1977
merkt Michel Foucault gesprächsweise an, "dass es zumindest einen
Psychoanalytiker gibt, in Rio, der Berater für Folter ist… jemand,
der sich auf die ausgefeiltesten Methoden der gegenwärtigen
Psychoanalyse beruft…" Folter und Verhör werden hier in einen
Zusammenhang gebracht, den beide Praktiken schon lange unterhielten,
man denke nur an die Inquisition; neu ist, dass der Verhörte nun
gleichsam auf die Couch gelegt und Ärzte für die Einhaltung
der medizinischen Standards sorgen. Sind die Elektroden auch
desinfiziert? Gut, dann können wir beginnen… Der Fortschritt
führt aus der dunklen Folterkammer zum therapeutischen
Verhör, zur medizinischen Tortur.
Folter, führt Sven Kramer in seiner Studie
Die Folter in der
Literatur den Juristen und Autor E.T.A. Hoffmann an, dient dem
"sprechen machen wider Willen". Wenn ein Delinquent nicht "freiwillig"
spricht, tritt die Tortur in Funktion, um die Sachlage zu erforschen.
Wie die Beichte stellt auch die Folter eine Institution dar, die
Geständnisse produziert, in denen die Wahrheit "unserer selbst"
ans Licht treten kann. Ist im Falle der Beichte die Verpflichtung zum
Geständnis "so tief in Fleisch und Blut übergegangen", dass
man den "Zwang" zur Aussage gar nicht mehr spürt, so suchen die
Folterer noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerade im Fleisch nach der
Wahrheit des Subjekts. Dem Geständniszwang, den Foucault im
Subjekt selbst als Selbstzwang lokalisiert hat, stellt Kramer die
Folter des halsstarrigen, verschlagenen Verbrechers gegenüber, der
nicht gesteht, sondern lügt.
In Brasilien, so Foucault, überwachen Ärzte und
Psychoanalytiker Verhöre, die "als Folterungen ablaufen". In
seiner Studie über
Das Verhör. Geschichte, Theorie,
Fiktion vergleicht Michael Niehaus die Struktur des Verhörs
mit einer therapeutischen Sitzung. Kramer notiert die Rolle von
Psychiatern bei "folterähnlichen" Verhören im WKI.
Offensichtlich gibt es eine Schnittstelle, an der Medizin und
Psychologie, Körper und Bewusstsein, Folter und Verhör
zusammenfallen. Die Tortur will nicht den Tod des Verhörten,
sondern sein Geständnis.
Ärzte sorgen dafür, dass er nicht (vorzeitig) stirbt.
Psychologen werden benötigt, um ein Problem zu lösen, das
laut Niehaus der "Erkenntnistheorie der peinlichen Frage" seit jeher
innewohnt: "Ein auf der Folter erzieltes Geständnis steht unter
dem Verdacht, nicht der Wahrheit zu entsprechen." Starke
Missetäter könnten selbst unter Martern lügen. "Im
tollen Zwiespalt stand Rede und Gedanke", stellt Hoffmanns Protagonist
Medardus fest, als er durchaus "nicht sprach, was ich dachte."
Die
Wahrheit hinter den Worten
Der Diskurs der Folter stößt hier auf eine Differenz, die
Systemtheoretiker als Unterschied von Kommunikation und
psychophysischem System bezeichnen würden: Die Kommunikation folgt
eigenen Gesetzen und ist nie der unmittelbare Ausdruck eines
Körpers oder einer Psyche. Auch das Geständnis folgt
kommunikativen Regeln, und man kann es simulieren, wenn man diese
Regeln beherrscht. Selbst ein gestottertes Bekenntnis unter Tränen
kann unauthentisch sein. Da noch mehr Folter das Problem nicht
löst, werden Psychologen benötigt. Wie in der
psychoanalytischen Sitzung begnügt sich der
Folterverhörexperte nicht mit der manifesten Ebene der Sprache,
sondern erschließt die in der Kommunikation verborgene latente
Wahrheit. Täuschungen und Lügen, erläutert Niehaus den
Zusammenhang, werden als "Anomalie behandelt - als Krankheit, die es zu
heilen gilt". Der Inquisitor hilft dem Verhörten, zur
Wahrhaftigkeit zurückzufinden.
Es verwundert nicht, dass sich die Bücher von Niehaus und Kramer -
beides hochinteressante, interdisziplinär informierte, ansprechend
geschriebene und enorm belesene Habilitationsschriften - gelegentlich
auf dieselben Autoren beziehen. Tieck, Hoffmann oder Améry.
Kramer führt einen Brief Franz Kafkas an, in dem dieser
feststellt, er beschäftige sich mit "nichts anderem als mit
Gefoltert-werden und Foltern". Ein schöner Beleg für den
literarischen Rang des Themas. Niehaus dagegen beginnt sein
Kafka-Kapitel mit der Hypothese, für Kafka sei die Geburt der
Eintritt in eine "Verhörsituation".
Das Urteil, Der Heizer,
Der Prozess - überall finden Machtkämpfe statt, die ihren
Ausdruck in der Hierarchie des Verhörs finden, dessen
äußerste Grenze auch für Niehaus die Folter ist, die
"im Namen einer Institution zugefügt wird"; falls nicht, dann
wäre es kein Verhör, sondern "naturwüchsige" Gewalt.
Es ist gewinnbringend, nach Niehaus' Einordnung Kafkas in eine Theorie
und Geschichte des Verhörs Kramers Lektüre der
Strafkolonie
zu lesen, die vorführt, dass die Folter das Verhör nicht etwa
unterstützt, sondern ersetzt. Der Verurteilte wird erst gar nicht
"ausgefragt", dies hätte nur zu "Lügen" geführt, so der
Offizier, er soll sofort auf den Folter-Apparat. Die Schuld, wie so oft
bei Kafka, steht von vorneherein fest. Die Einschreibung des
übertretenen Gebots in den Körper des Delinquenten erzeugt
eine andere Wahrheit als das Verhör. Die Verklärung auf dem
Gesicht des Gefolterten, dessen Körper nach Stunden der Marter die
eingestochene Schrift des Gesetzes entziffert, führt vor
versammelter Mannschaft zur Epiphanie des Gesetzes. "Alle wussten:
jetzt geschieht Gerechtigkeit.
Die Folter richtet sich an die Zuschauer, die zu einer Gemeinschaft
vereint werden; an Aussagen des Gemarterten besteht dagegen kein
Interesse: Der Einsatz eines Mundstücks raubt dem Opfer die
Sprache. E.T.A. Hoffmann kritisierte die Tortur als Mittel, das zu
beliebigen Aussagen führt und keinesfalls die Wahrhaftigkeit des
Geständnisses garantiert. Kafkas Folterer ziehen die Konsequenz,
auf das Verhör zu verzichten und sich auf die Evidenz der Marter
selbst zu verlassen, die sich jedem Zuschauer mitteilt. Von hier aus
wären die Linien zu Abu Ghraib zu ziehen, denn die festgehaltenen
Folterszenen dienen ja nicht dem Verhör, sondern wenden sich an
den Zuschauer, um womöglich, wie in der
Strafkolonie, ein
"Gemeinschaftsgefühl" zu erzeugen.
Michael Niehaus: Das Verhör. Geschichte, Theorie, Fiktion.
Wilhelm Fink Verlag München 2003, 592 Seiten, 69 Euro.
Sven Kramer: Die Folter in der Literatur. Ihre Darstellung in
der deutschsprachigen Erzählprosa von 1740 bis "nach Auschwitz".
Wilhelm Fink Verlag, München 2004, 527 Seiten, 64 Euro.