"Hellblau"


Eine Leiche war’s. Eindeutig. Der penetrante, süßlich-modrige Geruch, sowie die schon fortgeschrittene Verwesung dieses Dings, ließen keinen anderen Schluss zu. Ich wunderte mich allerdings, was eine verwesende Leiche in meiner Küche zu suchen hatte und kam zu dem Ergebnis, dass, was auch immer es war, sich wohl in meiner Besteckschublade befinden musste, die das Ding gerade durchwühlte. Mit einem Grinsen, welches aufgrund der fehlenden Lippen kaum als ein solches zu erkennen war, förderte die Leiche einen Sparschäler zu Tage, den ich erst vor einem knappen halben Jahr gekauft hatte, als ich die neue Wohnung bezogen hatte. Der Griff war aus hellblauem Plastik. Ich starrte in das noch immer grinsende Gesicht und mir fiel auf, dass die Zähne dieses Dings überraschend sauber und gepflegt waren. Sauberer als meine, dachte ich noch, als die Leiche den Sparschäler an ihrem linken Unterarm ansetzte und begann ein längliches Stück Fleisch mit einer ruhigen, konstanten, ja phlegmatischen Bewegung abzutrennen. Es war entsetzlich unspektakulär. Kein Blut schoss aus der Wunde, keine Schmerzensschreie waren zu hören – es passierte eigentlich überhaupt nichts. Langsam bewegte sich der hellblaue Griff vom Ellenbogen in Richtung Handgelenk und das dünne Stück Fleisch wurde länger. Und noch immer dieses Zahnpastalächeln. Es widerte mich fast noch mehr an als der grauenhafte Gestank. In meinem Kopf begann sich alles zu drehen. Wie kam dieses verfaulende Ding in meine Küche? Warum schälte es seinen Arm? Und wo bekam ich mitten in der Nacht einen neuen Sparschäler her?

Ich drehte mich um und ging zurück ins Wohnzimmer, das nur von dem flackernden, bläulichen Licht des Fernsehers erhellt wurde. Jemand versuchte mir ein Pfannenset zu verkaufen und versprach den ersten fünfzig Anrufern einen Bauchmuskeltrainer gratis. Ich musste lachen, allerdings klang das Geräusch schon in meinen Ohren einen Tick zu schrill, zu hysterisch. Ein Pfannenset und einen Bauchmuskeltrainer, was ich brauchte war ein neuer Sparschäler und eventuell ein guter Bestatter, der keine Fragen stellte. In der Küche schepperte etwas.

Das reichte, mir wurde es zu viel. Ich griff mir meine Jacke und verließ die Wohnung. Um meine Freundin, die schon zu Bett gegangen war und von der seltsam agilen Leiche wohl nichts mitbekommen hatte, machte ich mir keine Sorgen; das stinkende Ding in der Küche war augenscheinlich mit sich selbst beschäftigt…