Überall und um
die Uhr auf Draht
Der Yuppie-Hacker - eine neue Chimäre im
Cyberspace: Ein Reality-Thriller zum Internet
Nach einer wilden Jagd durchs Internet hat
der kalifornische Wunder-Program-mierer Tsutomu
Shimomura den Hacker Kevin Mitnick westernmässig
im Duell gestellt. Der Fall erregte Aufsehen bis
in die "New York Times". Nun hat
Shimomura ein Buch geschrieben - ein neuer
Prototyp der Telearbeitsgesellschaft.
VON NIELS WERBER
"Data Zone" berichtet von einem
Diebstahl, der sich im Internet ereignet hat. Ein
PC-Freak hat private und Firmengeheimnisse
belauscht und Daten im Millionenwert erbeutet.
Ein kapitales Verbrechen ist begangen worden,
doch die "Hackerjagd im Internet", die
Tsutomu Shimomura als Doku-Thriller mit
stilistischer Unterstützung von John Markoff von
der "New York Times" schreibt, führt
nicht durch unsere reale Welt, sondern durch das
globale Netz der Computer, Datenbänke und
Telekommunikationseinrichtungen: Shimomura ist
ein Einbruchsopfer, das mit Erfolg die Jagd
aufnimmt und schliesslich bei Kevin Mitnick
landet, dem bösen Hacker, dessen Konterfei schon
mit der Unterschrift "most wanted" die
Titelseite der "New York Times" geziert
hat.
Shimomura ist Jahrgang 1965. Als Wunderknabe
überspringt er ein paar Klassen, programmiert
mit 14 Unix für Projekte der
Princeton-Universität, erhält mit 20 ein
Habilitationsstipendium und wird 1989 Senior
Fellow am San Diego Supercomputer Center. Es ist
eine Silicon-Valley-Story: eine rasante Karriere
im explosionsartig expandierenden Bereich der
Hard- und Softwareentwicklung. 30jährig gilt
Shimomura als führender Experte für
Computersicherheit. Ausgerechnet in das Netzwerk
dieses Top-Sicherheitsfachmanns, der für
Regierungsstellen kryptographische Programme
schreibt und von der NSA gesponsert wird, bricht
ein "Cyberthief" ein und wirft dem
"Japboy" den Fehdehandschuh ins
Gesicht.
Der Pseudo-Hippie
Nichts Verdächtiges, Schmuddeliges ist an
dieser vercomputerten Existenz. Shimomuras
Freundin Julia, einst Apple-Angestellte, ist
"eine gute Yogalehrerin" und
Naturfreundin, sie "liebt Berge", wie
man hört, "und ist in den Himalaja
aufgebrochen". Das Paar, dessen
erschütternd biederer Weg in die Zweisamkeit
miterzählt wird, stellt einen Zwitter dar aus
Hippie-Revival und "Melrose
Place"-Lebensstil: Es ernährt sich gesund
und meistens vegetarisch.
Dieses Leben hat dem "echten Hacker"
Shimomura eine Ideologie beschert, die seinem
Selbstverständnis zutiefst widerspricht und
daher von all den Insignien der Hippie- und
Surfer-Kultur um so entschiedener zugedeckt
werden muss. Diese Ideologie wird auch in den
hippen Online-Zeitschriften der Westcoast nicht
reflektiert. Hinter der Fassade des Hackers, der
lange Haare, Shorts, T-Shirt mit technischem
Emblem, Gortetext-Jacke und Sandalen ohne Socken
trägt, lauert der Yuppie, zu dem Shimomura zwar
der Anzug fehlt, nicht aber die Gesinnung.
Der Pseudowestern
"Die sind einfach unfähig, wie überall
im Staatsapparat." Shimomuras schlichte
Auskunft über staatliche Einrichtungen wird
unablässig wiederholt. "Überall"
greifen überflüssige Behörden mit unsinnigen
Vorschriften in Dinge ein, von denen sie nichts
verstehen und die man besser der privaten
Initiative der Jungen und Cleveren überlässt.
Steuern werden unmittelbar in Hindernisse
transformiert, die wegzuräumen eines Samurais
würdig wäre. SA, FBI, CERT, Justizministerium,
Bundes-Marshalls sind langsam und unnütz, wenn
nicht teuer und schädlich.
Neben diese neokonservative Vorstellung des
Staates als jede Eigeninitiative erdrückende
Riesen-Kraake tritt die Überzeugung, der
Nachtwächterstaat habe nur eine wirkliche
Aufgabe, nämlich das Privateigentum seiner
Bürger zu schützen. Heilig sind Shimomura das
Urheberrecht, der Firmen- und der Privatbesitz.
Wenn jemand diese Rechte schändet, dann ist eine
starke Exekutive gefragt, die durchgreift. Dass
aber der effizienten Verfolgung digitaler Diebe
zahlreiche Vorschriften und Datenschutzgesetze im
Wege stehen, bestätigt einmal mehr die Ansicht,
dass der Staat an seinen ureigensten Aufgaben
scheitert - die Westernmentalität.
Wie die Putzfrau
Der Hacker-Yuppie verbindet nicht nur das
Ressentiment der 60er gegen den Staat mit den
Newt-Gingrich-Tiraden der 90er, er kombiniert
auch den Zug aufs Land der Blumenkinder mit den
Arbeitsbedingungen des Telecomuting. "Meine
Arbeit kann ich von jedem beliebigen Ort aus
tun." Shimomura siedelt mit "ein paar
Unix-Workstations" für 4 Monate in die
Berge, wo er "über einen schnellen
digitalen Telefonanschluss mit der
Aussenwelt" Kontakt hält. Diese
Ortslosigkgeit des Arbeitsplatzes korrespondiert
mit dem neuen Typ des Einmannunternehmers, der
seine Arbeitskraft als "Auftragnehmer und
Unternehmer" verkauft und sich gleichsam
selbst ausbeutet (Andreas Zielcke).
Grundsätzlich ist jede Putzfrau selbständig,
wenn sie nicht mehr nach Stunden bezahlt wird,
sondern einen Auftrag erhält, dies oder das
sauber zu halten. Dafür braucht sie 4, 8 oder 16
Stunden, der Verdienst wird der gleiche sein.
Der Programmentwickler in seiner Holzhütte
ist ein Global player, der auf dem Weltmarkt mit
jedem anderen Hacker mit Modem um Aufträge
konkurriert. Da man in dieser neuen
Organisationsform das Gefühl hat, nur für sich
selbst zu arbeiten, ist die Arbeitsbereitschaft
enorm hoch. Shimomuras 39-Stunden-Nonstop-Einsatz
zeigt, was für Potentiale hier zu erschliessen
sind, ohne dass die Auftraggeber sich um Folge-
oder Nebenkosten zu scheren hätten. Selbst der
österreichische Bundesminister Scholten erhofft
sich von der Telearbeit eine Reintegration von
Familie und Beruf. Shimomura und Julia leben vor,
wie dies gelingen könnte: Nicht das
"Heim" modifiziert die Arbeit, sondern
umgekehrt.
Das dank omnipräsenter
Telekommunikationsanlagen stets erreichbare Paar
verfügt nur noch über Schwundstufen von
privatem Raum und Zeit - jederzeit und überall
ist die Einsatzbereitschaft der Telearbeiter
gefragt. Shimomura arbeitet am Handy selbst dann
noch, wenn er Rollschuh läuft. In den Wohnungen
der Cyber-Hippies steht in jedem Raum ein
Terminal, selbst in der Garderobe. Diese
permanente Einsatzfähigkeit macht den
Yuppie-Hacker in Verbindung mit seinem
Gesundheitsbewusstsein und Fitnesswahn zum
idealen Arbeiter des nächsten Jahrtausends, ohne
dass man es noch mit lästigen Tarifverträgen,
Lohnnebenkosten oder gar Lohnfortzahlungen im
Krankheitsfall zu tun hätte. Man braucht nur
noch einen Auftrag zu erteilen. Während manche
Kulturkritiker diese neue Telearbeitsgesellschaft
erst für die Zukunft erwarten, hat Shimomura
bereits einen Prototypen realisiert. "Data
Zone" ist eine Chiffre für die kommende
Epoche.
Tsutomu
Shimomura: "Data Zone. Die Hackerjagd im
Internet", DTV 1996, 330 Seiten, 31.50
Franken.
Der Fall im Netz

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