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The signs are not alright

Zeichen sind schön, machen aber auch viel Arbeit. Die Cultural Studies
erfinden sich unter dem kreativen Imperativ neu, ohne ihre Grundannahmen zu
entsorgen.

Wenn es einer akademischen Disziplin nicht an Nachrufen mangelt, dann den
Cultural Studies. In den neunziger Jahren schwappten sie als Theorieimport in
deutsche Hörsäle, vorangetrieben von einer Reihe junger popsozialisierter
Wissenschaftler, die auf diese Weise ein persönliches Interesse theoretisch
fundieren konnten. Und so bildete sich in Deutschland schnell eine
Konnotation, die der Disziplin kaum gerecht wird: Cultural Studies - das ist
dort, wo über Pop und Politik geredet wird.

Dass ihre Vertreter in ihrem Heimatland Großbritannien aus der Nische heraus
operierten, war dabei sicherlich hilfreich - ein wenig Dissidenz sollte
schließlich jeder Nachwuchsakademiker pflegen. Was nicht bedeutet, dass die
Cultural Studies per se ein „polemisches“ Verhältnis zur Universität
kultiviert hätten und jetzt nach ihrem Siegeszug ratlos in der Hallen der
Akademie herumstehen. Vielmehr ergab sich diese Distanz aus ihrer
Entstehungsgeschichte. Die frühe Generation der Cultural Studies-Vordenker um
Richard Hoggart und Stuart Hall sprach aus einer marginalen Position als
Arbeiter oder Einwanderer und die so entwickelten Fragestellungen fanden
gleichzeitig Eingang in die Debatten der Neuen Linken und der Labour Party.

Cultural Studies zu betreiben bedeutete Stellung zu beziehen. Zum einen gegen
eine im Nachkriegsengland weiterhin verbreitete viktorianische Kulturkritik,
die der Massen- und Arbeiterkultur ihre Legitimation absprach, zum anderen
gegen einen reduktionistischen Marxismus und die Frankfurter Schule, denen man
einen geschärften Blick fürs Detail entgegenzusetzen hatte - immer im
Bewusstsein, dass die britische Gesellschaft durch Rassismus, Geschlecht und
Klassenzugehörigkeit gespalten ist.

Dabei sind die Grenzen der Cultural Studies fließend, sie können eine
ethnografische Untersuchung der lokalen Kneipenkultur ebenso umfassen wie eine
von Gilles Deleuze inspirierte Neuformulierung des historischen
Materialismus.„Für mich ist die Wahl des Untersuchungsgegenstands
entscheidend. Seine soziale Bedeutung muss beispielhaft sein,“ meint Angela
McRobbie. In den späten 1970ern brachte sie die den überwiegend an der
Lebenswelt männlicher Arbeiterklassenangehöriger interessierten Cultural
Studies den Feminismus bei, indem sie über Flohmärkte und Mädchenmagazine
schrieb. Heute unterrichtet sie am Londoner Goldsmiths College angehende
Textildesigner, was nur scheinbar ein Widerspruch ist. Ihr Interesse an einer
weiblichen Lebenswelt ist über die Jahre unverändert, nur der Ort der
Auseinandersetzung hat sich von der Repräsentation auf die Geschenisse hinter
den Kulissen verlagert.

„Traditionell beschäftigten sich die Cultural Studies mit Fragen von
Mediennutzung und Konsum. Seit gut zehn Jahren sind Fragen der Produktion,
oder vielmehr der Arbeit, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt“, erzählt
David Hesmondhalgh von der University of Leeds. Konkret bedeutet dies, dass
die Forschenden sich ihrem Gegenstand mit klassischen Methoden der
Sozialforschung, per Interview oder teilnehmender Beobachtung, annähern. So
entstehen detailverliebte Studien im Kunst- oder Medienbereich, etwa über die
Ökonomie der Bhangra-Szene in Birmingham oder die von Hesmondhalgh selbst
durchgeführte Untersuchung über die Arbeitsbedingungen bei einer Talentshow
der BBC.

Die traditionellen Fragestellungen der Cultural Studies gehen dabei nicht
verloren. Zum einen, weil durch die Bildungsreformen im Nachkriegsengland der
Kultur- und Mediensektor für Angehörige der unteren Mittelklasse und der
Arbeiterklasse recht durchlässig ist. Daher ist das Problem vieler
Untersuchungen über prekäre Arbeitsverhältnisse im Mediensektor –
Mittelschichtswissenschaftler forschen über über die Situation von
ArbeitnehmerInnen, die ihrer eigenen sehr ähnlich ist – weniger ausgeprägt.

Zum anderen, weil die Kreativen schon länger im Mittelpunkt politischer
Heilsversprechen stehen. Der Philosoph Toni Negri entdeckte in ihrer
„immateriellen Arbeit“ das Potential zum revolutionären Umsturz und Richard
Floridas Idee einer „kreativen Klasse“, die sich auf der Suche nach den
hipsten Städten temporär in diesen niederläßt und sie so fit für die Zukunft
macht, ist vielerorts zum stadtplanerischen Programm mutiert. In
Großbritannien machte die 1997 an die Regierung gewählte Labour-Party die
Förderung der „Creative Industries“ zu einem ihrer Prestigeprojekte. Parallel
zur ‚Modernisierung‘ der Sozialdemokratie hin zum Dritten Weg sollte ‚Cool
Britannia‘ damit endgültig Abschied von den Ruinen der fordistischen
Produktion nehmen und an die Erfolge britischer Popkultur aus den 1960ern
anknüpfen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Auseinandersetzung mit Formen
von Kreativarbeit eine stärkere Bedeutung, als ihr geringer Anteil an den
Erwerbstätigen vermuten ließe.

„Arbeiter in den Kreativindustrien sind anfällig dafür, sich selbst
auszubeuten“, stellt David Hesmondhalgh fest und weist darauf hin, dass die
Erfahrungen, die Kreative bei der Arbeit machen, selten emanzipatorisch sind.
„Kreative haben den individualistischen Wettbewerb moderner neoliberaler
Gesellschaften verinnerlicht.“ Diese Diagnose steht in einer Linie mit
diskursanalytisch inspirierten Arbeiten, die Kreativität schon länger nicht
mehr als widerständige Ressource, sondern als „neuen Geist des Kapitalismus“
begreifen, von den Cultural Studies jedoch um die nötige Empirie angereichert
werden.

Angela McRobbie hat in mehreren Untersuchungen die Karrieren ihrer
AbsolventInnen über einen längeren Zeitraum verfolgt. „Kreative Berufe gelten
als interessanter und erfüllender als bürokratische Jobs wie z.B.
unterrichten“, berichtet sie. „Ironischerweise müssen viele Kreative
letztendlich von solchen bürokratischen Jobs leben, tun dies aber zu
schlechteren Bedingungen.“ Früher seien ausgebildete Textildesigner häufig
hauptberuflich Lehrer geworden und hätten neben einem regelmäßigen Einkommen
auch einen Beruf gehabt, der ihren fachlichen Fähigkeiten entsprach. Heute
würden sie sich vermehrt mit Aushilfsjobs über Wasser halten oder als
Freelancer unterrichten. „Es gibt eine gouvernmentale Strategie, die eine
unternehmerische Arbeitsethik hin zur Freiberuflichkeit fördern soll. Auf
diese Weise müssen die großen Unternehmen oder auch der Staat sich z.B. nicht
mehr an den Kosten für die Krankheiten ihrer Mitarbeiter beteiligen,“
erläutert McRobbie

Krankheit, Arbeit, Neoliberalismus – diese Begriffe haben wenig von der
souveränen Geste der Dissidenz, mit der frühe Vertreter der Cultural Studies
wie Dick Hebdige im Tragen von Sicherheitsnadeln Zeichen des Widerstands gegen
die dominante Kultur der britischen Nachkriegsgesellschaft entdecken wollten.
Dies hat mit einer Orientierung weg von der Semiotik, der Frage nach der
Bedeutung zu tun. „Klar, Semiotik ist toll, aber ich habe mich nie für die
Romantisierung von Punk interessiert“, erklärt Angela McRobbie, „sondern
dafür, welche materiellen Bedingungen ihm zugrunde lagen.“ Irgendjemand muss
Sid Vicious’ T-Shirt mit dem Hakenkreuz schließlich genäht und verkauft haben,
bevor es zum Gegenstand situationistischer Umdeutungen werden konnte. Wobei
der Subversionswert dieser Umdeutungen eh begrenzt war. Punk zeigte seine
langlebigsten Effekte im Aufbau unabhängiger Vertriebsstrukturen, den
Verträgen von Labels wie Mute oder Factory, die den Künstlern 50% der
Einnahmen zusicherten oder auch dadurch, dass er für einen kurzen Moment
Frauen als gleichberechtigte Produzentinnen in der männlich geprägten Welt der
heroischen Subkulturen zuließ.

Dabei zeigen sich Parallelen zu den Arbeitsbedingungen in den
Kreativindustrien - lange Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung, aber eine hohe
emotionale Bindung an die eigene Arbeit und die als Freiheit empfundene
Flexibilität. Nur dass all dies nicht mehr der Flucht aus der Enge von
bevormundendem Sozialstaat und der Disziplin der Fabrik dient, sondern
Subkulturen als Durchlauferhitzer für den Erfolg oder das Scheitern in der
Herausbildung einer kulturalisierten Persönlichkeit fungieren. „Dick Hebdige
bewunderte die Punks, aber machte sich keine Illusionen über ihr politisches
Potential. Die Zeiten, in denen Jugendkulturen als leicht von einem
‚Mainstream‘ zu unterscheidende Erscheinungen zu erkennen waren, sind vorbei -
falls sie jemals existiert haben“, erzählt Jeremy Gilbert, der an der
University of East London über politische Sub- und Gegenkulturen forscht. Wozu
auch passt, dass die öffentliche Aufregung, die bis zum Ausbruch von Acid
House noch jede Jugendkultur begleitet hat, ist in den letzten Jahren rar
geworden. Lediglich eine Gruppe weißer Arbeiterklassenjugendlicher sorgte 2005
für ein wenig Aufsehen, als ein Einkaufszentrum das Tragen von Kapuzenpullis,
die zusammen mit Sportschuhen und Burberry-Kappen als charakteristisch für die
sog. „Chavs“ gesehen werden, verbot. „Chav ist nur eine vage Beschimpfung, es
bezeichnet keine quasi-politisierte Identität, selbst wenn das Label eine
Zeitlang positiv angeeignet wurde,“ meint Jeremy Gilbert.

Trotzdem bedeutet die wachsende Skepsis gegenüber der politischen Wirkung von
Subkulturen nicht gleichzeitig, dass sich das Interesse politisch motivierter
Cultural Studies-Lektoren nun wieder dem Staat zuwendet, der sich in der
Bankenkrise als mächtiger Akteur gezeigt hat. Sowohl die von einem breiten
Bündnis getragenen Proteste gegen den G20-Gipfel im April diesen Jahres als
auch die alljährlich stattfindenden Climate Camps sind weiterhin Gegenstände
der Beobachtung. Anders als in den antirassisistischen Kämpfen der 1970er und
1980er kommt es dabei aber nur selten zu einem Austausch zwischen Aktivisten
und Akademikern. „Ich bin nicht naiv genug zu glauben, dass Climate
Camp-Aktivisten anfangen werden, Stuart Hall zu lesen,“ so die Einschätzung
Gilberts. „Selbst wenn ich es toll finden würde.“

Stuart Halls Rolle als Stichwortgeber für Debatten wird mittlerweile von
Slavoj Žižek eingenommen, der am Londoner Birkbeck College unterrichtet. Zum
einen, weil er die philosophische Beschäftigung mit Pop salonfähig gemacht
hat, zum anderen, weil seine polemischen Angriffe auf die legitimen Interessen
von ethnischen oder sexuellen Minderheiten eine Negativfolie für die an
mikropolitischen Kämpfen interessierten Cultural Studies abgeben. Zu Synergien
es zwischen den beiden Lagern kommt es trotzdem. Žižek ist neben den
französischen „Speculative Realists“ ein wichtiger Stichwortgeber für das
Netzwerk aus Blogs und Websites, die in der Tradition der frühen Cultural
Studies Theorie und Alltag zu waghalsig parteiischen Texten verknüpfen. Der
junge Verlag Zero Books verhilft diesem Netzwerk mit seinen Veröffentlichungen
zu einer größeren Resonanz und füllt damit gleichzeitig eine Lücke neben den
vermehrt auf den lukrativen Markt für Undergraduates zielenden Großverlagen
wie Routledge oder Macmillan.

Vollkommen außerhalb des Universitätsbetriebs und seinen bürokratischen
Rankings steht er jedoch nicht. „Die Universitäten stellen widersprüchliche
Anforderungen an ihr Personal, unsere Texte sollen ebenso zugänglich wie
kenntnisreich sein. Letztendlich kann man sogar über den Verdruss an der Uni
schreiben, falls es in einer als wertvoll eingestuften Publikation geschieht,“
erklärt Nina Power, Autorin des Blogs Infinite Thought und Philosophiedozentin
an einer Londoner Reformuniversität. In ihrem Buch The One-Dimensional Woman
beschäftigt sie sich mit weiblichen Identitätsangeboten. „Feminismus in der
Form von sexy Konsum und der Idee, dass Schuhe, Schokolade und
Selbstbewusstsein der Schlüssel zur Befreiung sind, ist ein Witz.“

Womit Pop aber nicht zugunsten einer abstrakten Form von Politik aufgegeben
wird, sondern dadurch politisch wirksam wird, wenn er sich selbst als
historisch begreift. „Frühe Pornos, zum Beispiel, waren komödiantisch,
geistreich und trotzdem explizit, während sie heute wie Kekssorten
kategorisiert sind. Leider vergessen sowohl die Pornographie als auch der
Feminismus permanent ihre eigene Geschichte.“ Was der Linken nicht passieren
sollte. Denn die Radikalität, mit der Pop als Feld der Intervention im Regal
verstauben lässt, vergisst gerne, dass sich ein widerständiges Bewusstsein
weder allein an der Exegese der Klassiker, noch durch einen als dissident
stilisierten Konsum herausbildet. Sondern seinen ersten Anstoß in den Nischen
findet, in denen Erfahrung und Deutung nicht mehr zueinander passen. „Ich
denke jeden Tag, dass sich Dinge zum Besseren wenden können“, sagt Nina Power.
„Aber diese Hoffnung entsteht durch die Ambiguität in den Beziehungen zu
anderen Menschen, nicht in ihrer kitschigen Darstellung im Fernsehen oder
sonstwo. Mich ärgert einfach, dass wir für dermaßen dämlich gehalten werden.“

Jeremy Gilbert. Anticapitalism and Culture. Oxford: Berg, 2007. 
David Hesmondhalgh. The Cultural Industries. London: Sage, 2007. 
Angela McRobbie. The Aftermath of Feminism. London: Sage, 2008. 
Nina Power. The One-Dimensional Woman. London: Zero Books, 2009.

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