"Erzählungen vom vergrabenen Leben I"
Ich hätte nie gedacht, dass wir das tatsächlich machen würden. Es war eine Idee (und zwar keine gute),
die uns in der Küche kam, als wir zwischen den gesammelten Zigarettenkippen der letzen Wochen auf dem
Küchentisch nach etwas Essbarem suchten. Eigentlich wäre es lustig direkt neben unserer Wohnungstür ein
Pissoir an die Wand zu nageln. Dann könnte man die Tür aufmachen, selbst wenn man gerade… naja, schon klar, oder?
Ein Ausbruch des alltäglichen Wahnsinns unseres gestörten Wohnkollektivs. Schon nach einer Woche hatten wir
uns eine alte Kloschüssel in den Flur gestellt, da dies einfacher erschien, als einen neuen Hammer zu kaufen.
Die Schüssel hatten wir unserem Quotenveganer aus seiner alten Wohnung ausgebaut und in Folge dessen einen
Wasserschaden beträchtlichen Ausmaßes angerichtet. Nachdem er seinen anfänglichen Nervenzusammenbruch überwunden
hatte, war er sogar recht froh darüber. Nun konnte er sich schließlich das Streichen vor der Wohnungsübergabe
sparen und einen größeren Anteil seiner Zeit mit mehrdimensionalen Integralen und der Ausarbeitung anarchistischer
Ideen verbringen. Aber zurück zur Schüssel. Erinnert ihr euch an das Klo in dem Film „Trainspotting“? Unseres war
sauberer, allerdings nicht viel…
Die ursprünglichen Idee auch beim Pinkeln die Tür aufzumachen zu können setzte im Übrigen nicht durch. Was vor
allem an dem Wort „auch“ liegt. Vielmehr entwickelte es sich bei uns zur Gewohnheit, sobald die Klingel ertönt,
panisch die Hose herunterzulassen.
Es ist ein unerwartet erhebendes Gefühl eventuellen Besuchern thronend entgegenzutreten. Obwohl „austreten“
möglicher Weise die passendere Bezeichnung wäre. Aber wir wollen keine Haare spalten – das hat auch der
freundliche Mensch von der GEZ recht schnell eingesehen. Zumindest ist er seither nicht mehr hier aufgetaucht,
unsere Freunde und Bekannte nahmen unseren innovativen Einrichtungsstil gelassener – zumindest die meisten. Da
war es auch von Vorteil, dass wir uns gegen das Pissoir entscheiden haben, sonst hätten wir uns womöglich Sexismus
vorwerfen lassen und außerdem auf die eine oder andere humorvolle Situation verzichten müssen. Frauen haben auf
dem Klo eine besondere Eleganz, die Männern gänzlich abgeht. Keine verkniffenen Gesichter, Schweißausbrüche und
kein hilfloses Röcheln, sondern ein solch graziler Stuhlgang, dass ich noch jetzt neidisch werde. Vielleicht
sollten wir uns ein zweites Klo in den Flur stellen zwecks sozialer Interaktion?
Sicherlich eine bedenkenswerte Idee, hätte ich sie vorher gehabt, wäre wohl auch die Sache mit den Zeugen Jehowahs
anders gelaufen.