Update: 07.11.96, 23.01 Uhr

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Der Yuppie-Hacker - eine neue Chimäre im Cyberspace: Ein Reality-Thriller zum Internet

Nach einer wilden Jagd durchs Internet hat der kalifornische Wunder-Program-mierer Tsutomu Shimomura den Hacker Kevin Mitnick westernmässig im Duell gestellt. Der Fall erregte Aufsehen bis in die "New York Times". Nun hat Shimomura ein Buch geschrieben - ein neuer Prototyp der Telearbeitsgesellschaft.

VON NIELS WERBER

"Data Zone" berichtet von einem Diebstahl, der sich im Internet ereignet hat. Ein PC-Freak hat private und Firmengeheimnisse belauscht und Daten im Millionenwert erbeutet. Ein kapitales Verbrechen ist begangen worden, doch die "Hackerjagd im Internet", die Tsutomu Shimomura als Doku-Thriller mit stilistischer Unterstützung von John Markoff von der "New York Times" schreibt, führt nicht durch unsere reale Welt, sondern durch das globale Netz der Computer, Datenbänke und Telekommunikationseinrichtungen: Shimomura ist ein Einbruchsopfer, das mit Erfolg die Jagd aufnimmt und schliesslich bei Kevin Mitnick landet, dem bösen Hacker, dessen Konterfei schon mit der Unterschrift "most wanted" die Titelseite der "New York Times" geziert hat.

Shimomura ist Jahrgang 1965. Als Wunderknabe überspringt er ein paar Klassen, programmiert mit 14 Unix für Projekte der Princeton-Universität, erhält mit 20 ein Habilitationsstipendium und wird 1989 Senior Fellow am San Diego Supercomputer Center. Es ist eine Silicon-Valley-Story: eine rasante Karriere im explosionsartig expandierenden Bereich der Hard- und Softwareentwicklung. 30jährig gilt Shimomura als führender Experte für Computersicherheit. Ausgerechnet in das Netzwerk dieses Top-Sicherheitsfachmanns, der für Regierungsstellen kryptographische Programme schreibt und von der NSA gesponsert wird, bricht ein "Cyberthief" ein und wirft dem "Japboy" den Fehdehandschuh ins Gesicht.

Der Pseudo-Hippie

Nichts Verdächtiges, Schmuddeliges ist an dieser vercomputerten Existenz. Shimomuras Freundin Julia, einst Apple-Angestellte, ist "eine gute Yogalehrerin" und Naturfreundin, sie "liebt Berge", wie man hört, "und ist in den Himalaja aufgebrochen". Das Paar, dessen erschütternd biederer Weg in die Zweisamkeit miterzählt wird, stellt einen Zwitter dar aus Hippie-Revival und "Melrose Place"-Lebensstil: Es ernährt sich gesund und meistens vegetarisch.

Dieses Leben hat dem "echten Hacker" Shimomura eine Ideologie beschert, die seinem Selbstverständnis zutiefst widerspricht und daher von all den Insignien der Hippie- und Surfer-Kultur um so entschiedener zugedeckt werden muss. Diese Ideologie wird auch in den hippen Online-Zeitschriften der Westcoast nicht reflektiert. Hinter der Fassade des Hackers, der lange Haare, Shorts, T-Shirt mit technischem Emblem, Gortetext-Jacke und Sandalen ohne Socken trägt, lauert der Yuppie, zu dem Shimomura zwar der Anzug fehlt, nicht aber die Gesinnung.

Der Pseudowestern

"Die sind einfach unfähig, wie überall im Staatsapparat." Shimomuras schlichte Auskunft über staatliche Einrichtungen wird unablässig wiederholt. "Überall" greifen überflüssige Behörden mit unsinnigen Vorschriften in Dinge ein, von denen sie nichts verstehen und die man besser der privaten Initiative der Jungen und Cleveren überlässt. Steuern werden unmittelbar in Hindernisse transformiert, die wegzuräumen eines Samurais würdig wäre. SA, FBI, CERT, Justizministerium, Bundes-Marshalls sind langsam und unnütz, wenn nicht teuer und schädlich.

Neben diese neokonservative Vorstellung des Staates als jede Eigeninitiative erdrückende Riesen-Kraake tritt die Überzeugung, der Nachtwächterstaat habe nur eine wirkliche Aufgabe, nämlich das Privateigentum seiner Bürger zu schützen. Heilig sind Shimomura das Urheberrecht, der Firmen- und der Privatbesitz. Wenn jemand diese Rechte schändet, dann ist eine starke Exekutive gefragt, die durchgreift. Dass aber der effizienten Verfolgung digitaler Diebe zahlreiche Vorschriften und Datenschutzgesetze im Wege stehen, bestätigt einmal mehr die Ansicht, dass der Staat an seinen ureigensten Aufgaben scheitert - die Westernmentalität.

Wie die Putzfrau

Der Hacker-Yuppie verbindet nicht nur das Ressentiment der 60er gegen den Staat mit den Newt-Gingrich-Tiraden der 90er, er kombiniert auch den Zug aufs Land der Blumenkinder mit den Arbeitsbedingungen des Telecomuting. "Meine Arbeit kann ich von jedem beliebigen Ort aus tun." Shimomura siedelt mit "ein paar Unix-Workstations" für 4 Monate in die Berge, wo er "über einen schnellen digitalen Telefonanschluss mit der Aussenwelt" Kontakt hält. Diese Ortslosigkgeit des Arbeitsplatzes korrespondiert mit dem neuen Typ des Einmannunternehmers, der seine Arbeitskraft als "Auftragnehmer und Unternehmer" verkauft und sich gleichsam selbst ausbeutet (Andreas Zielcke). Grundsätzlich ist jede Putzfrau selbständig, wenn sie nicht mehr nach Stunden bezahlt wird, sondern einen Auftrag erhält, dies oder das sauber zu halten. Dafür braucht sie 4, 8 oder 16 Stunden, der Verdienst wird der gleiche sein.

Der Programmentwickler in seiner Holzhütte ist ein Global player, der auf dem Weltmarkt mit jedem anderen Hacker mit Modem um Aufträge konkurriert. Da man in dieser neuen Organisationsform das Gefühl hat, nur für sich selbst zu arbeiten, ist die Arbeitsbereitschaft enorm hoch. Shimomuras 39-Stunden-Nonstop-Einsatz zeigt, was für Potentiale hier zu erschliessen sind, ohne dass die Auftraggeber sich um Folge- oder Nebenkosten zu scheren hätten. Selbst der österreichische Bundesminister Scholten erhofft sich von der Telearbeit eine Reintegration von Familie und Beruf. Shimomura und Julia leben vor, wie dies gelingen könnte: Nicht das "Heim" modifiziert die Arbeit, sondern umgekehrt.

Das dank omnipräsenter Telekommunikationsanlagen stets erreichbare Paar verfügt nur noch über Schwundstufen von privatem Raum und Zeit - jederzeit und überall ist die Einsatzbereitschaft der Telearbeiter gefragt. Shimomura arbeitet am Handy selbst dann noch, wenn er Rollschuh läuft. In den Wohnungen der Cyber-Hippies steht in jedem Raum ein Terminal, selbst in der Garderobe. Diese permanente Einsatzfähigkeit macht den Yuppie-Hacker in Verbindung mit seinem Gesundheitsbewusstsein und Fitnesswahn zum idealen Arbeiter des nächsten Jahrtausends, ohne dass man es noch mit lästigen Tarifverträgen, Lohnnebenkosten oder gar Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall zu tun hätte. Man braucht nur noch einen Auftrag zu erteilen. Während manche Kulturkritiker diese neue Telearbeitsgesellschaft erst für die Zukunft erwarten, hat Shimomura bereits einen Prototypen realisiert. "Data Zone" ist eine Chiffre für die kommende Epoche.

Tsutomu Shimomura: "Data Zone. Die Hackerjagd im Internet", DTV 1996, 330 Seiten, 31.50 Franken.

Der Fall im Netz

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