Ausgabe vom 26.02.97

Der demokratisierte Cyberspace

Utopien und Ideologien zum Netz - Grundsatzdebatte unter Akademikern in München

Gesponsert vom Burda-Konzern, hat die "Akademie zum dritten Jahrtausend" in München übers Wochenende die "Zivilisierung des Cyberspace" beschlossen. Die Konferenz "Internet und Politik" schiesst ihre "Münchener Erklärung" in den Orkus und fordert weitere Subventionen. Wie verhält es sich mit der Politik im Internet?

VON NIELS WERBER

Deklarationen sind nichts Neues. Seit Jahrzehnten erklärt man sich und beschliesst, dass die Zukunft besser werde als die Gegenwart: multikultureller, gesünder, friedlicher etc. - meist ohne grosse Folgen. Im Zeitalter der sogenannten Informationsgesellschaft scheint dies anders zu sein, denn die Erklärungen aus jüngster Zeit unterscheiden sich von den Hunderten von Appellen dadurch, dass sie einem neuen Territorium eine Verfassung zu geben versuchen. Es geht ihnen um den Cyberspace, jenen digitalen Raum im globalen Rechnernetz, dessen soziale Geschäftsgrundlage noch nicht feststeht und dessen fluide Existenzform zu allerhand Hoffnungen ermutigt und keine noch so waghalsige Utopie sofort als Blödsinn entlarvt.

Gelobtes Land

Bislang haben zwei Deklarationen weltweit Beachtung gefunden. In ihrer "Magna Carta for the Knowledge Age" (22. August 1994) haben Esther Dyson, George Gilder, George Keyworth und Alvin Toffler den Cyberspace als gelobtes Land der Marktwirtschaft beschrieben. Im weltumspannenden Medium des Internets verwirkliche sich der liberale American dream in der Form "dynamischer Konkurrenz" von Konsumenten und Produzenten auf einem globalen, völlig transparenten Markt, wo jeder Tüchtige und Flexible, und lebe er in Indien oder Weissrussland, zu ungeahntem "Wohlstand" gelangen werde. Die Liberalen scheinen hier ihr Utopia gefunden zu haben, in dem kein Nationalstaat der unternehmerischen Freiheit im Wege steht.

Auf den liberalen Aufbruch in den Ultra-Kapitalismus folgte bald die libertäre Variante von John Perry Barlow, der einst Songs für "Grateful Dead" schrieb und nun eine "Cyberspace Independence Declaration" (8. Februar 1996) dichtete, in der Freiheit nicht freier Markt bedeutet, sondern Abwesenheit staatlicher Zwänge. "Governments of the Industrial World, you weary giants of flesh and steel, I come from Cyberspace, the new home of Mind...", beginnt Barlows Hymne. Seine Botschaft an die "müden Giganten" der analogen Welt ist zweifach. Erstens: Der Cyberspace ist (virtuell) anarchisch, basisdemokratisch, individualistisch, human, gerecht und politisch korrekt. Und zweitens: "leave us alone"! Es ist, als sei das Internet vor allem ein Netzwerk von Hippie-Kollektiven, deren Mitglieder friedlich und störungsfrei miteinander träumen. Cyberspace statt LSD, könnte die Devise lauten.

Zur öffentlichen Hand unterhält die soeben verabschiedete "Münchener Erklärung" (siehe Kasten) der "Akademie zum dritten Jahrtausend" ein ganz anderes Verhältnis. Claus Leggewie, Professor für Politikwissenschaft und einer der federführenden Köpfe des Manifests, hat es in seinen Beiträgen zur Konferenz "Internet und Politik" immer wieder gesagt: Demokratie kostet Geld, und der Staat soll zahlen. Aber wofür eigentlich? "Bundesregierung und Länder werden aufgerufen, die neuen Kommunikationsmedien institutionell so zu gestalten, dass die informationelle Grundversorgung gesichert und ein freier Zugang für alle Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist." Allen "Bildungseinrichtungen", jedem Bürger "unbeschränkten und kostenfreien Zugang" zu verschaffen, das werde "teuer", verkündet Leggewie mit einem gewissen Stolz, aber man wolle eben keine "Info-Elite", sondern eine andere Demokratie, an der endlich "alle Bürgerinnen und Bürger teilnehmen können". Diese Vision solle Wirklichkeit werden dank der "offenen, dezentralen und interaktiven Netze". Wofür das Geld ausgegeben werden soll, ist nun klar, bleibt die Frage, wer das warum bezahlen soll.

Mehr Demokratie ist toll, aber was kann das Internet dazu beitragen? Benjamin Barber, ebenfalls Politikwissenschaftler, hat auf dem Kongress vor der Verwechslung technischer Strukturen mit der politischen Realität gewarnt. Technologie sei stets ein Instrument der Politik. Man müsse also nach der Politik fragen, die sich des Internets bedient, statt von seiner Dezentralität und Interaktivität auf eine entsprechende "demokratischere" Gesellschaft zu schliessen. Barber stellt skeptische Fragen: Wem gehört das Netz? Wer entscheidet darüber, wer was wie und für wieviel im Netz erhält? Ist es nicht etwa Bill Gates, der Gatekeeper des Internets? Bringt ein ausgewiesen "demokratischer Nutzer" den kommerziellen Netzbetreibern Profit?

Die "Münchener Erklärung" fordert, dass alle öffentlichen Körperschaften ihrer "Informationspflicht" nachzukommen haben, in dem sie ihre Akten, Vorlagen, Verordnungen und Gesetze "den Bürgern kostenlos" im Netz zur Verfügung stellen, sie fordert weiterhin die Entwicklung "elektronischer Beteiligungsverfahren", mit denen die Bürger aktiv in die Diskussion von "Gesetzesentwürfen und Planungsvorhaben" eingreifen können.

Bürger im Netz

Die Visionäre der direkten Demokratie im Medium der Netze stellen sich allerdings nicht die Frage, woher denn die Zeit kommen solle, die zu dieser Partizipation nötig ist. Wer will schon langweilige Ausschussberichte durchlesen oder jeden Tag E-Mail-Müll von Bürgerbegehren aus aller Welt durcharbeiten, wenn das "dream-land" der "soft-goods" aus der Entertainment-Industrie nur einen Mausklick entfernt ist? Was würde die knappe Aufmerksamkeit der User in Konkurrenz mit einer Unzahl anderer Angebote gerade auf demokratische Projekte lenken, an denen sie mitwirkten. Denn der User ist schliesslich nicht nur Bürger, er ist auch Konsument. "Zugang für alle" ist zwar eine Voraussetzung für eine direkte WEB-Demokratie, aber kein hinreichender Grund für eine Realisierung der Erwartungen. Dies wissen vor allem die Amerikaner, die im Internet einen gigantischen Markt für Microsoft und Lucas Arts Entertainment sehen und erst dann ein Medium, das politische Projekte besser zu organisieren vermag.

An des Internets Wesen soll die Demokratie genesen, so die "Münchener Erklärung". Deshalb werden "Bundesregierung und Länder aufgefordert, für alle genannten Bereiche Pilotprojekte zu initiieren und beispielhafte Netzwerke zu fördern". Diese Subventionen sollen nicht nur die technischen Grundlagen für die "Zivilisierung des Cyberspace" legen, sondern auch vor der Kommerzialisierung der Netze schützen. Dies kann man auch ganz anders sehen. Geert Lovink von "De Digitalen Stad Amsterdam" betont, das niederländische Netzprojekt [http://www.dds.nl/] verzichte bewusst auf kommunale Gelder, um jeden Einfluss politischer Interessen zu vermeiden. Die niederländischen Netizens verdienen lieber Geld mit Software, statt sich an den Subventionstropf zu hängen.

Die liberale und libertäre Vision vom Cyberspace haben die Münchner Akademiker wohlfahrtsstaatlich beantwortet. Sie klingt wohl ein wenig langweilig, ist aber jedenfalls harmloser als die US-Ideologien. Ob die Botschaft aus München selbst zum "Mittel gegen politische Apathie" wird, darf bezweifelt werden. Nach Florian Rötzers Zählung für "Telepolis" hat an der Debatte der Akademie im Internet noch niemand teilgenommen.

"Münchner Erklärung":
http://www.akademie3000.de/overview/conf/politics/declaration/munch.html

"Magna Carta for the Knowledge Age":
http://www.townhall.com/pff/position.html

John Perry Barlow: "Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace":
http://info.bris.ac.uk/~lwmdcg/Dol.html

Florian Rötzer zur "Münchner Erklärung" in "Telepolis":
http://www.ix.de/tp/pol/8007/fhome.htm

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