TELEPOLIS

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Ungeahnte Einigkeit

Niels Werber   17.04.98 http://www.ix.de/tp/deutsch/inhalt/te/1446/1.html

Die Rolle des Internet in der Parteipolitik

Mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der sich der Datendurchsatz der Internet-Kommunikation, die Zahl der Server und Netizen von Monat zu Monat erhöht, jagt eine Tagung über das Internet die nächste. Die Möglichkeiten des Netzes faszinieren offensichtlich beinahe hinsichtlich jeden nur denkbaren sozialen Bereichs, über den Kolloquien überhaupt abgehalten werden können, und in jedem erwartet man tiefgreifende Veränderungen: Telemedizin, virtuelle Kirchen, virtuelle Börsen oder auch virtuelle Ortvereine, Telebanking, Teleshopping, Telelearning, Telematik sind die Schlagworte, die dieses umfassende Interesse am Internet belegen mögen.

Die schnelle Verbreitung des Netzes über den ganzen Globus und die anscheinend unbegrenzten technischen Möglichkeiten üben auf jeden sozialen Sektor Druck aus, sich selbst in ein Verhältnis zu diesem Phänomen zu setzen. So folgt dann ein Kongreß über "Internet und Religion" einem weiteren über "Internet und Politik, ... und Demokratie, ... und Globalisierung...".

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Stärkung der Demokratie

Von allen Hoffnungen und Visionen, die während dieser Kongresse verhandelt werden, fallen die politischen durch ihre Intensität auf. Während kaum ein Mediziner oder Theologe vom Netz eine substantielle Veränderung seines Fachs erwartet, sondern allenfalls manche logistische oder organisatorische Verbesserung, soll das Internet in der Politik zu einer entscheidenden Wende führen. Von den Techniken und Einrichtungen des Netzes wie Email, Newsgroups, IRC, WWW-Browser u.ä. verspricht man sich eine bürgernahe Politik, die basisdemokratisch verfaßt ist und starke plebiszitäte Elemente enthält, deren Motive, Mittel und Ziele durch die Publikation sämtlicher Programme, Protokolle, Eingaben, Gesetzesentwürfe etc. für alle Bürger völlig transparent sind und an deren Entscheidungen alle Bürger partizipieren, in dem sie sich informieren und in einen Diskurs über die res publicas eintreten.

Längst sind diese Erwartungen mit der Unwiderstehlichkeit eines Memvirus aus der wissenschaftlichen und feuilletonistischen Debatte in die Programme der Parteien - aller Parteien - eingewandert. Dies ist eine bemerkenswerte Tatsache deshalb, weil es einer neuen Großtechnologie gelingt, - aus welchen Gründen auch immer - alle Parteigänger für sich einzunehmen: dies ist auf den Feldern der Atomkraft, der Gentechnologie o.ä. nicht gelungen. Dagegen scheint die Vorstellung, daß tendenziell jeder Haushalt über einen Computer verfügt, der am weltumspannenden Glasfasernetz hängt, unwiderstehlich zu sein.

Die Euphorie der deutschen Parteien

Im [External Link] Abschlußbericht der Schwerpunktkommission Gesellschaftspolitik der SPD heißt es:

"Politik muß dabei helfen, die vielfältigen Möglichkeiten elektronischer Demokratie und Partizipation, die auf interaktiver Kommunikation aufbauen, zu entwickeln. Auf diesem Wege lassen sich neue Formen örtlichen und regionalen Zusammenhalts fördern und die traditionelle repräsentative Demokratie ergänzen."

An dieser sozialdemokratischen Forderung, der politischen Verfaßtheit der deutschen Demokratie mit der Hilfe des "interaktiven" Internets einen guten Schuß an "direkter" Demokratie zu verpassen, überrascht nun für sich genommen überhaupt nichts - erstaunlich ist nur, daß die konkurrierenden Parteien dasselbe wollen. So zählt zu den [External Link] Beschlüssen des 48. ordentlichen Bundesparteitags der F.D.P auch der folgende:

"Neue Techniken in der Bürgerbeteiligung bieten die Chance, die Vorteile der klassischen Marktplatzdemokratie mit den Vorteilen der repräsentativen Demokratie zu verbinden. Sie fördern einerseits Engagement für politische Mitwirkung und schaffen andererseits Verantwortung des einzelnen in der aktiven Bürgergesellschaft. Das Internet oder feed-back-Kanäle im Stadtfernsehen sind dazu zu nutzen."

Die FDP möchte eine Demokratie der Vertretung Aller durch Wenige mit der Hilfe jenes Mediums ergänzen, das Alle mit Allen in Verbindung zu setzen verspricht. Dem Internet, das auch in anderen kulturellen Bereichen broadcasting in Interaktion zu verwandeln scheint, wird allein aus technischen Gründen eine Art stimulierender Impetus zugetraut wird, der passive (Nicht-)Wähler in aktive Teilnehmer der Bürgergesellschaft verwandelt.

Auch die Grünen möchten diese Chance, die das graswurzelartig vernetzte Medium einer basisdemokratisch verfaßten Politik zu bieten scheint, nicht ungenutzt lassen. Im Bundestagswahlprogramm, das die 10. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz am 6.-8. März 1998 in Magdeburg verabschiedet hat, wird festgestellt:

"Internet und Mailboxen bieten neue Möglichkeiten einer offenen, vielfältigen und demokratischen Kommunikation."

Und die christlichen Parteien, die sich an Technikbegeisterung selten überbieten lassen, setzen gleichfalls aufs Internet. Generalsekretär [External Link] Hintze verkündet seinen Truppen: "Die anderen reden manchmal von modernen Technologien; wir praktizieren sie: Wir hatten als erste ein Kommunikationssystem zwischen allen unseren Kreisverbänden. Wir haben als erste den Computer in seinen positiven Wirkungen genutzt, und wir befinden uns auf dem ersten Parteitag, an dem die ganze Welt zeitgleich über das Internet Anteil nehmen kann."

6 Millionen [External Link] jährliche Hits auf der CDU-Homepage belegten die Attraktivität und Zuklunftsfähigkeit seiner Partei.

Die Feier des Internet steht für Fortschritt und Modernität

Das Internet ist zu einer Metapher geworden, die in diesem Falle Fortschrittlichkeit und Modernität konnotiert. In anderen Fällen steht sie für Freiheit. Michael Mertes, Abteilungsleiter für Gesellschaftliche und politische Analysen im Bundeskanzleramt, erläuterte auf der Fachkonferenz Innovation durch Telekommunikation I der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bonn (17. 3. 98), daß vom Internet nicht nur längst gewaltige deliberative Kräfte ausgegangen seien, da die repressiven Staaten der Welt die freie Information ihrer Bürger und der Weltöffentlichkeit nicht länger zu unterdrücken vermochten, sondern daß auch in der Zukunft ein Umbau der westlichen Gesellschaften in Richtung einer "interrogativen Demokratie" zu erwarten sei, welche die Eigenschaft besitzen werde, eine "direkte" Kommunikation zwischen den politischen Vertretern und den Bürgern zu gestatten und so den nach Ansicht vieler Politiker "verzerrenden" massenmedialen Filter der vierten Gewalt zu umgehen. Demokratie könne dann wieder im Medium des sachlichen Gesprächs zwischen Bürgern und Politikern stattfinden, ohne daß die politische Agenda von den sensationslüsternen und kurzlebigen Interessen der Broadcaster diktiert würde.

Access for all ist natürlich die zentrale Forderung, die jede Partei aus diesen Zielvorgaben ableitet. Und damit in der Zukunft jeder an dieser Zukunftstechnologie mitmachen kann, fordern alle unisono den totalen Anschluß aller Schulen ans Netz: "Wir wollen, daß bis 1999 jede Schule im Internet ist", schreibt beispielsweise die [External Link] SPD , und so steht es in jedem Programm.

Unterschiede findet man allenfalls in der Tonlage, wenn etwa die SPD vor einem möglichen [External Link] Onliner-Offliner"-Gefälle warnt, wenn die Grünen befürchten, daß die herrschaftsfreie Verfaßtheit des Netzes unter Zensur- und Überwachungsmaßnahmen leiden könnte (Bundestagswahlprogramm), während Vertreter der CDU eher dazu neigen, neben den deliberativen Wirkungen des Internets die Deregulierungs-Chancen im Sektor der Verwaltungen zu betonen, die miteröffnet werden.

In Bayern wurden mit massiver finanzieller Unterstützung der Landesregierung bereits über 70 kommunale Netzwerke errichtet, die von lokalen, politisch unabhängigen Vereinen getragen werden, welche ihren Mitgliedern einen Zugang zum Internet zum Ortstarif sowie eine Plattform zur Diskussion kommunaler politischer Fragen bieten. Der Vorsitzende des Bürgernetzverbandes e.V., der bayerische Staatssekretär Rudolf Klinger (CSU), klingt in seinem Lobgesang der bayerischen Netzbewegung von unten nicht viel anders als Geert Lovink, der eher anarcho-libertäre Botschafter der Digitalen Stadt Amsterdam.

Kommunikation aller mit allen über alles

Parteipolitik und Medientheorie scheinen mit einer Stimme zu sprechen, als hätte sich - wie im Vorgriff auf die vom Netz gehegten Hoffnungen - tatsächlich das beste Argument im herrschaftsfreien Diskurs über das Internet durchgesetzt: Der Staat würde endlich zur Republik, zur res publica, zur öffentlichen Sache, da nun tatsächlich jede Sache öffentlich für jeden würde. Die offenbar unheilvollen Folgen der repräsentativen Demokratie, deren vermittelnde Institutionen wie Parteien und Interessenverbände nur noch ihre eigenen Ziele und Zwecke verfolgten, statt die des Souveräns, könnten in der elektronischen Demokratie vermieden werden. Im Medium der permanenten Interaktion der Bürger mit den staatlichen Institutionen und nicht-staatlichen pressure und influence groups wie Greenpeace oder den Gewerkschaften würde die Entscheidungsfindung ihren Charakter völlig verändern - nämlich von einem arkanen Hinterzimmer-Verfahren zu einem öffentlichen Aushandeln des volonté genérale in einem herrschaftsfreien Diskurs, der im Internet deshalb seinen genuinen Ort finden soll, weil jenseits von Tastatur und Bildschirm alle - unabhängig von Aussehen, Rasse, Geschlecht, Behinderung - miteinander interagieren könnten.

Jenseits jener Differenzen, die im sozialen Umgang miteinander bisher für Hierarchisierungen etwa zwischen Mann und Frau, Alten und Jungen, Inländern und Ausländern sorgten, habe im Reich des Digitalen tatsächlich das bessere Argument das letzte Wort. Das Internet egalisiert und befreit - Zugang für alle vorausgesetzt. Politologen wie Claus Leggewie, die sich vom Internet einen deliberativen Schub für die vom Bürger entfremdete bundesrepublikanische Demokratie erhoffen, fordern daher als quasi letzten Akt des bevormundenen Staates den Ausbau des Netzes zu einem Medium mit access for all, in dem alle mit allen über alles kommunizieren können, gezügelt allein von selbst ausgehandelten Netiketten. Die neue Transparenz der politischen Verfahren führe zu neuen Möglichkeiten politischer Willensbildung der Bürger, die sich dank der neuen interaktiven Möglichkeiten intensiver an der Entscheidungsfindung beteiligen könnten, was deren Einfluß steigere, infolgedessen zu weiterem Engagement motiviere und größere Partizipation bewirke.

Das Internet nicht als andere Republik, sondern als zweites Paradies

Das Internet, so Thomas Zittel von der Universität Mannheim, schaffe technisch jene Distanz zwischen staatlichen Einrichtungen und den Bürgern ab, die bislang in Flächenstaaten eine repräsentative Form der Herrschaft unumgänglich gemacht habe. Das über weite Räume verstreute Volk benötigt nun aber keine zentrale Volksvertretungen mehr, deren organisatorische Eigendynamik immer wieder eine wahrhafte Vertretung des Volkes verhindert hat; endlich artikuliert das Volk nun seine Interessen unmittelbar selbst und achtet darauf, daß sie gewahrt werden: die erfolgreiche Einflußnahme von US-amerikanischen Bürgern auf das Abstimmungsverhalten ihrer Abgeordneten via Internet wird gewöhnlich als Beleg für diese Entwicklung genannt.

Diese referierten Positionen zählen freilich noch zu den realistischeren - im Umkreis der "kalifornischen Ideologie" wird - wie in Telepolis an anderer Stelle berichtet - das Internet mit geradezu messianischen, wenn nicht göttlichen Qualitäten ausgestattet; erwartet wird weniger eine andere Republik, als ein zweites Paradies, in dem Politik nicht mehr nötig sein werde, da die Ausübung von Macht, die für die Befolgung von bindenden Entscheidungen sorgt, überflüssig würde, da die Selbstverwirklichung des Einzelnen im Cyberspace nicht auf die Grenzen der Selbstverwirklichung eines Anderen zu stoßen drohten, Gesetze und Verordnungen also überflüssig wären.

Cyberdemokratie oder Parteiendemokratie?

Auf die Abschaffung des Staates wollen die deutschen Parteien natürlich nicht hinaus: das wäre ihre eigenes Ende. Ihre Vision ist eine von ihnen moderierte "Cyberdemokratie". Doch wie in den sogenannten Publikumshows des verachteten Fernsehens spielt der Moderator die Hauptrolle. Die Moderatoren - und nicht mehr die Massenmedien - zwischen Exekutive und Volk sorgen dafür, daß die plebiszitären, basisdemokratischen oder "direkten" Verfahren der politischen Mitwirkung organisiert werden, um die Beteiligung möglichst vieler Bürger in möglichst viel Einfluß auf die politische Entscheidungsbildung ummünzen zu können. Daher zählen die Generalsekretäre der Parteien den Hitcount ihrer Homepages.

Bruce Bimber von der University of California, Santa Barbara, und Otfried Jarren von der Universität Zürich, die beiden Hauptreferenten der bereits erwähnten Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung, vertraten beide die Überzeugung, daß die unbestrittenen Möglichkeiten der Many-to-many-Kommunikation im Internet keinesfalls zu einer rhizomatischen Demokratie mit Tendenz zur Totalinklusion aller Betroffenen in die sie betreffenden Entscheidungen führe, sondern nur bereits etablierte Spieler über die finanziellen, personellen, organisatorischen und fachlichen Ressourcen verfügten, um im Internet jene Aufmerksamkeit zu erzeugen und zu fesseln, die für die Erzeugung von Einfluß unumgänglich ist.

Diese Ansicht kann für sich ins Feld führen, daß schon in der frühen anarchischen Anfangsphase des Internet virtuelle Gemeinschaften über special interests oder specials issues entstanden sind. Nun sind aber Parteien, pressure groups oder auch NGOs eigentlich Organisationen mit speziellen Interessen, die sich von den themenzentrierten Gruppen des Usenets durch drei substantielle Eigenschaften unterscheiden: 1. durch die außerhalb des Internet erzeugten Ressourcen finanzieller, personeller, technischer etc. Art, mit deren Hilfe die Möglichkeiten des Internet auf eine attraktive, interessante Weise ausgeschöpft werden können; 2. durch die Möglichkeiten der Einflußnahme, über die diese Organisationen auch diesseits des Netzes verfügen; und 3. können die Internetplattformen der Parteien zwar, wie Hintze genau so tönt wie der virtuelle Ortsverein der SPD, weltweit besucht werden, doch ist das wechselseitige Interesse von Anbietern und Usern an Einflußerzeugung durchaus national beschränkt. Gerade von einer "Interaktion" mit den Parteien via Internet kann man daher erwarten, daß die eigene Partizipation an der politischen Willensbildung einen optimalen Einfluß auf die Entscheidungsfindung der nationalen Parlamente und Regierungen findet, während von der Beteiligung an irgendeiner politischen Newsgroup unter alt.soc.etc. man sich alles möglich versprechen kann - außer natürlich Einflußnahme.

Auf einem Forschungskolloquium über Internet, Globalisierung und Demokratie im Wissenschaftszentrum Berlin (4. - 5. 4. 98) hat Harald Neymanns (Berlin) die auf eine vergleichbare Einschätzung hinauslaufende These vertreten, daß nur bereits etablierte soziale Gruppen über die Möglichkeiten verfügten, das Internet zumindest soweit zu einem Push-Medium umzubauen, als dies für die Bindung möglichst hoher Aufmerksamkeit an die verfolgten Interessen nötig ist.

Es ist nicht abzusehen, daß die vollkommen unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten, die das Internet zwischen Echtzeitkommunikation und Zwangsberieselung durch Banner-Werbung anbietet, zur Polarisierung der Parteien führt, obschon es doch wohl zu erwarten wäre, daß das unterschiedliche Politikverständnis der Parteien auch zur Bevorzugung ganz bestimmter Teilaspekte der neuen Technologie führen würde. Doch scheint es so zu sein, daß der Begriff des Internet eine solche Fülle von Konnotationen - "Freiheit", "Globalität", "Basisdemokratie", "Fortschritt", "Demokratie" - gestattet, daß jede Partei ohne weitere Distinktionen für den weiteren Ausbau des Netzes eintritt. Aus strukturellen Gründen wird den Parteien, solange es sie geben soll, ohnehin nichts anderes übrig bleiben, als auch im Internet für ihre Programme Wähler zu rekrutieren.

Ob die Mittel, die ihnen dafür zur Verfügung stehen, sich von den gewohnten qualitativ unterscheiden, ist fraglich, denn die allerorten (wahrhaftig?) erhoffte Partizipation der mündigen Bürger im Diskurs um die gemeinsame Sache kann nicht vorausgesetzt werden, vielmehr muß um Aufmerksamkeit für die Sache erst geworben werden - und dies geht nur mit den Mitteln des Broadcasting. Gegen alle optimistischeren Einschätzungen spricht die schlichte anthropologische Weisheit, daß "die meisten Leute sich meistens für die meisten Sachen nicht interessieren" (Bruce Bimber).


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