Predigt über 1. Johannes 4,7-21

Gottesdienst am 17.6.1979 in Brake bei Bielefeld

Zum Impressum
Ihr lieben Schwestern und Brüder, ich begrüße euch zu diesem Gottesdienst. Ich bin bei euch zu Gast, weil Martin Affolderbach zum Kirchentag gefahren ist, wo in Nürnberg gleichzeitig mit unserem Gottesdienst der große Schlußgottesdienst stattfindet. Daran denken wir, indem wir, die wir zur Hoffnung berufen sind, Gott als Liebe denken und in dieser Liebe den Grund für unsere Hoffnung erfahren: Die Hoffnung auf eine Welt ohne Waffen, ohne Kriege, ohne Krupps Rüstungsfabriken, eine Welt ohne Arme, ohne Slums, ohne Hunger, eine Welt, in der mehr Zeit ist zum lachen, tanzen und ruhen, eine Welt, in der die Menschen zärtlicher miteinander umgehen, mehr miteinander leben als gegeneinander konkurrieren, in der selbst noch die kältesten und härtesten Gesichter Lachfalten bekommen. Eine solche künftige Welt zu erhoffen ist unser Bekenntnis zu dem Gott, der Liebe ist. Gott ist Liebe. Dies ist der zentrale Satz unseres Gottesdienstes. Ich wünsche euch dabei viel Konzentration, viele schöne Erinnerungen an eure Liebesgeschichten und viel Spaß beim Zuhören der Predigt.
Abkündigungen
Wir singen nun ein altes Pfingstlied indem wir den Heiligen Geist der Liebe erbitten.
EKG 99, 1-4
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Armen. Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. 1. Johannes 3,14: Wir wissen, daß wir aus dem Tod ins Leben hinein auferstanden sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod.
Ehre sei dem Vater und dem Sohn...
Sündenbekenntnis: Wir bekennen, daß wir gesündigt haben in Gedanken, Worten, Werken und in unserem satten Nichtstun. Wir erkennen, daß Sünde die Unfähigkeit zu lieben ist. Wir bekennen, daß wir nicht lieben können, oder immer nur zu wenig. Wir fühlen uns zu wenig geliebt und sind selbst unfähig, von uns aus auf die anderen zuzugehen. Wir haben Angst, uns mit liebevollem Verhalten eine Schwäche zu geben, darum werden wir hart und verbittert. Unsere Liebeswünsche sind im Keim erstickt und unsere Herzen erkalten von Jahr zu Jahr mehr.  Wir verfolgen unsere eigenen Interessen unseren Aufstieg im Beruf, unsere Autos, unser Häuslebauen und haben nur die eigene soziale Position im Auge. Statt verwundbaren und empfänglichen Herzen haben wir Verwaltungsbüros in unserem Brustkorb, in denen wir unseren Profit überall scharf durchkalkulieren, selbst noch in Sachen Liebe.
Wir beten zu Gott, der Liebe ist: Liebe, öffne uns die Augen für die einsamen, hilflosen und weinenden Herzen, die sich hinter der Fassade der harten Gesichter versteckt halten. Gib uns die Stärke des Heiligen Geistes, daß wir uns unsere Hilflosigkeit, Schwäche und Einsamkeit eingestehen lernen und sie auf unsere Gesichter herauf lassen. Schenke uns das Feuer deiner Liebe, daß es uns so heiß macht, daß wir von uns aus aufeinander zugehen können, uns umarmen können. Mach uns so stark, daß wir endlich auch dahin gehen können, wo es nur Lieblosigkeit gibt, wo Armut und Hunger und schlechte Gesetze die Menschen zu unmenschlichem Leben verdammen und zu Unmenschen machen. Öffne unsere Augen für die wirtschaftlichen Ursachen dieser Armut und laß uns das unsere tun, wo wir mit unseren Geschäften profitabel in die Armut der armen Länder verstrickt sind. Hilf uns, diesen Zusammenhang unserer Schuld mit der Welt Armut zu durchdenken und für unseren Teil das nötige zu tun, ihn zu beenden. Sei uns Sündern gnädig, du heiliger Geist der Liebe. Amen.
Kyrie eleison
1. Johannes 3,19 Dadurch werden wir erkennen, daß wir aus der Wahrheit sind, und werden wir vor ihm unsere Herzen beruhigen, daß, wenn uns das Herz verurteilt, Gott größer ist als unser Herz.
Ehre sei Gott in der Höhe   Und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen.
Wir loben, preisen...
Der Herr sei mit euch.
Und mit deinem Geist.
Kollektengebet: Laßt uns beten. Gott, der du die Liebe bist, du hast uns vorgelebt, wie man das macht: Lieben. Du hast uns in die Liebeskunst eingeführt durch den Menschen Jesus von Nazareth, der uns alle zum Leben verführen will.  Schenke uns diese herrliche Schwäche, dieser Verführung nicht widerstehen zu können. Laß uns von Jesus die Liebe lernen. Amen.
Lektor: 1. Johannes. 4,7 - 21: Halleluja
Glaubensbekenntnis
EKG 509, 1-3 + 5
Predigt
Liebe Schwestern und Brüder!
Gott ist nicht lieb. Gott ist nicht der liebe Gott, der in Grimms Märchen als Bettler getarnt in die Städte kommt, und den Leuten zeigt, was für egoistische Sünder sie sind.  Gott ist erst recht nicht der Gott, auf denen ich noch getrimmt worden bin: ein großer Bruder, der immerfort aufpaßt, alles hört und sieht, besonders die kleinen Spielereien am Glied. Ein Gott, der alle Taten und Untaten kontrolliert und mit Mißgeschick bestraft, ähnlich wie der Meister in der Fabrik oder der Verfassungsschutz am Telefon mit seinen Lauschangriffen allüberall. Ein lieber Gott, der uns so allwissend überwachen und beschatten würde, wäre auch gar nicht lieb. Er wäre ein Schnüffler.
Noch einmal: Gott ist nicht lieb. Gott ist mehr als lieb. Gott ist die Liebe selbst. Gott ist die Liebe selbst, nichts mehr. Das will begriffen werden. Der erste Johannesbrief markiert mit seinem Satz „Gott ist Liebe“ eine Revolution. Eine Revolution im Bild Gottes. Das Bild Gottes hat sehr viel mit den Menschen zu tun, die es sich machen. Wenn wir die Bibel von den frühesten Texten (und das sind gerade nicht die ersten Bibel-Kapitel) bis zu dem Satz „Gott ist Liebe“ studieren, so machen wir die Feststellung, daß von Gott in den verschiedensten Bildern und Titeln geredet wurde. Alle lassen sich hier gar nicht aufzählen. Gott erscheint dem Mose nicht als brennender Dornbusch wie man gemeinhin liest, sondern im Vulkanausbruch. Wir sehen hier, wie Naturgewalten als Gottes Offenbarungen angesehen wurden. Auch auf dem Sinai, als Mose die 10 Gebote empfängt, erscheint Gott als Naturgewalt, als Donner und Blitz und Feuer. Seine Gegenwart wird bei der Bundeslade durch eine Wolke signalisiert. Dem Elia auf dem Horeb, das ist wiederum der Sinai, offenbart sich Gott nach einem Gewitter als das sanfte Säuseln des Windes. Bei Abraham ist Gott als Vision erfahren, aber auch ganz menschlich: Gott kommt in Gestalt 3er Männer als Gast zu Abraham. In diesen Gottesbildern spiegelt sich die Situation der Nomaden, die in der Wüste lebend den Naturgewalten völlig schutzlos preisgegeben sind und darum diese ihre stärkste Bedrohung und zugleich wichtigste Lebenshilfe unmittelbar als göttliche Offenbarung ansehen.
Die Zeit änderte sich. Die einzelnen normalen Gruppen verbündeten sich und wählten sich schließlich gemeinsam einen Heerführer, um besser mit den Philistern, den alten Seeräubern aus dem heutigen Jugoslawien fertig zu werden. Und was finden wir aus dieser Zeit für Bilder von Gott? Man nennt ihn Herr der Heerscharen, man glaubt, daß er vor der Truppe herzieht und die Feinde in Panikstimmung versetzt. Yahweh ist ein kalter Krieger, der rücksichtslos die Feinde ab schlachtet, wie es ein SS-Mann mörderischer nicht hätte tun können. In kriegerischen Zeiten also ist das zentrale Bild Gottes das des erbarmungslos siegreichen Kriegers. Gehen wir einen Schritt weiter. David hat mit seinen viel gerühmten Terror Aktionen eine so starke Hausmacht von den damaligen Arbeitslosen, die als Räuber in den Bergen lebten, organisiert, daß er als erster in Israel eine Diktatur gründen konnte, der alle sich fügen mußten. In dieser Königszeit finden wir bei den Propheten Visionen von Gott als König auf einem Thron im Himmel, der mit seinen Beratern über Israels Politik Rat hält. Der Prophet ist Gast bei dieser Kabinettssitzung im Himmel und übermittelt seinem Volk Gottes Entscheidungen. Wir sehen: auch hier werden die Bilder der unmittelbaren Lebensumstände sofort wieder auf Gott übertragen, Gott glänzt wieder einmal in durchaus höchst weltlichen Gewändern. Wir könnten diese Geschichte der menschlichen Bilder von Gott noch weiter fortsetzen, brechen hier aber ab. Wir halten fest: Gott ist in der Bibel nicht eindeutig dargestellt, sondern sein Bild ist Spiegelbild der ökonomischen und politischen Verhältnisse von der Wüste bis zum Thronsaal. Anders: es gibt einen langen, langwierigen aber nicht langweiligen Prozeß der Erkenntnis Gottes. Die Erkenntnis dessen, was Gott ist und was Gott ganz und gar nicht ist, entspringt einem langen sozialen Entwicklungsprozeß und geistigen Reifeprozeß. Die Gotteserkenntnis ist Spiegelbild einer harten Geschichte von Gruppenkämpfen, paßt sich der Herausbildung sozialer Klassen und ihren Kämpfen an, steht bei Davids Priesterkaste auf der Herrscherseite, kämpft aber bei Micha, Jesaja und Amos auf der Seite der unterdrückten Klasse. In der Mitte der Geschichte des Erkenntnisprozesses Gottes steht wiederum ein Prophet. Er stammte aus der Schule eines Johannes, der im Jordan die Menschen von ihrem Dreck rein wusch. Dieser Prophet sagte das Kommen eines Reiches der Liebe an, indem Schuld vergeben ist, indem die Mächtigen aus ihren Palästen vertrieben sind, in dem die Armen so viel geschenkt bekommen, daß sie in Freuden leben, in dem es keine Reichen mehr gibt, selbst wenn Herr Oetker ein meterdickes Nadelöhr bauen ließe. Dieser Prophet ließ sich viel mit Frauen sehen, was damals, wo Frauen noch wie Tiere eingestuft wurden, eine Ungeheuerlichkeit war. Er feierte Feste mit den geächteten, ließ sich von Frauen die Füße massieren und wusch seinerseits seinen Schülern die Füße zum Zeichen, daß er ihr Diener sein. Dieser Mann war Anarchist. Seine Lebensregel war die Liebe. Er hatte auch einen Terroristen unter seinen Schülern. Er lehrte ihn nicht ab. Er wollte ebenso wie jene die Freiheit von der Kolonialmacht Rom, ja überhaupt keine Herrschaft mehr. Der oberste sollte sich am tiefsten bücken. Das einzige, was in diesem Reich regieren wird, ist die allen gemeinsame Erfahrung einer nicht enden denn Liebe, in deren Kraft alle Menschen miteinander verschwistert sein werden ohne Rang Unterschied. Weil man einen Aufstand befürchtete, als dieser anarchistischer Prophet in Jerusalem die kleinen Händler im Tempel tätlich Angriff und die Priester zutiefst beleidigte als heuchlerische Ausbeuter des Volkes, hat man ihn gekreuzigt. Bitte, dieser Mann hatte zwar eine scharfe Zunge, aber kein scharfes Schwert. Er war politisch eigentlich keine Gefahr. Er hat nie mit Waffen hantiert. Sie hatten trotzdem Angst vor seiner Macht. Die Macht dieser gewaltlosen Opposition erschienen der herrschenden Klasse, den Hohepriester und den Römern, so bedrohlich, daß er liquidiert werden mußte. Seine politische Ohnmacht erregte mehr Angst bei den Machthabern als die Gewalttaten eines Mörders namens Barabbas. Der Mörder Barrabas bekommt die Freiheit, Jesus den Tod die Anwaltschaft Jesu für die Armen, sein Plädoyer gegen die Waffen, sein Leben in den untersten Schichten - das ist die konkrete Gestalt der Liebe Gottes. Sie ist den Herrschenden gefährlich gewesen.
Halten wir fest: die Geschichte der Erkenntnis Gottes verläuft unumkehrbar von einem Vulkan-Gott, der seinen Kriegern erbarmungslos in die Schlacht vorauszieht, zu Jesus, der von der Art gefährlicher Gewaltlosigkeit war, der so verliebt in die Verachteten war, daß er für sie sein Leben riskiert und verloren hat. Mit Jesus ist die Geschichte Gottes eindeutig aus der grauen Vorzeit der Kriegsgeschichten hinübergewechselt zu einer Liebesgeschichte Gottes. Die zukünftig zu schreibende Geschichte Gottes ist eine Liebesgeschichte, oder sie schreibt nicht von Gott. So wahr sich Gott ein für alle Male in der Geschichte Jesu gezeigt hat, und das heißt ja letztlich die Formel, Jesus sei der Sohn Gottes, so wahr ist Gott unwiderruflich Liebe. Kein Heer wird danach mehr Gott auf seiner Seite haben. Die Bundeswehr und auch die Scharfschützen der Polizei argumentieren mit dem Tod, den sie feilbieten aus ihren Gewehren. Jesus argumentiert mit seinem Leben, daß er so penetrant in den Dienst der Liebe stellt, daß es ihm von dem Militär genommen wird. Auf der Seite des Militärs steht nicht Gott, sondern der Tod. Auf der Seite Gottes steht die Liebe, wie sie uns Jesus gelehrt hat und geschenkt hat. Der Soldat hat die MP in der Hand. Jesus hat nichts in der Hand, hat keine Handhabe gegen Feinde. Jesus hat nur seine Hände selbst. Was macht er damit? Er streichelt Kinder, berührt Kranke, wäscht den Schülern die Füße. Jesus kommt mit leeren Händen. Er hat sie frei zur Zärtlichkeit. Seine Liebe ist voll von Erotik; ganz sicher war Jesus verheiratet; es war zu selbstverständlich, um es eigens in den Evangelien zu notieren. In der Liebe Jesu ist untrennbar alles das drin, was christliche Lehre lange trennte: Sex, Erotik, Mitmenschlichkeit. Alles dies faßt die Bibel in einem Wort zusammen: Agape. Und von dieser Agape sagt unser Predigttext, sie ist identisch mit Gott. Der Satz: Gott ist Liebe, kann auch umgekehrt werden und kein Gesetz der Logik und auch keines der Theologie wird uns daran hindern können, zu sagen: Liebe ist Gott. Unser Predigttext weist alle weiteren neugierigen Fragen nach Gott ab. In einer Gemeinde, wo ein starkes Interesse bestand, Gott zu erkennen, wo Spekulationen über das Leben nach dem Tod angestellt wurden, da ist Johannes schroff bis an die Grenze zum Atheismus, einem Atheismus um Gottes willen. Er sagt, niemand habe Gott jemals gesehen, deshalb könne man von Gott auch gar nichts sagen außer dem einen: Jesus ist der Sohn Gottes, der Sohn der Liebe, der unter uns geliebt hat und uns durch sein Liebesgebot, was wir heute als Lesung gehört haben, animiert, diese Liebe zu erwidern. Diese Liebe wird die Rettung der Welt werden, oder es wird keine Rettung geben. Das ist das eine, was Johannes noch über Gott aussagt. Das andere ist ebenso weltlich: wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollendet. Die Frage nach Gott wird eindeutig beantwortet: Gott ist Liebe. Zugleich wird die Frage zurückgegeben: wir, Gottes Geliebte, haben jetzt nur noch einen Anhalt für unsere Gottes Sehnsucht: unsere Liebe untereinander. Nur in unserer gegenseitigen Liebe, da und nur da, ist Gott. Hier deutet sich, mitten in der komplizierten gnostischen Metaphysik, schon das Ende der Metaphysik an: die Frage nach Gott ist die Frage nach unserer Liebe und nach einer Gesellschaft, in der Liebe nicht mehr nur ein Wort bleibt. Der Blick in den Himmel wird zur Erde zurück gewandt. Was unter uns passiert, das ist hier die Frage. Ob es eine Auferstehung nach dem Tod gibt, hat uns überhaupt nichts anzugehen; es gibt eine Auferstehung vor dem Tod, und das ist die Liebe, und die geht uns alles an, was wir sind.
Wir haben bisher nachgedacht über die Geschichte der Gotteserkenntnis, dann über die Geschichte Jesu Christi als Liebesgeschichte. Als drittes haben wir versucht, die Intention des Predigttext ist zu verstehen dort sind wir auf unsere gegenseitige Liebe verwiesen worden was Liebe nun eigentlich ist, haben wir dabei als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.
Das aber ist gar nicht selbstverständlich darum jetzt der vierte Teil über das Wesen der Liebe. In der Tat: Liebe ist eine Selbstverständlichkeit. Denn verstehen, was Liebe ist, kann man nicht von außen, als einer, der keine Liebe kennt, sondern nur von innen, aus der Erfahrung von Liebe selbst. Liebe verstehen nur die Liebenden. Und das ist schon das ganze Dilemma! Denn wie soll man Liebe predigen, wenn die Zuhörer nicht selbst schon in der Liebe sind und deshalb verstehen? Den Ungeliebten Liebe predigen hieße, Hungernden vom Festessen zu erzählen. Es gibt nichts liebloses als Liebe predigen, da, wo sie fehlt. Wie aber wird man ein Liebender? Nichts ist einfacher und schwerer zugleich: man wird ein Liebender, indem man ein Geliebter geworden ist. Mein großer Lehrer Theodor W. Adorno hat einmal gesagt, die Urform von Liebe sei Nachahmung. Das erste Lachen des Babys kommt nicht vom Himmel, sondern ist Reflex auf das Lächeln der Mama. Weshalb küssen wir Europäer, weshalb reiben Eskimos stattdessen ihre Nasen aneinander? Die Formen, in denen Liebe sich äußert, sind von Kultur zu Kultur verschieden: Wir lernen die Formen der Liebe, indem wir nachahmen was die tun, die uns lieben. Wir lernen Liebe von den Eltern und Freunden. Liebe braucht also Vorbilder. Die Kunst des Liebens kann man lernen. Man kann sie nicht lehren, weil es alles andere als selbstverständlich ist, daß die Liebe, die wir anderen zeigen, erwidert wird. Man kann Liebe nicht erzwingen.
Die erste Station jede Liebesgeschichte ist die Brust. Die Brust, aus der die brüllenden Babys ihre lebenswichtige Milch saugen. Die Brust, die den Hunger stillt, die warm und weich ist und ungeheuer satt und herrlich müde macht. Die Liebe der Mutter äußert sich hier, indem sie den Mangel des Babys beseitigt. Das ist Gnade. Die Erfahrung der Mutterbrust ist die erste Gnaden-Erfahrung des Kindes. Weil bei uns die Kinder zu früh abgestillt werden, ist dann hinterher die Brust des Mädchens so interessant und reizvoll. Der Reiz der Brüste in den Illustrierten ist nichts anderes als die Erinnerung an den Mangel, der für die Babys entsteht, wenn dann auf einmal diese Erfahrung der der Brust aufhört. Überhaupt führt die Psychoanalyse alle sexuellen Reize auf einen Mangel, auf Bedürftigkeit zurück. Der begehrte Mensch, der, in den ich verliebt bin, hat etwas, was ich nicht habe. Erotische Liebe sucht im Partner das, was dem in Liebe entbrannt fehlt. Die Attraktivität des Geliebten rührt her aus dem Mangel des Liebenden. Darum versucht der Liebende alles, um den Geliebten zu bekommen und damit seinen Mangel zu stillen. Er will den Geliebten haben. Aber er will ihn nicht lieblos haben, sondern als einen, der die Liebe erwidert. Alles andere wäre Vergewaltigung. Der Liebende sucht die Gegenliebe seines Geliebten. Diese Gegenliebe, die Liebe des anderen, wird ihm wichtiger als seine eigene Liebe. Das Du wird mir mehr als mein Ich. Erst in der erwiderten Liebe findet meine Liebe ihre Erfüllung. Der Geliebte wird mir näher als ich mir selbst bin. In meiner Zuneigung zu ihm wende ich mich von mir selbst ab. Ich allein wäre mir nicht mehr genug. Liebe macht blind für das Ich, aber öffnet die Augen weit für das Du. Ich empfange mich erst wieder in den Armen des Du. Erst unsere Vereinigung erfüllt mich ganz Punkt und hier konstituiert sich, wenn die Vereinigung gelingt, weil auch das Du mich liebt, hier konstituiert sich ein neues Verhältnis zu mir selbst. Ich empfange mich Liebenden als deinen Geliebten. Ich bin vom Liebenden zum Geliebten geworden. Jetzt bin ich erst voll ich: zugleich Liebender und Geliebter.
Der Liebende ist sich selbst gestorben, im Orgasmus sterben die Lebenden ihrem eigenen Selbst ab und in das geliebte Du hinein. Darum kann das Hohelied sagen, die Liebe sei stark wie der Tod. In der Liebesvereinigung haben die Liebenden ihren eigenen Tod als überwundenen in sich. Sie sind verwandelt in ein neues Sein. Ihre Liebe erlaubt keinen Stillstand. Nur auf gemeinsamen Wegen ist ihre Liebe stark, sonst wird sie ihnen langweilig und erlischt. Liebe will ausstrahlen, anstecken. Aber um die Liebenden herum ist die Welt lieblos. Und da erleben die Liebenden, wie sie unwichtig sind gegenüber der Lieblosigkeit, gegenüber den harten Gesichtern, gegenüber der Kälte in den anderen Lebensbereichen. Sie glauben, zurück flüchten zu müssen in den Schutzbereich ihrer Liebe und doch merken sie, daß die isolierte Zweisamkeit sich selbst ausfüllt, wenn sie nicht hinausgehen und von ihrer Liebe mitteilen. Ihre Ohnmacht in dieser lieblosen, brutalen, gewalttätigen Welt des Konkurrierens, des universalen Tausches, Kaufens, Verkaufens und verhungern Lassens ist aber zugleich die Stärke der Liebe: ihre Gewißheit, daß diese Liebe allein durch Liebe siegt, nicht durch Waffen. Liebe siegt, nicht indem sie das, was ihr entgegensteht, zerstört, sondern, indem Sie dieses verwandelt, in ihren Bann mit hinein zieht.
Die Methoden der Liebe passen sich nicht denen der Lieblosigkeit an. Eindrücklich ist mir, wie in Tübingen die Studenten einmal der mit Helm, Schild und Schlagstock angetretenen Polizei anstelle einer Prügelei, auf die sich die Polizei augenscheinlich vorbereitet hatte, nichts anderes Servietten als heißen Kaffee, Kekse und Blumensträuße. So arbeitet Liebe! Liebe kann sehr entwaffnend sein! Die Waffen der Liebe sind Blumen, Gespräch, Küsse und Zärtlichkeit. Die Stärke der Liebe ist ihre entwaffnende Ohnmacht gegenüber den Bewaffneten. Und diese Kunst des Verzichts auf Waffen, auf Drohungen, auf Zwang, die kann man allerdings lernen, üben, trainieren! Man kann tatsächlich abrüsten! Man kann aussteigen aus dem Teufelskreis der Gewalt. Man beginnt im Kleinen, in der Familie, und siegt schließlich im Großen, in der Weltpolitik. Dieser Sieg wird die Vollendung der großen Liebesgeschichte Gottes sein. Nichts verbürgt den Sieg dieser Liebe, als nur der Glaube allein. Daß man geliebt wird, kann man nur glauben, nicht beweisen. Daß die eigene Liebe die anderen in ihren Bann hinein zieht, kann man nicht voraussetzen, nur glauben. Für die Liebe kann man gar nichts tun. Aber aus der Liebe kann man alles tun.
Wer Liebe erfahren hat, wer also ein geliebter ist, hat keinen Mangel mehr, sondern Überfluß. Er ist so voll in der Liebe, daß er auch die die lieben kann, die von sich aus gar nicht liebenswert sind, die häßlichen, verachteten, vergewaltigten, die Kinder mit den Wasser Bäuchen des Hungers. Und eine solche Liebe wird die ungeliebten aller erst lebenswert, ja schön machen, wenn etwa der Wasserbauch verschwindet, weil die Kinder in den armen Ländern genug zu essen von uns bekommen haben werden. Und das ist die Liebe Gottes, die sich gerade denen zuwendet, die von sich aus nicht liebenswert sind. Gottes Liebe in unseren Händen macht die häßlichen schön, die hassenden zu lachenden. Weil Gott uns genug geliebt hat, weil es uns gut geht, können wir die Brüder und Schwestern, denen es nicht so gut geht, nicht genug lieben. Kein Mensch ist diese Liebe. Aber jeder kann aus ihrer Erfahrung und Fülle heraus zu einem Liebhaber seiner geringsten Brüder und Schwestern werden. Gott hat sich in der Liebe Jesu Christi als Liebe an uns verschenkt bis zum Tod am Kreuz Punkt es bleibt nun an uns, ihn auferstehen zu lassen in unsere Liebe hinein und damit seiner großen Liebesgeschichte zum Sieg zu helfen. Gott möge uns dazu den Glauben an den Sieg der Liebe schenken und uns durchdringen mit der Glut seiner Liebe Armen.
EKG 255, 1 - 3
Fürbittengebet:
Gott, Geist der Liebe! Wir danken dir, daß wir an der Geschichte deines Sohnes Jesus ein Stückchen gelernt haben, daß du erotische, helfende und kämpfende Liebe zugleich bist. Wir bitten Dich, durchdringe uns mit dir. Wir bitten dich für alle Gruppen, die versuchen, ohne Gewalt ihre Interessen zu vertreten: gib ihnen den Mut, durchzuhalten. Wir bitten dich für die Soldaten: gib ihnen den Mut, ihre Knarren wegzuwerfen und wegzulaufen aus dem ewig gleichen Kriegsrummel, von dem sie am wenigsten etwas haben. Wir bitten dich für die Kämpfer der Befreiungsbewegungen in Afrika und Lateinamerika: verhindere, daß es noch weiter guten Grund gibt die Waffen gegen die Terror-Diktaturen der Weißen zu erheben. Wir bitten dich für unsere Politiker, gib ihnen die Courage, als erste mit dem Rüstungsstop zu beginnen. Wir bitten dich für unsere Mütter, laß sie geduldig und zärtlich mit ihren Kindern sein. Wir bitten dich für alle Liebespaare, gib ihnen den Überfluß an Glück, der auf uns andere überschäumt, gibt Ihnen den Mut, nicht allein für sich zu bleiben, sondern die einsamen Menschen durch Gespräche und Feste in ihr Glück mit hinein zu ziehen. Wir bitten dich für die einsamen, denen keine Liebe zuteil wird, bleibe du bei Ihnen wenn es Abend wird.
Vater unser im Himmel...
Verleih uns Frieden gnädiglich
Gehet in im Frieden des Herrn.
Gott sei ewiglich Dank.
Der Geist, der Liebe ist, segne und durchdringender uns. Amen.
Amen. Amen. Amen.