Relativismus oder Krieg Der runde Tisch und sein bellizistischer blinder Fleck Von Niels Werber Die Moderne ist unsere Epoche. Man darf sich also wundern, wenn Symbole aus dem Mittelalter plötzlich wieder Verwendung finden. Der "Runde Tisch" ist solch ein revitalisiertes Sinnbild. Er stammt aus dem Artusroman des Hochmittelalters. Wie man es aus den Hollywood-Bearbeitungen des Stoffes kennt, ist die Tafelrunde, an der König Artus mit seinen Rittern Rat hält, rund, weil alle, die an ihr Platz nehmen, den gleichen Rang einnehmen. Die herkömmliche Tischordnung ist dagegen eine hierarchische: Am Tischende sitzen jene, die dem König und der Macht am fernsten stehen. Aber natürlich weiß man aus den Legenden auch, dass der erste Ritter dem König zur Rechten sitzt und Artus das letzte Wort behält. Der runde Tisch symbolisiert
zwar die Gleichheit der Anwesenden, die auf Verdiensten und Tugenden basieren
und nicht allein der Geburt geschuldet sein soll, aber nur, um die tatsächliche
Ungleichheit der ererbten Rangunterschiede zu überdecken. Zudem verstellt
die augenfällige Komplettheit der Tafelrunde die Sicht auf all jene,
die erst gar nicht mit am Tisch sitzen dürfen: alle Bauern und Bürger.
Die Egalität, die vom runden Tisch vorgeführt wird, dient also
gerade ihrer Unterdrückung. Die Ritter, die sich im Angesicht ihres
Königs als seinesgleichen fühlen dürfen, folgen bedingungslos
dessen Entscheidungen. Wenn runde Tische zum Einsatz kommen, ist also die
skeptische Frage angebracht, was von der symbolischen Inszenierung von
Gleichheit ausgeblendet wird. Ist der am runden Tisch unter Gleichen ausgehandelte
Kompromiss etwa doch eine einseitige Entscheidung? Hat nicht doch verborgener
Einfluss oder diskrete Drohmacht dafür gesorgt, dass ein Konsens erzielt
wurde? Das mag man unterstellen, aber sichtbar wird dies nicht. Nimmt man
als Beispiel Kanzlerrunden oder Schlichtungskommissionen, dann ist von
Insidern zu erfahren, dass vor allem die Verfahrensregeln über ihren
Ausgang entscheiden.
Nicht nur die Suggestion, die verschiedenen Parteien am runden Tisch repräsentierten eine Ganzheit, so dass diejenige Fraktion, die womöglich die Gespräche aus sachlichen Gründen abbrechen und die Runde verlassen wollte, als egoistische, am Gemeinwohl uninteressierte Fronde wirkte, sorgt für hohen Konformitätsdruck; darüber hinaus erzeugt das Verfahren (Zeitpläne, Protokolle, Tagesordnungen...) selbst ungleich verteilten Zwang, denn faktisch sind diejenigen, die die Spielregeln festlegen, nach denen am round table verhandelt wird, auch die Herren des Verfahrens. Der "herrschaftsfreie Diskurs" unter Gleichen ist eine Illusion des runden Tischs, dessen Symbolkraft die wahre Herrschaft über das Verfahren tarnt. Begabte Machtpolitiker wissen dies, deshalb lädt Gerhard Schröder die Interessengruppen so gerne an seine Tafelrunde: er weiß, dass er dabei nie verlieren kann, denn er wirkt schon durch die Einladung zum Konsensgespräch als kompromissbereit und vernünftig und bleibt zugleich doch immer der wahre Herr der Runde. Unter diesen Bedingungen darf dann freilich jeder am runden Tisch seine Meinung äußern, und der "zwanglose Zwang des besseren Arguments" (Habermas) wird sich am Ende durchsetzen. Was dieses bessere Argument ist, entscheidet im Artusepos der König, heute sind es die Verfahrensregeln. Es bedürfte wohl eines kafkaesken Talents, um die komplexe "operational-entscheidungstechnische" Seite solcher Verfahren sinnfällig darzustellen, kein Wunder, dass die Massenmedien sich mit der Darstellung des runden Tischs als "Symbol des Ganzen" begnügen. Die vom runden Tisch symbolisierte Hoffnung, dass die "Vielfalt der Stimmen im "Verständigungsprozess" zur "Konvergenz" der verschiedenen "Perspektiven und schließlich "im Medium begründeter Rede" zum vernünftigen Konsens finde (Habermas), ist längst zur Vision eines "internationalen Zeitalters kosmopolitischer Sozialdemokratie" globalisiert worden. An der internationalen Tafelrunde sitzen keine Ritter oder Interessenverbände mehr, sondern die Nationen. Der "Transnationalstaat" bringt die alten Souveräne der "ersten Moderne" an den Tisch der Vereinten Nationen, um die "Antwort auf die Globalisierung" zu finden (Ulrich Beck). Und wie die Kanzlerrunde namens "Bündnis für Arbeit" den Arbeitskampf verhindern soll, mache die globale Verhandlung "transnationaler Konflikte" den "Krieg" zu einem vermeidbaren "Luxus" (Beck). Der Tübinger Philosoph Otfried Höffe hat jüngst in zwei Essays (SZ vom 24. / 25. Juni und FAZ vom 25. Juli) den "Weg zu einer Weltdemokratie" beschrieben, deren "weltweite Rechts- und Friedensordnung" von der skizzierten Vorstellung einer "Diskursgemeinschaft geprägt ist. In den "inter- und supranationalen Organisationen" der "Weltrepublik" findet die Vielfalt (der Weltbürger, der Nationen, der Kulturen) zu einer Einheit. Die Verfahren dieser "moralisch allein berechtigten Weltrepublik" sind die der "liberalen, sozialen und partizipatorischen Demokratie". Dieses "Rechts- und Demokratiegebot" genieße deshalb "universale Gültigkeit", weil die derart verfasste Weltrepublik jeden "Weltbürger" auch "Deutscher, Franzose oder Italiener" sein lasse. "Keineswegs soll die Menschheit ihren Reichtum aufgeben, ihre sprachliche, kulturelle, religiöse und soziale Verschiedenheit" werde vielmehr in der Weltdemokratie aufgehoben - "vorausgesetzt, dass sie sich mit den Bedingungen liberaler und sozialer Demokratie verträgt", deren "Verfahrensregeln" heute bereits "global anerkannt" seien: Am runden Tisch der Weltrepublik sitzen so die Nationalstaaten als gleiche, und das "elektronische Weltnetz" der Massenmedien konstituiert jene "globale Weltöffentlichkeit", die dabei "kritisch" zuschaut und gegebenenfalls "protestiert". Darf man angesichts dieser Globalisierung des round table Modells vermuten, dass die Suche nach seinen blinden Flecken sich als sehr ergiebig erweisen wird? Wer ist der König Artus am Tisch, und wo sitzen die Bauern? Bei Höffe ist von "universalen Gerechtigkeitsprinzipien", "Universalismen", "normativer Unerlässlichkeit" und "allgemein" gültigen Geboten die Rede, die weltweit gelten "müssen". Einwänden, es handele sich hier vielleicht um einen "dogmatischen Universalismus", wird mit zwei Argumenten begegnet: erstens seien diese Universalien nicht inhaltlich bestimmt, sondern "prozedural"; sie geben also nur jenes Setting vor, in dem die "zwanglose Verständigung" stattfinden kann. Ohne die Geltung der von Höffe oder auch Habermas genannten Universalien sei dies unmöglich, da dann zum Beispiel ökonomische oder politische Interessen den Verständigungsprozess beherrschten und eine echte Konsensbildung im Dienste von Wahrheit und Rationalität verhinderten. Wer Zweifel daran äußert, warum ausgerechnet europäische Normen zum herrschaftsfreien Diskurs oder die Regeln der "liberalen, sozialen und partizipatorischen Demokratie" zur gerechten Weltrepublik führen sollen, kann folglich als Gegner des Verständigungsprozesses entdeckt und auf die Seite der Macht und der Interessen geschlagen werden. Zweitens wird darauf hingewiesen, dass alle Parteien "paritätisch" zum Konsensgespräch hinzugezogen werden, jede Partei sich als gleiche fühlen und frei äußern darf und daher die im kommunikativen Handeln selbst angelegte Rationalität sich entfalten und zur Verständigung führen kann. Dies alles ist eine "regulative Idee", also ein Ideal, das alle dazu motiviert, ihm nachzueifern. So wird am runden Tisch der kommunikativen Rationalität ergebnisoffen, aber konsensorientiert verhandelt. Dies klingt gerecht, tolerant, vernünftig und friedlich. Gegner dieses Verfahrens können daher nur ungerecht, intolerant, unvernünftig und feindlich sein. All jene, die sich nicht mit an den runden Tisch setzen wollen, weil sie befürchten, dass die westliche Bestimmung der Spielregeln ihnen Nachteile verschaffen könnte, werden daher von den Tafelrittern der europäischen Universalien als Feind ver- ortet. Wenn Höffe postuliert, die "normativ unerlässliche Antwort auf die Globalisierung heißt: Weltdemokratie", um eine "weltweite Rechts- und Friedensordnung" einzufordern, die den "universalen Universalismen" der europäischen Aufklärung verpflichtet ist, "also der liberalen, sozialen und partizipatorischen Demokratie", dann impliziert dies eine Feinderklärung an all jene Kulturen, die in diesen Universalismen typisch westliche Partikularismen ausmachen und Interessen unterstellen und deren "Lernfähigkeit" oder besser: Lernwilligkeit nicht bis zur Selbstaufgabe reicht. Der Universalismus ist "militanter" oder "fanatischer" als seine Gegner, die sich ja nur dem westlich dominierten runden Tisch entziehen wollen und nicht etwa vorhaben, dem Westen eine vom Koran oder von Konfuzius geprägte Weltrepublik aufzuzwingen. Dass der westliche Universalismus
gerade auch aufgrund seiner "prozeduralen (Habermas) Ansprüche einer
Hegemonialpolitik zum verwechseln ähnlich sieht, bestätigen westliche
Strategen bereitwillig selbst: Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski spricht
Klartext: "Offiziell vertreten der internationale Währungsfond und
die Weltbank globale Interessen und tragen weltweit Verantwortung. In Wirklichkeit
werden sie jedoch von den USA dominiert". Zwar erwecke man überall
den Anschein, in internationalen Organisationen werde im "Konsens" entschieden,
tatsächlich gehe die "Macht letztlich von einer einzigen Quelle aus,
nämlich Washington. Brzezinski betont, dass alle wichtigen Weltorganisationen
von den USA verantwortlich aus der Taufe gehoben worden sind. Am Tisch
der Vereinten Nationen spielen die Vereinigten Staaten die Rolle des Königs.
Die Bauern, die erst gar nicht zur Tafelrunde zugelassen werden, sind all
jene Nationen und Kulturen, die nicht das Glück haben, "souverän"
im Sinne der Völkerrechts zu sein: die ethnischen und religiösen
Minoritäten dieser Welt.
Den vom Westen definierten Universalismus hat Carl Schmitt vor 60 Jahren als "eine imperialistische, unter humanitären Vorwänden in alles sich einmischende, sozusagen pan-interventionistische Weltideologie" bezeichnet. Heute ist es Samuel Huntington, der den agonalen Charakter dieser Ideologie benennt: "Was für den Westen Universalismus ist, ist für den Rest der Welt Imperialismus." Der Sprengstoff der aktuellen "Bruchlinienkonflikte " zwischen dem Islam, Asien, Russland etc. und dem Westen resultiert zum Teil aus einem Kulturbegriff, der das Eigene nicht am Anderen vergleicht und relativiert, sondern globalisiert. "Normativ vertritt der universalistische Glaube des Westens das Postulat, dass die Menschen weltweit sich westliche Werte und Institutionen und die westliche Kultur aneignen sollten, weil diese das höchste, aufgeklärteste, liberalste, rationalste, modernste und zivilisierteste Denken der Menschheit verkörpern." Diese Form der Globalisierung, die darin implizierte Definition der genuin westlichen "Interessen als Interessen der »Weltgemeinschaft«", läuft Huntington zufolge auf einen Westen hinaus, der "anderen Gesellschaften seinen Willen aufzuzwingen" sucht, also auf Krieg. Niklas Luhmann hat in seiner Religion der Gesellschaft zum Modell eines "alle Menschen einschließenden moralischen Diskurses" à la Habermas bemerkt, seine "Tragik" bestehe darin, dass zum einen damit immer "Ausschließungseffekte" verbunden sind, vor allem aber in dem "Fall, dass solche Diskurse zu vernünftigen Konsensen führen würden, dann alle, die nicht zustimmen, aus dem Reich der Vernunft ausgeschlossen wären." Wer dem vernünftigen Konsens nicht zustimmen mag, ist unvernünftig und kann bevormundet werden, wer sich der Bestimmung der Menschheit widersetzt, gilt als Unmensch. Der westliche Universalismus und sein Telos, der Konsens, laufen so auf eine Zweiteilung der Welt hinaus in "unsere Zivilisation hier und die Barbaren dort (Huntington). Der universalistische "Weg zur Weltdemokratie" (Höffe) führt zur Feinderklärung gegen alle, denen die Teilnahme am runden Tisch unter westlicher Hegemonie ungerecht oder unvorteilhaft erscheint. Diese Feinde sind, da sie Feinde der Moral, der Menschheit und der Vernunft sind, absolute Feinde, mit denen beliebig verfahren werden kann. Gegen Barbaren können
unbehelligt von UN-Konventionen und Menschenrechten Geheimdienstoperationen,
Sabotageakte, Luftangriffe und Cruise Missile-Attacken durchgeführt
werden, bei denen auf die Unterscheidung von Kombattanten und Zivilisten
keine Rücksicht genommen wird. "Relativismus oder Krieg", heißt
also heute die Devise, denn die Durchsetzung westlich definierter "universaler
Universalismen" gegen sich eigenständig entwerfende asiatische oder
muslimische oder afrikanische Kulturen würde Maßnahmen nötig
machen, die von einem totalen Krieg nur schwer zu unterscheiden wären.
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