Ausgabe vom 06.05.97

Gesprächspartner für Gott

Mark Dery untersucht in "Cyber" die Visionen einer "Kultur der Zukunft"

In einem aufschlussreichen, bizarr bebilderten Band hat der Autor Mark Dery die Theoretiker des Cyberspace zu Wort kommen lassen. Man glaubt ans Heil aus dem Glasfaserkabel.

VON NIELS WERBER

Der Jedi-Meister Joda im zweiten Teil der "Star Wars"-Trilogie versucht seinem Lehrling Luke Skywalker das Wesen der "Macht" zu erklären. "Fühle den Stein!" wird Luke aufgefordert. Dieses Fühlen sei möglich, weil ein kosmisches Band alles Sein von der anorganischen Materie bis zum intelligenten Leben durchziehe und verbinde. Der Kosmos werde durchwaltet von der Macht, deren Gezeiten sich der Jedi bedienen könne.

Es war gleichfalls ein Stein, der beim französischen Jesuiten und Paläontologen Pierre Teilhard de Chardin (1883-1955) ein Erweckungserlebnis auslöste. Teilhard spürte plötzlich eine göttliche Energie, die im Stein pulsierte und ihn mit der gesamten Schöpfung verband. Teilhard wusste nun, dass ein globales Netzwerk verborgener Energie existiert, deren Erforschung er sich künftig widmet. Teilhards Philosophie war in den USA der 60er Jahre College-Lektüre - der "Star Wars"-Erfinder George Lucas wird davon gehört haben.

Der obskure Priester

Teilhards Thesen galten zu seiner Zeit der Kirche wie der Scientific Community als dubios, seine zumeist postum publizierten Schriften wurden kaum wahrgenommen. Heute fällt der Name des obskuren Priesters im Zusammenhang mit der Cyberkultur mit verblüffender Häufigkeit. Das wichtigste Organ der kalifornischen Netz-Ideologie, "hot-wired", hat Teilhard einen umfangreichen Artikel gewidmet [http://www.wired.com/ wired/3.06/departments/ electrosphere/teilhard.html]. Unterschiedliche Geister wie John Perry Barlow, der Begründer der Electronic Frontier Foundation und Verfasser der Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace, und US-Vizepräsident Al Gore, der Initiator des Information-Highway-Projektes, berufen sich auf Teilhard - aber warum?

Weil die "in der cyberdelischen Kultur geläufigen Wahrheiten" eine starke Tendenz zu endzeitlichen Visionen haben, lautet in einem neuen Buch die Antwort des Verfassers Mark Dery. Teilhard vertritt eine der Kirche hochsuspekte Theorie von der Evolution des irdischen Lebens, die in drei grossen Schüben verlaufe. Phase eins habe zur Entstehung organischen Lebens geführt, Phase zwei habe den Menschen mit seiner Fähigkeit zur Selbstreflexion hervorgebracht, die noch bevorstehende Phase drei wird den gesamten Planeten mit einem einzigen Bewusstsein seiner selbst ausstatten. Teilhard verkünde das Kommen einer "Ultramenschheit", die in einem "kosmischen Christus" zu sich selbst kommen werde, der "die Vollendung des evolutionären Prozesses" sei. Gott habe der Schöpfung dieses Entwicklungsprogramm eingeschrieben, um am Ende der Geschichte endlich über einen adäquaten Gesprächspartner zu verfügen.

Marshall McLuhan, der nicht nur einer der wirkungsmächtigsten Medientheoretiker, sondern auch ein "frommer Katholik" war, hat Teilhards Lehre adaptiert. Die Verschmelzung der Menschen und der Welt in ein universales Bewusstsein werde sich im Medium der neuen Medien vollziehen. Die globalen Datenströme der Kommunikation seien die Nervenbahnen des "kosmischen Bewusstseins". Ausgerechnet in einem "Playboy"-Interview verkündete McLuhan, "dass sich der Planet in den kommenden Jahrzehnten zu einer künstlichen Form verwandeln wird; der neue Mensch, integriert in eine kosmische Harmonie, die Zeit und Raum übersteigt, wird selbst zu einer organischen Kunstform werden". Die nur als "Fragmente" über die Welt verstreuten Menschen werden endlich eins werden im "mystischen Körper Christi". Wie Teilhard erwartet McLuhan die Realisierung dieser Gottwerdung von der "Technik". Seine berühmte These von den Medien als "extensions of man" bekommt so eine religiöse Nebenbedeutung, die von avantgardistischen Künstlern wie dem Roboterdesigner Stelarc aufgegriffen worden ist. Das aus den Körpern in die Rechnernetze verlagerte Gesamtbewusstsein der Menschheit ist der Fluchtpunkt einer technischen wie heilsgeschichtlichen Entwicklung.

Das globale Gehirn

Wer Mark Dery bei seinem kenntnisreichen Rundgang durch die zahlreichen Cyber-Subkulturen folgt, vermag die hohe Attraktivität zu begreifen, die von derartigen Lehren ausgeht. Teilhards Prophetie, Gott schaffe sich qua Evolution einen Partner, beflügelt all jene, die von der Erschaffung künstlichen Lebens begeistert sind. Cyborgs oder Cyberspace-Intelligenzen wären für den glücklichen Erfinder das, was für Gott die Ultramenschheit sein wird. Kevin Kelly, stellvertretender Chefredaktor von "Wired", glaubt mit Teilhard und McLuhan, dass das weltweite Datenverbundnetz ein "externes Nervensystem" sei, das "uns jenseits unserer Körper - im wörtlichen Sinne - in Verbindung zueinander bringe". Aus dieser Verschaltung der verdrahteten ("wired") Psychen, die dann "unvermittelt" miteinander kommunizieren wie Darth Vader und seine Kinder, werde in einem "evolutionären Prozess" eine "neue Lebensform" hervorgehen.

R. U. Sirius, Begründer des Netz-Magazins "Mondo 2000", glaubt gleichfalls an die Zusammenschaltung der Internet-User zu einem "globalen Gehirn". Und J. P. Barlow teilt Dery mit, dass "Gott jemanden wollte, mit dem er auf dem gleichen Niveau sprechen kann". Im World Wide Web, das Teilhard vorausgesagt habe, werde sich "The Great Work" (Barlow) vollziehen.

Man erhält den zwingenden Eindruck, dass es sich bei dem Diskurs, den die Cyberkultur über sich selbst hervorbringt, weniger um medientheoretische als um theologische Spekulationen handelt. Dery begreift denn auch den "High-Tech-Millenniarismus" als Technoversion der "Verzückung wiedergeborener Christen", deren Heilserwartungen es gestatten, mit ewig gutem Gewissen und grenzenlosem Optimismus eine grenzenlose "Technophilie" auszuleben und wirtschaftlich zu verwerten, gleichzeitig aber von allen "politischen und sozioökonomischen Umständen" und Folgen abzusehen. Jeder verlegte Meter Breitbandkabel, jeder verkaufte Computer, jede ans Netz gebrachte Schule, jede neue Software kann somit von den "Cyberianern", wie Dery sie nennt, nicht nur als ökonomischer Erfolg verbucht werden, sondern zugleich als weitere "Station" auf der "Reise" zum "Ultra-Humanen". Noch einige Kilometer Glasfaser mehr, und wir werden sein wie Gott!

Das gute Gewissen

Ganz genau wie die puritanischen Pilgrim-Väter Amerikas an ihrer wirtschaftlichen Prosperität den Stand der Gnade Gottes abzulesen vermochten und somit dem Kapitalismus ein solides religiöses Motiv zu geben vermochten, verschaffen die Vordenker der Cyberkultur den gigantischen Medienunternehmen der USA eine neue Religion mit globalem Anspruch für Mitarbeiter wie Konsumenten. Auf dieser Grundlage lässt sich auch die erstaunliche Zusammensetzung der Leser von Magazinen wie "Wired" oder "Mondo 2000" begreifen, auf die Vivian Sobschak (UCLA) aufmerksam gemacht hat. "Ein grosser Teil der Leserschaft besteht aus Geschäftsleuten in der Computerindustrie", die identisch seien mit jenen "Hackern und Crackern und Cyberpunks", deren "Sichtweisen und utopische Träume" von den Netz-Magazinen bedient werden. Religiöses Sektierertum und neoliberale Wirtschaftsideologie sind zwei Seiten derselben Dollar-Münze.

Es gehört zu den Stärken des Buches, dass Dery viele kritische Beobachter der Cyberkultur zu Wort kommen und gleichsam Wasser in das Feuer der Netz-Enthusiasten giessen lässt, doch fällt gerade im Kontrast hierzu auf, dass Derys eigenständige Analysen eher knapp ausfallen. Als informierter wie skeptischer Fremdenführer durch die Welt des Virtuellen leistet er allerdings vorzügliche Arbeit. Reizvoll ist der Band auch wegen seines zum Teil bizarren Bildteils, der einige Cyberspacer bei der Arbeit an ihrer Apotheose zeigt.

Mark Dery: Cyber. Die Kultur der Zukunft. Verlag Volk & Welt, Berlin, 410 S., 44 Franken.

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