SZ vom 15. 2. 2003

 

Briefe aus dem 20. Jahrhundert VII

Carl Schmitt an Paul Bockelmann (1950)




23. Mai 1950

Lieber Herr Bockelmann!

Auf Ihr immunitätsrechtliches Gutachten freue ich mich sehr. Selbstverständlich kann man das Kernproblem, den Begriff des Politischen, in einem solchen Gutachten nicht behandeln. Das sind nun einmal Arcana, die man respektieren muss.

Mit diesem Vorbehalt, ganz unter menschlichen vertrauenswürdigen Eingeweihten gesprochen, muss man doch sagen, dass die von Ihnen genannten eigentlichen Staatsverbrechen, Hochverrat, Landesverrat und drgl. gerade politische Verbrechen sind und es sollte mich wundern, wenn ausgerechnet die Bayern gerade für diese Delikte, wenn sie von extremen Rechts- oder Linksparteien begangen werden, Immunität von Verfassungs wegen zusichern wollen. Es gehört ja gerade zum Bürgerkrieg, den Feind zum gemeinen Verbrecher zu erklären und dadurch die Ehre, deren der Feindbegriff fähig ist, zu zerstören. Vielleicht wird mancher, der in das Geschrei gegen meinen Begriff des Politischen einstimmt, eines Tages noch darüber staunen, wieviel Vornehmheit in altmodischer Art in diesem Buche steckt, und wie der Begriff des Politischen sich durch die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff von neuem gewandelt hat, ohne dass meine Beschwörungen das im geringsten aufzuhalten vermochten. Heute schreibt man das, was ich 1928–32 über eine demokratische Verfassung gesagt habe, ins Bonner Grundgesetz. Mit dem Begriff des Politischen und der Warnung vor dem diskriminierenden Kriegsbegriff werde ich noch ganz andere Verificationen erleben, wobei ich persönlich, nach den bisherigen Erfahrungen, keinerlei Ursache habe, darüber Freude oder Vergnügen zu empfinden.

Ich wünsche Ihnen guten Erfolg und bleibe mit herzlichen Grüßen

Ihr Carl Schmitt

Im Wintersemester 1944/45 bietet Carl Schmitt neben Vorlesungen auch eine „Seminaristische Übung zum völkerrechtlichen Kriegsbegriff“ an. Unterschieden werden hier die kontinentaleuropäische Tradition des souveränen Rechts zum Krieg gleichrangiger Gegner von der angelsächsischen Vorstellung des gerechten Krieges gegen einen ungerechten Feind. In Berlin ist Schmitt der einzige Rechtslehrer, der noch doziert. Am 3. Februar 1945 beenden Flächenbombardements den Vorlesungsbetrieb, Schmitt wird zum Volkssturm eingezogen. Am 7. Mai kapituliert die Wehrmacht bedingungslos. Im Juni beraten die vier Besatzungsmächte über die Bestrafung deutscher Kriegsverbrecher. Seit der Teheran-Konferenz sind dazu unterschiedliche Vorschläge im Umlauf, die von der summarischen Exekution von 50.000 Offizieren über die standrechtliche Hinrichtung führender Personen des Regimes bis zu regulären Gerichtsverfahren gegen Einzeltäter reichten. Und am 25. August, die Londoner Konferenz über die „Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse“ ist kaum zu Ende, legt Carl Schmitt ein „juristisches Gutachten“ über „Das internationale Verbrechen des Angriffskriegs und den Grundsatz Nullum crimen, nulla poena sine lege“ vor. Vom Seminar über den Kriegsbegriff und den Verteidiger Großberlins zum Verteidiger deutscher „Hauptkriegsverbrecher“ in nur einem Semester: Schneller geht es nicht.

Schmitt hat das Gutachten im Auftrag Friedrich Flicks verfasst, der im Juli 45 von alliierten Plänen beunruhigt wurde, man wolle Rüstungsindustrieelle als Kriegsverbrecher anklagen. Dies war bislang noch niemals geschehen, auch nach dem ersten Weltkrieg nicht, denn für Völkerrechtler führen Staaten Krieg und nicht Privatleute. Flick reagiert schnell. Bereits im Januar hatte er seine Konzern-Zentrale von Berlin nach Düsseldorf verlegt, wo man der Eroberung harrte. Nun ging es darum, „Leben, Freiheit und Vermögen“ im zu erwartenden Prozess zu erstreiten. Welche strafrechtliche Verantwortung, lautet die Frage ans Völkerrecht, könne ein „ordinary businessman“ tragen, der Bürger eines Staates ist, der Krieg zu führen beliebt? Schmitt antwortet: keine, weil keine Strafe für eine Tat verhängt werden darf, die zur Tatzeit kein Verbrechen gewesen ist. Aber auch die „Untaten“ des NS-Regimes, deren „Ungeheuerlichkeit“ und „Abnormität“ Schmitt betont, seien keine Verbrechen im Sinne des Straf- oder Völkerrechts, sondern Maßnahmen, die nur entsprechend beantwortet werden könnten. Der Krieg selbst sei kein Verbrechen, und kein Staatsbürger dürfe für seinen Gehorsam bestraft werden, da jede Alternative nur als „Hochverrat, Landesverrat, Widerstand und Sabotage“ behandelt werden konnte. „Hier gibt es nur“, notiert Schmitt am 14. 7. 49, „den Blitz des Zeus und dann Amnestie“.

Die Alliierten haben dagegen auf blitzartige Rache verzichtet und den Weg über eine „politische Justiz“ genommen, die den Feind kriminalisiert, auch Schmitt selbst. Er zeigt sich überzeugt, mit seinem Gutachten selbst die eigene Verfolgung herbeigeführt zu haben: „Ich hatte im August 1945 ein grosses völkerrechtliches Gutachten über die Kriminalisierung des Angriffskrieges gemacht. Am 25. September wurde ich verhaftet und für über ein Jahr in ein Camp gesteckt.“ Das Gutachten führt unmittelbar ins Lager.

Mit der Kriminalisierung des Angriffskrieges meint Carl Schmitt die Verwandlung des ehrenhaften Feindes, der nach bestimmten Regeln (Haagener Landkriegsordnung, Genfer Konvention) bekriegt wird, in einen Verbrecher, der „unerlaubt“ Krieg führt. Gegen sein Unrecht wird ein gerechter Krieg im Namen des Gesetzes und der Menschheit geführt. Aus dem Duell, in dem gleichwertige Souveräne eine Entscheidung suchen, wird so eine Feindschaft, die den Gegner „einer totalen Entrechtung im Namen des Rechts“ unterwirft. Der Sieger eines solchen totalen Krieges wird Tribunale einrichten und selbst über seinen Feind zu Gericht sitzen. Die Justiz werde als „Mittel der Vernichtung“ des Gegners missbraucht. Die eigens erfundene „Kollektivschuld“ des besiegten Staates „pönalisiert und kriminalisiert“ jeden seiner Bürger, so daß er nach Belieben interniert, entnazifiziert oder umerzogen werden kann. Die Alliierten haben, notiert Schmitt am 4. 4. 49, durch die „von ihnen selbst geschaffene Kriminalisierung des Angriffskrieges“ alle Bürger „zu Verbrechern“ gemacht, die ohne Anklage eingesperrt werden können.

Es ist offensichtlich: Schmitt verteidigt in seinem Gutachten nicht nur Flicks Vermögen oder die Ehre der europäischen Jurisprudenz, sondern sich selbst. Er schlüpft in die Rolle des gewöhnlichen „europäischen Staatsbürgers“, der vom Kriegsgegner entrechtet, enteignet, gejagt und gefangen wird. Alles kann man mit ihm machen, er ist zum homo sacer geworden. Was Giorgio Agamben an der Biopolitik des Nationalsozialismus nachgewiesen hat, wirft Schmitt umgekehrt den Siegermächten vor: die Verwandlung des Feindvolkes in „nacktes Leben“, über das beliebige Maßnahmen verhängt werden können. Dass man Schmitts Bibliothek „ohne Requisitionsschein oder andere Formalitäten“ beschlagnahmt, belege, dass er zum „Wild“ einer „Jagd“ geworden sei, die wie Ernst Jüngers Oberförster Recht und Macht verschmolzen habe. Die Sieger des Weltbürgerkrieges stempeln den „Einzelnen“ zum „outlaw“, der „wie ein Stück Vieh oder wie ein Ungeziefer behandelt“ werden kann.

Angesichts der peinlichen Vergleiche des Genozids mit Beschlagnahmungen ist es ein merkwürdiger Erfolg der Überlegungen Schmitts, dass sie heute scharfe Munition ausgerechnet gegen den Schöpfer der Nachkriegsordnung liefern. Doch wenn es stimmt, dass die US-Behörden Taliban- Kämpfer in einem rechtsfreien Raum gefangen halten und sich beliebige, vom Völkerrecht unbehinderte Maßnahmen vorbehalten – muss man dann nicht als Kritiker dieser Ausnahmemaßnahmen auf Schmitt zurückgreifen? Und feststellen, dass die Kriminalisierung des Angriffskrieges zwar weder zur Abrüstung noch zum Ausbleiben von Kriegshandlungen geführt hat, wohl aber dazu, dass Kriege nun Sanktion, humanitäre Intervention oder präventive Verteidigung genannt werden? Der UNO schreibt Schmitt ins Stammbuch, das „freie Votum“ im „Weltsicherheitsrat“ stelle „die Großmacht über die Friedensordnung und macht sie zur letzten Instanz in Fragen des Friedens und damit auch der Gerechtigkeit des Krieges.“ Die Großmächte befänden nach eigenem Gutdünken und „ganz legal“ darüber, welcher Krieg gerecht und welcher Gegner Unmensch sei. Die „Selbstermächtigung des gerechten Teils“ zum Krieg münde notwendig in einen „Weltbürgerkrieg“, der ungehegt von gerechten Kriegern geführt werde, die sich gegenseitig nicht als Feinde anerkennen, sondern als Unmenschen diskriminieren. Wenn demokratische Staaten Todeslisten zirkulieren lassen und zu präventiven Exekutionen schreiten, hat dieser Weltbürgerkrieg längst begonnen.

Der als Bellizist angefeindete Schmitt ist daher stolz auf seinen Begriff des Feindes, der von der gegenseitigen Anerkennung ausgehe. Das gesamte europäische Völkerrecht habe auf dieser Grundlage „Regeln und Gebräuche des Krieges“ festgelegt. Nun werde aber der besiegte Feind dafür verurteilt, dass er überhaupt Krieg geführt habe, womit er zum Verbrecher gestempelt werde. Vor diesem Hintergrund steht auch der Brief an den Juristen Paul Bockelmann, mit dem Schmitt über völker- und verfassungsrechtliche Fragen korrespondierte. Nach einem halben Jahrhundert voller Interventionen, Strafexpeditionen, brüderlicher Hilfe und friedenssichernden Maßnahmen steht eins fest: Nicht der Krieg, nur seine Hegung ist abgeschafft.

NIELS WERBER

Wir danken Herrn Dr. Weber vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf für Hilfe

bei der Recherche und dem Nachlassverwalter Prof. Dr. Becker für die Genehmigung zum Abdruck.

 


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