Predigt über Matthäus 28, 16 - 20

Am 22.07. 1979 gehalten in Bielefeld- Bonhoeffer + Matthäus

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Liebe Schwestern und Brüder!
Matthäus beschließt seine große Geschichte über Jesus. Noch einmal spannt er den Bogen von Anfang bis Ende. Auf einem Berg wurde Jesus vom Satan versucht, auf einem Berg lehrte Jesus Gewaltlosigkeit, auf einem Berg betete Jesus in Einsamkeit vor seinem Tod, auf einem Berg sehen ihn die elf, die zu ihm gehalten haben. Sie erschrecken. Nicht froh über die plötzliche Nähe ihres geliebten Herren. Nein: Schrecken. Sie zweifeln an ihren Sinnen. Ist das Jesus? Oder etwa doch nicht? Haben sie eine Bewusstseinsverwirrung, dass sie Jesus, der doch tot, gekreuzigt im Grabe liegt, sehen? Oder ist dieser wirre Sinn einer größeren Wahrheit als unser visionsloses Alltagsbewusstsein, dass Jesus nicht sehen kann? Auf einem Berg erscheint Jesus den Jüngern. Das ist die Szenerie von Gottes Offenbarung. Mose auf dem Sinai, Elia auf dem Horeb, Jesu Verklärung auf dem Berg. Jesus offenbart sich als Gott. Er sendet die zweifelnden, wie er sie schon einmal, als lebender Mensch, gesandt hat. Damals sandte er sie aus in die Städte und Dörfer. Jetzt sendet er sie in die ganze Welt. Damals hatte er die Vollmacht, zu lehren, zu heilen, zu vergeben. Jetzt hat er alle Gewalt. Er ist erhöht. Warum ist er erhöht? Weil er so gestorben ist, wie er es ist. Jesu Tod war seine Größe, ein Tod gegen alle Mächtigen. Der Sklaventod, mit dem die Revolutionäre bestraft wurden. Die Sklavenhinrichtung Jesu war seine Größe. Er ist vor den römischen Machthabern nicht in die Knie gegangen. Darum wurde er emporgehoben. Ans Kreuz. Dort hing er, ein wenig über allen anderen, die frei umherliefen, weil sie vor den Römern und dem jüdischen Klerus Kratzfuß machten. Die Erhöhung Jesu ist der Galgen. So und nicht anders war Jesus voller Macht. Die Macht Jesu war keine tödliche oder todsichere Macht. Sie war sterblich. Der Tod Jesu - Zeichen, dass seine Macht, die Macht der Sündenvergebung, Heilung, die Macht des Heils für die Armen, dass seine Macht dort am Kreuz zerbrochen ist?
So schien es. Aber nicht lange. Die Jünger sahen Jesus wieder und da sagte Jesus, ihm sei alle Macht gegeben. Am Kreuz ist nicht nur etwas zerbrochen, sondern auch etwas gewachsen. Der Menschensohn sitzt zur Rechten des Vaters im himmlischen Thronsaal. Diese Vorstellung, die aus den Visionen des Danielbuches stammt, wurde auf Jesus übertragen. Jesus tritt die Herrschaft an. Damit sagten die Visionäre, die dieses gesehen haben, dass Jesu Erhöhung ans Kreuz nichts als die menschliche Seite dessen war, was im Lichte des Gottes der Liebe der Herrschaftsbeginn Christi ist. Die Macht Jesu ist: mit der Liebe durchhalten bis zum Tod. Die Macht Christi ist: stärker zu sein als der Tod. Immerhin, der Tod Jesu war der Anfang der Christenheit. Die Macht Christi ist ja gerade, dass die Jünger Jesu sehen, dass sie ihn reden hören: ihr sollt alle Völker zu Jüngern machen. Die Bewegung geht mit der Kreuzigung Jesu nicht zu Ende, sondern erst recht los. Das ist die Macht Christi. Sie geht los gegen den Zweifel der Jünger. Jesus geht los gegen den Zweifel der niederknienden Jünger, indem er mit ihnen redet. Er sucht ihre Nähe, geht auf sie zu. Die Macht Jesu ist, auf ängstlich Gebeugte zuzugehen und ihre Angst und ihrem Zweifel ein Ende zu machen durch Kontakt, durch Nähe, durch Gespräch. So zeigt Jesus seine Macht.
Der Jesus von Matthäi am letzten sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Ach so, kann man jetzt sagen, wenn Jesus zum Weltenlenker aufgestiegen ist, dann möchte man doch bitteschön mal sehen, wo sich denn diese Gewalt zeigt. Hat Jesus die Kirche initiiert? Hat er die weltweite Mission geleitet von da oben aus dem Himmelsthronsaal herab? Hat er den Missionaren die Kaufleute hinterher geschickt, die den frisch bekehrten Völkern sogleich europäische Waren angeboten haben? Hat er die Flotten der Spanier dann nach Amerika geleitet, wo sie im Namen Christi den Inkas das Gold gestohlen haben und ganze Völker und Millionen von Eingeborenen gnadenlos abgeschlachtet haben? Hat Jesus befohlen, gegen den Islam mit Waffen zu kämpfen? Ich glaube, das alles hat er wohl nicht. Sonst wäre er, der Gewaltlosigkeit auf dem Berg predigte, nicht treu zu seiner eigenen Lehre. Was aber meint Jesus, wenn er auf dem Berg der Gewaltlosigkeitspredigt im Abschiednehmen sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden?“ Jesu Gewalt ist nicht die des allmächtigen Weltenregenten, der von oben alles dirigiert. Wäre er das, so hätte das Morden sicherlich seit 2000 Jahren ein Ende. Es wird aber immer noch gemordet. Heute wird noch ärger gemordet als früher. Krieg ist Mord. Dieses Morden kann nicht die Gewalt Jesu sein. Es ist die des Teufels. Mir sind zwei Deutungsmöglichkeiten für diesen Satz von der ganzen Gewalt im Himmel und auf Erden eingefallen: entweder soll es heißen: alle politische, wirtschaftliche und kulturelle Macht, die es gibt, ist dazu bestimmt, dass sie von Christus durchdrungen wird. Von Christus, vom Geist der Gewaltlosigkeit, des Friedens, der Gerechtigkeit durchdrungen ist aber die politische Macht noch lange nicht. Erst recht nicht, wo sich Parteien christlich nennen, aber für die Wiederaufrüstung eingetreten sind und für die Diktatur in Chile Lobeshymnen anstimmen. Mission Christi wäre allerdings, in die Politik zu gehen und dort für Frieden, Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit zu arbeiten. Dies wäre die eine Auslegungsmöglichkeit des Gewaltspruchs. Die andere ist: die Macht Jesu ist eine qualitativ andere Macht als die Mächte, die für uns maßgeblich sind. Die Macht dieser Welt ist im letzten definiert durch den Tod. Wer zu sehr gegen die Mächtigen ansteht, wird eingekerkert, gefoltert, getötet. Bei uns nicht so offen, doch in über 50 Staaten wird heute noch von dem Militär gefoltert. Wer nicht arbeitet, ist zwar noch nicht ganz tot, aber in Lateinamerika sind die Arbeitslosen zugleich Todeskandidaten des Hungers. Arbeit und Gehorsam, das sind die Lösungen, mit denen man durchkommt unter den Mächtigen dieser Welt. Andernfalls drohen sie mit dem Tod. Die Macht Jesu dagegen droht mit Vergebung, droht Sanftmut an. Ja, sie droht. Denn uns ist es doch unerträglich, wenn ein bestehendes Unrecht, sagen wir ein Diebstahl, vergeben würde! Wenn man statt Strafe sich um Hilfe für den Dieb bemüht. Für uns ist es doch unerträglich, geschlagen zu werden und nicht wieder zu schlagen, sondern zu weinen oder die andere Backe hinzuhalten. Ja, die Macht Jesu ist uns unerträglich. Darum hat Luther die Bergpredigt nur gelten lassen zur Sündenerkenntnis, darum sagte Bismarck, mit der Bergpredigt lasse sich kein Staat regieren. Wer das unterstützt, muss sich klar sein dass er damit zugleich den Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, die durchaus mit Waffen kämpfen, dass er denen grünes Licht gibt. Solange wir nicht auf Gewalt verzichten, solange haben wir kein Recht, den Splitter im Auge der Befreiungsbewegungen zu ziehen, womöglich noch selbst wieder durch Unterstützung der weißen Militärregime mit Waffenlieferungen. Solange hier noch eine Waffenfabrik besteht, haben wir kein Recht, anderen Gewalttätigkeit vorzuwerfen. Alle Male ist das nicht die Gewalt, von der Jesus sagt, sie sei ihm gegeben. Die Macht Jesu ist die Macht der Liebe. Sie will Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit, Frieden. Die Friedensforschung hat uns gezeigt, dass es nicht nur direkte, körperliche Gewalt gibt, sondern auch Gewalt in Form von Gesetzen. Wenn Gesetze oder wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten etwa verhindern, dass eine zehnjährige Mutter in einem Slumviertel Arbeit bekommt, und ihr verhungern zwei Kinder, so haben diese wirtschaftlichen Gesetze, das Marktgesetz von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitslosenmarkt, indirekt den Tod dieser Kinder auf dem Gewissen. Es gibt genug zu essen. In Kanada wird Weizen ins Meer geschüttet. Es liegt nicht am Mangel. Es liegt an ungerechten Gesetzen. Diese Gesetze unserer Wirtschaft sind Gewalt, weil sie töten können. Die Macht der Gewaltlosigkeit muss sich auch gegen diese Art von Gewalt wenden, muss gerechtere Gesetze anregen, fordern, weitertreiben. So wird Gewaltlosigkeit selbst mächtig. Und diese Macht ist Jesus gegeben und wir konnten es von ihm lernen bei seinem Weg bis nach Golgatha und wir sind gerufen, diese Macht zu verbreiten, mitzuhelfen, dass Friede wird.


Eine Mission ist ein Auftrag, den jemand auf Zeit bekommt, der Auftrag kann ausgeführt werden. Dann ist die Mission erledigt. Wenn wir die Mission Jesu Christi erledigen wollen, müssen wir ohne Gewalt leben lernen. So wie Jesus. Mission ist nicht reden allein, sondern beispielhafte Lebensgestaltung. Wir müssen unsere gesamte Organisation aller unserer Lebensgewohnheiten durchmustern, um Schritt für Schritt weiter zu feilen an einem Modell von Leben, welches den anderen ohne große Worte deutlich macht: man kann ohne Gewaltanwendung und trotzdem nichts als duckmaus Leben. Ein schönes Beispiel lieferte einmal ein Mädchen. Jemand stritt mit ihr und machte ihr ungerechtfertigt böse Vorwürfe. Sie wurde nicht ärgerlich, sondern gab diesem jemand einen Kuss. Der war so verblüfft, dass er seine ganzen Vorwürfe vergaß und erst stotterte und dann selbst lachen musste, weil er merkte, wie dumm seine Vorwürfe waren. Ich empfehle, diese Strategie selbst einmal auszuprobieren und ähnliche Tricks selbst zu erfinden.
Es war eine schlechte Mission, die von Europa aus die damaligen Kolonien erfasst hat. Wir schickten unsere Missionare, um die Völker, die im Busch lebten, von ihrer Religion abzubringen und Ihnen unsere aufzuzwingen. Die berühmten Witze vom Missionar im Kannibalen-Kochtopf sind unser schlechtes Gewissen bei dieser Art von Mission. Kein Mensch kann einen anderen zu einem Jünger Jesu machen. Wir können nur aufmerksam machen, aber nicht verwandeln. Völker, die durch die Wirksamkeit der Gemeinde Jesu aufmerksam werden auf die Botschaft Jesu, können Jesus-widrige Zustände ändern. Zustände, die der Liebe Jesu widersprechen. Zu Jüngern Jesu machen heißt nicht, den Afrikanern ihres Stammeskulte durch christliche Kulte zu ersetzen. Es heißt nicht: etablieren einer totalen Kirche. Nicht Liebe zur Kirche wünscht Jesus, sondern Liebe zu den Menschen, die an einem verfehlten, weil falsch konzipierten Leben leiden. Es ist auch einigermaßen beschämend, dass in der Dritten Welt Basisgemeinden aktiv leben, während bei uns, die wir Missionare entsandt haben, der Atheismus unaufhaltsam um sich greift. Mir scheint, angebracht wäre, statt im Busch zu missionieren, unsere eigene Jüngerschaft zu überprüfen. Er können heute die lateinamerikanischen Basisgemeinden uns lehren, wie Jünger Jesu halten, was er befohlen hat. Fast möchte man sagen, wir brauchen Missionare aus der Dritten Welt. Die totalitäre Arroganz, mit der wir uns erhaben gefühlt haben über die primitiven Stämme, ist überholt. Dem Christentum steht anstelle des alten Absolutheitsanspruch viel besser eine ökumenische Dialogbereitschaft an. Die armen Länder brauchen auf alle Fälle keine guten Ratschläge und keine Taufen von uns Europäern, sondern, wenn, dann materielle Unterstützung, solange wir sie durch wirtschaftliche Abhängigkeit immer noch weiter ausbeuten. Also statt Weltmission: Brot für die Welt. Das ist die derzeit gebotene Form von Mission. Jesus hat 4000 und 5000 seiner Hörer satt gemacht. Wir können Millionen der Verhungernden unterstützen wir können Ihre Bemühungen um demokratische Unabhängigkeit von unserer überproduzierenden Export-Wirtschaft unterstützen. Damit schaffen wir ein Stück mehr Gerechtigkeit und helfen der Macht zum langsamen Sieg, die Jesus gegeben ist im Himmel und auf Erden: die Macht des Friedens, die Macht der Gerechtigkeit, die Macht der Gewaltlosigkeit, die Macht der Liebe. Dass wir darin nicht solo handeln, verheißt uns der letzte Satz des Matthäusevangeliums, der letzte Satz Jesu: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Weltzeit.“ Amen.

Gebet:
Herr wir wissen um unsere kleine Kraft. Wir schwanken zwischen Angst und nicht verstehen, schieben die Schuld grundsätzlich immer auf den anderen ab. Wenn wir richtig überlegen, dann sind wir enttäuscht und haben auch andere stark enttäuscht. Dennoch liebst du uns und versprichst uns neues Leben. Nimm alles von uns, was uns hindert, den anderen wahrzunehmen und deinen Weg zu gehen. Befreie uns zu neuem Denken und Handeln. In Offenheit wollen wir uns so geben, wie wir sind. Dann sind wir, woher.

Das Thema des heutigen Gottesdienstes ist Mission. Mission Geld besonders der Dritten Welt, den armen Ländern, die armen bleiben durch ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von uns Industrienationen. Ernesto Cardenal, der berühmte Priester aus Nicaragua, wo in den letzten Wochen die sandinistische Befreiungsfront den brutalen Diktator so Mosa vertrieben hat, Ernesto Cardenal hat altes da menschliche Psalmen übersetzt in die Wirklichkeit seiner unterdrückten Bauern. Wenn wir nun mit seinen Worten beten, so nehmen wir da mit Anteil am Schicksal der unterdrückten wir beten mit den lateinamerikanischen Worten des neuen Psalms:...