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Postmoderne als Sound

Arthur Krokers Technologie-Potpourri bestätigt alle Ressentiments

Von Niels Werber

Postmoderne? Ein Jargon, so bilanzierte kürzlich der Merkur. Alan Sokal, jener Professor für Physik, der unlängst einen Unsinns-Text in einem angesehenen geisteswissenschaftlichen Organ plazieren konnte, und Jean Bricmont gaben für diesen Jargon eine Gebrauchsanleitung; etwa: Schreibe mehrdeutig und unverständlich, importierte naturwissenschaftliche Begriffe wie die "Unschärferelation" in einen kulturwissenschaftlichen Kontext, betreibe einen konstruktivistischen Relativismus, der ohne Empirie auskommt, frappiere auf der Oberfläche, auf daß der Mangel an Tiefgang verborgen bleibe. Die Studenten, die derart bei der Postmoderne in die Lehre gegangen seien, hätten gelernt, Abhandlungen zu wiederholen und auszuschmücken, die sie kaum begreifen.

"Wenn sie sich auf den Umgang mit gelehrtem Jargon spezialisieren", so Sokal und Bricmont, "können sie im günstigsten Fall sogar eine akademische Karriere einschlagen." Den beiden Autoren wäre zuzustimmen, richteten sich ihre Vorwürfe nicht an Baudrillard, Deleuze, Guattari, Virilio oder Serres, denen wir wohl mehr zu verdanken haben als Trockeneisnebel. Ihnen wäre zuzustimmen, hätten sie als Exempel Arthur Krokers Buch Das besessene Individuum. Technologie & französische Postmoderne ausgesucht, das nun in deutscher Sprache erschienen ist.

Kroker nimmt sich viel vor - und läßt es dann vollständig bleiben. Sein Projekt jedenfalls klingt interessant: die medientechnische Realität Nordamerikas und ihre Begleitsemantik sei von Frankreich aus zu analysieren. Die Virtuelle Realität könne mit Baudrillard, die Biotechnologie der Genindustrie mit Foucault, die Rhetorik der kalifornischen Ideologie mit Barthes und die Beschleunigung der globalisierten Kommunikationsverhältnisse mit Virilio gelesen werden. "Mehr denn je zuvor", schreibt Kroker in seinem Vorwort, "ist es heute erforderlich, den prophetischen Visionen des französischen Diskurses über die Technologie aufmerksam zuzuhören."

Dem ist prinzipiell zuzustimmen. Es wäre spannend, Internet-Projekte wie die Global Neighborhood Watch als medientechnischen Panoptimus zu deuten oder die virtuellen Identitäten im Cyberspace als Beleg für die These zu nehmen, daß "ich ein anderer ist". In seinem Epilog bekräftigt Kroker noch einmal seine These: "Das französische Denken ist eine theoretische Autobiographie der Rhetorik der amerikanischen (technischen) Lebensweise." Doch dazwischen ist nichts.

Kroker, den manche als den Marshall McLuhan der 90er handeln und der als Professor im frankophonen Montreal geradezu berufen wäre, die nordamerikanische Technokultur mit französischer Theorie anzugehen, gibt sich nicht die geringste Mühe, seine 200 Seiten "Lektüre der Franzosen" denn auch tatsächlich auf die neuen "Mechanismen" zu beziehen, nach denen heute "Macht in Amerika funktioniert". Bestenfalls werden vage Assoziationen geweckt, schlimmstenfalls die "Gefahr" bestätigt, die Sokal und Bricmont an die Wand malen: "modischer Unsinn und Wortspiele verdrängen die kritische und strenge Analyse der gesellschaftlichen Realität".

Dies fällt übrigens nicht sofort auf, auf den ersten Blick scheint alles zu stimmen: Die Eigennamen bekannter französischer Theoretiker fallen, es wird aus ihren Texten zitiert. Wenn Kroker kommentiert, dann so voraussetzungsvoll und andeutungsweise, daß keine bestimmte These daraus rekonstruiert werden könnte, die dann wahr oder falsch wäre. "Deleuze und Guattari sind die weltweit ersten systematischen Theoretiker des technologischen Faschismus." Das könnte sein - aber was ist genau damit gemeint? Oder: "Barthes also als Alchimist der Technologie, in dessen Zeichenphantasie der Strukturalismus zur Geschichte zurückkehrt und erneut das Materielle mit dem Ideologischen verbindet." Was das heißen soll? Daß Barthes "in erster Linie ein Chemiker des zynischen Zeichens" ist. Und daß "Barthes zu lesen heißt, eine unzensierte Version des Nihilismus in seiner buddhistischen Phase zu erhalten".

Und Lyotard? "Lyotard ist der französische Vergil." Baudrillard? "Der Oswald Spengler des Cyborgzeitalters." Virilio? Ein "primitiver Christ, der in einem Cyber-Rom Zuflucht zur altertümlichen Klage nimmt". Oder Foucault? Der "letzte und beste aller Cartesianer", weil er nie "über die dunkle Seite von Kant hinaus zu denken vermochte". Gegen solche Analogien oder Vergleiche spräche nichts, wenn man wüßte, in welcher Hinsicht verglichen würde. Aber das tertium, wenn es eines gibt, muß erraten werden.

Kurzum, das Buch hält den Minimalansprüchen an Wissenschaft nicht stand. Aber vielleicht muß dieser Text ganz anders gelesen werden, als sound. Vielleicht ist Kroker nicht der McLuhan, sondern McLaren der Postmoderne, kein Theoretiker, sondern ein DJ, der aus den Eigennamen bekannter französischer Theoretiker und beliebigen Zitaten einen vertrauten Grundrhythmus erzeugt, diese Spur dann mit einer Melodie aus kurrenten Thesen und Begriffen der Cyberkultur abmischt.

Beide Spuren sind derart kombiniert, daß der Text die Zurechnung von Bedeutung weder steuert noch verhindert. Immer verhindert der Rap der Präfixe: Hyper-, Trans-, Techno-, Cyber- oder Post- die Feststellung des Sinns. Kroker formuliert es selbst ganz programmatisch. "Virtuell werden. Scratch werden. Digital werden. Sampler werden." Das mag ihm gelungen sein, der track ist aber gewiß nur etwas für Fans.

Arthur Kroker: Das besessene Individuum. Technologie & französische Postmoderne. Xmedia, Passagen Verlag, Wien 1998, 230 Seiten, 48 DM.

 

[ dokument info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 1999
Dokument erstellt am 26.02.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 27.02.1999

 

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