Title:A truly sustainable community? Hackney und das umkämpfte Terrain der
Stadtplanung Author:Christian Werthschulte

# A truly sustainable community? Hackney und das umkämpfte Terrain der
Stadtplanung

How authentic or cool is Hackney? In his article, Christian Werthschulte
(Bochum) looks at the recent conflicts over both the physical and mental
construction of the borough, identifying various types of approaches to
gentrification pursued by a number of interest groups. Different though they
are, they all seem to centre on middle-class concerns and conspicuous
consumption rather than on developing radical alternatives to the use of urban
space.

Auf der Straße nach Authentizität zu suchen, ist ein hoffnungsloses
Unterfangen, selbst an Orten wie Hackney, die vor street credibility nur so
strotzen. Schon bei einem einfachen Spaziergang vermengen sich eigene
Eindrücke der wahrgenommenen Repräsentationen mit individuellen und
gemeinschaftlichen Erinnerungen. Sogar ein administrativer Vorgang wie die
Stadtplanung ist nicht frei von Vorstellungen, die nicht auf Empirie sondern
auf normativen Fiktionen basieren.

Auf den Straßen von Hackney, einem Stadtteil im Londoner East End,
konkurrieren zwei solche Vorstellungen – zwei Fiktionen – von community
miteinander. Die eine entstammt den Denkfabriken New Labours und stellt die
Leitvorstellung ihrer Stadtplanung dar, wo sie wahlweise „urban renaissance“
oder „sustainable community“ heißt. Die andere, das „Hackney in the mind“, hat
ihre Basis unter den urbanen Pionieren, die Hackney in den 1980ern für sich
entdeckten und speist sich aus dem reichen gegen- und subkulturellen
Mythenschatz des Stadtteils, der seine Reggae-Szene und die Angry Brigade
ebenso umfasst wie die psychogeographischen Wanderungen des Schriftstellers
Iain Sinclair. „There is no sense of regeneration here. Thank God“, schreibt
Sinclair auf den ersten Seiten seiner Aufzeichnungen Hackney, That Rose-Red
Empire über seine Spaziergänge im Stadtteil.[1] „Regeneration“, das ist das
Ziel der „urban renaissance“, die sich auf Hackneys Straßen in
überambitionierten Bauvorhaben und Überwachung äußert. Im Folgenden möchte ich
kurz die Grundzüge der Stadtplanung New Labours und ihre Vorstellung von
community skizzieren und in einem zweiten Schritt erläutern, wo und warum die
Versuche, diese Vorstellung umzusetzen, in Hackney auf Widerstand stoßen oder
dieser ausbleibt.

## New Labour und die Wiederbelebung der Städte

Mit New Labour kehrte das „urban planning“, in die Politik zurück. Ein erstes
Zeugnis davon ist der Bericht Towards an Urban Renaissance, den die Urban Task
Force, ein von der Regierung beauftragtes Beratergremium, 1999 vorlegte. Der
Bericht hat das Konzept der „livable city“, die diskursive Konstruktion einer
„urban renaissance that interweaves urban regeneration policy with
gentrification practices and environmentalism“ zum Ideal.[2] Dafür gab es ein
reales Vorbild: den Londoner Stadtteil Islington, der südöstlich an Hackney
grenzt und seit den mittleren 1990ern durch eine so genannte
„Super-Gentrification“ gekennzeichnet ist.[3] Diese Gentrifizierung bedeutet
nicht zwangsläufig Verdrängung, aber die „Super-Gentrifiers“ zeigen weniger
Interesse an einer Teilnahme am Alltag im Stadtteil. 2005 bezeichnete Richard
Rogers den Fortzug von Mittelklassefamilien den Innenstädten als „big exodus“,
also als explizites Problem, und schlug als Lösung eine Gentrifizierung aller
Sozialwohnungen hin zu „mixed tenure communities“ bis 2010 vor.[4] Die
Ansiedlung von Familien mit geringerem ökonomischen Kapital in wohlhabenderen
Gegenden wird dagegen nicht in Erwähnung gezogen.

Die Vorschläge der Urban Task Force wurden 2000 in einem White Paper der
Regierung mit dem Titel „Our Towns and Our Cities: The Future“ aufgegriffen.
Wohnraum soll idealerweise vom privaten Sektor bereitgestellt werden, der zu
diesem Zweck mit Steuererleichterungen und anderen fiskalischen Maßnahmen
geködert wird. Gleichzeitig können die lokalen Behörden aber einschreiten und
mit Hilfe einer so genannten Compulsory Purchase Order (CPO) einen
Zwangsverkauf betreffender Gebäude an die öffentliche Hand erwirken. Die
Implikationen dieser Regelung werden im bereits 2002 gestarteten
„Pathfinder“-Programm deutlich, das für die schrumpfenden Industrieregionen
des Nordens gedacht war. In neun Gegenden im Norden Englands wurde ein
Scheitern des Immobilienmarktes konstatiert – nicht weil es einen Mangel an
Wohnraum gegeben hat, sondern weil Grundstücke und Immobilien günstig oder
unverkäuflich waren. Um diese Gegenden wieder ‚marktfähig‘ zu machen, erwarben
die lokalen Behörden dort Gebäude per CPO, um sie abzureißen und mit
öffentlichen Mitteln den Neubau von Einfamilienhäusern durch Investoren zu
fördern. Auf diese Weise sollten die Preise für Immobilien und Baugrund wieder
steigen.[5]

Mit dem Weißbuch legte die Regierung auch die Grundlage für die so genannten
Local Strategic Partnerships (LSP), einer Art runder Tisch mit Akteuren aus
dem Stadtteil, die eine „community strategy“ innerhalb nationaler und
regionaler Rahmenpläne ausarbeiten sollen.[6] In Hackney heißt das LSP „Team
Hackney“, womit Partizipation und Inklusion suggeriert wird. Sollte es jedoch
zu Konflikten zwischen den verschiedenen Parteien kommen und dadurch der
Rahmenplan verletzt werden, kann die Regierung Kompetenzen von der lokalen
Ebene an sich ziehen.[7]

Flankierend dazu wird der Wert einer „community“ über disziplinierende
Sanktionen gegen so genanntes „Anti-Social Behaviour“ gebildet. Hierbei wird
„Anti-Social Behaviour“ als negative Devianz konstruiert, ohne dass ihr
„anderes“ positiv gefüllt würde. Es appelliert also an einen ‚common sense‘,
der allerdings kaum bei der Bevölkerung verankert zu sein scheint: Gerade mal
16% der Briten betrachten „Anti-Social Behaviour“ überhaupt als Problem.[8]

Der Appell an eine Form von „community“ steht besonders in der Bekämpfung von
Graffiti im Vordergrund, das im White Paper zu einem gemeinsamen Projekt von
Hausbesitzern und öffentlicher Hand erklärt wird. Graffiti ist aber nicht
wegen seiner ästhetischen Qualität ein Übel, sondern weil es den „Wert“ einer
Gegend schmälern könnte. Hier zeigt sich der Einfluss der
„Broken-windows-Theorie“:

	We have seen the way communities spiral downwards once windows get broken
	and are not fixed, graffiti spreads and stays there, cars are left
	abandoned, streets get grimier and dirtier, youths hang around street 
	corners intimidating the elderly. The result: crime increases, fear goes 
	up and people feel trapped.[9]

Konsequenterweise sind für solche Probleme nur polizeiliche Maßnahmen
vorgesehen anstatt die Ursachen zu bekämpfen. Bettelei wurde zum aktenkundigen
Delikt[10], für Graffiti oder Lärmen werden Sanktionen ausgesprochen.[11]
Jugendliche etwa, die sich der Enge einer Sozialwohnung entziehen wollen und
sich in Hinterhöfen oder Treppenhäusern treffen, können für ihren Aufenthalt
dort mit einem Asbo abgemahnt werden, was bei Wiederholung eine Anzeige nach
sich ziehen kann. Gleichzeitig verstärkt der Einsatz solcher Maßnahmen bereits
bestehende Ausgrenzungen. Der „institutionelle Rassismus“ der Metropolitan
Police führt z.B. dazu, dass sie seit 2008 vermehrt Clubs und Partys
kontrolliert, auf denen Grime oder UK Funky House vor einem jungen
afro-britischen Publikum gespielt wird.[12]

Es wird also deutlich, dass New Labours „urban renaissance“ Exklusion und
Marginalisierung über den Wohnungsmarkt und Disziplinarmaßnahmen verstärkt.
Die Hegemonie über den Begriff „community“ haben sie jedoch nicht erringen
können. Auch der vielfältige lokale Widerstand in Hackney beruft sich auf eine
„community“, um den Widerstand gegen administrative Maßnahmen zu artikulieren
und zu organisieren.

## Urban pioneering and resistance

Dies ist im Wesentlichen der Attraktivität von Hackney für die Mittelschicht
seit den 1980er Jahren geschuldet. An dieser Stelle ist eine kurze
Unterscheidung nötig. Hoxton und Shoreditch, zwei Gegenden im Süden von
Hackney, sind seit den späten 1990ern zu einem Zentrum für Kunst, Medien und
Kreativwirtschaft geworden. Hier hat es eine starke Verdrängung durch
steigende Mieten gegeben. Allerdings vollzog sich diese Form von
Gentrifizierung, bei der Künstler und Kreative eine Gegend aufwerten und in
der Folge verdrängt werden, in einem sehr kurzen Zeitraum und ist insofern
verschieden von der Gentrifizierung im Rest von Hackney, die sehr langsam
vonstatten geht. Gleichzeitig interessiert sich die offizielle Stadtplanung
nicht besonders dafür. Das aktuelle Strategiepapier von Team Hackney weist den
Creative Industries keine gesteigerte Bedeutung zu, und auch in der Dalston
Lane und am Broadway Market stehen nicht Ateliers zur Disposition, sondern
Orte an denen sich das alltägliche Leben im Stadtteil abspielt.

Trotzdem wurde das Borough in der Folge für Investoren attraktiver, die aber
auf den Widerstand der Pioniergeneration treffen, die nach Hackney zog, als
dort die Bevölkerung generell zurückging und viel Wohnraum vorhanden war.
Trotz der Polarisierungen, die durch den Zuzug schon in den 1980ern entstanden
sind, stehen die Pioniere den Problemen ihrer Gegend nicht mit Desinteresse
gegenüber. Tim Butler identifiziert bei der ersten Generation von nach Hackney
gezogenen Mittelklasseangehörigen einen „metropolitanen Habitus“.15 Zum einen
arbeitet ein überdurchschnittlicher Teil von ihnen in Sozialberufen, im
Bildungssektor oder einem künstlerischen bzw. Kreativberuf, trotz ihrer
überdurchschnittlichen Bildung und einem dementsprechenden Einkommen stehen
sie politisch der Labour Party nahe. Teilweise sind diese „urban pioneers“
nach Hackney gezogen, weil sie hoffen, hier eine intakte Community
anzutreffen, teilweise stammen sie auch aus dem Milieu der Arbeiterklasse und
ziehen aus diesem Grund wieder in eine dementsprechend geprägte Gegend. Laut
Butler erwächst daraus ein hohes Maß an Identifikation, das sich u.a. darin
äußert, dass Angehörige der Mittelschicht ihr kulturelles und ökonomisches
Kapital nutzen, um sich für infrastrukturelle Verbesserungen einzusetzen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Konflikte weniger als generelle Effekte
von Gentrifizierung, sondern als Konflikte zwischen den Gentrifizierern der
ersten Generation, die dem Stadtteil stark verbunden sind, und den von New
Labours „urban renaissance“ einerseits und von lokalspezifischen Umständen
andererseits geprägten Interessen von Hackney Council. In den letzten Jahren
eskalierten diese Konflikte u.a. 2005 bei Gebäuderäumungen am Broadway Market,
der im südlicheren Haggerston gelegen ist. Zum anderen schwelt in der Dalston
Lane, die der zentrale Verkehrsknotenpunkt in Dalston ist, ein Konflikt über
den Bau eines Hochhauses, das den Kern der Gegend komplett umgestalten wird.

Alle Konflikte haben jedoch einen gemeinsamen Hintergrund. Im Lea Valley,
einem Flußtal im Osten des Stadtteils, entsteht eine von vier olympischen
Spielstätten. Damit ist die Gegend gleichzeitig Teil des großen
‚Regenerations‘-Projekts des Thames Gateway. Selbstverständlich existiert auch
gegen diese Bauvorhaben und die damit verbundene Verdrängung eine
Protestbewegung. Diese ist aber nicht auf den Stadtteil beschränkt und ist in
ihrer Argumentation nicht besonders von den Protesten verschieden, die z.B.
die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver begleitet haben.

Das „Hackney in the mind“ wird eher dort erkennbar, wo Bürgerproteste mit der
besonderen Situation von Hackney Council konfrontiert sind. In den Jahren
2000/2001 stand die Verwaltung wegen Schulden in Höhe von 70 Millionen Pfund
mehrmals davor, Kompetenzen an das Department of Transport, Local Government
and Regions abgeben zu müssen, wie es im Weißbuch „Our City, our Towns“
vorgesehen ist. Im Sommer 2000 wurde der Haushalt des Councils eingefroren.
Unter der Überschrift „The worst run place in Britain?“ listete der Guardian
eine Reihe von Ursachen wie Missmanagement, Korruption und das aufgrund der
hohen Arbeitslosigkeit geringe Steueraufkommen, das mit hohen Sozialausgaben
einhergeht.[14] In der Folge versuchte das Council seinen Haushalt u.a. durch
den Verkauf von Gebäuden, die in seinem Besitz waren, zu konsolidieren. „Die
finanziellen Probleme von Hackney Council haben den Prozess der
Gentrifizierung beschleunigt“, erzählt Carl Taylor vom Hackney Solidarity
Network, einem offenen Forum, das sich mit verschiedenen Problemen innerhalb
des Stadtteils auseinandersetzt:

	Viele öffentliche Grundstücke wurden zu Schleuderpreisen an private
	Investoren verkauft. Die City of London ist in den Borough gekrochen und
	wir erleben dadurch einen Wildwuchs an Luxus-Wohnungen, der von der
	‚Regenerations‘-Politik von Hackney Council unterstützt wird. Dadurch hat
	sich eine Art Gentrifizierungskorridor, der sowohl von Künstlern als auch 
	durch die Stadtplanung vorangetrieben wird, und sich von Shoreditch über
	London Fields via Broadway Market bis nach Hackney Central und durch die 
	Olympischen Spiel auch bis nach Hackney Wick erstreckt.[15]

Taylors Stimme ist nur eine von vielen lokalen Gruppen und Einzelpersonen, die
sich gegen die Umgestaltung ihres Stadtteils wehren. Gleichzeitig ist sie aber
exemplarisch: Die „Gentrifizierung“ der 1980er ist nicht mehr erwähnenswert,
teilweise sind die damals Zugegezogenen sogar Teil der Proteste.

Diese Konstellation wurde als erstes bei der Besetzung von 34 Broadway Market
sichtbar. Broadway Market ist eine Straße, auf der sich hauptsächlich kleine
Cafés sowie Marktstände befinden. Der Schriftsteller Hari Kunzru, der selbst
in Hackney lebt, charakterisiert die Gegend folgendermaßen:

	[E]very Saturday the place is now chock-full of people pushing whatever 
	the pram equivalent is of a Mitsubishi Shogun, stocking up on 
	chanterelles, wooden toys and the interesting cheeses of the 
	Haut-Pyrenées, before heading back home to spread something organic on a 
	bit of artisanal toast and sack out in front of the telly.[16]

Das nahegelegene Hoxton sorgt also für eine wohlhabende und gebildete
Kundschaft, die im Konsum auf den Märkten ein Distinktionsmerkmal gegenüber
der als uniform empfundenen Innenstadt sieht.

	[I]t is full of weird places and eccentric people and has a grubby glamour 
	to it that has not yet been stamped out and flattened into the same cloned
	corporate hell-hole as the rest of Britain.[17]

In der Hausnummer 34 befand sich ein kleines Café namens Francesca’s, das der
Besitzer Tony Platia vom Council angemietet hatte und dann kaufen wollte.
Platias Angebot wurde aber zugunsten des Investors Roger Wratten abgelehnt.
Dieser wollte zusammen mit zwei ausländischen Investoren das Haus abreißen, um
in Broadway Market einen Wohnblock mit Theater zu errichten. Nach dem ersten
Räumungsbescheid wurde das Gebäude von einer Gruppe Bürger besetzt, die sehr
heterogen war:

	The people occupying Francesca’s come from all walks of life. They are 	
	local residents: one or two seasoned political activists, most simply 
	angry about what has been happening to their street, their neighbourhood. 
	I meet a teacher from a local community college, a mother, a freelance 	
	translator. As many as 50 are actively involved in the protest.[18]

An dieser Stelle zeigt sich, dass der Protest über die finanziellen Interessen
der unmittelbar Beteiligten hinausgeht. Broadway Market und seiner Atmosphäre
wird ein gemeinschaftlicher Wert beigemessen, den die geplanten Neubauten
nicht einlösen können. Auf Kritik stieß dabei besonders, dass Hackney Council
seine Bürger nicht genügend bei der Verkaufsentscheidung berücksichtigt habe.

Der Historiker Patrick Wright, der ebenfalls lange in Hackney gewohnt hat,
stellt die Proteste daher in eine ‚typisch englische‘ Tradition der Bildung
einer Gruppenidentität, die sich lokal artikuliert und misstrauisch gegenüber
Einflüssen von außerhalb wie z.B. dem Off-Shore-Investor ist. Wright führt
aus, dass diese Gruppenidentität leicht in Xenophobie und Rassismus münden
kann, was aber bei den Protesten in Broadway Market nicht der Fall ist.[19]
Die dortige „community“ schließt den aus Sizilien stammenden
Restaurantbesitzer Platia ebenso ein wie den Rastafari „Spirit“, der seit 1993
ein Lebensmittelgeschäft am Broadway Market betrieb, aber wegen
‚Verfahrensfehlern‘ das Gebäude nicht erwerben konnte. Ende 2008 verlor Spirit
sein Geschäft, wurde aber durch den Slogan „Save the Spirit of Broadway
Market“ zum Symbol des Protests.

Im Norden des Stadtteils wird an der Kreuzung von Dalston Lane und Kingsland
Road ein anderer Konflikt ausgetragen. „Dalston Square“ heißt das dortige
Großbauvorhaben, in dem neben 500 Wohnungen auch Läden sowie Restaurants, eine
Bibliothek und der Bahnhof „Dalston Junction“ untergebracht werden sollen. Im
Februar 2008 teilte die London Development Agency mit, dass 160 Millionen
Pfund in das Projekt investiert werden. Die genaue Finanzierung ist unklar,
die Finanzkrise hat jedoch auch dem Investor Barratt hart zugesetzt.

Dalston Square hat seinen Ursprung in der Londoner Stadtplanung. 2004 legte
die Greater London Authority den „London Plan“ vor, mit dem sie die
Stadtplanung der folgenden 10 bis 15 Jahre skizzieren wollte. Darin wurde
Dalston als „town centre“ definiert, in dem „the potential to provide
sustainable access to higher quality goods and services“ existiere.[20] Dieses
Potential sollte durch eine Verlängerung der East London Line, die 2010
fertiggestellt werden soll, genutzt werden. Damit wäre Dalston direkt ans
Schienennetz von National Rail angeschlossen und leichter für Pendler aus der
City und Islington zu erreichen. Die Pläne scheinen aufzugehen – der Guardian
bezeichnete Dalston 2009 als „the coolest place in Britain“.[21]

Vor Ort stehen sich jedoch zwei Interessensgruppen gegenüber: Auf der einen
Seite Hackney Council im Verbund mit dem Bauinvestor Barratt, auf der anderen
Seite eine Reihe von Bürgern, die in dem Bündnis OPEN Dalston ein Sprachrohr
haben. OPEN Dalston ist Teil eines größeren OPEN-Netzwerks und existiert seit
ca. 2006. Nach eigenen Angaben setzt sich OPEN Dalston für „excellence in the
quality of the built environment and public realm, the provision of
transportation and amenities, and to ensure that changes to these have proper
regard to the needs of local residents and businesses and the maintenance of a
sustainable residential and business community“ ein.[22]

OPEN Dalston kämpft auf mehreren Ebenen. Zum einen nutzen sie alle Wege der
Bürgerbeteiligung: Sie stellen Nachfragen über die Finanzierung des Projekts
bei den Behörden und nehmen an öffentlichen Konsultationen teil. Gleichzeitig
veröffentlicht das Netzwerk Informationen über die Investoren und ihre
finanzielle Situation. Bill Perry-Davies, Rechtsanwalt und ‚Gesicht‘ von OPEN
Dalston, berichtet u.a. darüber, wie die Investoren versuchen, den gesetzlich
vorgeschriebenen Anteil an Sozialwohnungen zu drücken, indem sie
Scheingesellschaften gründen, die die Bauprojekte unter sich aufteilen.[23]
Ebenfalls dokumentiert das Netzwerk Besetzungen wie die des Dalston Theatres
oder stellt öffentlich Fragen nach den Ursachen einer Reihe von Feuern, die
alte Gebäude in der Nähe von geplanten Bauvorhaben zerstörten und damit als
Baugrund nutzbar machten.

## Grenzen der Gemeinschaft

Im Mittelpunkt der Arbeit von OPEN Dalston steht dabei der Erhalt des
Stadtbildes, das von viktorianischen und georgianischen Häusern geprägt ist.
Zu diesem Zweck konstruiert das Netzwerk Hackney als einen Ort mit
non-konformistischer Tradition. Der Four Aces Club zum Beispiel, ein
Erinnerungsort für die afro-karibische Community, an dem internationale Stars
der Reggae-Szene wie Desmond Dekker oder Bob Marley aufgetreten sind, wird von
OPEN Dalston als „The Heart of Dalston“ bezeichnet.[24]

Prominente Fürsprecher finden sie in den Schriftstellern Michael Rosen und
Iain Sinclair, die sich mehrmals öffentlich gegen die Pläne von Investoren und
Verwaltung ausgesprochen haben. Hackney Council erteilte Sinclair daraufhin
ein Auftrittsverbot in Räumen des Councils. Sinclair ist auch durch seine
Romane und Filme an der Konstruktion Hackneys als Zufluchtsort für
non-konforme Existenzen beteiligt und wertet den Stadtteil damit symbolisch
auf. Teilweise trägt die Kampagne von OPEN Dalston daher auch
fremdenfeindliche Züge. Perry-Davies polemisiert z.B. gegen einen Investoren,
weil er „not even English“ sei, sondern aus Neuseeland komme.[25] Im gleichen
Interview bezeichnet er „crack dealer, desperate people and prostitutes“ als
„carrion of society“[26] und begibt sich damit in die Nähe der
diskriminierenden Politik von New Labours „Respect“-Kampagne.

Generell wird dieser Teil der Stadtpolitik New Labours selten offen
kritisiert. Auch am Broadway Market wird letztendlich ein Freizeiterlebnis
verteidigt und nicht der Zugang zu günstigem Wohnraum oder gar ein breites
Aufenthaltsrecht für jedermann. Besonders deutlich zeigt sich dies aber im
Umgang mit Graffiti. In Hackney ist es die Regel, das Wände mit Graffiti vom
Council schwarz gestrichen werden, wenn es die Besitzer nicht selber tun. Als
aber eine Hauswand mit einem Banksy-Graffiti überstrichen werden sollte, regte
sich schnell Protest und das Thema wurde von den Medien aufgegriffen. Das ist
nicht besonders schwer zu erklären. Banksy symbolisiert die Anerkennung von
Graffiti und Street Art zur Kunstform, seine Bilder sind Teil des
(sub)kulturellen Kapitals, das Hackney als Wohnort attraktiv macht – ganz im
Gegensatz zum allgegenwärtigen ‚normalen‘ Graffiti, bei dem es keine Empörung
auslöst, wenn dessen Urheber Asbos oder Strafanzeigen erhalten. Die Säuberung
eines Banksy-Graffitis würde somit die Gegend abwerten.

Trotzdem existiert eine kleine Schnittmenge zwischen den verschiedenen
Gruppen. Das Hackney Solidarity Network berichtet in seiner Zeitung Hackney
Heckler regelmäßig über die Konflikte in Dalston, thematisiert jedoch ebenso
Polizeiwillkür oder die Privatisierung von Sozialwohnungen, also Probleme von
denen die erste Generation von Gentrifizierern nur bedingt betroffen ist.

Gegenüber Hackney Council scheint der Protest nur bedingt erfolgreich zu sein.
Dalston Square steht kurz vor der Vollendung, und auch der Protest gegen die
Olympiastätten wird wohl leider symbolisch bleiben, wodurch die soziale
Polarisierung in der nahen Zukunft weiter zunehmen wird. Ein „Rose-Red Empire“
ist Hackney dann auch nicht mehr für diejenigen, die im Moment noch aus seinem
Außenseiterstatus kulturelles Kapital schlagen können.

[1]:Iain Sinclair (2009). Hackney, That Rose-Red Empire: A Confidential
Report. London: Hamish Hamilton. 9.

[2]:Loretta Lees (2000). “A Reappraisal of Gentrification: Towards a Geography
of Gentrification.” Progress in Human Geography 24/3: 391.

[3]:Durchschnittlich 700.000 £ werden seit den mittleren 1990er Jahren in der
Nähe von King’s Cross für ein Reihenhaus oder eine Villa bezahlt; dazu kommen
nochmal knapp 500.000 £ für Renovierung oder Umbauten. Damit ist die Gegend
nur für gut verdienende Angestellte aus der City bezahlbar. Siehe dazu Lewis
Smith (2006). “There’s Plain Gentrification. And Then You Have Islington.” The
Times, 1. September.
[http://www.timesonline.co.uk/tol/news/uk/article624781.ece](http://www.timesonline.co.uk/tol/news/uk/article624781.ece)
(letzter Zugriff am 14. Februar 2010).

[4]:Richard George Rogers (2005). Towards a Strong Urban Renaissance. 10-11.
[http://www.urbantaskforce.org/UTFfinalreport.pdf(http://www.urbantaskforce.org/UTFfinalreport.pdf)
(letzter Zugriff am 10. Dezember 2009).

[5]:Anna Minton (2009). Ground Control: Fear and Happiness in the 21st-Century
City. London: Penguin. 83-103.

[6]:Department of the Environment, Transport and the Regions (2000). Our Towns
and Cities. The Future: Delivering an Urban Renaissance: A Summary. London:
DETR. 44.

[7]:Ibid. 55.

[8]:Minton (2009). 145.

[9]:Secretary of State for the Home Department (2003). Respect and
Responsibility: Taking a Stand Against Anti-Social Behaviour / Presented to
Parliament by the Secretary of State for the Home Department by Command of Her
Majesty, March 2003. London: TSO. 3.

[10]:Ibid. 47.

[11]:Ibid. 39.

[12]:Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Club Plastic People in Shoreditch,
das Zentrum der Dubstep/UK Funky-Szene. Im Mittelpunkt dieser Strategie steht
der sog. Risk Assessment Form 696, der von Veranstaltern die Angabe
detaillierter Informationen über Alter und Geschlecht der Partygänger sowie
der gespielten Musik fordert. Auf dieser Grundlage wird die ‚Gefährlichkeit‘
der Veranstaltung eingeschätzt, wovon die Genehmigung abhängt. Siehe hierzu
Dan Hancox (2010). “The Outsiders.” Daily Note, 12. Februar. 8-11.

[13]:Tim Butler and Garry Robson (2003). “Plotting the Middle Classes:
Gentrification and Circuits of Education in London.” Housing Studies 18/1: 6.

[14]:Jay Rayner (2000). “The Worst Run Place in Britain?” The Guardian, 13.
November.
[http://www.guardian.co.uk/society/2000/nov/13/lifeandhealth.foodanddrink](http://www.guardian.co.uk/society/2000/nov/13/lifeandhealth.foodanddrink)
(letzter Zugriff am 13. März 2010).

[15]:Carl Taylor per E-Mail.

[16]:Hari Kunzru (2008). “The Battle of Broadway Market. 2005.”
[http://www.harikunzru.com/battle-broadway-market-2005](http://www.harikunzru.com/battle-broadway-market-2005)
(letzter Zugriff am 20. Dezember 2009).

[17]:Ibid.

[18]:Ibid.

[19]:Patrick Wright (2008). “Real England? Reflections on Broadway Market.”
openDemocracy, 23 April.
[http://www.opendemocracy.net/article/realenglandreflectionsonbroadwaymarket](http://www.opendemocracy.net/article/realenglandreflectionsonbroadwaymarket)
(letzter Zugriff am 20. Dezember 2009).

[20]:Greater London Authority (2008). The London Plan. Spatial Development
Strategy for Greater London. London: GLA. 307.

[21]:Paul Flynn (2009). “Welcome to Dalston, Now the Coolest Place in
Britain.” The Guardian, 27. April.
[http://www.guardian.co.uk/uk/2009/apr/27/dalston-cool-london-suburb](http://www.guardian.co.uk/uk/2009/apr/27/dalston-cool-london-suburb)
(letzter Zugriff am 10. Februar 2010).

[22]:Neben Dalston Square hat sich OPEN Dalston lange mit den Plänen für eine
Umgestaltung von Ridley Road Market beschäftigt. Der Ableger OPEN Shoreditch
organisiert eine Kampagne gegen ein ähnliches Großprojekt am Bishop’s Place.

[23]:Sinclair (2009). 224.

[24]:OPEN Dalston (2007). “Hackney Rips the Heart out of Dalston.” 22.
Februar.
[http://opendalston.blogspot.com/2007/02/hackney-rips-heart-out-of-dalston.html](http://opendalston.blogspot.com/2007/02/hackney-rips-heart-out-of-dalston.html)
(letzter Zugriff am 10. März 2010).

[25]:Sinclair (2009). 228.

[26]:Ibid. 225.

Werthschulte, Christian. "A Truly Sustainable Community? Hackney und das
umkämpfte Terrain der Stadtplanung." Hard Times 87 (Frühjahr 2010). 12-16.

cwerthschulte@yahoo.de