zurück

Der involvierte Beobachter

Meist milde, manchmal bös: Persönliche Begegnungen mit Niklas Luhmann

Von Niels Werber

Niklas Luhmann hat ein Werk von gigantischem Umfang hinterlassen. Aber diese Quantität der Produktion war immer nur zweitrangig, erstrangig dagegen die Theorie, deren Implikationen Luhmann immer wieder in wenigen abgründigen Sätzen zu kondensieren vermochte. Sechs seiner Weggefährten haben nun in einem schmalen Band gezeigt, daß Kürze ein Gewinn sein kann. An dem Tag, an dem Luhmann 71 Jahre alt geworden wäre, wurden sechs Vorträge gehalten, deren Lektüre nicht nur wegen ihrer Pointiertheit, bisweilen sogar literarischen Dichte interessant ist. Sie versuchen auch, sich ausgerechnet jenem Soziologen persönlich zu nähern, der den Menschen aus der Gesellschaft vertrieben haben soll.

Es zeigt sich, daß hinter der Systemsoziologie, von deren Schlüsseltexten Luhmann immer behauptet hat, sie schrieben sich selbst, doch ein Verfasser steht. Luhmanns Eigenschaften im Umgang mit Menschen, seine meist milde, manchmal böse Ironie, seine Liebenswürdigkeit, seine kühle Distanz und seine luciferische Besessenheit scheinen in keinem zufälligen Verhältnis zu seinem Werk zu stehen. Die kleinen, persönlichen Anekdoten über Luhmanns Arbeit in Universitätskommissionen, über gemeinsame Ausflüge, Lehrveranstaltungen oder Gespräche auf dem Korridor beleuchten die unterschiedlichsten Facetten seines Werks und belegen sechsfach und unisono, wie involviert der Beobachter in das ist, was er beobachtet. Auch seine langjährigen Kollegen und Freunde sehen nur, was sie sehen - diese Einsicht führt zurück zur Grundüberzeugung von Luhmanns "reflexiver Soziologie", daß nämlich eine Gesellschaftstheorie immer auch eine Theorie ihrer Gesellschaft ist. Und die Vorträge zu seinem Gedenken zeigen, daß Luhmanns Soziologie auch immer die Soziologie des Niklas Luhmann ist: eine Soziologie, die nur er so schreiben konnte.

Rudolf Stichweh (Hrsg.): Niklas Luhmann. Wirkungen eines Theoretikers. transcript verlag, Bielefeld 1999, 72 Seiten, 18 DM.

 

[ dokument info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 1999
Dokument erstellt am 14.05.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 15.05.1999

 

zurück