Am
22.07. 1979 gehalten in Bielefeld- Bonhoeffer + Matthäus
Zum
Impressum
Liebe Schwestern und Brüder!
Matthäus beschließt seine große Geschichte
über Jesus. Noch einmal spannt er den Bogen von Anfang bis
Ende. Auf einem Berg wurde Jesus vom Satan versucht, auf einem Berg
lehrte Jesus Gewaltlosigkeit, auf einem Berg betete Jesus in Einsamkeit
vor seinem Tod, auf einem Berg sehen ihn die elf, die zu ihm gehalten
haben. Sie erschrecken. Nicht froh über die
plötzliche Nähe ihres geliebten Herren. Nein:
Schrecken. Sie zweifeln an ihren Sinnen. Ist das Jesus? Oder etwa doch
nicht? Haben sie eine Bewusstseinsverwirrung, dass sie Jesus, der doch
tot, gekreuzigt im Grabe liegt, sehen? Oder ist dieser wirre Sinn einer
größeren Wahrheit als unser visionsloses
Alltagsbewusstsein, dass Jesus nicht sehen kann? Auf einem Berg
erscheint Jesus den Jüngern. Das ist die Szenerie von Gottes
Offenbarung. Mose auf dem Sinai, Elia auf dem Horeb, Jesu
Verklärung auf dem Berg. Jesus offenbart sich als Gott. Er
sendet die zweifelnden, wie er sie schon einmal, als lebender Mensch,
gesandt hat. Damals sandte er sie aus in die Städte und
Dörfer. Jetzt sendet er sie in die ganze Welt. Damals hatte er
die Vollmacht, zu lehren, zu heilen, zu vergeben. Jetzt hat er alle
Gewalt. Er ist erhöht. Warum ist er erhöht? Weil er
so gestorben ist, wie er es ist. Jesu Tod war seine
Größe, ein Tod gegen alle Mächtigen. Der
Sklaventod, mit dem die Revolutionäre bestraft wurden. Die
Sklavenhinrichtung Jesu war seine Größe. Er ist vor
den römischen Machthabern nicht in die Knie gegangen. Darum
wurde er emporgehoben. Ans Kreuz. Dort hing er, ein wenig über
allen anderen, die frei umherliefen, weil sie vor den Römern
und dem jüdischen Klerus Kratzfuß machten. Die
Erhöhung Jesu ist der Galgen. So und nicht anders war Jesus
voller Macht. Die Macht Jesu war keine tödliche oder
todsichere Macht. Sie war sterblich. Der Tod Jesu - Zeichen, dass seine
Macht, die Macht der Sündenvergebung, Heilung, die Macht des
Heils für die Armen, dass seine Macht dort am Kreuz zerbrochen
ist?
So schien es. Aber nicht lange. Die Jünger sahen Jesus wieder
und da sagte Jesus, ihm sei alle Macht gegeben. Am Kreuz ist nicht nur
etwas zerbrochen, sondern auch etwas gewachsen. Der Menschensohn sitzt
zur Rechten des Vaters im himmlischen Thronsaal. Diese Vorstellung, die
aus den Visionen des Danielbuches stammt, wurde auf Jesus
übertragen. Jesus tritt die Herrschaft an. Damit sagten die
Visionäre, die dieses gesehen haben, dass Jesu
Erhöhung ans Kreuz nichts als die menschliche Seite dessen
war, was im Lichte des Gottes der Liebe der Herrschaftsbeginn Christi
ist. Die Macht Jesu ist: mit der Liebe durchhalten bis zum Tod. Die
Macht Christi ist: stärker zu sein als der Tod. Immerhin, der
Tod Jesu war der Anfang der Christenheit. Die Macht Christi ist ja
gerade, dass die Jünger Jesu sehen, dass sie ihn reden
hören: ihr sollt alle Völker zu Jüngern
machen. Die Bewegung geht mit der Kreuzigung Jesu nicht zu Ende,
sondern erst recht los. Das ist die Macht Christi. Sie geht los gegen
den Zweifel der Jünger. Jesus geht los gegen den Zweifel der
niederknienden Jünger, indem er mit ihnen redet. Er sucht ihre
Nähe, geht auf sie zu. Die Macht Jesu ist, auf
ängstlich Gebeugte zuzugehen und ihre Angst und ihrem Zweifel
ein Ende zu machen durch Kontakt, durch Nähe, durch
Gespräch. So zeigt Jesus seine Macht.
Der Jesus von Matthäi am letzten sagt: „Mir ist
gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Ach so, kann
man jetzt sagen, wenn Jesus zum Weltenlenker aufgestiegen ist, dann
möchte man doch bitteschön mal sehen, wo sich denn
diese Gewalt zeigt. Hat Jesus die Kirche initiiert? Hat er die
weltweite Mission geleitet von da oben aus dem Himmelsthronsaal herab?
Hat er den Missionaren die Kaufleute hinterher geschickt, die den
frisch bekehrten Völkern sogleich europäische Waren
angeboten haben? Hat er die Flotten der Spanier dann nach Amerika
geleitet, wo sie im Namen Christi den Inkas das Gold gestohlen haben
und ganze Völker und Millionen von Eingeborenen gnadenlos
abgeschlachtet haben? Hat Jesus befohlen, gegen den Islam mit Waffen zu
kämpfen? Ich glaube, das alles hat er wohl nicht. Sonst
wäre er, der Gewaltlosigkeit auf dem Berg predigte, nicht treu
zu seiner eigenen Lehre. Was aber meint Jesus, wenn er auf dem Berg der
Gewaltlosigkeitspredigt im Abschiednehmen sagt: „Mir ist
gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden?“ Jesu Gewalt ist
nicht die des allmächtigen Weltenregenten, der von oben alles
dirigiert. Wäre er das, so hätte das Morden
sicherlich seit 2000 Jahren ein Ende. Es wird aber immer noch gemordet.
Heute wird noch ärger gemordet als früher. Krieg ist
Mord. Dieses Morden kann nicht die Gewalt Jesu sein. Es ist die des
Teufels. Mir sind zwei Deutungsmöglichkeiten für
diesen Satz von der ganzen Gewalt im Himmel und auf Erden eingefallen:
entweder soll es heißen: alle politische, wirtschaftliche und
kulturelle Macht, die es gibt, ist dazu bestimmt, dass sie von Christus
durchdrungen wird. Von Christus, vom Geist der Gewaltlosigkeit, des
Friedens, der Gerechtigkeit durchdrungen ist aber die politische Macht
noch lange nicht. Erst recht nicht, wo sich Parteien christlich nennen,
aber für die Wiederaufrüstung eingetreten sind und
für die Diktatur in Chile Lobeshymnen anstimmen. Mission
Christi wäre allerdings, in die Politik zu gehen und dort
für Frieden, Gerechtigkeit und Gewaltlosigkeit zu arbeiten.
Dies wäre die eine Auslegungsmöglichkeit des
Gewaltspruchs. Die andere ist: die Macht Jesu ist eine qualitativ
andere Macht als die Mächte, die für uns
maßgeblich sind. Die Macht dieser Welt ist im letzten
definiert durch den Tod. Wer zu sehr gegen die Mächtigen
ansteht, wird eingekerkert, gefoltert, getötet. Bei uns nicht
so offen, doch in über 50 Staaten wird heute noch von dem
Militär gefoltert. Wer nicht arbeitet, ist zwar noch nicht
ganz tot, aber in Lateinamerika sind die Arbeitslosen zugleich
Todeskandidaten des Hungers. Arbeit und Gehorsam, das sind die
Lösungen, mit denen man durchkommt unter den
Mächtigen dieser Welt. Andernfalls drohen sie mit dem Tod. Die
Macht Jesu dagegen droht mit Vergebung, droht Sanftmut an. Ja, sie
droht. Denn uns ist es doch unerträglich, wenn ein bestehendes
Unrecht, sagen wir ein Diebstahl, vergeben würde! Wenn man
statt Strafe sich um Hilfe für den Dieb bemüht.
Für uns ist es doch unerträglich, geschlagen zu
werden und nicht wieder zu schlagen, sondern zu weinen oder die andere
Backe hinzuhalten. Ja, die Macht Jesu ist uns unerträglich.
Darum hat Luther die Bergpredigt nur gelten lassen zur
Sündenerkenntnis, darum sagte Bismarck, mit der Bergpredigt
lasse sich kein Staat regieren. Wer das unterstützt, muss sich
klar sein dass er damit zugleich den Befreiungsbewegungen in der
Dritten Welt, die durchaus mit Waffen kämpfen, dass er denen
grünes Licht gibt. Solange wir nicht auf Gewalt verzichten,
solange haben wir kein Recht, den Splitter im Auge der
Befreiungsbewegungen zu ziehen, womöglich noch selbst wieder
durch Unterstützung der weißen
Militärregime mit Waffenlieferungen. Solange hier noch eine
Waffenfabrik besteht, haben wir kein Recht, anderen
Gewalttätigkeit vorzuwerfen. Alle Male ist das nicht die
Gewalt, von der Jesus sagt, sie sei ihm gegeben. Die Macht Jesu ist die
Macht der Liebe. Sie will Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit, Frieden. Die
Friedensforschung hat uns gezeigt, dass es nicht nur direkte,
körperliche Gewalt gibt, sondern auch Gewalt in Form von
Gesetzen. Wenn Gesetze oder wirtschaftliche
Gesetzmäßigkeiten etwa verhindern, dass eine
zehnjährige Mutter in einem Slumviertel Arbeit bekommt, und
ihr verhungern zwei Kinder, so haben diese wirtschaftlichen Gesetze,
das Marktgesetz von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitslosenmarkt,
indirekt den Tod dieser Kinder auf dem Gewissen. Es gibt genug zu
essen. In Kanada wird Weizen ins Meer geschüttet. Es liegt
nicht am Mangel. Es liegt an ungerechten Gesetzen. Diese Gesetze
unserer Wirtschaft sind Gewalt, weil sie töten
können. Die Macht der Gewaltlosigkeit muss sich auch gegen
diese Art von Gewalt wenden, muss gerechtere Gesetze anregen, fordern,
weitertreiben. So wird Gewaltlosigkeit selbst mächtig. Und
diese Macht ist Jesus gegeben und wir konnten es von ihm lernen bei
seinem Weg bis nach Golgatha und wir sind gerufen, diese Macht zu
verbreiten, mitzuhelfen, dass Friede wird.
Eine Mission ist ein Auftrag, den jemand auf Zeit bekommt, der Auftrag
kann ausgeführt werden. Dann ist die Mission erledigt. Wenn
wir die Mission Jesu Christi erledigen wollen, müssen wir ohne
Gewalt leben lernen. So wie Jesus. Mission ist nicht reden allein,
sondern beispielhafte Lebensgestaltung. Wir müssen unsere
gesamte Organisation aller unserer Lebensgewohnheiten durchmustern, um
Schritt für Schritt weiter zu feilen an einem Modell von
Leben, welches den anderen ohne große Worte deutlich macht:
man kann ohne Gewaltanwendung und trotzdem nichts als duckmaus Leben.
Ein schönes Beispiel lieferte einmal ein Mädchen.
Jemand stritt mit ihr und machte ihr ungerechtfertigt böse
Vorwürfe. Sie wurde nicht ärgerlich, sondern gab
diesem jemand einen Kuss. Der war so verblüfft, dass er seine
ganzen Vorwürfe vergaß und erst stotterte und dann
selbst lachen musste, weil er merkte, wie dumm seine Vorwürfe
waren. Ich empfehle, diese Strategie selbst einmal auszuprobieren und
ähnliche Tricks selbst zu erfinden.
Es war eine schlechte Mission, die von Europa aus die damaligen
Kolonien erfasst hat. Wir schickten unsere Missionare, um die
Völker, die im Busch lebten, von ihrer Religion abzubringen
und Ihnen unsere aufzuzwingen. Die berühmten Witze vom
Missionar im Kannibalen-Kochtopf sind unser schlechtes Gewissen bei
dieser Art von Mission. Kein Mensch kann einen anderen zu einem
Jünger Jesu machen. Wir können nur aufmerksam machen,
aber nicht verwandeln. Völker, die durch die Wirksamkeit der
Gemeinde Jesu aufmerksam werden auf die Botschaft Jesu, können
Jesus-widrige Zustände ändern. Zustände, die
der Liebe Jesu widersprechen. Zu Jüngern Jesu machen
heißt nicht, den Afrikanern ihres Stammeskulte durch
christliche Kulte zu ersetzen. Es heißt nicht: etablieren
einer totalen Kirche. Nicht Liebe zur Kirche wünscht Jesus,
sondern Liebe zu den Menschen, die an einem verfehlten, weil falsch
konzipierten Leben leiden. Es ist auch einigermaßen
beschämend, dass in der Dritten Welt Basisgemeinden aktiv
leben, während bei uns, die wir Missionare entsandt haben, der
Atheismus unaufhaltsam um sich greift. Mir scheint, angebracht
wäre, statt im Busch zu missionieren, unsere eigene
Jüngerschaft zu überprüfen. Er
können heute die lateinamerikanischen Basisgemeinden uns
lehren, wie Jünger Jesu halten, was er befohlen hat. Fast
möchte man sagen, wir brauchen Missionare aus der Dritten
Welt. Die totalitäre Arroganz, mit der wir uns erhaben
gefühlt haben über die primitiven Stämme,
ist überholt. Dem Christentum steht anstelle des alten
Absolutheitsanspruch viel besser eine ökumenische
Dialogbereitschaft an. Die armen Länder brauchen auf alle
Fälle keine guten Ratschläge und keine Taufen von uns
Europäern, sondern, wenn, dann materielle
Unterstützung, solange wir sie durch wirtschaftliche
Abhängigkeit immer noch weiter ausbeuten. Also statt
Weltmission: Brot für die Welt. Das ist die derzeit gebotene
Form von Mission. Jesus hat 4000 und 5000 seiner Hörer satt
gemacht. Wir können Millionen der Verhungernden
unterstützen wir können Ihre Bemühungen um
demokratische Unabhängigkeit von unserer
überproduzierenden Export-Wirtschaft unterstützen.
Damit schaffen wir ein Stück mehr Gerechtigkeit und helfen der
Macht zum langsamen Sieg, die Jesus gegeben ist im Himmel und auf
Erden: die Macht des Friedens, die Macht der Gerechtigkeit, die Macht
der Gewaltlosigkeit, die Macht der Liebe. Dass wir darin nicht solo
handeln, verheißt uns der letzte Satz des
Matthäusevangeliums, der letzte Satz Jesu: „Siehe,
ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Weltzeit.“
Amen.
Gebet:
Herr wir wissen um unsere kleine Kraft. Wir schwanken zwischen Angst
und nicht verstehen, schieben die Schuld grundsätzlich immer
auf den anderen ab. Wenn wir richtig überlegen, dann sind wir
enttäuscht und haben auch andere stark enttäuscht.
Dennoch liebst du uns und versprichst uns neues Leben. Nimm alles von
uns, was uns hindert, den anderen wahrzunehmen und deinen Weg zu gehen.
Befreie uns zu neuem Denken und Handeln. In Offenheit wollen wir uns so
geben, wie wir sind. Dann sind wir, woher.
Das Thema des heutigen Gottesdienstes ist Mission. Mission Geld
besonders der Dritten Welt, den armen Ländern, die armen
bleiben durch ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von uns
Industrienationen. Ernesto Cardenal, der berühmte Priester aus
Nicaragua, wo in den letzten Wochen die sandinistische Befreiungsfront
den brutalen Diktator so Mosa vertrieben hat, Ernesto Cardenal hat
altes da menschliche Psalmen übersetzt in die Wirklichkeit
seiner unterdrückten Bauern. Wenn wir nun mit seinen Worten
beten, so nehmen wir da mit Anteil am Schicksal der
unterdrückten wir beten mit den lateinamerikanischen Worten
des neuen Psalms:...