabenden Mann vorzieht, um sich auf diese Weise ökonomisch abzusichern[4]“, wirkte jedoch schnell auch jenseits der gebildeten Elite, insbesondere bei den weiblichen Angestellten. Durch sie wurde die Neue Frau zu einer Modeerscheinung und hielt Einzug in den städtischen Alltag; ihre Popularität wurde forciert durch die Bildmedien, durch populäre Zeitschriften die „Die Dame“ oder „Die elegante Welt“ hießen und durch Unterhaltungsliteratur populärere AutorInnen wie zum Beispiel „Stud. chem. Helene Wilfuehr“ von Vicky Baum oder „Mehlreisende Frieda Geyer“ von Marieluise Fleißer . Das Selbstverständnis der Neuen Frau in der Weimarer Republik war weniger politisch motiviert als das Frauenbild der Frauenbewegung, es fokussierte sich auf die kulturelle Selbstdarstellung und ein neues Selbstbewußtsein[5].
Das Erscheinen der Neuen Frau wurde wie alle Emanzipationsbestrebungen von der (männlichen) Öffentlichkeit vor allem argwöhnisch betrachtet. Ganz besonders die Einstellung zur unabhängigen weiblichen Sexualität ist durchgehend von Vorurteilen geprägt, eine furchtsame und allgemein kritische Haltung der Autoren schlägt sich auch in der erzählenden Literatur der Zeit nieder. Hier werden vorzugsweise zwei Bilder der Neuen Frau gezeichnet: zum einen der Typus der femme fatale oder des Vamps, dem das traditionelle Madonnen – Dirnenmuster zugrunde liegt, zum anderen der Typus der knabenhaft schlanken, sportlichen, sich modisch und männlich gebenden femme enfant oder des Girls, das seine erotische Attraktivität in möglichst sachlicher Verpackung zur Schau stellt. Wirklich neu an diesen Frauentypen und ihnen gemein ist lediglich die größere Sachlichkeit, da beide Geschöpfe sind, die sich nicht zu langzeitlichen Verbindungen verpflichtet fühlen, Genuß ohne Reue versprechen, bei denen Vergnügen, Abwechslung und sportlicher Flirt im Vordergrund stehen[6]. Hier wird auch eine neue Betrachtungsweise von zwischenmenschlichen Beziehungen deutlich: seelische Entblößung und Sentimentalitäten gelten als bürgerlich, geschmacklos und peinlich, das Seelische wird auf das Körperliche verschoben. Das in allen Bereichen der Kultur in den zwanziger Jahren vorherrschende Konzept der Neuen Sachlichkeit wurde auch auf Liebes- und Ehekonzeptionen angewandt – Nüchternheit, Objektivität und effektiver Gebrauchswert standen im Mittelpunkt. In diesem Rahmen galt Treue nicht mehr als Wert, sexuelle Bedürfnisse sollten ohne ideale Verbrämung befriedigt, genußreich und gesund wie Sport betrieben werden. Sexualität erscheint in der Literatur als ein anerkanntes Tauschmittel und insbesondere bei Frauen in Dienstleistungsbereichen galt sie als Gegenleistung für Karriere und beruflichen Erfolg[7].
Trotz des Trends einer größeren Offenheit sexuellen Fragen gegenüber und Reformkonzepten in Liebes- und Ehefragen finden sich anstelle von differenzierten Charakteren vorurteilsgeprägte und oft fragwürdige und negative Stereotype des neusachlichen Frauentypus nicht nur in Werken konservativ eingestellter Autoren, sondern genauso bei bürgerlich-liberalen und linkseingestellten Schriftstellern. Diese Stereotypisierungen lassen sich in drei Hauptkategorien einordnen. Zum einen findet sich das Klischee der sexuell aggressiven Frau, die durch ihre verführerische Sexualität Männer gefühllos manipuliert und sie zu eigenen Zwecken beruflich und politisch ausnutzt, zum zweiten das Stereotyp der Ehefrau oder Partnerin, die sich gegenüber dem Mann zu behaupten sucht und drittens das der arbeitenden oder politisch tätigen Frau, die ihren männlichen Kollegen in ökonomischer und politischer Hinsicht untergeordnet ist[8]. In fast allen Romanen der Zeit sind die Frauen psychisch und wirtschaftlich von Männern abhängig, der einzig akzeptable Rahmen für weibliche Sexualität ist weiterhin die Schirmherrschaft des Mannes. Sexuell unabhängige Frauen sind weiterhin entweder Zielscheibe der Satire oder Kritik, oder sie nehmen ein schlimmes Ende – diese Sichtweise zeigt die Schwierigkeiten der im Grunde noch konservativen Gesellschaft der Weimarer Zeit, Frauen außerhalb ihrer traditionellen Rolle im Haus zu akzeptieren, obwohl sich das Leben der Frauen seit Mitte des 19. Jahrhunderts auffällig geändert hatte.
Die Utopie bietet die Möglichkeit, aktuelle gesellschaftliche Tendenzen aufzugreifen und in einem höchst fiktiven Rahmen nach Belieben auszugestalten; so erscheint in diesem Genre auch die zeitgenössische Geschlechtsmoral häufig als „Experimentierfeld, wo alle erdenklichen Formen der erotischen Bindung oder Ungebundenheit durchgeprobt werden[9]“. Aldous Huxleys Zukunftsvision der Brave New World ist in diesem wie in anderen Punkten ebenfalls an der Wirklichkeit der zwanziger Jahre orientiert. Der Autor extrapoliert den Wandel der Sexualmoral und verwirklicht sie im Text in satirischer Übertreibung. Bereits in seinem 1929 erschienenen Essay Fashion of Love kommentiert er die Herausbildung der Grundlagen eines neuen Sexualverhaltens, dessen Basis er zum einen in der allgemeinen Begeisterung für das neue Verfahren der Psychoanalyse sieht, die das christlich-romantische Ideal der Monogamie zurecht in Frage stelle, zum anderen in der Begünstigung des häufigeren Partnerwechsels durch moderne Empfängnisverhütungsmittel. Weiterhin wertet er die wachsende Bedeutung verflachender Sexualität als direkte Folge des modernen industriellen Wohlfahrtsstaates[10]. So folgt seine Darstellung des Aspektes der Sexualität in dem Roman strikt aus der Logik des Konsumbereichs: Geschlechtsverkehr bleibt reine Freizeitbeschäftigung und „fun“ oder Gelegenheit zu technischen Meisterleistungen: „everyone says I’m awfully pneumatic[11]“. In der Konsumgesellschaft wie in der Sexualität gilt der Grundsatz der allgemeinen Verfügbarkeit,: „Everyone belongs to everyone else[12]“. Zur Vermeidung enger Bindungen in Liebe oder Eifersucht wird die Fixierung auf einen Partner durch hypnopädische Erziehung vermieden und allgemeine Promiskuität zur gesellschaftlichen Pflicht erhoben. So wird Lenina nach ihrem Geständnis, drei Monate nur denselben Mann ‚gehabt‘ zu haben, von ihrer Freundin auf die gesellschaftliche Verantwortung hingewiesen: „one’s got to make an effort[13]“. Uneingeschränkte Partnerwahl wird staatlich ermöglicht durch systematische Trennung von Sexualität und Fortpflanzung mit dem Mittel der „Ectogenesis[14]“, die Sterilisation weiter Teile der weiblichen Bevölkerung zu „freemartins[15]“, und der Geburtenkontrolle durch „Malthusian Belts[16]“ und „Malthusian Drill[17]“. Repressionen des Sexualtriebs werden bereits durch frühkindliche erotische Spiele ausgeschaltet[18]. Die Promiskuität wird in sarkastischer Verkehrung herkömmlicher Wertvorstellungen zur Tugend erhoben. Die umfassende und schnelle Befriedigung aller Bedürfnisse wird neben individuellem Glück als höchstem Lebens- und Gesellschaftszweck und dem Garant des Lebensglücks durch die Ausrichtung auf das Hier und Jetzt zu einem der drei Pfeiler, auf der die Stabilität des Systems der Brave New World beruht[19]. Huxley – der sich stets nachdrücklich gegen eine pseudo-aufklärerische Rationalität der Sexualität seiner Zeit wandte[20] – führt in seinem Roman die ihm bedrohlich erscheinende Idee der Promiskuität als ideologisches Ziel ad absurdum. Nicht nur, dass fast alle Figuren in ihren Einstellungen und Haltungen mehr oder weniger von den Normen der Brave New World abweichen, der Staat muss außerdem die fehlende Exklusivität, Privatheit und Qualität einer monogamen Liebesbeziehung gleich mehrfach ausgleichen. Medikamentöse Behandlungen wie das „Pregnancy Substitute[21]“ für Frauen und das „Violent Passion Surrogate[22]“ zum Ersatz von für die menschliche Physis notwendigen ‚echten‘ Gefühlen waren für dir Ausgeglichenheit der Bevölkerung notwendig, ebenso wie der obligatorische „Solidarity Service[23]“ als Parodie auf die heilige Kommunion zur Erlangung mystischer Selbstaufgabe in einer größeren Einheit. Hinzu kamen neben dem lebenswichtigen Soma pornographische „feelies[24]“ und simple Ersatzspiele wie „Obstacle Golf[25]“ um die stabile Zufriedenheit der Mitglieder und die Aufrechterhaltung des Systems zu garantieren.
Huxley entwickelt das Bild der Frauen in seinem utopischen Roman in Kongruenz zu seiner Vision von den kommenden Sexualvorstellungen. Sieht man also von einigen satirischen Überzeichnungen ab, so deckt sich das Frauenbild in Brave New World weitestgehend mit dem in der Literatur der Zeit und meist auch mit dem Bild der Neuen Frau. Die auftauchenden Frauen sind optisch insgesamt jung (da sie wie alle Menschen mit künstlichen Mitteln jung und schlank gehalten werden[26]), gesund, braungebrannt und sportlich, und entsprechen demnach dem Ideal der Zeit. Gekleidet sind sie – geht man von Lenina Crowne aus – in einem jugendlich-männlichen Stil. Sie sind insgesamt berufstätig, nehmen aber interessanterweise mit Ausnahme der „Eton Head Mistress[27]“ keine leitenden Stellungen ein, obwohl die Bemerkung „[...] how absurdly shy he had been! Frightened almost – as though she were a World Controller and he a Gamma-Minus machine minder[28]“ darauf hinweisen könnte, dass die potentielle Möglichkeit bestünde.
Das sexuelle Selbstbewußtsein der Frau in der Gesellschaft der Brave New World ist ambivalent. Einerseits ist sie in der Lage, die sexuelle Initiative zu ergreifen, sogar in zum Teil sehr aggressiver Art, wie Leninas Verhalten dem Wilden gegenüber in Kapitel XIII deutlich zeigt[29], andererseits wartet sie immer bis zu einem gewissen Punkt auf die Initiative des Mannes: „Then why on earth didn’t you say so? [...] Instead of drivelling award about knots and vacuum cleaners and lions, and making me miserable for weeks and weeks[30]“. Auch der Einsatz von Sexualität als Gegenleistung für ein zu erreichendes Ziel kommt am Rande vor, wenn zum Beispiel deutlich wird, dass jedes Mädchen sich dem sonst eher verschmähten Bernard Marx sexuell zur Verfügung stellt, wenn er nur die Möglichkeit einer Einladung zu einer seiner Abendgesellschaften mit dem Wilden ausspricht[31], oder wenn Lenina ihre Sexualität ganz selbstverständlich einsetzt, um für sie förderliche Kontakte mit berühmten Persönlichkeiten zu vertiefen[32]. Die sexuelle Selbstwahrnehmung der Frau in Huxleys Vision bezieht sich allerdings rein auf das Körperliche, wie Bernard Marx‘ Erkenntnis erahnen läßt: „She thinks of herself that way. She doesn’t mind being meat[33]“. Dass dieser auf Lenina bezogene Eindruck nicht allein auf einer außenstehenden männlichen Wahrnehmung beruht, wird daran deutlich, dass ihr sexuelles Selbstbewußtsein ebenfalls oberflächlicher Natur und leicht zu erschüttern ist, sobald ein Mann in irgendeiner Form Kritik an ihr übt. Dies wird veranschaulicht zum Beispiel durch den für Lenina unverständlichen Streit mit Bernard Marx, dessen tiefergehende Gründe sie sich letztendlich damit erklärt, dass er sie letztendlich doch zu dick gefunden habe[34], oder auch durch ihre Reaktion auf das ernüchternde Ende ihrer ersten Verabredung mit John, woraufhin sie ihren Kummer mit einer erhöhten Dosis Soma betäuben muss[35]. Diese Diskrepanz im Verhalten Leninas weist darauf hin, dass ein hundertprozentig selbstbewußtes, zielstrebiges und von männlichen Normen und Kriterien unabhängiges Verhalten von Frauen in sexueller Hinsicht dem Autor derart fremd und anstößig ist, dass er es sich noch nicht einmal bei allem utopischen Weitblick für die Frau der Zukunft vorstellen kann. Dies zeigt sich auch in der Reaktion der Männer auf das Verhalten der Frauen. So verzweifelt Bernard Marx an Leninas Oberflächlichkeit und bleibt bei der Feier der Einheitsandacht letztendlich unbefriedigt. Helmholz Watson verweigert sich aus intellektuellen Gründen allen willigen Mädchen und John hat sich in seine spiritualistische Körperfeindlichkeit derart zurückgezogen, dass ihm letztendlich Geißel und Selbstmord als einziger Ausweg aus der vermeintlichen Sündhaftigkeit erscheinen.
Im Gegensatz zu den männlichen Charakteren Bernard
Marx, Helmholz Watson und dem Wildenl, die alle auf die eine oder andere
Weise am System zweifeln und sich ihm widersetzen, ist Lenina wie alle anderen
dargestellten Frauen weitestgehend unkritisch, angepasst und leicht zu beeindrucken.
Obwohl sie sich entgegen dem Lehrsatz „Everyone belongs to everyone else“
leidenschaftlich in den Wilden verliebt und ihr Unglücklichsein nur mühsam
mit der Hilfe von Soma unterdrücken kann und sogar ihre Persönlichkeit verändert,
stellt sie bis zuletzt die Werte des Systems in keinster Weise in Frage,
sondern klammert sich im Gegenteil in jeder ihr bedrohlich erscheinenden
oder unverständlichen Situation an die Schlafschulweisheiten, an die sie
fest glaubt. Besonders deutlich tritt dies zum Beispiel hervor, als John
sie in Kapitel XIII beschimpft und gewaltsam bedroht und sie darauf nur verängstigt
mit einem dem Soma huldigenden Hypnopädiespruch reagieren kann[36],
oder wenn sie fast eine ganze Kommunikation nur mit Sprüchen dieser Art bestreitet[37].
Huxleys Beschreibung erscheint um so bedrohlicher, da Frauen wie Lenina Crowne
die angepasste Norm darstellen und nicht etwa die Ausnahme. Erst durch Formen
der individuellen Destabilisierung wie im Falle von Leninas unangepasster
leidenschaftlicher Verliebtheit in John und der dadurch hervorgerufenen Unsicherheit
und Schwäche erscheint die Frau wieder menschlich und ihr Verhalten nachvollziehbar,
nicht mehr fremd und grotesk.
Selbst Männer in gehobenen Positionen wie Mustafa
Mond oder der Direktor des Konditionierungszentrums kommen mit dem System
eher in Konflikt als jedes weibliche Mitglied des Staates, selbst wenn es
– wie das Beispiel von Johns Mutter Linda demonstriert – in eine Notlage
geraten oder von der Gesellschaft ausgeschlossen worden ist. Frauen werden
demnach als politisch unkritisch, in ihrer Meinung unselbständig und somit
leicht manipulierbar eingeschätzt. Auf der einen Seite erscheint die Frau
bei Huxley als vergnügungssüchtig, konsumorientiert, sexuell aggressiv und
promiskuitiv, aber andererseits auch als derart unkritisch und beeinflussbar,
dass sie den Weg für ein absolutistisches System – verspricht es nur Ordnung,
Luxus und Beständigkeit – zu ebnen in der Lage ist.
Neben den eher konservativen und negativen Klischees und der furchtsamen
und kritischen Haltung gegenüber der modernen Frau der Nachkriegszeit und
den gewandelten Moralvorstellungen seiner Zeit spiegelt sich so auch die
Angst des Autors vor einer versklavten, technisierten und endgültig kollektivierten
Welt unter anderem in der Darstellung der weiblichen Norm der Brave New World wider.
[1] Huxley, Aldous: Brave New World (1932), London 1979
S. 84f [im folg. zit.: BNW)
[2] ich beziehe mich in meinen allgemeinen Ausführungen auf die Entwicklungen in Deustchland und die deutsche Literatur der Weimarer Republik, möchte aber darauf hinweisen, dass sich das Beschriebene auch weitestgehend auf andere europäische Länder anwenden läßt und auf eine Betrachtung des Romans Brave New World in einem spezifisch englischen Zusammenhang verzichtet wird.
[3] für eine genauere Betrachtung des Einflusses der amerikanischen Kultur in diesem Punkt vgl. Cott, Nancy F.: Die moderne Frau. Der amerikanische Stil der Zwanziger Jahre, in: Duby, Georges/Perrot, Michelle: Geschichte der Frauen, Frankfurt a.M. 1995 [Bd. 5: Zwanzigstes Jahrhundert], S. 93-109
[4] Harrigan, Renny: Die emanzipierte Frau im deutschen Roman der Weimarer Republik, in: Elliot, James u.a. (Hrsg.): Stereotyp und Vorurteil in der Literatur. Untersuchungen zu Autoren des 2. Jahrhunderts, Göttingen 1978 [Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik; Beiheft 9], S. 65-83, hier S. 65
[5] einen breiten Überblick über den kulturelle Selbstdarstellung der Neuen Frau vgl. Vollmer-Heitmann, Hanna: Wir sind von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Die zwanziger Jahre [Frauenleben; Bd. 1]
[6] Hermand, Jost/Trommler, Frank: Die Kultur der Weimarer Republik, München 1978, S. 83f
[7] Harrigan, Renny: Die Sexualität der Frau in der deutschen Unterhaltungsliteratur 1918-1933, in: Helmut Berding u.a. (Hrsg): Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, Göttingen 1981[7. Jahrgang], S. 412-437, hier S. 420
[8] ebda., S. 415
[9] Krauss, Werner: Geist und Widergeist der Utopien, in: Barmeyer, Eike (Hrsg.): Science Fiction, München 1972, S. 23-47, hier S. 41
[10] Huxley, Aldous: Fashions in love, in: ders.: Do what
you will. Twelve essays (1929), London 1956, S. 130-142, hier S. 133f
[11] z.B. BNW, S. 81
[12] z.B. BNW, S. 45
[13] ebda.
[14] z.B. BNW. S. 28
[15] BNW S. 50
[16] ebda.
[17] BNW, S. 132
[18] vgl. BNW, S. 36f
[19] vgl. hierzu Kobler-Tomasek, Christiane: Ganzheitlichkeit und literarisches Experiment. Zum Verhältnis von Körper, Verstand, Seele und Geist im Werk Aldous Huxleys, Frankfurt a.M, 2000 [Europäische Hochschulschriften: Reihe 14, Angelsächsische Sprache und Literatur; Bd. 376], S. 138f
[20] Thiel, Berthold: Aldous Huxleys Brave
New World, Amsterdam 1980[Bochumer Anglistische Studien; Bd. 10), S.
76
[21] BNW, S. 41
[22] BNW, S. 192
[23] vgl. BNW, S. 70ff
[24] vgl. BNW, S. 134f
[25] z.B. BNW, S. 59
[26] vgl. BNW, S. 95
[27] BNW, S. 132
[28] BNW, S. 46
[29] BNW, S. 153 ff
[30] BNW, S. 155
[31] BNW, S. 128
[32] BNW, S. 135
[33] BNW, S. 81
[34] BNW, S. 82
[35] BNW, S. 139
[36] BNW, S. 157
[37] z.B. BNW, S. 67 ff oder auch BNW, S. 82