Gesprächspartner
für Gott
Mark Dery untersucht in "Cyber" die
Visionen einer "Kultur der Zukunft"
In einem aufschlussreichen, bizarr
bebilderten Band hat der Autor Mark Dery die
Theoretiker des Cyberspace zu Wort kommen lassen.
Man glaubt ans Heil aus dem Glasfaserkabel.
VON NIELS WERBER
Der Jedi-Meister Joda im zweiten Teil der
"Star Wars"-Trilogie versucht seinem
Lehrling Luke Skywalker das Wesen der
"Macht" zu erklären. "Fühle den
Stein!" wird Luke aufgefordert. Dieses
Fühlen sei möglich, weil ein kosmisches Band
alles Sein von der anorganischen Materie bis zum
intelligenten Leben durchziehe und verbinde. Der
Kosmos werde durchwaltet von der Macht, deren
Gezeiten sich der Jedi bedienen könne.
Es war gleichfalls ein Stein, der beim
französischen Jesuiten und Paläontologen Pierre
Teilhard de Chardin (1883-1955) ein
Erweckungserlebnis auslöste. Teilhard spürte
plötzlich eine göttliche Energie, die im Stein
pulsierte und ihn mit der gesamten Schöpfung
verband. Teilhard wusste nun, dass ein globales
Netzwerk verborgener Energie existiert, deren
Erforschung er sich künftig widmet. Teilhards
Philosophie war in den USA der 60er Jahre
College-Lektüre - der "Star
Wars"-Erfinder George Lucas wird davon
gehört haben.
Der obskure Priester
Teilhards Thesen galten zu seiner Zeit der
Kirche wie der Scientific Community als dubios,
seine zumeist postum publizierten Schriften
wurden kaum wahrgenommen. Heute fällt der Name
des obskuren Priesters im Zusammenhang mit der
Cyberkultur mit verblüffender Häufigkeit. Das
wichtigste Organ der kalifornischen
Netz-Ideologie, "hot-wired", hat
Teilhard einen umfangreichen Artikel gewidmet [http://www.wired.com/
wired/3.06/departments/
electrosphere/teilhard.html].
Unterschiedliche Geister wie John Perry Barlow,
der Begründer der Electronic Frontier Foundation
und Verfasser der Unabhängigkeitserklärung des
Cyberspace, und US-Vizepräsident Al Gore, der
Initiator des Information-Highway-Projektes,
berufen sich auf Teilhard - aber warum?
Weil die "in der cyberdelischen Kultur
geläufigen Wahrheiten" eine starke Tendenz
zu endzeitlichen Visionen haben, lautet in einem
neuen Buch die Antwort des Verfassers Mark Dery.
Teilhard vertritt eine der Kirche hochsuspekte
Theorie von der Evolution des irdischen Lebens,
die in drei grossen Schüben verlaufe. Phase eins
habe zur Entstehung organischen Lebens geführt,
Phase zwei habe den Menschen mit seiner
Fähigkeit zur Selbstreflexion hervorgebracht,
die noch bevorstehende Phase drei wird den
gesamten Planeten mit einem einzigen Bewusstsein
seiner selbst ausstatten. Teilhard verkünde das
Kommen einer "Ultramenschheit", die in
einem "kosmischen Christus" zu sich
selbst kommen werde, der "die Vollendung des
evolutionären Prozesses" sei. Gott habe der
Schöpfung dieses Entwicklungsprogramm
eingeschrieben, um am Ende der Geschichte endlich
über einen adäquaten Gesprächspartner zu
verfügen.
Marshall McLuhan, der nicht nur einer der
wirkungsmächtigsten Medientheoretiker, sondern
auch ein "frommer Katholik" war, hat
Teilhards Lehre adaptiert. Die Verschmelzung der
Menschen und der Welt in ein universales
Bewusstsein werde sich im Medium der neuen Medien
vollziehen. Die globalen Datenströme der
Kommunikation seien die Nervenbahnen des
"kosmischen Bewusstseins". Ausgerechnet
in einem "Playboy"-Interview
verkündete McLuhan, "dass sich der Planet
in den kommenden Jahrzehnten zu einer
künstlichen Form verwandeln wird; der neue
Mensch, integriert in eine kosmische Harmonie,
die Zeit und Raum übersteigt, wird selbst zu
einer organischen Kunstform werden". Die nur
als "Fragmente" über die Welt
verstreuten Menschen werden endlich eins werden
im "mystischen Körper Christi". Wie
Teilhard erwartet McLuhan die Realisierung dieser
Gottwerdung von der "Technik". Seine
berühmte These von den Medien als
"extensions of man" bekommt so eine
religiöse Nebenbedeutung, die von
avantgardistischen Künstlern wie dem
Roboterdesigner Stelarc aufgegriffen worden ist.
Das aus den Körpern in die Rechnernetze
verlagerte Gesamtbewusstsein der Menschheit ist
der Fluchtpunkt einer technischen wie
heilsgeschichtlichen Entwicklung.
Das globale Gehirn
Wer Mark Dery bei seinem kenntnisreichen
Rundgang durch die zahlreichen Cyber-Subkulturen
folgt, vermag die hohe Attraktivität zu
begreifen, die von derartigen Lehren ausgeht.
Teilhards Prophetie, Gott schaffe sich qua
Evolution einen Partner, beflügelt all jene, die
von der Erschaffung künstlichen Lebens
begeistert sind. Cyborgs oder
Cyberspace-Intelligenzen wären für den
glücklichen Erfinder das, was für Gott die
Ultramenschheit sein wird. Kevin Kelly,
stellvertretender Chefredaktor von
"Wired", glaubt mit Teilhard und
McLuhan, dass das weltweite Datenverbundnetz ein
"externes Nervensystem" sei, das
"uns jenseits unserer Körper - im
wörtlichen Sinne - in Verbindung zueinander
bringe". Aus dieser Verschaltung der
verdrahteten ("wired") Psychen, die
dann "unvermittelt" miteinander
kommunizieren wie Darth Vader und seine Kinder,
werde in einem "evolutionären Prozess"
eine "neue Lebensform" hervorgehen.
R. U. Sirius, Begründer des Netz-Magazins
"Mondo 2000", glaubt gleichfalls an die
Zusammenschaltung der Internet-User zu einem
"globalen Gehirn". Und J. P. Barlow
teilt Dery mit, dass "Gott jemanden wollte,
mit dem er auf dem gleichen Niveau sprechen
kann". Im World Wide Web, das Teilhard
vorausgesagt habe, werde sich "The Great
Work" (Barlow) vollziehen.
Man erhält den zwingenden Eindruck, dass es
sich bei dem Diskurs, den die Cyberkultur über
sich selbst hervorbringt, weniger um
medientheoretische als um theologische
Spekulationen handelt. Dery begreift denn auch
den "High-Tech-Millenniarismus" als
Technoversion der "Verzückung
wiedergeborener Christen", deren
Heilserwartungen es gestatten, mit ewig gutem
Gewissen und grenzenlosem Optimismus eine
grenzenlose "Technophilie" auszuleben
und wirtschaftlich zu verwerten, gleichzeitig
aber von allen "politischen und
sozioökonomischen Umständen" und Folgen
abzusehen. Jeder verlegte Meter Breitbandkabel,
jeder verkaufte Computer, jede ans Netz gebrachte
Schule, jede neue Software kann somit von den
"Cyberianern", wie Dery sie nennt,
nicht nur als ökonomischer Erfolg verbucht
werden, sondern zugleich als weitere
"Station" auf der "Reise" zum
"Ultra-Humanen". Noch einige Kilometer
Glasfaser mehr, und wir werden sein wie Gott!
Das gute Gewissen
Ganz genau wie die puritanischen
Pilgrim-Väter Amerikas an ihrer wirtschaftlichen
Prosperität den Stand der Gnade Gottes abzulesen
vermochten und somit dem Kapitalismus ein solides
religiöses Motiv zu geben vermochten,
verschaffen die Vordenker der Cyberkultur den
gigantischen Medienunternehmen der USA eine neue
Religion mit globalem Anspruch für Mitarbeiter
wie Konsumenten. Auf dieser Grundlage lässt sich
auch die erstaunliche Zusammensetzung der Leser
von Magazinen wie "Wired" oder
"Mondo 2000" begreifen, auf die Vivian
Sobschak (UCLA) aufmerksam gemacht hat. "Ein
grosser Teil der Leserschaft besteht aus
Geschäftsleuten in der Computerindustrie",
die identisch seien mit jenen "Hackern und
Crackern und Cyberpunks", deren
"Sichtweisen und utopische Träume" von
den Netz-Magazinen bedient werden. Religiöses
Sektierertum und neoliberale Wirtschaftsideologie
sind zwei Seiten derselben Dollar-Münze.
Es gehört zu den Stärken des Buches, dass
Dery viele kritische Beobachter der Cyberkultur
zu Wort kommen und gleichsam Wasser in das Feuer
der Netz-Enthusiasten giessen lässt, doch fällt
gerade im Kontrast hierzu auf, dass Derys
eigenständige Analysen eher knapp ausfallen. Als
informierter wie skeptischer Fremdenführer durch
die Welt des Virtuellen leistet er allerdings
vorzügliche Arbeit. Reizvoll ist der Band auch
wegen seines zum Teil bizarren Bildteils, der
einige Cyberspacer bei der Arbeit an ihrer
Apotheose zeigt.
Mark Dery: Cyber. Die Kultur der Zukunft.
Verlag Volk & Welt, Berlin, 410 S., 44
Franken.
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