Title: Talking Shop. Was die 1960er mit der Arbeit gemacht haben.
Author:Christian Werthschulte
Address: cwerthschulte@yahoo.de



##Talking Shop. Was die 1960er mit der Arbeit gemacht haben.

	
	
	Today, everyone without exception is a 'bourgeois sellout,' because being
	such is a minimum requirement for survival. 
	Steven Shaviro



Der ikonische Zeichenvorrat der 1960er Jahre ist in Großbritannien begrenzt.
Wann immer in den turnusmäßigen Erinnerungszyklen diese Dekade erneut in den
Mittelpunkt des Interesses rückt, liefert das Speichergedächtnis eine Reihe
allseits bekannter Bilder: die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, die
Verhaftung von Mick Jagger als Pop-Art-Gemälde, die Beatles in schwarz-weiß
auf der Bühne oder als bunte Zeichentrickfiguren im gelben Unterseeboot. Auch
die beiden Icons of British Design, der Mini Cooper und der Minirock, fehlen
auf dieser Liste nicht und fügen sich problemlos in die Verschlagwortung aus
Aufbruch, Emanzipation, Kapitalismuskritik und neugewonnenen sexuellen und
lebensweltlichen Freiheiten ein.

Fredric Jameson weist auf den fragwürdigen Charakter dieses emplotments hin:

	[T]he 60s, often imagined as a period when capital and First World power 
	are in retreat all over the globe, can easily be conceptualized as a 
	period when capital is in full dynamic and innovative expansion, equipped 
	with a whole armature of fresh production techniques and new 'means of 
	production'.
	(Jameson 1989: 186)

Jameson rückt damit einen gemeinhin vernachlässigten Aspekt der 60er in den
Mittelpunkt seiner Betrachtungen: die Arbeitswelt. Diese ist durch einen
Wandel von einem fordistischen hin zu einem postfordistischen
Produktionsregime[^1] gekennzeichnet, den ich in diesem Text skizzieren
möchte. Als Beispiel für den Fordismus soll hierbei die britische
Autoindustrie mit ihrem wohl bekanntestem Modell, dem Mini, dienen. Im
Mittelpunkt wird dabei stehen wie sich im Bezug und der gleichzeitigen
Abgrenzung zum dominanten fordistischen Regime widerständige Formen von
Subjektivität herausbilden, die später Einzug in ein postfordistisches
Produktionsregime finden. Spuren dieser sich im Laufe der 1960er
artikulierenden Formen von Subjektivität finden sich sowohl in der
zeitgenössischen politischen Theorie, den Gegen- und Subkulturen sowie der
britischen Kunst- und Designszene, die im Verlauf dieses Textes
schlaglichtartig beleuchtet werden. Zum Schluss möchte ich beschreiben, welche
der Elemente Einzug in ein verändertes Produktionsregime genommen haben.

### Der Mini – Fordismus in klein

Als 1959 der Mini erstmals auf den Markt kam, war es rein quantitativ um den
Faktor Arbeit gut bestellt. Ein Jahr zuvor waren die letzten Rationierungen
der Nachkriegszeit aufgehoben worden, die kennzeichnend für die Periode der
sog. post-war austerity waren und Großbritanniens Wirtschaft zeichnete sich
durch eine hohe inländische Konsumnachfrage, die nur durch einen erhöhten
Import von Waren befriedigt werden konnte, aus (vgl. Mergel 2005: 45/46).
Diese ist dem fordistischen Produktionsregime zu verdanken, das Lars
Kohlmorgen wie folgt definiert:

	Zusammenfassend bestand der Fordismus ökonomisch aus einer intensiven
	Akkumulation, die durch eine tayloristische Arbeitsteilung und die
	Massenproduktion von Konsumgütern gekennzeichnet war. Er basiert auf einer
	Reihe von Kompromissen (so dem zentralen Kompromiss zwischen den Klassen,
	weiter zwischen dem Industrie- und Finanzkapital und zwischen den
	Geschlechtern) und einer diese Kompromisse stabilisierenden Regulation.
	(Kohlmorgen 2004: 112-113)

Des weiteren sind ein hohes Produktionsvolumen der einzelnen Firmen sowie
ihrer Modelle, weitgehend standardisierte Fahrzeugkomponenten,
kapitalintensive integrierte Fabriken, eine Verwissenschaftlichung der
Ingenieurstätigkeit sowie eine strenge Überwachung der Arbeit durch das
Management weitere Kennzeichen ddes Fordismus. Die Bezahlung erfolgt in der
Regel durch einen ausgehandelten und festgesetzten Tages- oder Stundenlohn.

In England wich die Automobilproduktion teilweise von dieser Norm ab[^2], der
fordistische Klassenkompromiss ist jedoch als post-war consensus Teil des
kulturellen Gedächtnisses geworden. Zwar war die Automobilindustrie von den
Verstaatlichungsprogrammen der Nachkriegszeit ausgenommen, während des zweiten
Weltkriegs war ein Teil der Automobilfirmen jedoch im Auftrag der Regierung
für das Management von Schattenfabriken verantwortlich, die im Falle des
Kriegsausbruchs die Rüstungsproduktion unterstützen sollten und deren
Maschinen nach Kriegsende die Kapazitäten der Autoindustrie erhöhten (vgl.
Church 1995: 46; Owen 2000: 217). Um die Produktivität zu steigern und das
Risiko von Produktionsunterbrechungen durch Streiks zu minimieren, übte die
Regierung Druck auf die Automobilfirmen aus, damit diese eine weitergehende
Mitbestimmung der Arbeiter in diesen Betrieben zuließen. Gleichzeitig stieg
während des Krieges sder Organisationsgrad in der Automobilindustrie an,
allerdings wurden die meisten Verhandlungen nicht auf der offiziellen
Gewerkschaftsebene geführt, sondern direkt mit den Betriebsräten im jeweiligen
Unternehmen (vgl. Owen 2000: 217-218). Im Verbund mit der Abkehr der
Arbeitgeber vom fordistischen Prinzip des Stunden- oder Tageslohns hin zur
Akkordarbeit[^3], wuchs der Einfluss der Gewerkschaften stark an, was an einer
hohen Anzahl von Streiks deutlich wird. Zwischen 1959 und 1970 stieg die
Anzahl an Streiks von 100 auf 336 pro Kalenderjahr an, nach Schätzungen waren
in den späten 60er Jahren 90% der gesamten Automobilproduktion in der einen
oder anderen Form von Streiks betroffen (vgl. Whistler 1999: 211).

Trotz dieser Abweichungen vom fordistischen Idealzustand etablierte sich auch
in England ein Normalarbeitsverhältnis, das in charakteristischer Weise eine
Erweiterung der Märkte durch vermehrten Konsum "insbesondere der Mitglieder
der ArbeiterInnenklasse und die zunehmende Befriedigung von deren
Lebensbedürfnissen durch industrielle Produktion" (Kohlmorgen 2004: 153) mit
sich brachte, was sich u.a. am niedrigen Kaufpreis des Mini zeigen lässt. 1964
verdienten gelernte männliche Arbeiter in der Autoindustrie durchschnittlich
20,05 £ in der Woche, wenn sie im Akkord arbeiteten, sowie 18,38 £, wenn sie
nach Stundenlohn bezahlt wurden (vgl. Whistler 1999: 214).[^4]

Dieses Produktionsregime war eindeutig vergeschlechtlicht, da "Frauen von
Diskriminierungen und Schließungsprozessen innerhalb der Klassen betroffen‟
(Kohlmorgen 2004: 107) waren, so z.B. im Bereich der Entlohnung. Bereits 1955
erhobene Forderungen nach einem Mindeslohnniveau für Frauen, das dem eines
ungelernten männlichen Arbeiters entsprechen sollte, waren 20 Jahre später
nicht flächendeckend eingelöst. (vgl. Whistler 1999: 213). Dies lässt sich mit
der geringen Akzeptanz von Erwerbsarbeit von Frauen in der britischen
Nachkriegsgesellschaft erklären, die durch das Rollenbild in Magazinen wie
_Woman_ oder _Woman's Realm_ weiter fortgeschrieben wurde (vgl. Pugh 1999:
303-304).

###Arbeit und Freizeit in 45 Umdrehungen

Dieses vergeschlechtlichte Produktionsregime war soweit hegemonial, dass es in
weiten Teilen der Bevölkerung auf breite Zustimmung stieß – auch bei dem Teil,
der sich Platten kaufte. Am 25. Juli 1964 erreichte ein Song den Spitzenplatz
der britischen Charts, der das Subjekt des fordistischen Alltags in
zweieinhalb Minuten zusammenfasst: ein Mann, der in der Arbeit außer sich und
außerhalb der Arbeit bei sich ist und nach einem anstrengenden Arbeitstag in
den Armen seiner Liebsten Kraft tankt:

	It's been a hard day's night 
	And I've been working like a dog 
	It's been a hard day's night

	I should be sleeping like a log 
	But when I get home to you 
	I find the things that you do 
	Will make me feel all right

	You know I work all day 
	To get you money to buy you things 
	And it's worth it just to hear you say 
	‚You're gonna give me everything?' 
	(The Beatles 1964)

Den Beatles gelingt es in diesem Stück nicht, eine Gegenposition zum
hegemonialen Produktionsmodell zur formulieren. Die körperlich zehrende
Lohnarbeit ist eindeutig männlich besetzt, während die weibliche
Subjektposition sogar noch hinter real erreichte Fortschritte für Frauen
zurückfällt und nicht am Erwerbsleben teilnimmt. Sinn erhält dieser Lebensstil
durch den Konsum. Die Interpreten von "A Hard Day's Night" waren jedoch
ebenfalls jedoch ebenfalls trotz ihrer künstlerischen Position keineswegs so
autonom, dass sie in ihren Texten antihegemoniale Inhalte hätten verbreiten
können, sondern auch Teil der Kulturindustrie[^5]. Als solcher mussten sie in
einem Markt konkurrieren, der in großer Stückzahl mit Bands bedient werden
konnte, die mit einer ähnlichen "composite pop star life story" (Marr 2008:
270) aus Fantum, ersten Schritten in einer Skiffle Band und einem
Kunsthochschulabschluss aufwarten konnten[^6]. Gleichzeitig waren sie einer
starken Kontrolle[^7] durch Plattenfirmen und Management unterworfen, bevor
mit wachsendem Erfolg die künstlerische und persönliche Unabhängigkeit größer
wurde (vgl. Marr 2008: 270).

So sehr der Text auch eine konservative Lesart nahelegt, musikalisch kann "A
Hard Day's Night" dennoch desublimierend gewirkt haben und lässt auf dieser
Ebene die Richtung erkennen, in die sich das fordistische Subjekt im Laufe der
1960er bewegen würde. Auch die politische Linke bildete in dieser Hinsicht
keine Ausnahme. Nach einer enttäuschend verlaufenden Parteinahme für Harold
Wilson (vgl. Frei 2008: 180-181) wurde die soziale Frage durch die relative
Steigerung des Wohlstands stärker in ihrer qualitativen Dimension als
‚entfremdete Arbeit' debattiert anstatt sich auf die Verelendungstheorie der
wertkritischen Lesart der Schriften von Karl Marx zu beziehen, die eine
wachsende Kluft zwischen dem armen und wohlhabenden Teil der Gesellschaft
postuliert. Dies wird besonders im Denken des damals in den USA lehrenden
Philosophen Herbert Marcuse und seiner Kritik am fordistischen Kreislauf von
Produktion und Konsum deutlich:

	Im Austausch gegen die Bequemlichkeiten, die sein Leben bereichern, 
	verkauft [der Arbeiter] nicht nur seine Arbeitskraft, sondern auch 
	seine freie Zeit.[...] Die Ideologie unserer Zeit besteht darin, daß 		
	Produktion und Konsum die Beherrschung des Menschen durch den Menschen 
	rechtfertigen und ihr Dauer verleihen. Ihr ideologischer Charakter ändert 
	jedoch nichts an der Tatsache, daß ihre Vorteile reale sind. [...] Der 	
	Einzelne zahlt dafür mit dem Opfer seiner Zeit, seines eigenen 
	Bewusstseins, seiner Träume, die Kultur zahlt dafür mit der Preisgabe 
	ihrer eigenen Versprechungen von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden für 
	alle. 											
	(Marcuse 1978: 101-102)

In Anlehnung an Sigmund Freuds Theorie von Arbeit als Sublimierung entwickelt
Marcuse eine Idee von Arbeit, die befriedigend anstatt entfremdend ist.
Grundvoraussetzung dafür ist, dass sie über die Notwendigkeit hinausweise und
dadurch einen starken Eros hervorbringt, weil sie frei gewählt ist. Der
privilegierte Ort dieser Form von Arbeit ist die künstlerische Tätigkeit.
Vielleicht gerade weil Marcuse den Warencharakter jeglicher Kunst nicht
verneint, stand er den diversen Pop- und Subkulturen der 1960er generell offen
gegenüber. Das entscheidende Kriterium für eine emanzipative Kunst war für
ihn, ob ihr Spiel mit Formen eine "Freiheit des Ausdrucks" hervorbringt, "die
sich gegen die etablierten Lebensweisen, Sprach- und Verhaltensformen richtet"
(Marcuse 2001: 106), ohne dabei das Formprinzip an sich aufzulösen, da nur
seine Einhaltung es dem Individuum ermöglicht, durch die Kunsterfahrung den
"Automatismus der Wahrnehmung" zu durchbrechen.

Im Juli 1967 hielt Marcuse auf dem Londoner "Congress on the Dialectics of
Liberation" einen Vortrag mit dem Titel "Liberation from the Affluent
Society", in welchem er seine Kritik des Wohlfahrtstaats erneuerte (Marcuse
2005: 80) und eine "‚aesthetic' reality – society as a work of art"
einforderte (Marcuse 2005: 83). Marcuse benennt hier Subkulturen wie die
Hippies als Subjekte eines gesellschaftlichen Wandels:

	There is in the Hippies [...] an inherently political element […]. It is 
	the appearance of new instinctual needs and values. [...] There is a new 	
	sensibility against efficient and insane reasonableness. There is the 
	refusal to play the rules of a rigid game, a game which one knows is rigid 
	from the beginning, and the revolt against compulsive cleanliness of 
	puritan morality and the aggression bred by the puritan morality […]. 
	(Marcuse 2005: 85-6)

Das Politische an Subkulturen verbleibt jedoch in Großbritannien in erster
Linie im Zeichenhaften[^8]. England fehlt ein politisches Ereignis, das in der
Lage gewesen wäre, eine Generationenerfahrung ‚1968' so zu prägen wie es der
Pariser Generalstreik vom Mai 1968 in Frankreich oder der Schahbesuch 1967 in
der BRD taten. Stattdessen betont Norbert Frei die Wichtigkeit von
‚Counterculture', die am 11. Juni 1965 mit der International Poetry Convention
ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit rückte. In der ausverkauften
Royal Albert Hall traten Dichter aus dem Umfeld der Beat-Bewegung wie Allen
Ginsberg oder Lawrence Ferlinghetti, der kontinentaleuropäischen Avantgarde
wie Ernst Jandl oder der britische Marxist Adrian Mitchell auf (vgl. Frei
2008: 185).

Allen Ginsberg trug hier sein Gedicht"The Change" vor, in dem er seine
Vorstellung einer unvermittelten Form von Subjektivität beschreibt:

	My own Identity now nameless 
	neither man nor Poet nor dragon nor 
	God

	But the dreaming Me under 
	Physical stars with tender 
	red moons in my belly
	[...] 
	(Ginsberg 1965: 23)

Ginsbergs Denken zeigt sich in diesen Zeilen als ein Zurückweisen aller
subjektivitätsstiftenden Anrufungen durch den Staat oder andere Institutionen.
Es ist damit eine Form von widerständiger Subjektivität, mit der Ginsberg
nicht alleine ist. Auch die Erfinderin des Minirock, Mary Quant, weist als
‚bad subject' zu Beginn ihrer Karriere die Anrufung durch formale Formen von
Bildung, wie sie in der Generation ihrer als Lehrer arbeitenden Eltern
geschätzt wurden, zurück.

	The fashion world was far too chancy for them. [...] [T]heir outlook on
	careers is, perhaps, a little narrow. They recognize only professional
	qualifications; they worship the qualifications that come from the passing 	
	of exams. To them these are a sort of insurance against the future [...]
	something permanently behind you to fall back on if need be. 
	(Quant 1966: 5)

### Die Kunst der Arbeit

Quant äußert die Kritik an dieser Lebensauffassung auf mehreren Ebenen. Zum
einen in ihrer Tätigkeit als Designer[^9], als auch in ihrer Vorstellung eines
als Unternehmer erfolgreichen Subjekts. Dieses zeichnet sich weniger durch
Fähigkeiten aus, die durch formelle Bildung erworben sind, sondern durch
diejenigen, die man im ‚wirklichen' Leben erwirbt. Bei Quant war dies ihre
Zeit, in der sie offiziell am Goldsmiths College eingeschrieben war, aber ihre
Zeit lieber auf Parties verbrachte und ein finanziell prekäres, aber
weitgehend selbstbestimmtes Leben führen konnte – ein Lebensstil, der nahtlos
in die Anfänge ihrer Boutique Bazaar übergeht:

	A designer has got to be able to keep her feet well and solidly on the 
	ground if she is going to be tuned in to the fast-moving changes of 
	fashion. She has got to be able to [...] deal with all sorts of creative 	
	and emotional people [...] see cloth from all over the world ... make 
	quick decisions which may well involve thousands of pounds [...] visit 
	mills and factories to keep in touch with what's new ... and at the end of 
	all this, find some quiet corner where she can get down to her real work 
	and produce designs to a deadline. This last – for me – represents hours 
	of agony [...]. It is absolute hell at first and it is only when I am 
	beginning to come to the end of a collection that I discover it's all been 
	rather fun and I'm enjoying myself. 
	(Quant 1966: 168)

Hier zeigt sich ein Unterschied zur widerständigen Subjektivität, wie sie
Ginsberg artikuliert hat. Er erträumte sich naiv einen anrufungsfreien
Zustand, in dem er ein reines "physical me under the stars" (Ginsberg 1965:
23) darstellt, an dem er von weltlichen Institutionen, ja sogar von der
Sprache, unbehelligt ist. Dass ein solcher Ort nicht existiert, wird in Quants
Darstellung deutlich. An die Stelle der zurückgewiesenen Subjektivierung durch
die Bildungsinstitutionen des stark regulierten Englands der Nachkriegszeit
muss eine andere Form der Subjektivierung treten. Diese andere Form der
Subjektivierung wird durch den ungeregelten Markt, bzw. Quants Londoner Nische
in diesem hervorgebracht. Diese ermöglicht ihr zwar erst nach einigen
Anlaufschwierigkeiten ein finanzielles Auskommen, hält aber eine immaterielle
Entlohnung in Form von persönlicher Gratifikation und Selbständigkeit als
Kontrast zum fordistischen Modell der Lohnarbeit bereit, die der von Marcuse
geforderten Sinnhaftigkeit von Arbeit zumindest dem Anschein nach nahekommt
Dieses Modell des "Für-Sich-Arbeitenden" (Diederichsen 2008: 182) findet in
der Folgezeit als eine Form der Gouvernementalität[^10] Einzug in eine
postfordistische Unternehmenskultur. Als Vorstellung von autonomer und
selbständiger Arbeit stellt sie eine Form von Subjektivität für die
"leidenschaftliche Verhaftung" der ArbeitnehmerInnen an ihre Lohnarbeit bereit
(vgl. Opitz 2004: 183-184). Bei Quant ist die Verhaftung allerdings noch
stärker an die Subkulturen der späten 1950er und frühen 60er Jahre gebunden:

	It is the Mods [...] who gave the dress the impetus to break through the
	fast-moving, breathtaking, uprooting revolution in which we have played a 	
	part since the opening of Bazaar. We had to keep up with them. We had to 
	expand.
	(Quant 1966: 76-77)

Quant bewunderte an den Mods weniger ihre Fähigkeit zur kreativen Umdeutung
des fordistischen Zeichenvorrats, die besonders Dick Hebdige als politische
Qualität (vgl. Hebdige 1996) von Subkulturen schätzte, sondern ihr
selbstbewusstes Auftreten als ‚early adopters', mit denen sie und ihr Partner
Alexander Plunket-Greene Schritt halten mussten, um als Geschäftsleute
erfolgreich zu sein. Dafür sind allerdings weniger die traditionellen
Fähigkeiten zur Geschäftsführung wie Startkapital und ein Geschäftsplan
entscheidend, über die Quant freimütig erklärt: "We really had no idea how to
do it" (Quant 1966: 58). Stattdessen speist sich der Erfolg ihres Unternehmens
aus der Übersetzung eines subkulturellen Wertes von Authentizität, den ihre
Produkte durch ihre Popularität im Chelsea der 1960er erwarben, in Warenform.
Der Wert dieser Authentizität wird dabei außerhalb der Zirkulationssphäre als
Gebrauchswert im persönlichen Verhältnis des Benutzers zu einem Gegenstand
gebildet (Boltanski/Chiapello 2007: 443). So konnte z.B. der Minirock
verschiedene Funktionen für seine Trägerinnen haben, die nicht durch den Preis
des Produktes oder seine Neuheit zu bestimmen sind, wie z.B. eine Abgrenzung
gegenüber der Elterngeneration.[^11] Genau diese Funktionen werden durch
"Kodifikation" in eine ‚authentische Ware' übersetzt, ein Prozess, der sich
von der Standardisierung dadurch unterscheidet, dass Differenz Teil der in
großen Stückzahlen hergestellten Ware werden kann, obwohl das an die Ware
geknüpfte Authentizitätsversprechen nicht von dieser alleine eingelöst werden
kann (Boltanski/Chiapello 2007: 445-7).

Hier schließt sich der Kreis zwischen dem Minirock und dem automobilen Mini.
Das Auto konnte durch seine prominenten Fahrer eine popkulturelle
Authentizität erwerben. Später kam dann die Authentizität als ‚Liebhaberstück'
dazu, die von einer Subkultur an Hobbybastlern[^12] erzeugt wurde, dazu. Die
Neuauflage des Kleinwagens war genau deshalb erfolgreich, weil sie sowohl an
die popkulturellen Referenzen[^13] und durch eine breite Palette an
Ausstattungen auch an die Bastlerkultur anknüpfte und vorgab, die so gebildete
Authentizität in eine Ware zu übersetzen.

"When is he going to get a proper job?" lässt Mary Quant am Ende ihrer
autobiographischen Erfolgsgeschichte als Geschäftsfrau eine Tante ihres
Partners Alexander Plunket-Greene fragen (Quant 1966: 196). Es ist eine
ironische Geste des Triumphs gegenüber dem allgegenwärtigen Misstrauen, das
ihr wegen ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht und ihres selbstbestimmten
Lebenswegs entgegengebracht wurde und das sie durch ihren Erfolg widerlegt
hat. Dennoch hat ihr Widerstand und ihre dadurch erworbenen Fähigkeiten Einzug
in neue Formen der Subjektivierung für postfordistische Modelle der abhängigen
Lohnarbeit Einzug gehalten, in denen die Arbeitnehmer als "teamfähige
Einzelkämpfer‟ mit der Fähigkeit zur selbständigen Arbeit konzipiert sind
(vgl. Opitz 150 - 154). Quant ist damit ein Beispiel für die 1960er als einer
Zeit des Unternehmertums, die einen Aspekt der Thatcher-Ära vorwegnahm (vgl
Marwick 1998: 802). In beiden Minis, dem Auto wie dem Rock, verdichtete sich
in den Industrienationen ein einschneidender Wandel im Verständnis von Arbeit,
die wir als "postfordistisch" bezeichnen. Die Subjektformen der Gegenkultur,
die in Subkulturen gebildete Authentizität stehen nicht mehr außerhalb der
Kapitalakkumulation[^14], sondern sind erfolgreich in das Verhältnis von
Kapital und Arbeit integriert. Ein ‚proper job' hat heute ebensoviel mit dem
Lebensstil von Mary Quant wie mit der im Mini verkörperten und von den Beatles
besungenen Arbeit im Fordismus gemeinsam.

[^1]: "Der Begriff des Produktionsregimes bzw. Fabrikregimes zielt auf
überbetrieblich institutionalisierte Interpretations- und Verhaltensmuster,
die die Gestalt betrieblicher Produkt- und Produktionskonzepte (in den
Dimensionen Technik, Organisation, Personalpolitik) und die Konflikt- und
Kooperationsbeziehungen zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen und dem
Management vorstrukturieren. Produktionsregime können auf der Ebene von
Betrieben, Konzernen, Branchen, Regionen, Staaten und Staatengruppen
institutionalisiert sein." (Heidenreich 1997: 305)

[^2]: Jürgen Kramer beschreibt in seinem Beitrag in diesem Band mehrere
Faktoren, die die Sonderstellung der britischen Autoindustrie begründeten und
entscheidenden Anteil an ihrem Niedergang hatten. Im Fall des Minis war die
Produktion zudem kompliziert und kostenintensiv (vgl. Whistler 1999: 155).

[^3]: Ursprünglich stellte die Akkordarbeit eine Idee zur Verknüpfung von
Arbeitseinsatz und Lohnhöhe dar, die im Verbund mit einer stark
paternalistischen Tendenz der Einhegung von innerbetrieblichen Konflikten
dienen sollte. Gleichzeitig gab er der Arbeiterschaft jedoch auch ein Mittel,
um ihren eigenen Einfluss auf den Produktionsprozess beziffern zu können (vgl.
Whistler 1999: 193).

[^4]: Dieser Trend zeigt sich auch bei angelernten und ungelernten Arbeitern
(vgl. Whistler 1999: 214).

[^5]: Im Zusammenhang dieses Aufsatzes ist besonders die von Adorno und
Horkheimer vertretene These der "Kulturindustrie" als "Standardisierung und
Serienproduktion" (Adorno/Horkheimer 1988: 129) von Bedeutung. Laut Mike Jones
wird dabei das künstlerische Material transformiert, bevor es als Ware auf den
Markt gelangen kann. Aus einem Musikstück wird so eine Ware, die als "sound,
print and vision" vermarktbar ist, um die potentiellen Profite zu maximieren
(vgl. Jones 2003: 149-150).

[^6]: Andrew Marr nennt die Kinks und The Who als zeitgenössische
Konkurrenten, betont aber die Wichtigkeit der englischen Kunsthochschulen für
englische Popmusik (Marr 2008: 270-274).

[^7]: Mike Jones weist auf das Bedürfnis von Plattenfirmen hin, eine
weitgehende Kontrolle über alle Facetten von Popmusik-Acts zu haben, um die
Chancen zu vergrößen, dass sich ihre Produkte verkaufen (vgl. Jones 2003:
150).

[^8]: Jakob Tanner merkt dazu an, dass "die subkulturellen Impulse erstaunlich
leicht in jene universelle Kommerzialisierungsspirale zu integrieren" waren,
"welche die Konsumgesellschaft vertiefte (...)" (Tanner 2008: 276).

[^9]: Siehe auch den Beitrag von Viola Hofmann in diesem Band.

[^10]: Michel Foucault fasst unter dem Begriff der ‚Gouvernementalität' eine
Form des Regierens, die nicht mehr auf die klassischen Disziplinartechniken
angewiesen ist, sondern sich vermehrt der Produktion von einer bestimmten
Innerlichkeit, der ‚gouvernementalité' bedient (vgl.Foucault 2003).

[^11]: Siehe auch die Beiträge von Ingrid von Rosenberg und die
Podiumsdiskussion in diesem Band.

[^12]: Siehe auch den Beitrag von Claus-Ulrich Viol in diesem Band.

[^13]: Siehe auch den Beitrag von Iris-Aya Lämmerhirt in diesem Band.

[^14]: Lars Kohlmorgen weist darauf hin, dass der Wandel zu einem
postfordistischen Produktionsregime maßgeblich von den
Kapitalverwertungsschwierigkeiten der USA im eigenen Land abhing, sich aber in
der Folge internationalisierte und seit Beginn der 1970er durch neoliberale
Theorien gerechtfertigt wurde (Kohlmorgen 2004: 162/164). Der
Regierungsantritt Margaret Thatchers 1979 stellt den "Durchbruch‟ neoliberaler
Theorieansätze dar (Kohlmorgen 2004: 165).

####Literatur

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Werthschulte, Christian. ``Talking Shop. Was die 1960er mit der Arbeit gemacht haben.'' MINI &
Mini. Ikonen der Popkultur zwischen Dekonstruktion und Rekonstruktion. Eds. Jürgen Kramer,
Anette Pankratz, Claus-Ulrich Viol. Bielefeld: Transcript, 2009. 51-62.

(c) transcript verlag 2009. Please contact the publisher if you want to use this text.

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