Weltgeist zu Erde
SZ vom 24. 3. 2003
Die Geschichte deutscher Antiamerika-Stereotypien
Eines der zentralen Motive im momentanen Fugato furioso antiamericano lautet,
die Amerikaner seien ignorante Imperialisten, die immer schon irgendwo einmarschiert
seien, ohne Rücksicht auf Kultur und Geschichte, ohne Kenntnis aller
lokalen Besonderheiten. Wenn auch die These vom selbstherrlichen Weltgeist
zu Erde, zu Wasser und zu Luft von Bush so wunderbar personifiziert wird
– man gerät mit der Schimpferei doch ins Stocken, wenn einem vorgeführt
wird, mit welch uralten antiamerikanischen Stereotypien man da argumentiert.
Im neuen „Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende
Literaturwissenschaften“ (Synchronverlag Heidelberg 2003, 214 Seiten, 24,80
Euros) zeichnet Niels Werber die Geschichte einiger antimaerikanischer Vorurteile
in der deutschen Literatur und Philosophie nach und stößt dabei
immer wieder auf Hegel. In seinen „Vorlesungen über die Philosophie
der Geschichte“ widmete Hegel Amerika einen kurzen aber ungeheuer wirkmächtigen
Exkurs. Amerika, so Hegels Kernthese, sei nichts als Raum, waste land ohne
Volk und Kultur. Alles Wertvolle, was die Einwanderer mitbrächten, ihre
frühere nationale Identität, ihr Geist, ihre Kultur verströme
sich in den endlosen Ebenen des Mississippi.
Werber kann eindrucksvoll belegen, wie diese Hegelsche Kernthese von den
verschiedensten deutschen Autoren den jeweiligen Weltläuften angepasst
wurde. Ob Gustav Freytag oder Ferdinnad Kürnberger im Neunzehnten, ob
Thomas Mann oder Hermann Graf Keyserling im Zwanzigsten Jahrhundert – sie
alle rekurrierten auf die Hegelsche Erkenntnis vom Raum ohne Volk, von der
grenzenlosen Weite, die jede Ausbildung einer Kultur europäischen Vorbilds
unmöglich mache. Da „der Amerikaner“ aber derart kulturlos ist, kann
er sich überall daheim fühlen, wird ihm, so Werber in einer Paraphrasierung
Keyserlings, „die ganze Welt zum Handlungsraum“. Von dort ist es nicht mehr
weit zum heute gerne wiederholten Vorwurf vom weltweit agierenden Imperialisten,
der alles ihm Fremde sofort absorbiere oder zerstöre. „Der Amerikaner“,
so nochmal Keyserling 1930, „beurteilt alles Nichtamerikanische als minderwertig,
wenn nicht als moralisches Greuel.“ Er passt sich daher nirgends an, „er
kann nur erobern.“
Werber kann in seinem Aufsatz eindrucksvoll belegen, dass die deutschen Kulturwissenschaftler
in Sachen Alltagshermeneutik seit zweihundert Jahren mindestens so rabiat
verfahren wie die Amerikaner es geopolitisch tun. Als Max Weber, Ferdinand
Tönnies und Werner Sombart 1904 die USA besuchten, wunderte sich einer
ihrer Gastgeber nach einigen Tagen, „dass die Professoren alles Wissenswerte
immer schon wussten, ohne sich auch nur einmal mit empirischen Befunden aufzuhalten.“
alex