Der purpur zündete wie leichtes Stroh
Und floß in flammen um der säulen Knauf
Der ganze tempel wankte lichterloh.
Stefan George, Der Teppich des Lebens, Vorspiel
VI.
Bret Easton Ellis erzählt hier keine Geschichte,
er malt ein Tableau, sehr genau, detailliert, quasi in Technicolor.
Die Attentate werden von extrem gut aussehenden und ebenso gut angezogenen
top
models begangen, die keinerlei erkennbare Absichten damit verfolgen.
Orte der Anschläge: Designercafés, Luxushotels, die erste Klasse
einer Boing 747. Opfer des Terrors: Models, Stars, der internationale Reisekader
des global village. „Dead
bellmen lay scattered among magazines and Louis Vuitton luggage and heads
blown off bodies, [...] many of them BBR (Burned Beyond Recognition). In
a daze, wandering past me: Polly Mellon, Claudia Schiffer, Jon Bon Jovi
[...], Boy George, Mariah Carey.” (S. 407) Frauen im “Chanel suit” wälzen
sich in den Trümmern von “Louis XV furniture” (S. 407), draußen
„several cars, mostly BMWs, are burning.“ (S. 406) Alles paßt
hier auf dem ground
zero der Literatur zusammen: die Opfer, die Täter, der
Tatort, die Mode, die Autos, das Gepäck. Just
names statt
no
logo.[4]
Moritz Baßlerhat in seiner Studie über die deutsche Politeratur[5] überzeugend die These vertreten, es gehe ihr schwerpunktmäßig um das Anlegen von Archiven. Markenprodukte, Popstars, Werbeclips, Mode, Trash usw. werden gesammelt, geordnet und rearrangiert. Benjamin von Stuckrad-Barre etwa benötigt dank dieses popkulturellen Archivs in seinem „Soloalbum“ nur ein paar Sätze, um das ganze Leben einer Frau erschöpfend auszubreiten:
Mit einer ziemlich schrecklichen Frau komme ich dann ins Gespräch. Ich schätze mal, über ihrem Bett hängt in DIN-A-0 der sterbende Soldat, auf dem Boden steht eine Lavalampe. Sie hört gerne Reggae. Scheiß Pearl Jam findet sie »superintensiv«, auf ihre CD von Tori Amos und PJ Harvey hat sie mit Edding geschrieben »?-Power rules«, selbst einem Comeback von Ina Deter stünde sie aufgeschlossen gegenüber...[6]
Stuckrad-Barre mustert hier „kulturelle Paradigmen“ durch (S. 104) und generiert auf der Basis seiner „Archivierungsarbeit“ (S. 105) eine in sich stimmige, überzeugende Verkettung, die man nicht mit „Beschreibungsprosa“ (S. 105) verwechseln darf, denn sein „Ich schätze mal“ verdeutlicht, so Baßler, daß die „ganze Passage“ nicht auf das Leben einer wirklichen Frau referiert, sondern Elemente aus den archivierten Paradigmen auswählt und verschaltet. Die oben zitierte Passage kann so ohne jede „realistische Beschreibungsgrundlage“ fortgesetzt werden:
Als Nachthemd dient ihr treu ein zerschlissenes »Abi 1987«-T-Shirt, neben ihrem Bett (einer Matratze!) liegen lauter Armbändchen aus Ecuador oder so, solche, die auch zuhauf an Wolfgang Arschgesicht Petry dranhängen, die sie aber zum Großteil hat ablegen müssen, weil sie auf den Dreck allergisch reagiert. Auch allergisch reagiert sie auf die Spice Girls, die findet sie völlig scheiße. Harald Schmidt ist ein Nazi... (S. 106)
Nichts ist in diesem Tableau am falschen Ort, alles paßt. Die Verschaltungslogik der Passage erzeugt zwar noch eine „Textbewegung“ (S. 106), aber doch wohl keine Narration mehr. Die Popliteratur legt Listen, Kataloge, Tabellen und Inventare an, sammelt Elemente und generiert aus diesem Archiv der „profanen Dinge“ (S. 21) Literatur ohne Plots. Mit dem „Erzählen auf ein sinnstiftendes Ende hin“ ist Schluß (S. 90), mit dem ‚tieferen Sinn’ ebenfalls. „Man suche nur nichts hinter den Dingen“, empfiehlt Baßler den Lesern der Pop-Romane (S. 175). Er versteht vollkommen, warum Jörg Lau[7] bloß deshalb von Matthias Polityckis Roman schwärmen kann, weil „der nichts vergessen hat“ (S. 40f). Fanta, Bonanza-Fahrrad, Luftgitarre... Die Liste stimmt, das “Archivierungsprojekt” ist gelungen (S. 40). Dies können Autoren, die wie Rainald Goetz nach wie vor auf der Suche nach dem „Eigentlichen“ sind (S. 153), naturgemäß nicht verstehen:
„Jörg Lau hat im Merkur vom Politicki Buch gesagt, lobend: da würde man alles so aus dieser Zeit so wiedererkennen und ganz beglückt dauernd nicken, denn so, ja, hätte man es auch erlebt damals, so wäre es gewesen. Aber dieses Zustimmen kann es nicht sein, das ist nicht die Antwort auf Kunst.“[8]
Vielleicht nicht die Antwort auf „LITERATUR-Literatur“, könnte man mit Baßler (S. 177) entgegnen, aber auf die Texte der „neuen Archivisten“ schon. Die neue Popliteratur liebt das Tableau, Goetz dagegen, trotz aller Medienmitschriften, kann keine noch so schöne Liste archivieren, ohne sie gleich kritisch, dissident, rebellisch zu dekonstruieren.[9] Rainald Goetz ist also, ganz anders als Stuckrad-Barre, ein Kommentator der Popkultur, oder, systemtheoretisch gesprochen, die Popkultur wird ihm gelegentlich zum Medium für Formen, doch die Formung des Mediums selbst hat mit Pop wenig zu tun. Wichtiger als die popkulturellen Schreibverfahren selbst, wichtiger als die stimmige Verschaltung popkultureller Metonymien ist Goetz die Beobachtung zweiter Ordnung.
Dies gilt zumal für unser Thema: Terror und Gewalt. In „Kontrolliert“ wird es so vermittelt: „Der Generalbundesanwalt und sein Fahrer verstarben am Schauplatz des Überfalls. Sauber, sagte ich zum Radio, mitten am Gründonnerstag ein echtes österliches Blutbad, und stand schon, zisch unter der Dusche“. Der kurzen Radiomitschrift folgt dann die ausführliche Analyse. „... Das Problem, an dem die ganze raf zerbricht, ist weder der Mercedes, noch der Buback, sondern sein Fahrer Wolfgang Göbel, so ging die Rechnung hier ganz klar, da halfen keine Worte revolutionärer Herrlichkeit und Härte...“[10] Die Unterschiede zu Bret Easton Ellis’ detailliertem wie fashionablem Tableau sind offensichtlich. „Glamorama“ friert die Szene ein, und Victor Ward: Ich-Erzähler, Model und Terrorist wider Willen beschreibt sie wie sonst eine Club-Eröffnung, eine Modenschau oder ein Filmset. Kein Markenname entgeht ihm, wenn er seine Listen der explodierten Autos, der getragenen Mode und mitgenommenen Accessoires anlegt: BMW, Chanel, Louis Vitton... „and entire wardrobes of Calvin Klein and Armani and Ralph Lauren hang from burning trees and there’s a teddy bear soaked with blood and a bible and various Nintendo games [...] and Prada purses [...] and so many clothes from the Gap contaminated with blood and other body fluids“ (S. 504). Die beherrschende Sinndimension dieses Tableaus ist der Raum, bei Goetz ist es die Zeit – bereits in seiner „Geschichte des Jahres 1977“ und erst recht in der militärischen Präzision der Zeitangaben in „Abfall für alle“.[11] Warum Models grausame Attentate ausüben, andere Models foltern, mißbrauchen, töten, wird in „Glamorama“ genauso wenig gefragt wie nach den Motiven Patrik Batemans im „American Psycho“. In „Glamorama“ hat Bateman einen kurzen Auftritt, er ist immer noch reich, sieht immer noch gut aus, und sein Armani-Anzug weist braune Flecken auf. Nichts hat sich geändert. Dafür bräuchte man ja auch Zeit.
„Unsere einzige Rettung“, so Alexander von Schönburg, Jahrgang 1969, britische Prep-School-Erziehung, „wäre eine Art Somme-Offensive. Unsere Langeweile bringt den Tod. Langsam komme ich zur Überzeugung, daß wir uns in einer ähnlichen Geistesverfassung finden wie die jungen Briten, die im Herbst 1914 enthusiastisch die Rugby-Felder von Eton und Harrow, die Klassenzimmer von Oxford und Cambridge verließen, um lachend in den Krieg gegen Deutschland zu ziehen.“[13]
Die Tristesse-Generation in Berliner Luxushotel-Lounge beschreibt sich hier selbst als Relaunch der britischen Kriegs-Freiwilligen, deren frischer Strom sich begeistert in die hungrigen Gräben des Stellungskriegs ergoß. Die Grundlage für diese erstaunliche Analogie ist die Langeweile, die, von Baudelaire[14] geborgt, über der Runde als Spleen, Tristesse, Trübsaal oder Ennui das Zepter führt. Von Schönburg setzt, während hinter ihm die untergehende Sonne an der „grün eloxierten Quadriga“ aufblitzt (S. 134), die Analogie so fort:
„England war damals ebenfalls – wie heute Europa – am Ende einer Phase des Wohlstands und der Stabilität angekommen. Junge Menschen sehnten sich nach Aufregung, nach Heldentum, ja, Heldentod letztendlich. [...] In einer ganz ähnlichen Verfassung befindet sich unsere Generation heute. Wir werden von vorne bis hinten entertained. Die Spannung ist weg.“ (S. 138)
Auch diese Diagnose ist ein Relaunch. Jean-François Lyotard hatte 1982 die Frage, „was ist Postmoderne?“, zuallererst mit dem Hinweis beantwortet, „wir befinden uns in einer Phase der Erschlaffung“.[15] Die dazu passende Mentalität ist für Lyotard die „melancholia“ (S. 140); und am Ende seines Essays nennt er „Terror“ und „Krieg“[16] als Alternativen, sich zu dieser Melancholie handelnd zu verhalten. Von Schönburg folgt diesen Stichworten und plädiert zunächst für den Krieg als Mittel gegen Erschlaffung. „Wäre das hier Cambridge und nicht Berlin, und wäre es jetzt der Herbst des Jahres 1914 und nicht der Frühling des Jahres 1999, wären wir die ersten, die sich freiwillig meldeten.“ (S. 138) Es wird dunkel, lautet die an diesen Monolog anschließende Notiz des Herausgebers, genau wie 1914 in Europa. Von Schönburgs Thesen bleiben unwidersprochen. Langeweile und Spannungslosigkeit, massenmediale Bevormundung und verantwortungslose „Wohlstandsverwahrlosung“ (S. 138) bilden das Tertium der Generation 1999 und der Generation 1914. Aber selbstverständlich ist alles nicht so gemeint, der Zusatz „Royal“ konnotiert bereits Soap (Kir Royal), und auch der Irrealis der Ausführungen gesteht die Kluft ein zwischen der Generation Golf und der Generation lost.
Als das Quintett Unter-den-Linden hinauf zum Brandenburger Tor schlendert und eine Demonstration gegen den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr besichtigt, bemerkt von Schönburg: „Wenn ich schon diese Panzerfahrzeuge sehe, dann möchte ich doch auch die Steine fliegen sehen, die Knüppel oder Dachlatten, den Qualm. Napalm vielleicht.“ Man hofft auf „Ausschreitungen“ (S. 94), an denen man allerdings nicht teilzunehmen gedenkt, sondern die man gerne anschaut, während man selbst Sicherheitsabstand hält. Das Szenario erinnert an Tim Staffels Terrordrom aus dem Jahre 1998. Die Gewalt wird im „Gebiet des Terrordroms“ eingehegt, gefilmt und übertragen. „Dazu Merchandising für die, die draußen bleiben, Pay-TV für Live-Übertragungen etc. Es ist ein Markt“.[17] Lautet das Programm der deutschen Popliteraten also tatsächlich Krieg gegen Erschlaffung, Gewalt gegen Langeweile? So scheint es zunächst, aber dann wird auch hier deutlich, worum es wirklich geht: um Tableaus. Bessing nämlich vermißt an der betrachteten Szene die „Demonstrantinnen mit den Spaghettiträger-Kleidern von Donna Karan“, und Kracht lobt „die alte Ästhetik der Demonstration, wo man gutfrisierte Männer in Anzügen oder guten Jeansjacken sah, die, fotografiert von William Klein, bei den Mai-Unruhen in Paris mit Steinen warfen.“ (S. 95) Die Wahrnehmung der Welt ist nicht zufällig photographisch, denn die genaue Beschreibung eines Settings ist wichtiger als die „große Erzählung“ (etwa von der „Emanzipation der Menschheit“).[18]
Die deutsche Popliteratur hat den Markenfetischismus, die amoralische Coolness, die genaue Oberflächlichkeit von Ellis übernommen. Die Attentate der Prada- und Gucci-Terroristen folgen einem konsequenten ästhetischen Programm, kein Element wird dem Zufall überlassen, alles ist sorgfältig geplant: die Outfits, das Objekt, der Sprengstoff und sein Versteck, die Opfer. „Café Flore has been canvassed all week and a detailed description of its layout yielded the best table to leave the Prada backpack at“ (S. 347). Models bevölkern das hippe Café, alles paßt, die Bombe explodiert. Joachim Bessing reformuliert im Adlon dieses quasiästhetizistische Programm des L’art pour l’art-Terrors so:
„Wenn Claudia Schiffer das Hobby hätte, Briefbomben zu verschicken – kein Verdacht würde auf sie fallen. Claudia Schiffer ist für jeden allein dazu da, schön auszusehen, eben ein Supermodel zu sein. Niemand würde doch auf die Idee kommen, daß sie etwas tut, was anderen schadet. Das ist doch die Chance für Claudia Schiffer. Man denkt doch eher, der Terror dieser Supermodels richte sich gegen sie selbst; sie nehmen Drogen und lassen sich Silikon implantieren [...]. Aber man glaubt doch nicht, daß die Bomben kaufen oder verschicken würden. Dabei haben gerade die das Geld dazu.“ (S. 158)
Sie ist ein Model, und sie sieht gut aus, also kann sie keine Terroristin sein, also wäre sie die perfekte Terroristin. Einen Grund dafür, warum aus Supermodels Terroristen werden sollten, eine Frage, die auch Bret Easton Ellis weder stellt noch beantwortet, gibt es nicht. „Weil sie es können“, könnte die selbstreferentielle Antwort lauten, die man auch von jugendlichen Amokschützen kennt, „ich habe es getan, weil ich es konnte“. Christian Kracht weist denn auch sofort auf das „Erschießen von High-School-Kindern neulich in Littleton“ hin (S. 159). Die Selbstreferenz des Terrors klingt wie ein Echo aus der Werbung – „just do it“ – und aus der Kunst; man denke etwa an Schillers berühmte Worte: etwas gefalle uns „in der bloßen Betrachtung und durch seine bloße Erscheinungsart“, ohne daß wir bei dieser „ästhetischen“ Betrachtung sonst „auf irgendeinen Zweck Rücksicht nehmen“ würden.[19] Das Attentat wird hier, um es mit einem anderen Kantianer: Thomas de Quincey zu formulieren, als „schöne Kunst betrachtet“. Stuckrad-Barre erinnert daran, daß es bei der RAF eine „Vision“ oder eine „Utopie“ gegeben habe, die ihre Aktionen motivierten (S. 156). Offensichtlich hat er Bessing nicht verstanden und fragt noch einmal nach: „Ich verstehe deine Schlußfolgerungen daraus nicht.“ Und Bessing antwortet luzide: „Es kann natürlich auch keine geben.“ (S. 158) Das Programm des Prada-Terrorismus sieht weder Gründe noch Schlußfolgerungen, weder externe Zwecke noch endogene Motive vor, es folgt seiner eigenen Logik, die darin besteht, die Szenarien der Gewalt ästhetisch kohärent mit Elementen aus einem Paradigma auszustatten.
„Von innen bomben. Das wäre mein Vorschlag.“ Oder Ellis’ Vorschlag, eine Referenz, die Bessing zu nennen sich erspart, wenn er im Adlon das Glamorama-Theme spielt: „Bomben aus Semtex bauen und dann in Prada-Rucksäcken an die Art-Direktoren schicken, per Kurier.[20] Oder das Café Costes oder das Adlon sprengen...“ (S. 156) Mit genau denselben Bausteinen spielt „Glamorama“: Semtex-Bomben im „black Prada backpack“, zerstückelte Frauen „in the bloody tatters of a Chanel suit”, Attentäter in kugelsicheren Giorgio Armani-Smokings. Nach dem Zweck der Attentate zu fragen, wäre sinnlos, sie sind stylish. Man kann eine Modestrecke daraus machen. Ja, man hat Modestrecken daraus gemacht.[21]
Der Terror, das „Prada-und-Gucci-Läden-in-die-Luft-Sprengen“ (S. 158) führt, so Bessing, „ins Garnichts. Es gibt auch nicht so etwas wie einen Inhalt“ (S. 156). Es geht allein um Form, um ein gutes Attentat. Sinn? – „spare me“! Dennoch folgt der Gucci-Terror einem konsequenten Programm. Kein Element wird dem Zufall überlassen, alles ist sorgfältig designed: die Outfits, das Objekt, der Sprengstoff, sein Versteck, die Opfer. Die Terroranschläge werden nach denselben Lifestyle-Aspekten arrangiert wie Victors Gästelisten und Batemans Appartement. Die deutsche Terrorpopliteratur hat dieses Programm übernommen. Es sieht weder Gründe noch Schlußfolgerungen, weder externe Zwecke noch endogene Motive vor. Es geht allein darum, die Szenarien der Gewalt ästhetisch kohärent mit passenden, coolen, modischen Elementen auszustatten. So funktioniert „Glamorama“, so läuft die „Wir Maschine“. Aus dieser Perspektive lautete die Frage vermutlich, was denn die Attentäter des 11. September wohl angehabt haben.
In Joachim Bessings Roman[22] folgen auf die Hasstiraden gegen Asoziale, Sozialhilfeempfänger und Junkies die Anschläge auf Hamburger Fixerstuben auf dem Fuße. Bateman hat bei Obdachlosen noch mit dem Messer gearbeitet, erst die Glamorama-Models setzen großzügig Semtex ein. Elemente beider Romane werden hier wiederverwertet. Bei Gumbo, Bessings Hauptfigur, regt sich Verständnis für die Anschläge, als er in der Wandelhalle des Hamburger Hauptbahnhofs die Allee der Drogenabhängigen durchschreitet, um direkt in einem Laden zu landen, in dem sämtliche „Hilfsmittel zum Drogenkonsum“ und zur Beschaffungskriminalität („Springmesser und Butterfly, Elektroschocker, CS-Gas und Pistolen“) feil geboten werden. Nach dem Anschlag auf den Junkie-Treff Drop In (S. 101) wird eine türkische Imbissbude gesprengt, wo sich Hamburger Werber mit Döner und Kokain eindecken. Gumbos Chef Francis „will eine doppelte Raki-Cola und wiederholt seine Bestellung über fünf Gramm, verleiht ihr Nachdruck, zeigt sich hart“ (S. 191). Er will bei Mehmet unbedingt „etwas kaufen“ und wartet am Tresen ungeduldig auf den Kurier und seinen Döner (S. 190). Der elektrische Grill springt nicht an, „Mehmet drückt im Stakkato auf die Starttaste.“
Und genau in diesem Moment, als Ylmaz, der Kurier, die Straße, das kopfsteingepflasterte Schulterblatt, schon zur Hälfte überquert hat; als Francis einen weiteren, langen Schluck Raki-Cola hinuntergeschluckt und Mehmet, seinen Knopf drückend, meldet: Jetzt!, zerreißt ein Blitz die Atmosphäre, die blaßgraue Luft über Hamburg, und diesen Tag. – Francis kann sie nicht mehr spüren, die Explosion, die ihm den Kopf abreißt und gegen die Schaufensterscheibe schleudert“.
Passanten: „weißhaarige Rentner, Studenten im orangefarbenen Sweater“ werden von einem Regen aus „Hackfleisch, Glaszacken und Francis getroffen“ (S. 192). Der Moment wird minutiös erfaßt. Ist der Erzähler auch hier schon gnadenlos genau, so stimmt aber erst beim zweiten „Blow“ jedes Detail. Beim Shooting einer Jil Sander-Werbung wird an den Set auch ein Kleidersack „voller Bastelschrott“ geliefert, „Knete und Draht“ (S. 186), aber niemand versteht. Bei einer Lesung im Hamburger Literaturhaus nach dem 11. September 2001 hat Bessing diese Terrorpassagen ausgelassen. Das wäre nicht nötig gewesen, denn der Terror in der „Wir Maschine“ ist ohne jede externe Referenz, ohne Bezug auf eine Geschichte, er fungiert als Element eines popkulturellen Tableaus. Man muß die Textstellen mit entsprechenden Passagen bei Bret Easton Ellis vergleichen und nicht mit wirklichen Selbstmordanschlägen auf WTC und Pentagon. Die Frage lautet nicht, was diese Anschläge auf Junkies und Kokser, Werber und Models bedeuten, sondern ob eine Semtex-Bombe im Kleidersack zu einem Jil Sander-Shooting paßt.
Das vorletzte Kapitel des Romans listet dann doch Bekennerschreiben auf. Hamburg ist von Explosionen nachhaltig zerstört worden. „Heute sind wir uns wenigstens sicher, daß unsere Art zu sprechen ihre Wirkung niemals verfehlt“ (S. 199). Damit ist dann endlich auch die RAF zitiert, deren längst T-Shirts und Web-Sites zierendes Motto „die Knarre spricht“ lautete. „Alles, was wir zu sagen haben, werden wir von nun an schießen“, zitiert Leander Scholz Andreas Baader, der nach unzähligen langweiligen Demonstrationen endlich eine Sprache gefunden hat, die Kugel für Kugel ankommt.[23] Folgt man den Neuerscheinungen der letzten Jahre, dann könnte man meinen, Terrorismus sei zuallererst sprachkritisch motiviert gewesen, als letztes Mittel, sich in einer tauben Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Eine Lesart, die seine Anhänger auch im Falle des fundamentalistischen Terrorismus gefunden hat: die Anschläge verschafften denen Gehör, die keine eigene Stimme haben. Der Terror sei „ein Symptom“, meint der RAF-Experte des BKA in Franz-Maria Sonners Roman „Die Bibliothek des Attentäters“: „Die Gesellschaft war krank.“[24] Die Anamnese einer kranken Gesellschaft aufzuschreiben, wäre dies die Aufgabe einer Literatur, die den Terror der Gesellschaft ernst nähme statt ihn in ein popkulturelles Tableau einzuspeisen?
IRA, RAF, Subversive Aktion, Situationismus – für Marc Fischers Protagonisten macht das keinen Unterschied. Der Finanzier und Spiritus Rektor der Koks-Terror-Party-Bande Höller betrachtet ihn und seine Freundin „als eine Art Revolutionspärchen, wie Bonny und Clyde oder Sid Vicious und Nancy Spungeon oder Baader und Ensslin.“ (S. 206) Hier geht es nicht um Differenzen zwischen Raubmördern, Punkrockern und Terroristen, sondern um die Gemeinsamkeit, Ikonen der Popkultur darzustellen. Auch Höller selbst wird als „Popstar“ (S. 207) bezeichnet. In „Eine Art Idol“ werden Brandanschläge auf Modeboutiquen und Banküberfälle verübt. „Eine neue RAF?“, erkundigt sich der Held des Romans. Aber nein, es sind „Leute, die tagsüber nichts zu tun haben und darum für die Nacht eine Aufgabe brauchen. Leute, die sich nicht langweilen möchten.“ (S. 142) Der Terror als ultima ratio im Kampf der Spaßgesellschaft um Unterhaltung freier Zeit. Und nach dem Anschlag geht’s auf ein paar Drinks in die Kneipe. „Hättest du filmen sollen, sah super aus, sagte ich.“ (S. 215) Nur eine Line später fühlen sich die „Bombenlegerkollegen“ als „Stars“. (S. 217) In Bret Easton Ellis’ „Glamorama“ sind es gleich internationale Top-Models, die auf Drogen Anschläge verüben – in Vorabsprache mit Kamerateams, die immer zur rechten Zeit am rechten Ort die besten Bilder schießen. Und umgekehrt werden in „Rosenfest“ von Leander Scholz die Terroristen inszeniert wie andere Stars auch. Shooting in Paris: Baader tritt in einem Café auf wie ein „professioneller Fotograf“ und redet im „Fotografenjargon“ auf Gudrun Ensslin ein: „Na komm schon, sagt er mit fester Stimme, ich will nur deine Augen, sonst nichts, sieh mich an, sieh mich einfach nur an“ (S. 140). Oder auch: „jetzt will ich deinen Mund, nur deinen Mund“ (S. 141) Ensslin lächelt, wirft ihren Kopf zurück und „fühlt sich [...] wie eine echte Pariserin mit einem französischen Mann an ihrer Seite, der sie sein Modell sein läßt, sein einziges verehrtes Fotomodell.“ (S. 142) Ensslin, das Model. Dann wird ein dunkelblauer Citroën geklaut, man fährt in die Toskana. Gudrun trägt eine übergroße „modische Sonnenbrille“, ihre Begleiterin Peggy einen champagnerfarbene BH mit „durchsichtig geflochtenen Körbchen“ (S. 170f), alles französischer Herkunft. Baader schreibt aus Italien an die deutsche Presse: „Schießen kann wie Ficken sein. Unser Spaß wird es sein, so lange eve of destruction zu spielen, bis sie es nicht mehr hören können“ (S. 212). Terror, Sex, Mode und Pop werden amalgamiert. Zurück in Deutschland, nach einem Sprengstoffanschlag und einem blutigen Schußwechsel mit der Polizei, probiert Gudrun in einer teuren Boutique eine teure rote Bluse an. „Die Bluse sitzt eng. Sie betont den Frauenoberkörper, der sich selbstbewußt präsentieren soll.“ Gudruns lange blonde Haare fallen auf das „aggressive Rot“ der Bluse, deren enger Schnitt die „Formen ihres Busens deutlich freigibt“, sie sieht gut aus (S. 244). Was immer auch getan oder gefilmt wird, Modestrecken, Sex- und Folterszenen oder Terroranschläge, alle befolgen nur ihre „shooting scripts“. Alles dient der Unterhaltung. Die fashionable Mixtur ist so unwiderstehlich, daß Christian Kracht Osama bin Ladin zu einem amerikanischen Medienstar erklärt und die Taliban der Popkultur des camp zuschlägt; oder daß Andreas Baader in „Rosenfest“ als gelangweilter Dandy auftritt, der zum Glück „immer ein wenig Koks bei sich“ hat, um die Demonstrationen, die er „unbeteiligt“ beobachtet, ein wenig aufzupeppen (S. 9). Terror ist nur ein Element des Ensembles aus Drogen, Mode, Sex und Lifestyle. Die Zeitschrift Tussi deluxe ließ eine Modestrecke im RAF-Stil zu fotografieren, der „Prada-Meinhoff“-Look wurde ein Szeneerfolg.
In „Wir Maschine“ gerät ein Vernissagen-Publikum ins Schwärmen: „Andy – Andy Baader, Ein Mann! – ein richtiger Mann!“ Ohne Terroristen läuft gar nichts, wenn man sich wirklich erstklassig amüsieren will. Der Schrecken avancierter Literatur, von dem Bohrer schrieb, er werde viel zu leicht eingehegt und weginterpretiert – hier will er ohnehin niemanden beunruhigen. Was einmal provokativ, subversiv, dissident oder revolutionär gewesen sein mag – jetzt ist es nur noch ein äußerstenfalls ironisches Zitat auf einem „Popbild“.[30] Die aktuelle Terrorliteratur will nicht „terrorisieren“.[31] Sie müht sich nicht darum, mit literarischen Mitteln einen politischen Effekt zu erzielen. „Der Effekt“ – das ist nun nicht mehr als eine „perfekte Party“.[32] Die Popliteratur setzt voraus, daß sie nur fun ist, „light entertainment”. Und sobald die Gefahr droht, es könne Ernst werden, unterschlägt man ein paar Passagen. Eine Geschichte soll schließlich „lustig“ sein, so Christian Kracht am 30. 9. 2001. Berlin sollte für einen Moment Hanoi werden – das war das politische Ziel des literarischen Textes der Kommune 1. Die Anschläge auf die Siegessäule, diverse Cafés und Imbißstände, Werbeagenturen oder Boutiquen in den Romanen der neuesten Popliteratur dagegen bedeuten nichts, was über den Stellenwert innerhalb ihres Tableaus hinausginge. An keiner Stelle würde etwa der Potsdamer Platz zum World Trade Center in New York. Der Pop-Terror zielt nicht auf eine überraschende Durchsicht auf „politische Zusammenhänge“, die der gewohnten Wahrnehmung sonst entgehen; der Terror ist vielmehr aus dem Kontext gelöstes Zitat. Wer dies nicht goutiert, wird mit Passagen wie der aus „Glamorama“ nichts anfangen können, obwohl sie sich wie eine kongeniale Beschreibung des WTC-Infernos lesen. Was aber „wie Beschreibungsprosa daherkommt, ist in Wirklichkeit wieder ein Spielart der Routine“, schreibt Baßler über Stuckrad-Barres Kombinatorik. Und wie Stuckrad-Barre aus popkulturellen Paradigmen eine Frau generiert, über die er tatsächlich „nichts weiß“ (S. 105), erzeugen die Texte von Ellis, Bessing, Fischer oder Staffel realistisch wirkende Tableaus der Gewalt, die an keiner Stelle etwas mit Al-Qaeda, RAF, IRA oder GIA zu tun haben. „Das meiste entbehrt offenkundig jeder konkreten Grundlage, und dennoch, das ist das Geheimnis, bewegt sich der Text vollständig im Konkreten, man kann sich jedes Detail vorstellen.“[33] Es geht aber nicht um „Inhalte“ oder Geschichte, wie sicherlich den Situationisten, Kunzelmann und auch Rainald Goetz in „Kontrolliert“, sondern es geht um den Effekt gelungener Verknüpfungen: um Lust, die sich dann einstellt, wenn eine „akribische Lektüre“ das Tableau sorgfältig abscannt und Selektion und Kombination der Elemente zu schätzen weiß.[34]
Tim Stachels Protagonist in „Terrordrom“ spricht es aus: der eskalierende Terror ist das, „was es ist: just for fun“ (S. 197). Gegen die Verfasser des Flugblatts 8 wurde Anklage wegen Aufrufs zur Brandstiftung erhoben – und ein Gutachter mußte eigens vor Gericht nachweisen, es handele sich um eine „surrealistische Provokation“, um Kunst also.[35] Heute merkt kein Staatsanwalt auf, wenn die Popliteraten zum Genickschuss einladen (S. 158) oder der Sänger Jan Delay in „Söhne Stammheims“ (Buback/RecRec 2001) bedauert, man könne „wieder sicher Mercedes fahren, ohne daß die Dinger explodieren“. Im „Terrordrom“ wird das Töten zum fun sport erklärt und der finale „Spaß“ der „Freizeitsoldaten“ vom Fernsehen übertragen (S. 209). Niemand würde auf den Gedanken kommen, dies könnte dabei mithelfen, jene Bilder zu verstehen, die von den Terrorattacken des 11. September übertragen wurden – und das belegt nur einmal mehr den Unterschied zwischen 1967 und 2001. Der Terror der Popkultur gehört zur Reservatenkammer eines unterhaltungssüchtigen Juste-milieu, dessen ironische wie routinierte Distanz sich von keiner Explosion, keinem Serienkiller, keiner Überdosis („OD“) und keinem Porno provozieren lässt, weil alles nur aus hübschen Kombinationen besteht, kein Grund sich aufzuregen. Spaß am delightful terror aus sicherer Entfernung zu haben, daran wird der 11. September wenig ändern.
Die politische oder historische Dimension des Terrors wird von der Popliteratur vollkommen abgestriffen. Was nach dieser Entkernung bleibt, ist ein Thesaurus zitierbarer Oberflächenelemente, mit der die Popliteratur spielen kann wie der Autor des „Höllerschen Manifestes“ mit den politischen Bewegungen der letzten zwei Jahrhunderte. Die Textproduktion folgt einer Art barocken Kombinatorik. Wie im 17. Jahrhundert hat niemand Hemmungen, seinen Text aus Zitaten oder Gemeinplätzen zusammenzustellen. Erfinden heißt hier finden. Deshalb nennt Baßler die Popliteraten zurecht die „neuen Archivisten“. Ohne Sorge um Copyrights und ohne Originalitätszwang greifen alle auf die gleichen Wissensspeicher zu, deren Elemente nur ausgesucht und geschmackvoll arrangiert werden müssen. Diese barocke ars combinatoria feiert sein Come back in der Popliteratur. Dass Ellis’ Protagonist Victor Ward unter short term memory loss leidet, macht ihn zum idealen Leser dieser Texte, die ja weniger etwas Neues und Originelles anbieten, das man dann mit älteren alternativen Vorschlägen zu vergleichen hätte, sondern eine im Moment stimmige Kombination, die passt oder nicht passt wie ein Gucci-Anzug zur Jil Sander-Kravatte oder eine Remform-Bombe in den Prada-Rucksack. Diesem Verfahren könnte die Zukunft gehören, gerade weil es keine Vergangenheit mehr kennt.
Niels Werber ist Privatdozent für Literatur- und Medienwissenschaft in Bochum. Der Text basiert auf seiner Antrittsvorlesung über „Krieg und Terror in der Popkultur“.