Predigt
über 1. Johannes 4,7-21
Ihr lieben Schwestern und
Brüder, ich begrüße euch zu diesem
Gottesdienst. Ich bin bei euch zu Gast, weil Martin Affolderbach zum
Kirchentag gefahren ist, wo in Nürnberg gleichzeitig mit
unserem Gottesdienst der große Schlußgottesdienst
stattfindet. Daran denken wir, indem wir, die wir zur Hoffnung berufen
sind, Gott als Liebe denken und in dieser Liebe den Grund für
unsere Hoffnung erfahren: Die Hoffnung auf eine Welt ohne Waffen, ohne
Kriege, ohne Krupps Rüstungsfabriken, eine Welt ohne Arme,
ohne Slums, ohne Hunger, eine Welt, in der mehr Zeit ist zum lachen,
tanzen und ruhen, eine Welt, in der die Menschen zärtlicher
miteinander umgehen, mehr miteinander leben als gegeneinander
konkurrieren, in der selbst noch die kältesten und
härtesten Gesichter Lachfalten bekommen. Eine solche
künftige Welt zu erhoffen ist unser Bekenntnis zu dem Gott,
der Liebe ist. Gott ist Liebe. Dies ist der zentrale Satz unseres
Gottesdienstes. Ich wünsche euch dabei viel Konzentration,
viele schöne Erinnerungen an eure Liebesgeschichten und viel
Spaß beim Zuhören der Predigt.
Abkündigungen
Wir singen nun ein altes Pfingstlied indem wir den Heiligen Geist der
Liebe erbitten.
EKG 99, 1-4
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Armen.
Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
1. Johannes 3,14: Wir wissen, daß wir aus dem Tod ins Leben
hinein auferstanden sind, weil wir die Brüder lieben. Wer
nicht liebt, bleibt im Tod.
Ehre sei dem Vater und dem Sohn...
Sündenbekenntnis: Wir bekennen, daß wir
gesündigt haben in Gedanken, Worten, Werken und in unserem
satten Nichtstun. Wir erkennen, daß Sünde die
Unfähigkeit zu lieben ist. Wir bekennen, daß wir
nicht lieben können, oder immer nur zu wenig. Wir
fühlen uns zu wenig geliebt und sind selbst unfähig,
von uns aus auf die anderen zuzugehen. Wir haben Angst, uns mit
liebevollem Verhalten eine Schwäche zu geben, darum werden wir
hart und verbittert. Unsere Liebeswünsche sind im Keim
erstickt und unsere Herzen erkalten von Jahr zu Jahr mehr.
Wir verfolgen unsere eigenen Interessen unseren Aufstieg im Beruf,
unsere Autos, unser Häuslebauen und haben nur die eigene
soziale Position im Auge. Statt verwundbaren und empfänglichen
Herzen haben wir Verwaltungsbüros in unserem Brustkorb, in
denen wir unseren Profit überall scharf durchkalkulieren,
selbst noch in Sachen Liebe.
Wir beten zu Gott, der Liebe ist: Liebe, öffne uns die Augen
für die einsamen, hilflosen und weinenden Herzen, die sich
hinter der Fassade der harten Gesichter versteckt halten. Gib uns die
Stärke des Heiligen Geistes, daß wir uns unsere
Hilflosigkeit, Schwäche und Einsamkeit eingestehen lernen und
sie auf unsere Gesichter herauf lassen. Schenke uns das Feuer deiner
Liebe, daß es uns so heiß macht, daß wir
von uns aus aufeinander zugehen können, uns umarmen
können. Mach uns so stark, daß wir endlich auch
dahin gehen können, wo es nur Lieblosigkeit gibt, wo Armut und
Hunger und schlechte Gesetze die Menschen zu unmenschlichem Leben
verdammen und zu Unmenschen machen. Öffne unsere Augen
für die wirtschaftlichen Ursachen dieser Armut und
laß uns das unsere tun, wo wir mit unseren
Geschäften profitabel in die Armut der armen Länder
verstrickt sind. Hilf uns, diesen Zusammenhang unserer Schuld mit der
Welt Armut zu durchdenken und für unseren Teil das
nötige zu tun, ihn zu beenden. Sei uns Sündern
gnädig, du heiliger Geist der Liebe. Amen.
Kyrie eleison
1. Johannes 3,19 Dadurch werden wir erkennen, daß wir aus der
Wahrheit sind, und werden wir vor ihm unsere Herzen beruhigen,
daß, wenn uns das Herz verurteilt, Gott
größer ist als unser Herz.
Ehre sei Gott in der Höhe Und auf Erden
Fried, den Menschen ein Wohlgefallen.
Wir loben, preisen...
Der Herr sei mit euch.
Und mit deinem Geist.
Kollektengebet: Laßt uns beten. Gott, der du die Liebe bist,
du hast uns vorgelebt, wie man das macht: Lieben. Du hast uns in die
Liebeskunst eingeführt durch den Menschen Jesus von Nazareth,
der uns alle zum Leben verführen will. Schenke uns
diese herrliche Schwäche, dieser Verführung nicht
widerstehen zu können. Laß uns von Jesus die Liebe
lernen. Amen.
Lektor: 1. Johannes. 4,7 - 21: Halleluja
Glaubensbekenntnis
EKG 509, 1-3 + 5
Predigt
Liebe Schwestern und Brüder!
Gott ist nicht lieb. Gott ist nicht der liebe Gott, der in Grimms
Märchen als Bettler getarnt in die Städte kommt, und
den Leuten zeigt, was für egoistische Sünder sie
sind. Gott ist erst recht nicht der Gott, auf denen ich noch
getrimmt worden bin: ein großer Bruder, der immerfort
aufpaßt, alles hört und sieht, besonders die kleinen
Spielereien am Glied. Ein Gott, der alle Taten und Untaten kontrolliert
und mit Mißgeschick bestraft, ähnlich wie der
Meister in der Fabrik oder der Verfassungsschutz am Telefon mit seinen
Lauschangriffen allüberall. Ein lieber Gott, der uns so
allwissend überwachen und beschatten würde,
wäre auch gar nicht lieb. Er wäre ein
Schnüffler.
Noch einmal: Gott ist nicht lieb. Gott ist mehr als lieb. Gott ist die
Liebe selbst. Gott ist die Liebe selbst, nichts mehr. Das will
begriffen werden. Der erste Johannesbrief markiert mit seinem Satz
„Gott ist Liebe“ eine Revolution. Eine Revolution
im Bild Gottes. Das Bild Gottes hat sehr viel mit den Menschen zu tun,
die es sich machen. Wenn wir die Bibel von den frühesten
Texten (und das sind gerade nicht die ersten Bibel-Kapitel) bis zu dem
Satz „Gott ist Liebe“ studieren, so machen wir die
Feststellung, daß von Gott in den verschiedensten Bildern und
Titeln geredet wurde. Alle lassen sich hier gar nicht
aufzählen. Gott erscheint dem Mose nicht als brennender
Dornbusch wie man gemeinhin liest, sondern im Vulkanausbruch. Wir sehen
hier, wie Naturgewalten als Gottes Offenbarungen angesehen wurden. Auch
auf dem Sinai, als Mose die 10 Gebote empfängt, erscheint Gott
als Naturgewalt, als Donner und Blitz und Feuer. Seine Gegenwart wird
bei der Bundeslade durch eine Wolke signalisiert. Dem Elia auf dem
Horeb, das ist wiederum der Sinai, offenbart sich Gott nach einem
Gewitter als das sanfte Säuseln des Windes. Bei Abraham ist
Gott als Vision erfahren, aber auch ganz menschlich: Gott kommt in
Gestalt 3er Männer als Gast zu Abraham. In diesen
Gottesbildern spiegelt sich die Situation der Nomaden, die in der
Wüste lebend den Naturgewalten völlig schutzlos
preisgegeben sind und darum diese ihre stärkste Bedrohung und
zugleich wichtigste Lebenshilfe unmittelbar als göttliche
Offenbarung ansehen.
Die Zeit änderte sich. Die einzelnen normalen Gruppen
verbündeten sich und wählten sich
schließlich gemeinsam einen Heerführer, um besser
mit den Philistern, den alten Seeräubern aus dem heutigen
Jugoslawien fertig zu werden. Und was finden wir aus dieser Zeit
für Bilder von Gott? Man nennt ihn Herr der Heerscharen, man
glaubt, daß er vor der Truppe herzieht und die Feinde in
Panikstimmung versetzt. Yahweh ist ein kalter Krieger, der
rücksichtslos die Feinde ab schlachtet, wie es ein SS-Mann
mörderischer nicht hätte tun können. In
kriegerischen Zeiten also ist das zentrale Bild Gottes das des
erbarmungslos siegreichen Kriegers. Gehen wir einen Schritt weiter.
David hat mit seinen viel gerühmten Terror Aktionen eine so
starke Hausmacht von den damaligen Arbeitslosen, die als
Räuber in den Bergen lebten, organisiert, daß er als
erster in Israel eine Diktatur gründen konnte, der alle sich
fügen mußten. In dieser Königszeit finden
wir bei den Propheten Visionen von Gott als König auf einem
Thron im Himmel, der mit seinen Beratern über Israels Politik
Rat hält. Der Prophet ist Gast bei dieser Kabinettssitzung im
Himmel und übermittelt seinem Volk Gottes Entscheidungen. Wir
sehen: auch hier werden die Bilder der unmittelbaren
Lebensumstände sofort wieder auf Gott übertragen,
Gott glänzt wieder einmal in durchaus höchst
weltlichen Gewändern. Wir könnten diese Geschichte
der menschlichen Bilder von Gott noch weiter fortsetzen, brechen hier
aber ab. Wir halten fest: Gott ist in der Bibel nicht eindeutig
dargestellt, sondern sein Bild ist Spiegelbild der
ökonomischen und politischen Verhältnisse von der
Wüste bis zum Thronsaal. Anders: es gibt einen langen,
langwierigen aber nicht langweiligen Prozeß der Erkenntnis
Gottes. Die Erkenntnis dessen, was Gott ist und was Gott ganz und gar
nicht ist, entspringt einem langen sozialen
Entwicklungsprozeß und geistigen Reifeprozeß. Die
Gotteserkenntnis ist Spiegelbild einer harten Geschichte von
Gruppenkämpfen, paßt sich der Herausbildung sozialer
Klassen und ihren Kämpfen an, steht bei Davids Priesterkaste
auf der Herrscherseite, kämpft aber bei Micha, Jesaja und Amos
auf der Seite der unterdrückten Klasse. In der Mitte der
Geschichte des Erkenntnisprozesses Gottes steht wiederum ein Prophet.
Er stammte aus der Schule eines Johannes, der im Jordan die Menschen
von ihrem Dreck rein wusch. Dieser Prophet sagte das Kommen eines
Reiches der Liebe an, indem Schuld vergeben ist, indem die
Mächtigen aus ihren Palästen vertrieben sind, in dem
die Armen so viel geschenkt bekommen, daß sie in Freuden
leben, in dem es keine Reichen mehr gibt, selbst wenn Herr Oetker ein
meterdickes Nadelöhr bauen ließe. Dieser Prophet
ließ sich viel mit Frauen sehen, was damals, wo Frauen noch
wie Tiere eingestuft wurden, eine Ungeheuerlichkeit war. Er feierte
Feste mit den geächteten, ließ sich von Frauen die
Füße massieren und wusch seinerseits seinen
Schülern die Füße zum Zeichen,
daß er ihr Diener sein. Dieser Mann war Anarchist. Seine
Lebensregel war die Liebe. Er hatte auch einen Terroristen unter seinen
Schülern. Er lehrte ihn nicht ab. Er wollte ebenso wie jene
die Freiheit von der Kolonialmacht Rom, ja überhaupt keine
Herrschaft mehr. Der oberste sollte sich am tiefsten bücken.
Das einzige, was in diesem Reich regieren wird, ist die allen
gemeinsame Erfahrung einer nicht enden denn Liebe, in deren Kraft alle
Menschen miteinander verschwistert sein werden ohne Rang Unterschied.
Weil man einen Aufstand befürchtete, als dieser
anarchistischer Prophet in Jerusalem die kleinen Händler im
Tempel tätlich Angriff und die Priester zutiefst beleidigte
als heuchlerische Ausbeuter des Volkes, hat man ihn gekreuzigt. Bitte,
dieser Mann hatte zwar eine scharfe Zunge, aber kein scharfes Schwert.
Er war politisch eigentlich keine Gefahr. Er hat nie mit Waffen
hantiert. Sie hatten trotzdem Angst vor seiner Macht. Die Macht dieser
gewaltlosen Opposition erschienen der herrschenden Klasse, den
Hohepriester und den Römern, so bedrohlich, daß er
liquidiert werden mußte. Seine politische Ohnmacht erregte
mehr Angst bei den Machthabern als die Gewalttaten eines
Mörders namens Barabbas. Der Mörder Barrabas bekommt
die Freiheit, Jesus den Tod die Anwaltschaft Jesu für die
Armen, sein Plädoyer gegen die Waffen, sein Leben in den
untersten Schichten - das ist die konkrete Gestalt der Liebe Gottes.
Sie ist den Herrschenden gefährlich gewesen.
Halten wir fest: die Geschichte der Erkenntnis Gottes verläuft
unumkehrbar von einem Vulkan-Gott, der seinen Kriegern erbarmungslos in
die Schlacht vorauszieht, zu Jesus, der von der Art
gefährlicher Gewaltlosigkeit war, der so verliebt in die
Verachteten war, daß er für sie sein Leben riskiert
und verloren hat. Mit Jesus ist die Geschichte Gottes eindeutig aus der
grauen Vorzeit der Kriegsgeschichten hinübergewechselt zu
einer Liebesgeschichte Gottes. Die zukünftig zu schreibende
Geschichte Gottes ist eine Liebesgeschichte, oder sie schreibt nicht
von Gott. So wahr sich Gott ein für alle Male in der
Geschichte Jesu gezeigt hat, und das heißt ja letztlich die
Formel, Jesus sei der Sohn Gottes, so wahr ist Gott unwiderruflich
Liebe. Kein Heer wird danach mehr Gott auf seiner Seite haben. Die
Bundeswehr und auch die Scharfschützen der Polizei
argumentieren mit dem Tod, den sie feilbieten aus ihren Gewehren. Jesus
argumentiert mit seinem Leben, daß er so penetrant in den
Dienst der Liebe stellt, daß es ihm von dem Militär
genommen wird. Auf der Seite des Militärs steht nicht Gott,
sondern der Tod. Auf der Seite Gottes steht die Liebe, wie sie uns
Jesus gelehrt hat und geschenkt hat. Der Soldat hat die MP in der Hand.
Jesus hat nichts in der Hand, hat keine Handhabe gegen Feinde. Jesus
hat nur seine Hände selbst. Was macht er damit? Er streichelt
Kinder, berührt Kranke, wäscht den Schülern
die Füße. Jesus kommt mit leeren Händen. Er
hat sie frei zur Zärtlichkeit. Seine Liebe ist voll von
Erotik; ganz sicher war Jesus verheiratet; es war zu
selbstverständlich, um es eigens in den Evangelien zu
notieren. In der Liebe Jesu ist untrennbar alles das drin, was
christliche Lehre lange trennte: Sex, Erotik, Mitmenschlichkeit. Alles
dies faßt die Bibel in einem Wort zusammen: Agape. Und von
dieser Agape sagt unser Predigttext, sie ist identisch mit Gott. Der
Satz: Gott ist Liebe, kann auch umgekehrt werden und kein Gesetz der
Logik und auch keines der Theologie wird uns daran hindern
können, zu sagen: Liebe ist Gott. Unser Predigttext weist alle
weiteren neugierigen Fragen nach Gott ab. In einer Gemeinde, wo ein
starkes Interesse bestand, Gott zu erkennen, wo Spekulationen
über das Leben nach dem Tod angestellt wurden, da ist Johannes
schroff bis an die Grenze zum Atheismus, einem Atheismus um Gottes
willen. Er sagt, niemand habe Gott jemals gesehen, deshalb
könne man von Gott auch gar nichts sagen außer dem
einen: Jesus ist der Sohn Gottes, der Sohn der Liebe, der unter uns
geliebt hat und uns durch sein Liebesgebot, was wir heute als Lesung
gehört haben, animiert, diese Liebe zu erwidern. Diese Liebe
wird die Rettung der Welt werden, oder es wird keine Rettung geben. Das
ist das eine, was Johannes noch über Gott aussagt. Das andere
ist ebenso weltlich: wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und
seine Liebe ist in uns vollendet. Die Frage nach Gott wird eindeutig
beantwortet: Gott ist Liebe. Zugleich wird die Frage
zurückgegeben: wir, Gottes Geliebte, haben jetzt nur noch
einen Anhalt für unsere Gottes Sehnsucht: unsere Liebe
untereinander. Nur in unserer gegenseitigen Liebe, da und nur da, ist
Gott. Hier deutet sich, mitten in der komplizierten gnostischen
Metaphysik, schon das Ende der Metaphysik an: die Frage nach Gott ist
die Frage nach unserer Liebe und nach einer Gesellschaft, in der Liebe
nicht mehr nur ein Wort bleibt. Der Blick in den Himmel wird zur Erde
zurück gewandt. Was unter uns passiert, das ist hier die
Frage. Ob es eine Auferstehung nach dem Tod gibt, hat uns
überhaupt nichts anzugehen; es gibt eine Auferstehung vor dem
Tod, und das ist die Liebe, und die geht uns alles an, was wir sind.
Wir haben bisher nachgedacht über die Geschichte der
Gotteserkenntnis, dann über die Geschichte Jesu Christi als
Liebesgeschichte. Als drittes haben wir versucht, die Intention des
Predigttext ist zu verstehen dort sind wir auf unsere gegenseitige
Liebe verwiesen worden was Liebe nun eigentlich ist, haben wir dabei
als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.
Das aber ist gar nicht selbstverständlich darum jetzt der
vierte Teil über das Wesen der Liebe. In der Tat: Liebe ist
eine Selbstverständlichkeit. Denn verstehen, was Liebe ist,
kann man nicht von außen, als einer, der keine Liebe kennt,
sondern nur von innen, aus der Erfahrung von Liebe selbst. Liebe
verstehen nur die Liebenden. Und das ist schon das ganze Dilemma! Denn
wie soll man Liebe predigen, wenn die Zuhörer nicht selbst
schon in der Liebe sind und deshalb verstehen? Den Ungeliebten Liebe
predigen hieße, Hungernden vom Festessen zu
erzählen. Es gibt nichts liebloses als Liebe predigen, da, wo
sie fehlt. Wie aber wird man ein Liebender? Nichts ist einfacher und
schwerer zugleich: man wird ein Liebender, indem man ein Geliebter
geworden ist. Mein großer Lehrer Theodor W. Adorno hat einmal
gesagt, die Urform von Liebe sei Nachahmung. Das erste Lachen des Babys
kommt nicht vom Himmel, sondern ist Reflex auf das Lächeln der
Mama. Weshalb küssen wir Europäer, weshalb reiben
Eskimos stattdessen ihre Nasen aneinander? Die Formen, in denen Liebe
sich äußert, sind von Kultur zu Kultur verschieden:
Wir lernen die Formen der Liebe, indem wir nachahmen was die tun, die
uns lieben. Wir lernen Liebe von den Eltern und Freunden. Liebe braucht
also Vorbilder. Die Kunst des Liebens kann man lernen. Man kann sie
nicht lehren, weil es alles andere als selbstverständlich ist,
daß die Liebe, die wir anderen zeigen, erwidert wird. Man
kann Liebe nicht erzwingen.
Die erste Station jede Liebesgeschichte ist die Brust. Die Brust, aus
der die brüllenden Babys ihre lebenswichtige Milch saugen. Die
Brust, die den Hunger stillt, die warm und weich ist und ungeheuer satt
und herrlich müde macht. Die Liebe der Mutter
äußert sich hier, indem sie den Mangel des Babys
beseitigt. Das ist Gnade. Die Erfahrung der Mutterbrust ist die erste
Gnaden-Erfahrung des Kindes. Weil bei uns die Kinder zu früh
abgestillt werden, ist dann hinterher die Brust des Mädchens
so interessant und reizvoll. Der Reiz der Brüste in den
Illustrierten ist nichts anderes als die Erinnerung an den Mangel, der
für die Babys entsteht, wenn dann auf einmal diese Erfahrung
der der Brust aufhört. Überhaupt führt die
Psychoanalyse alle sexuellen Reize auf einen Mangel, auf
Bedürftigkeit zurück. Der begehrte Mensch, der, in
den ich verliebt bin, hat etwas, was ich nicht habe. Erotische Liebe
sucht im Partner das, was dem in Liebe entbrannt fehlt. Die
Attraktivität des Geliebten rührt her aus dem Mangel
des Liebenden. Darum versucht der Liebende alles, um den Geliebten zu
bekommen und damit seinen Mangel zu stillen. Er will den Geliebten
haben. Aber er will ihn nicht lieblos haben, sondern als einen, der die
Liebe erwidert. Alles andere wäre Vergewaltigung. Der Liebende
sucht die Gegenliebe seines Geliebten. Diese Gegenliebe, die Liebe des
anderen, wird ihm wichtiger als seine eigene Liebe. Das Du wird mir
mehr als mein Ich. Erst in der erwiderten Liebe findet meine Liebe ihre
Erfüllung. Der Geliebte wird mir näher als ich mir
selbst bin. In meiner Zuneigung zu ihm wende ich mich von mir selbst
ab. Ich allein wäre mir nicht mehr genug. Liebe macht blind
für das Ich, aber öffnet die Augen weit für
das Du. Ich empfange mich erst wieder in den Armen des Du. Erst unsere
Vereinigung erfüllt mich ganz Punkt und hier konstituiert
sich, wenn die Vereinigung gelingt, weil auch das Du mich liebt, hier
konstituiert sich ein neues Verhältnis zu mir selbst. Ich
empfange mich Liebenden als deinen Geliebten. Ich bin vom Liebenden zum
Geliebten geworden. Jetzt bin ich erst voll ich: zugleich Liebender und
Geliebter.
Der Liebende ist sich selbst gestorben, im Orgasmus sterben die
Lebenden ihrem eigenen Selbst ab und in das geliebte Du hinein. Darum
kann das Hohelied sagen, die Liebe sei stark wie der Tod. In der
Liebesvereinigung haben die Liebenden ihren eigenen Tod als
überwundenen in sich. Sie sind verwandelt in ein neues Sein.
Ihre Liebe erlaubt keinen Stillstand. Nur auf gemeinsamen Wegen ist
ihre Liebe stark, sonst wird sie ihnen langweilig und erlischt. Liebe
will ausstrahlen, anstecken. Aber um die Liebenden herum ist die Welt
lieblos. Und da erleben die Liebenden, wie sie unwichtig sind
gegenüber der Lieblosigkeit, gegenüber den harten
Gesichtern, gegenüber der Kälte in den anderen
Lebensbereichen. Sie glauben, zurück flüchten zu
müssen in den Schutzbereich ihrer Liebe und doch merken sie,
daß die isolierte Zweisamkeit sich selbst ausfüllt,
wenn sie nicht hinausgehen und von ihrer Liebe mitteilen. Ihre Ohnmacht
in dieser lieblosen, brutalen, gewalttätigen Welt des
Konkurrierens, des universalen Tausches, Kaufens, Verkaufens und
verhungern Lassens ist aber zugleich die Stärke der Liebe:
ihre Gewißheit, daß diese Liebe allein durch Liebe
siegt, nicht durch Waffen. Liebe siegt, nicht indem sie das, was ihr
entgegensteht, zerstört, sondern, indem Sie dieses verwandelt,
in ihren Bann mit hinein zieht.
Die Methoden der Liebe passen sich nicht denen der Lieblosigkeit an.
Eindrücklich ist mir, wie in Tübingen die Studenten
einmal der mit Helm, Schild und Schlagstock angetretenen Polizei
anstelle einer Prügelei, auf die sich die Polizei
augenscheinlich vorbereitet hatte, nichts anderes Servietten als
heißen Kaffee, Kekse und Blumensträuße. So
arbeitet Liebe! Liebe kann sehr entwaffnend sein! Die Waffen der Liebe
sind Blumen, Gespräch, Küsse und
Zärtlichkeit. Die Stärke der Liebe ist ihre
entwaffnende Ohnmacht gegenüber den Bewaffneten. Und diese
Kunst des Verzichts auf Waffen, auf Drohungen, auf Zwang, die kann man
allerdings lernen, üben, trainieren! Man kann
tatsächlich abrüsten! Man kann aussteigen aus dem
Teufelskreis der Gewalt. Man beginnt im Kleinen, in der Familie, und
siegt schließlich im Großen, in der Weltpolitik.
Dieser Sieg wird die Vollendung der großen Liebesgeschichte
Gottes sein. Nichts verbürgt den Sieg dieser Liebe, als nur
der Glaube allein. Daß man geliebt wird, kann man nur
glauben, nicht beweisen. Daß die eigene Liebe die anderen in
ihren Bann hinein zieht, kann man nicht voraussetzen, nur glauben.
Für die Liebe kann man gar nichts tun. Aber aus der Liebe kann
man alles tun.
Wer Liebe erfahren hat, wer also ein geliebter ist, hat keinen Mangel
mehr, sondern Überfluß. Er ist so voll in der Liebe,
daß er auch die die lieben kann, die von sich aus gar nicht
liebenswert sind, die häßlichen, verachteten,
vergewaltigten, die Kinder mit den Wasser Bäuchen des Hungers.
Und eine solche Liebe wird die ungeliebten aller erst lebenswert, ja
schön machen, wenn etwa der Wasserbauch verschwindet, weil die
Kinder in den armen Ländern genug zu essen von uns bekommen
haben werden. Und das ist die Liebe Gottes, die sich gerade denen
zuwendet, die von sich aus nicht liebenswert sind. Gottes Liebe in
unseren Händen macht die häßlichen
schön, die hassenden zu lachenden. Weil Gott uns genug geliebt
hat, weil es uns gut geht, können wir die Brüder und
Schwestern, denen es nicht so gut geht, nicht genug lieben. Kein Mensch
ist diese Liebe. Aber jeder kann aus ihrer Erfahrung und Fülle
heraus zu einem Liebhaber seiner geringsten Brüder und
Schwestern werden. Gott hat sich in der Liebe Jesu Christi als Liebe an
uns verschenkt bis zum Tod am Kreuz Punkt es bleibt nun an uns, ihn
auferstehen zu lassen in unsere Liebe hinein und damit seiner
großen Liebesgeschichte zum Sieg zu helfen. Gott
möge uns dazu den Glauben an den Sieg der Liebe schenken und
uns durchdringen mit der Glut seiner Liebe Armen.
EKG 255, 1 - 3
Fürbittengebet:
Gott, Geist der Liebe! Wir danken dir, daß wir an der
Geschichte deines Sohnes Jesus ein Stückchen gelernt haben,
daß du erotische, helfende und kämpfende Liebe
zugleich bist. Wir bitten Dich, durchdringe uns mit dir. Wir bitten
dich für alle Gruppen, die versuchen, ohne Gewalt ihre
Interessen zu vertreten: gib ihnen den Mut, durchzuhalten. Wir bitten
dich für die Soldaten: gib ihnen den Mut, ihre Knarren
wegzuwerfen und wegzulaufen aus dem ewig gleichen Kriegsrummel, von dem
sie am wenigsten etwas haben. Wir bitten dich für die
Kämpfer der Befreiungsbewegungen in Afrika und Lateinamerika:
verhindere, daß es noch weiter guten Grund gibt die Waffen
gegen die Terror-Diktaturen der Weißen zu erheben. Wir bitten
dich für unsere Politiker, gib ihnen die Courage, als erste
mit dem Rüstungsstop zu beginnen. Wir bitten dich für
unsere Mütter, laß sie geduldig und
zärtlich mit ihren Kindern sein. Wir bitten dich für
alle Liebespaare, gib ihnen den Überfluß an
Glück, der auf uns andere überschäumt, gibt
Ihnen den Mut, nicht allein für sich zu bleiben, sondern die
einsamen Menschen durch Gespräche und Feste in ihr
Glück mit hinein zu ziehen. Wir bitten dich für die
einsamen, denen keine Liebe zuteil wird, bleibe du bei Ihnen wenn es
Abend wird.
Vater unser im Himmel...
Verleih uns Frieden gnädiglich
Gehet in im Frieden des Herrn.
Gott sei ewiglich Dank.
Der Geist, der Liebe ist, segne und durchdringender uns. Amen.
Amen. Amen. Amen.