Der
demokratisierte Cyberspace
Utopien und Ideologien zum Netz -
Grundsatzdebatte unter Akademikern in München
Gesponsert vom Burda-Konzern, hat die
"Akademie zum dritten Jahrtausend" in
München übers Wochenende die
"Zivilisierung des Cyberspace"
beschlossen. Die Konferenz "Internet und
Politik" schiesst ihre "Münchener
Erklärung" in den Orkus und fordert weitere
Subventionen. Wie verhält es sich mit der
Politik im Internet?
VON NIELS WERBER
Deklarationen sind nichts Neues. Seit
Jahrzehnten erklärt man sich und beschliesst,
dass die Zukunft besser werde als die Gegenwart:
multikultureller, gesünder, friedlicher etc. -
meist ohne grosse Folgen. Im Zeitalter der
sogenannten Informationsgesellschaft scheint dies
anders zu sein, denn die Erklärungen aus
jüngster Zeit unterscheiden sich von den
Hunderten von Appellen dadurch, dass sie einem
neuen Territorium eine Verfassung zu geben
versuchen. Es geht ihnen um den Cyberspace, jenen
digitalen Raum im globalen Rechnernetz, dessen
soziale Geschäftsgrundlage noch nicht feststeht
und dessen fluide Existenzform zu allerhand
Hoffnungen ermutigt und keine noch so waghalsige
Utopie sofort als Blödsinn entlarvt.
Gelobtes Land
Bislang haben zwei Deklarationen weltweit
Beachtung gefunden. In ihrer "Magna Carta
for the Knowledge Age" (22. August 1994)
haben Esther Dyson, George Gilder, George
Keyworth und Alvin Toffler den Cyberspace als
gelobtes Land der Marktwirtschaft beschrieben. Im
weltumspannenden Medium des Internets
verwirkliche sich der liberale American dream in
der Form "dynamischer Konkurrenz" von
Konsumenten und Produzenten auf einem globalen,
völlig transparenten Markt, wo jeder Tüchtige
und Flexible, und lebe er in Indien oder
Weissrussland, zu ungeahntem
"Wohlstand" gelangen werde. Die
Liberalen scheinen hier ihr Utopia gefunden zu
haben, in dem kein Nationalstaat der
unternehmerischen Freiheit im Wege steht.
Auf den liberalen Aufbruch in den
Ultra-Kapitalismus folgte bald die libertäre
Variante von John Perry Barlow, der einst Songs
für "Grateful Dead" schrieb und nun
eine "Cyberspace Independence
Declaration" (8. Februar 1996) dichtete, in
der Freiheit nicht freier Markt bedeutet, sondern
Abwesenheit staatlicher Zwänge.
"Governments of the Industrial World, you
weary giants of flesh and steel, I come from
Cyberspace, the new home of Mind...",
beginnt Barlows Hymne. Seine Botschaft an die
"müden Giganten" der analogen Welt ist
zweifach. Erstens: Der Cyberspace ist (virtuell)
anarchisch, basisdemokratisch, individualistisch,
human, gerecht und politisch korrekt. Und
zweitens: "leave us alone"! Es ist, als
sei das Internet vor allem ein Netzwerk von
Hippie-Kollektiven, deren Mitglieder friedlich
und störungsfrei miteinander träumen.
Cyberspace statt LSD, könnte die Devise lauten.
Zur öffentlichen Hand unterhält die soeben
verabschiedete "Münchener Erklärung"
(siehe Kasten) der "Akademie zum dritten
Jahrtausend" ein ganz anderes Verhältnis.
Claus Leggewie, Professor für
Politikwissenschaft und einer der federführenden
Köpfe des Manifests, hat es in seinen Beiträgen
zur Konferenz "Internet und Politik"
immer wieder gesagt: Demokratie kostet Geld, und
der Staat soll zahlen. Aber wofür eigentlich?
"Bundesregierung und Länder werden
aufgerufen, die neuen Kommunikationsmedien
institutionell so zu gestalten, dass die
informationelle Grundversorgung gesichert und ein
freier Zugang für alle Bürgerinnen und Bürger
gewährleistet ist." Allen
"Bildungseinrichtungen", jedem Bürger
"unbeschränkten und kostenfreien
Zugang" zu verschaffen, das werde
"teuer", verkündet Leggewie mit einem
gewissen Stolz, aber man wolle eben keine
"Info-Elite", sondern eine andere
Demokratie, an der endlich "alle
Bürgerinnen und Bürger teilnehmen
können". Diese Vision solle Wirklichkeit
werden dank der "offenen, dezentralen und
interaktiven Netze". Wofür das Geld
ausgegeben werden soll, ist nun klar, bleibt die
Frage, wer das warum bezahlen soll.
Mehr Demokratie ist toll, aber was kann das
Internet dazu beitragen? Benjamin Barber,
ebenfalls Politikwissenschaftler, hat auf dem
Kongress vor der Verwechslung technischer
Strukturen mit der politischen Realität gewarnt.
Technologie sei stets ein Instrument der Politik.
Man müsse also nach der Politik fragen, die sich
des Internets bedient, statt von seiner
Dezentralität und Interaktivität auf eine
entsprechende "demokratischere"
Gesellschaft zu schliessen. Barber stellt
skeptische Fragen: Wem gehört das Netz? Wer
entscheidet darüber, wer was wie und für
wieviel im Netz erhält? Ist es nicht etwa Bill
Gates, der Gatekeeper des Internets? Bringt ein
ausgewiesen "demokratischer Nutzer" den
kommerziellen Netzbetreibern Profit?
Die "Münchener Erklärung" fordert,
dass alle öffentlichen Körperschaften ihrer
"Informationspflicht" nachzukommen
haben, in dem sie ihre Akten, Vorlagen,
Verordnungen und Gesetze "den Bürgern
kostenlos" im Netz zur Verfügung stellen,
sie fordert weiterhin die Entwicklung
"elektronischer Beteiligungsverfahren",
mit denen die Bürger aktiv in die Diskussion von
"Gesetzesentwürfen und
Planungsvorhaben" eingreifen können.
Bürger im Netz
Die Visionäre der direkten Demokratie im
Medium der Netze stellen sich allerdings nicht
die Frage, woher denn die Zeit kommen solle, die
zu dieser Partizipation nötig ist. Wer will
schon langweilige Ausschussberichte durchlesen
oder jeden Tag E-Mail-Müll von Bürgerbegehren
aus aller Welt durcharbeiten, wenn das
"dream-land" der "soft-goods"
aus der Entertainment-Industrie nur einen
Mausklick entfernt ist? Was würde die knappe
Aufmerksamkeit der User in Konkurrenz mit einer
Unzahl anderer Angebote gerade auf demokratische
Projekte lenken, an denen sie mitwirkten. Denn
der User ist schliesslich nicht nur Bürger, er
ist auch Konsument. "Zugang für alle"
ist zwar eine Voraussetzung für eine direkte
WEB-Demokratie, aber kein hinreichender Grund
für eine Realisierung der Erwartungen. Dies
wissen vor allem die Amerikaner, die im Internet
einen gigantischen Markt für Microsoft und Lucas
Arts Entertainment sehen und erst dann ein
Medium, das politische Projekte besser zu
organisieren vermag.
An des Internets Wesen soll die Demokratie
genesen, so die "Münchener
Erklärung". Deshalb werden
"Bundesregierung und Länder aufgefordert,
für alle genannten Bereiche Pilotprojekte zu
initiieren und beispielhafte Netzwerke zu
fördern". Diese Subventionen sollen nicht
nur die technischen Grundlagen für die
"Zivilisierung des Cyberspace" legen,
sondern auch vor der Kommerzialisierung der Netze
schützen. Dies kann man auch ganz anders sehen.
Geert Lovink von "De Digitalen Stad
Amsterdam" betont, das niederländische
Netzprojekt [http://www.dds.nl/]
verzichte bewusst auf kommunale Gelder, um jeden
Einfluss politischer Interessen zu vermeiden. Die
niederländischen Netizens verdienen lieber Geld
mit Software, statt sich an den Subventionstropf
zu hängen.
Die liberale und libertäre Vision vom
Cyberspace haben die Münchner Akademiker
wohlfahrtsstaatlich beantwortet. Sie klingt wohl
ein wenig langweilig, ist aber jedenfalls
harmloser als die US-Ideologien. Ob die Botschaft
aus München selbst zum "Mittel gegen
politische Apathie" wird, darf bezweifelt
werden. Nach Florian Rötzers Zählung für
"Telepolis" hat an der Debatte der
Akademie im Internet noch niemand teilgenommen.
"Münchner Erklärung":
http://www.akademie3000.de/overview/conf/politics/declaration/munch.html
"Magna Carta for the Knowledge
Age":
http://www.townhall.com/pff/position.html
John Perry Barlow:
"Unabhängigkeitserklärung des
Cyberspace":
http://info.bris.ac.uk/~lwmdcg/Dol.html
Florian Rötzer zur "Münchner
Erklärung" in "Telepolis":
http://www.ix.de/tp/pol/8007/fhome.htm

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