Fisch Das Volk Gottes: Juden und Christen



    Predigt zum Israel-Sonntag am 24. August 2003
  • die Geschichte des Volkes Gottes
  • die Zusage an Abraham und die Treue Gottes
  • die zwei Gebote und der Vater und seine zwei Söhne

Heute ist nach dem Kirchenjahr Israelsonntag. Ich finde das ähnlich wie Muttertag oder besser wie Tag der deutschen Einheit. Wenigstens einmal im Jahr denken wir an die Brüder und Schwestern drüben. Einmal ist besser als gar nicht. Aber Beziehungen erkennen und sie leben ist weit mehr.

Walter Mosner hatte mich gebeten, den Bezug auf Israel nicht zu vergessen. Ich habe mich daraufhin entschlossen, ganz neu eine Predigt zum Thema das Volk Gottes zu erarbeiten. Hier ist das Ergebnis.

Meine Beziehung zu Juden heute sind gelegentliche Besuche von Synagogen, eine Israelreise vom 26.9. bis 11.10.1992 mit kundiger Führung und einer Woche Jerusalem, Kontakt mit messianischen Juden aus Russland (GUS) in einer Essener EFG. Dann aber unpersönlich Äußerungen von Vertretern des Zentralrates der Juden in Deutschland (Bubis, Spiegel, Friedman). Schließlich das Wissen: Juden und Christen gehören zum Volk Gottes, sind also Geschwister, ob sie es wollen oder nicht.

    Die Geschichte des Volkes Gottes

Wie hat alles angefangen ? Gott wollte unter den Menschen ein Volk haben, das ihm in besonderer Weise gehört, so wie eine Ehefrau ihrem Mann gehört. Abraham, dessen Herz ganz mit Gott war, hat er aus seiner Familie heraus- gerufen und ihn als Stammvater dieses Volkes erwählt und mit ihm Isaak und Jakob, dem er den Namen Israel gab. (Gen 32,29: Denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gesiegt.)

Die Söhne Jakobs / Israels (Gen 35,22-29): Lea: Ruben, Simeon, Levi, Juda, Issachar, Sebulon, Silpa: Gad, Ascher, Bilha: Dan, Naftali, Rahel: Josef, Benjamin, Söhne Josefs: Efraim, Manasse.

Josef wird von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft. Er sorgt vor für eine Hungersnot, rettet so seine Familie und holt sie nach Gosen. Dort wächst die Familie zu einem Volk heran, das Gott aus der Sklaverei durch Mose befreit, ihm seine Ordnungen gibt und durch die Wüste durch Josua das versprochene Land als Besitz gibt.

Auch wenn Jeremia von der Zeit der ersten Liebe spricht (Jer 2-4), war die Geschichte Israels von Anfang an eine Geschichte des Ungehorsams und der Auflehnung gegen Gott und seine Anführer. Immer wieder weist Gott sein Volk durch Gerichte (der Feinde) zurecht, vergibt ihm, befreit es und segnet es wieder. Die Zeiten, in denen Israel das Gesetz Gottes ernst genommen und befolgt hat, waren die Ausnahme. Der einzige, der treu war in seiner Liebe, war Jahweh, der Bundesgott Israels.

Ungeteilt war Israel nur unter den Königen Saul, David und Salomo. Rehabeam hört auf die falschen Ratgeber und macht die Frondienste noch härter als sein Vater Salomo. Zehn Stämme sagen sich von ihm los. Juda, das Südreich besteht bis 587, Israel, das Nordreich bis 722 vor Christus. Am Ende steht das Exil der führenden Bevölkerung.

Immer wieder redet Gott durch Propheten, seine Boten bis 500. Nach 500 kamen noch Esra und Nehemia zum Wiederaufbau der zerstörten Stadt Jerusalem. Bis auf die Zeit der Makkabäer war Israel ein Spielball der Großmächte im Norden und Süden. Ab 63 vChr steht das Land unter römischer Herrschaft. Die Sehnsucht nach Befreiung und nach dem verheißenen Messias (Christus) ist groß und richtet sich schließlich auf Jesus von Nazareth. Sein Ziel ist aber nicht, die Erwartungen seines Volkes zu erfüllen, sondern allein den Willen Gottes, seines Vaters zu erfüllen. Dieser Weg führt ihn ans Kreuz, an dem der einzig Gerechte für die Sünder stirbt. Er wird auferweckt, wird entrückt von seinen Jüngern (Himmelfahrt) und sendet seinen Geist als Tröster, Mutmacher und Leiter seiner Jünger. Sie verlieren alle Scheu und bekennen offen Jesus als Messias / Christus, als Sohn Gottes und als Retter der Welt. Hier entsteht ein bis heute nicht gelöster Konflikt.

Die Mehrzahl der Juden sieht gar nicht ein, warum sie einen neuen Bund mit Gott brauchen. Sie lehnen Jesus als Messias und als Stifter eines neuen Bundes ab. Die Anhänger Jesu bilden bald eigene Gemeinden, zu denen auch nichtjüdische Menschen gehören, ohne vorher Juden werden zu müssen. Dafür hat vor allem der Theologe und Völkermissionar Saulus von Tarsus, mit dem römischen Namen Paulus, gekämpft. Mit der Zerstörung Jerusalems verlieren die Juden endgültig ihr Land und leben fast zweitausend Jahre zerstreut unter den Völkern, beneidet, gehasst und verfolgt bis heute. 1948 entsteht aus einem britischen Protektorat der heutige Staat Israel. Zuvor hatten viele Juden das Land besiedelt und die arabische Bevölkerung teilweise verdrängt. Die Einheit von staatlicher und religiöser Ordnung gibt es nicht mehr. Viele benachbarte arabische Staaten haben nur ein Ziel: Sie wollen Israel vernichten. Bis heute ist das nicht gelungen, da besonders die USA und Canada das Land massiv unterstützen. Während meines Aufenthalts in Jerusalem hatte ich den Eindruck, dass nirgends die Spannungen größer sind als hier und das der Weltfriede hier in Jerusalem beginnen muss.

    Die Zusage an Abraham und die Treue Gottes

Die ganze Geschichte Israels und der Juden sehe ich als ein Wunder Gottes, als ein Zeichen der Macht, Größe und Treue Gottes. Gott steht zu seinem Volk auch in Gericht und Zerstreuung. Seine Zusagen an Abraham gelten: "Ich will dich segnen und zum Stammvater eines großen Volkes machen. Dein Name soll in aller Welt berühmt sein. An dir soll sichtbar werden, was es bedeutet, wenn ich jemand segne. Alle, die dir und deinen Nachkommen Gutes wünschen, haben auch von mir Gutes zu erwarten. Aber wenn jemand euch Böses wünscht, bringe ich Unglück über ihn. Alle Völker der Erde werden Glück und Segen erlangen, wenn sie dir und deinen Nachkommen wohlgesonnen sind." (Gen 12,2-3)

Das allein ist Grund genug, Israel und die Juden zu achten und ihnen Gutes zu tun. Es gibt aber noch weitere Gründe: das Verhalten der Mehrzahl der Christen. Sie haben alle Zusagen Gottes allein auf sich bezogen und sie meinten, die Juden als "Gottesmörder" richten und bestrafen zu müssen. Viele Judenverfolgungen sind gerade von Christen ausgegangen.

Welche Überheblichkeit und Unkenntnis der Treue Gottes. Israel ist und bleibt das von Gott erwählte und geliebte Volk Gottes, trotz allem Ungehorsam. Messianische Juden sind eine Hoffnung, das Israel als Ganzes den Messias erkennen und anerkennen wird. Christen haben keinen Grund, sich über Israel und die Juden zu erheben. Sie haben mehrheitlich den Neuen Bund Gottes verlassen. Sie schmähen das einmalige Opfer Jesu durch dauernde Darbringung des unblutigen Opfers Jesu in der Messe. Sie haben die direkte Leitung der Gemeinde durch den Heiligen Geist ersetzt durch eine Hierarchie sog. geistlicher Ämter und Würden. Sie haben nicht festgehalten an der Botschaft Jesu und sind seinem Vorbild nicht gefolgt. Sie haben die Juden verdrängt und verfolgt und sich deren Hab und Gut einschließlich der Zusagen Gottes für sein Volk angeeignet.

Die kirchlichen Lehrer haben vielfach die Lehren Jesu verfälscht. Sie haben z.B. die Heilsgeschichte Gottes zu einem Dogma des dreieinen Gottes entartet, das mit Hilfe von Philosophie und Theologie Gott in ein Schema presst und die Lehre von dem einen, einzigen Gott unkenntlich macht. Sie haben letztlich Maria, die Mutter Jesu zur vierten Person der Trinität erklärt bis hin zur leiblichen Himmelfahrt der Maria und sie als Fürbitterin neben Jesus und der Kirche zur Mittlerin des Heils erhoben. Sie haben die Sexualität mit der Erbsünde behaftet und die gute Gabe Gottes verkrampft. Sie haben Jungfräulichkeit und Ehelosigkeit verherrlicht und Priestern zwangsweise das Zölibat auferlegt.

Ich sehe da wahrlich keinen Grund, sich zu rühmen. Umdenken, Umkehr und sich Ausstrecken nach der Gnade Gottes und der Veränderung durch den Geist Gottes sind angesagt, dazu der wenn auch unbeholfene Versuch, wieder gut zu machen, was gerade durch die Führung unseres Volkes und seiner willigen Helfer den Juden an Unrecht und Leid zugefügt wurde. Das gilt auch für andere Völker z.B. in Osteuropa.

    Die zwei Gebote   und   der Vater und seine zwei Söhne

Ich hatte die Idee, die zwei Söhne aus Lukas 15,11-32 auf Israel und die Gemeinde Jesu zu deuten. Diese Deutung ist nach der Einleitung Lukas 11,1-3 nicht abwegig, da Jesus die Gleichnisse den murrenden Pharisäern und Gesetzeslehrern erzählt. Beide Söhne erfahren völlig unverdient die Liebe des Vaters. Beide haben es nicht begriffen, wie der Vater liebt und was es bedeutet, im Hause des Vaters erwachsener Sohn (erwachsene Tochter) zu werden und zu sein. Wer das noch nicht verstanden hat, kann es auch nicht ausschöpfen. Mein Sohn, du bist doch immer bei mir. Alles was ich habe, steht auch dir zur Verfügung. Was mein ist, ist auch dein. So sagt Gott, der Vater, zu seinem ersten Sohn, den Juden und auch zu den Christen, die sich ihr Leben lang redlich mühen, den Willen Gottes zu tun.

Jesus hat den Willen Gottes in zwei Geboten zusammengefasst gesehen: Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, mit ganzem Willen und mit deinem ganzen Verstand! Das ist das größte und wichtigste Gebot. Aber gleich wichtig ist ein zweites: Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst! In diesen beiden Geboten ist alles zusammengefasst, was das Gesetz und die Propheten fordern. (Mat 22,37-40)

Das Geheimnis dieser zwei Gebote ist, dass alle Liebe von Gott ausgeht. Erst als Geliebte können wir lieben. Unsere Liebe ist wie das Licht des Mondes. Nur weil die Sonne ihn anstrahlt, leuchtet er. Paulus beschreibt das so (Röm 5,5): Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, den er uns geschenkt hat. Um Gottes Geist bitten (Luk 11,13), seinen Geist und seine Liebe empfangen, diese Liebe an Gott zurückgeben in Dank, Anbetung und Hingabe des Lebens, das erfüllt das erste Gebot. Das zweite lautet dann: teile die empfangene Liebe mit deinem Mitmenschen, Liebe ihn so, wie du gelernt hast, dich selbst zu lieben.

Ich sage hier einige Gedanken, die mir dazu gekommen sind. Warum tut sich Israel, tun die Juden sich so schwer, Jesus anzuerkennen ? Was wollt ihr, wir sind doch Gottes auserwähltes Volk. Er hat doch einen Bund mit uns geschlossen. Wir haben doch sein Gesetz. Wir brauchen keinen neuen Bund, brauchen keine neue Gnade Gottes. Ihr braucht diese Gnade. Ihr habt den Bund Gottes mit Israel verachtet. Ihr habt gesetzlos gelebt. Dieser dein Sohn, der sein (oder dein oder unser) Vermögen mit Huren durchgebracht hat, für den machst du ein so großes Fest. Ich habe dir gedient wie ein Sklave, mein Leben lang. Mir hast du nicht einmal einen Ziegenbock gegeben, damit ich mit meinen Freunden feiern kann.

Viele Christen eignen sich Gottes Zusagen so an und leben so, als gäbe es den erstgeborenen Sohn gar nicht mehr. Jesus hat den Bund Gottes mit Israel nicht aufgehoben, sondern erfüllt. So konnte sein Tod eine stellvertretende Sühne sein für alle, die das Gesetz nicht erfüllen können. Da Jesus die Geschichte zuerst für Juden erzählt hat, gibt es keine Fortsetzung, die etwa so lauten könnte: Der jüngere Sohn fühlte sich dem älteren überlegen und begann, ihn zu verachten. Der Vater sagte da zu ihm: Mein Sohn, du hast meine Liebe genau so wenig verdient wie dein Bruder. Es war allein meine Entscheidung, dich wieder als Sohn aufzunehmen. Meine Liebe gilt deinem Bruder in gleicher Weise. Wenn du ihm verachtest, verachtest du mich. Wenn du ihn liebst, liebst du mich. Ihr seid beide meine Söhne nur weil ich euch liebe, weil ich es will.

Ich lese zum Schluss noch einmal Gottes Zusagen an Abraham: "Ich will dich segnen und zum Stammvater eines großen Volkes machen. Dein Name soll in aller Welt berühmt sein. An dir soll sichtbar werden, was es bedeutet, wenn ich jemand segne. Alle, die dir und deinen Nachkommen Gutes wünschen, haben auch von mir Gutes zu erwarten. Aber wenn jemand euch Böses wünscht, bringe ich Unglück über ihn. Alle Völker der Erde werden Glück und Segen erlangen, wenn sie dir und deinen Nachkommen wohlgesonnen sind." (Gen 12,2-3)

© Autor: Manfred Hauenschild, Bochum, 24.08.2003