Tanzentwicklung in Mittelalter und Renaissance
 Autor: Ameli Ganz  / Elisabeth von Tannenberg (Pas de Danse)
 
 

Zu allen Zeiten war Tanzen ein gesellschaftliches Ereignis, das vielen Zwecken diente. Es gibt z.B. rituelle Tänze, meditative Tänze, gesellschaftliche Tänze.
Rituelle Tänze findet man noch heute in vielen Kulturen. Sie haben feierlichen Charakter und sind zweckbestimmt (Ernte, Wetter, Fruchtbarkeit, mythische Ausrichtung). Als  meditative Tänze seien zum Beispiel die Drehtänze der Sufis, Trancetänze der Inuit oder der Steppenvölker Asiens genannt. Hier geht es um Kontakt mit der "Anderswelt" und  um die Erlangung von Weisheit und Erkenntnissen.

  Gesellschaftliche Tänze in unserer Kultur

In erster Linie tanzen wir, weil's Spaß macht. Ohne Musik ist eine Feier nur unvollständig und wenn die richtigen Rhythmen gespielt werden, ergibt sich das eine oder andere  Tänzchen ganz von selbst.
Heute wie früher kann man Tanzen auch als Kommunikationsmittel einsetzen: in früheren Zeiten war die Aufforderung zum Tanz oft der einzige Weg für einen jungen Mann, relativ unverfänglich in Kontakt mit seiner Angebeteten zu treten (und auch das "Revier abzustecken", man denke nur an die Ballkarten, die bis vor einigen Jahren noch üblich waren).
 

  Mittelalter
  (in dieser Betrachtung bis ca. 1500)

Zu den Tänzen des Mittelalters kann man leider nur wenig sagen, es wurden im Gegensatz zur Renaissance keine Tanzbeschreibungen überliefert.
Wir wissen, daß es Reigentänze, Paartänze und Springtänze gab. Dies kann man anhand von Bildern, Texten oder Liedtiteln nachweisen. Aber die Schritte kann man sich nur bedingt aus den Renaissancebeschreibungen ableiten, wenn wie bei Thoinot Arbeau von "alten Tänzen" die Rede ist. Höfische wie ländliche Tänze dienten der Unterhaltung (gleichwohl reichen die Wurzeln oft bis in vorchristliche Zeiten zurück). Lediglich in ihrer Ausführung gab es Unterschiede, wie viele Kommentierungen beweisen. So wurden die ländlichen Tänze meist als "tölpelhaft" = ungelenk oder wegen des engeren, ungezwungeneren  Körperkontaktes als anstößig bezeichnet.
Dennoch wurden die ländlichen Tänze oft an die Höfe übernommen und umgekehrt die höfischen Tänze bei der Landbevölkerung beliebt.

Eine mögliche Erklärung, warum nur wenige Melodien und erst recht keine Tanzbeschreibungen überliefert sind, kann mit der damaligen Weltanschauung erklärt werden: im Mittelalter stand der Mensch als Individuum nicht im Mittelpunkt. Das Leben war von Gott gegeben und hatte Ihm gefällig zu sein. Kunst (darstellende und bildende K.) war nur im sakralen Bereich erwünscht und wurde nur dort gefördert. Der weltliche Bereich war zweitrangig, vergänglich und damit auch nicht des Aufschreibens wert - wenn man einmal von den Ausnahmen absieht, wie z.B. die carmina burana.
Die Menschen waren in ein relativ starres Ständesystem eingebunden, das nach der vorherrschenden Meinung auch gottgegeben war.
Diese allgemeine Anschauung drückt sich auch in den Tänzen aus. Es gab keine großartigen Soli, bei denen sich einzelne hervorheben konnten.
Die Musik wurde mündlich bzw. instrumental weitergegeben, die Spielleute beherrschten meist mehrere Instrumente. Es wurden Melodien variiert, nachgeahmt, bearbeitet, aber leider selten aufgezeichnet. Die Spielleute gehörten zur unteren Gesellschaftsschicht, waren selten seßhaft, verachtet und geschätzt zugleich (Troubadoure, höfische Sänger, Stadtpfeifer etc. nehme ich hier bewußt aus). Die Spielleute brachten Lieder, Tänze, Nachrichten und Unterhaltung in die Dörfer und an die Höfe.
Wir können davon ausgehen, daß die mittelalterlichen ländlichen Tänze relativ einfach strukturiert waren, damit jeder gleich mitmachen konnte. Wenn die Spielleute neue Tänze mitbrachten, so mußten diese natürlich auch leicht erlernbar sein. Meist reichte Zuschauen aus, um mittanzen zu können.
Bei den höfischen Tänzen wird es etwas anders ausgesehen haben, da Tanzen zur Grundausbildung der Heranwachsenden gehörte. Es wird auf die verschiedenen Tänze festgelegte Schrittkombinationen gegeben haben, die zu erlernen waren. Dazu das höfische Benehmen oder die korrekten Handfassungen.

  Renaissance
  (hier ab ca. 1500)

In der Renaissance veränderte sich das gesamte Weltbild des Menschen. Nicht mehr Gott, sondern das Individuum rückte in den Mittelpunkt, Naturwissenschaften bildeten sich aus, der Mensch begann zu forschen und zu hinterfragen.
Äußerlichkeiten wurden immer wichtiger, Reichtum wurde offen zur Schau gestellt. Selbst die Bewegungen des Menschen hatten vollkommen zu sein. Ein Renaissancemensch ging nicht einfach von A nach B, er schritt möglichst formvollendet zum Ziel.
So änderte sich auch die Einstellung zum Tanz. Die Bewegungen sollten kunstvoll, elegant und anmutig sein. Der Einzelne konnte sein tänzerisches Talent mit komplizierten Sprüngen und Drehungen präsentieren.
Damit bildete sich auch ein neues Berufsbild heraus: der Tanzmeister. Dieser sollte den Menschen an einem Hof neue Tänze beibringen oder altbekannte ausschmücken. Und nun beginnen auch die Aufzeichnungen. Zu den bedeutendsten Sammlungen gehören neben den italienischen Aufzeichnungen etwa eines Paolo Negri die "Orchésographie" des Thoinot Arbeau (Pseudonym des Jehan Tabourot, Domherr von Langres) oder die Sammlung "Dancing Master" von Playford.
Auch die Musiker stiegen in der sozialen Ordnung auf. Es wurden Orchester gegründet, eine Menge neuer Instrumente wurden entwickelt, Kompositionen wurden aufgeschrieben, die Mehrstimmigkeit nach festen Tonsatzregeln entwickelte sich langsam (Stichwort Ars nova). Die Musiker brauchten nun nicht mehr mit Musik, Tanz und Gaukelei ihren Lebensunterhalt verdienen, sondern es reichte aus, wenn man ein einzelnes Instrument meisterhaft beherrschte um ein dauerhaftes Engagement zu erhalten.
Sehr alt dürften die schreitenden Tänze sein. Dazu zählt Arbeau die Basse Danse und die Pavane. Sie sind noch vergleichsweise einfach zu erlernen, folgen aber schon vorgegebenen Schrittmustern. Besonders bei der Basse Danse gab es zu jeder Melodie eine festgelegte Schrittreihenfolge.
Die Branles, französische Kreistänze, sind aus den ländlichen Tänzen entstanden, was häufig die Namensgebung verrät (Branle de Poitou, Branle de Bourgogne). Verleger wie Attaignant sammelten und bearbeiteten Melodien, die dann mit Tanzbeschreibungen unterlegt wurden.
Bei den darstellenden Branlen ist es schwierig zu sagen, ob es sich um ländliche Tänze handelte, die Eingang in den höfischen Bereich gefunden haben, oder ob es sich um höfische Schöpfungen handelt, die das Ländliche nachahmen (Branle des Rats, Branle des Chevaux, Branle des Chandeliers, Gathering Peascods u.ä.).
Die schnelleren Tänze wie die Gaillarde oder die Courante gaben den Tänzern die Möglichkeit, sich so richtig auszutoben und ihr Können zur Schau zu stellen. Es gab Unmengen von Sprung- und Drehelementen, die heute einer fundierten Ausbildung bedürfen, um ohne weiteres nachgemacht zu werden. Die Gaillarde entspricht schon einem Solotanz, bzw. das Paar kann sich frei auf der Tanzfläche bewegen, es gibt keine vorgegebenen Tanzrichtungen mehr.
Wenn man von der festen Anordnung der Tänze (Basse Danse-Tourdion, Pavane-Gaillarde, Allemande-Courante, Branle double-Branle simple) und ihrer Dauer ausgeht, kann man nur über die Kondition der Renaissancetänzer staunen.
Die meisten Tänze, die wir heute auf Mittelalterveranstaltungen tanzen, besonders die darstellenden Branlen, entstammen eigentlich den Aufzeichungen der
Renaissancetanzmeister. Aber wer kann schon mit hunderprozentiger Sicherheit sagen, ob es sich dabei um Renaissanceerfindungen handelt, oder ob die Wurzeln nicht doch in früheren Jahrhunderten liegen?

  Wie ging es weiter?

Die Tänze der Renaissance wurden immer kunstvoller und schwieriger. Und wurden dann auch vom Geschmack der Zeit überholt. Man orientierte sich wieder an den einfachen, ländlichen Tänzen.
Arbeau hat mit seiner Orchêsographie und den erstmals festgelegten Begriffen für Schritte und Fußstellungen die Grundlage für das klassische Ballett mit den
Positionsbezeichnungen gelegt. Unschwer lassen sich aus den bei Arbeau und anderen Tanzmeistern beschriebenen Figuren die Wurzeln des heutigen Balletts erkennen.
Die heutigen Volkstänze dürften sich aus den wieder einfacher gewordenen Tänzen des Barock entwickelt haben, unsere Standardtänze entstammen den alten Paartänzen. Die Namensgebung verrät oft noch das Ursprungsgebiet: Polka, Mazurka, Hackschottisch, Bourrée und Ungaresca sind einige Beispiele hierfür.

Der Wechsel zwischen ländlichen und höfischen Tänzen ist jedoch über alle Jahrhunderte geblieben (wir denken an die Entwicklung des Walzers: heute der Gesellschaftstanz schlechthin, im Anfang anrüchig, unzüchtig und eben ländlich!) und macht es aus heutiger Sicht schwer, festzulegen, wie alt manche Tänze tatsächlich sind.
Im Zeitalter der Globalisierung findet folgerichtig auch auf diesem Gebiet ein interkontinentaler Austausch statt: lateinamerikanische Tänze, Trommelkurse mit afrikanischen  Rhythmen, sogar Didgeridoo und Obertongesänge gehören heute zu unseren Tanz- und Hörgewohnheiten.

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