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Impressum
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Wir sind alle Pharisäer, wir alle sind Zöllner. Und
wir alle sind ein Stück weit auch Jesus. Das sind drei Rollen,
drei Personen, mit denen wir alle etwas gemeinsam haben. In dem
Lukas-Gleichnis tauchen sie in der genannten Reihenfolge auf:
Pharisäer, Zöllner, Jesus.
In der Mystik des Mittelalters ist immer von Stufen die Rede. Mann
steigt auf einer Treppe des seelischen Erlebens auf zur Einheit mit
Gott. Stück für Stück, Stufe für
Stufe: Jede Stufe will geübt sein. Sie ist eine Lektion, und
alle weiteren Schritte setzen voraus, dass man diese Stufe
geübt und gelernt hat. Fassen wir doch einmal das Lukas
Gleichnis vom Pharisäer, Zöllner und Jesus als eine
kleine Mystagogie, als ein Lehrstück über den rechten
Umgang mit sich selbst auf! Ja, ganz recht, es geht hier weder um den
nächsten noch um Gott - es geht schlicht um mich selbst, um
dich selbst, um das Verhältnis, was ein jeder von euch zu sich
selbst hat.
Stufe 1: der Pharisäer Punkt ein ehrenwerter Mann. Von Beruf
vielleicht Bauer, Handwerker oder Beamter am Jerusalemer Hof. Er lebt
bescheiden und korrekt. Er erfüllt alle Gebote des Alten
Testaments, fastet mehr, als vorgeschrieben ist, zahlt seine Steuern
pünktlich und ohne irgendwelche Tricks, die den Steuersatz
senken könnten. Er ist ein Muster Burger, der mit Recht stolz
auf sich sein kann. Schauen wir uns an: viele von uns geben ihr letztes
Geld in die Kollekte und leben sparsamer, als sie es nötig
hätten. Viele von uns sind so opferbereit wie der
Pharisäer. Viele von uns beten so
regelmäßig und treu wie der Pharisäer,
kommen so treu wie er zum Gottesdienst. Der Pharisäer stellt
sich für sich alleine hin. Wie ist es bei uns? Sitzen wir
nicht eben so schön verstreut, jeder für sich in der
Kirchenbank, bestenfalls Familien zusammen? Wir halten doch auch alle
diskret Abstand wie der Pharisäer, sei es, damit keiner
hört wie richtig oder schräg wir singen, sei es, um
konzentrierter und gesammelte auf die Predigt zu hören.
Kurzum: wenn wir tatsächlich so anständig, korrekt
und opferbereit sind wieder Pharisäer, könnten wir
mit Recht stolz auf uns sein! Der Pharisäer ist nicht der
Buhmann im Lukas Gleichnis. Auch er geht ja gerechtfertigt in sein Haus
zurück. Auch ihn hat Gott lieb. Dass der Pharisäer
sich streng an seine Gesetze hält, wird ihm wohl keiner zum
Vorwurf machen können, der nicht ebenso kritisiert, wie bei
uns alle Lebensvollzüge immer stärker durch Gesetze
geregelt werden. Wer gegen Gesetzlichkeit zu Felde zieht, soll sich
doch einmal bloß eine Kirchenordnung anschauen. Die
entscheidende Frage ist ja auch nicht, ob gesetzt oder Evangelium
handlungsleitend sind, sondern auch gute, befreiende Gesetze in Kraft
kommen oder nur einschränkende, verbieten de, ungerechte
Gesetze fortbestehen. Man kann nicht ohne Gesetze Leben. Aber man kann
sehr wohl ohne ungerechte Gesetze Leben, Gesetze, die die Kluft
zwischen Arm und Reich vergrößern, Gesetze, die
keinen Raum geben für spontane und schöpferische
Verhaltensformen unter uns.
Soviel zum Pharisäer und unseren altmodischen versuchen, ihn
zum Buhmann abzustempeln. Der Pharisäer ist ein guter
Bürger. Wer ihm nach tut, ist mit Recht stolz. Bis auf eine
Sache. Und hier sehen wir, wie wackelig der Stolz des
Pharisäers war. Der sagt nämlich: "Oh Gott, ich danke
dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen,
Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder wie dieser
Zöllner." Er vergleicht. Er rechnet aus, was besser ist. Er
will besser sein. Er ist nur deshalb stolz, weil er besser ist als die
anderen. Er hält den Rekord an Frömmigkeit. Er hat
den Stolz des Siegers, der über andere triumphiert. Er denkt
in Konkurrenz um die Liebe Gottes. Sein Stolz geht auf Kosten anderer,
die er verachten kann. Er braucht immer jemanden, den er verachten
kann, um sich gut zu fühlen. Er braucht schwache, an denen er
seine moralische Stärke ausprobieren kann. Er braucht
Sündenböcke, um selbst ohne Schande da zu stehen. Er
ist stolz, aber erbärmlich stolz. Er ist erbarmungslos stolz
auf Kosten anderer. Er ist kein Buhmann. Er ist nur verdammt armselig
dran, dass er sich selbst nicht auch dann gut finden kann, wenn es
Brüder und Schwestern gibt, die gleich gut oder vielleicht
sogar besser sind als er. Er will nicht so wie die anderen seien. Darin
sind sie alle gleich: in den mühseligen Versuch, anders und
womöglich mehr und besser sein zu wollen als andere.
Stufe zwei: der Zöllner. Ein Ausbeuter. Er hat von den
Römern die Befugnis, Steuern in einem bestimmten Bezirk
einzuziehen. Dabei musste er nicht sauber abrechnen, sondern nahm
höherer Steuern ein, als er an die Römische Republik
weiterleitete. Er erfreute sich der Sympathie eines Finanzbeamten:
nämlich gar keiner Sympathie. Er warf verschrien als
korrupter, raffgieriger Neureicher. Schon gar nicht Frommen, geschweige
denn gesetzestreuen. Mit der Kirche hat er nicht viel am Hut.
Erbitterte unbeholfen, weiß gar nicht, wie man das eigentlich
macht-beten. Er wirkt eher so unsicher wie ein Rocker in der Kirche,
der verlegen mit seiner Kette klappert. Er ist nicht Frommen, er ist
kein guter Bürger. Seine Moral ist das Geld. Ich finde wenig
Parallelen, um uns mit ihnen zu vergleichen. Er ist
unanständige als vier. Ich kann wenig Sympathie mit ihm
entwickeln. Er ist mir fremd, unheimlich, stößt mich
ab. Und doch sympathisiert Shell die Erzählungs- und
Predigttraditionen unserer Kirche immer mit dem Zöllner. In
Kindergottesdienst schon haben wir gelernt, dass der einzelne sich
richtig verhält. Womit verhält sich dieser
Unterdrücker der Bevölkerung Palästinas denn
eigentlich richtig? Er sagt, indem er abseits steht und an seine Brust
schlägt: "Gott sei mir Sünder gnädig!"
Dieser Unterdrücker des Volkes drückt sich unter die
Macht Gottes, der, nach damaligem Glauben, die Sünder, die
moralisch Abgeglittenen, bestraft.
Als Steuereintreiber. Der Zöllner musste wissen, dass, nach
damaligem Verständnis, Gott ihm ganz und gar nicht gut
gesonnen sein konnte. Und darum appelliert er an Gottes Gnade. Er ist
hilflos wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hat, und nun
seine ganze Reumütigkeit und Kleinheit ausspielt, um den Vater
umzustimmen, um die zu erwartende Tracht Prügel zu umgehen.
Wer hätte nicht Mitleid mit so einem kleinen Jungen? Aber das
ist es gerade, was mich wütend machen kann: dieses alte
Spielchen der Unterwerfung. Mann wirft sich vor die mächtigen
in die Knie, tut schuldbewusst, beichtet, und hat damit den
großen Boss gnädig gestimmt, der vor soviel Einsicht
und Untertänigkeit ganz gerührt ist. Bonhoeffer
nannte dass die billige Gnade, die man in der evangelischen Kirche
durch ein einfaches Sündenbekenntnis schon erlangt. Irgendwie
ist mir da die katholische Kirche fasst sympathischer wenn man erstmal
33 Ave Maria beten muss um in die Gnade Gottes einzutreten Punkt mich
ärgert, dass man schon gerechtfertigt ist, wenn man sagt, gott
sei mir Sünder gnädig. So billig wie Gott
würde ich meine Liebe nicht verschleudern. Aber Gott sei Dank,
ich bin nicht Gott. Mich ärgert aber auch, und ich
weiß nicht ob ihr das verstehen könnt, dass man, um
in die Gnade Gottes zu kommen, erst einmal sich selbst
demütigen muss. Man muss sich zum Schweinehund degradieren,
ehe Gott einem gnädig ist. Warum verlangt Gott von mir, dass
ich erst einmal vor ihm auf den Bauch falle, ehe er mich liebhat? Kann
mich Gott nicht auch lieben, ohne dass ich Kratzfuß im
Sündenbekenntnis mache? Kann er mich nicht auch lieben, wenn
ich sage, mir geht es gut, ich fühle mich blendend, ich freue
mich über die Welt, über gewisse nette Menschen,
über mich selbst? Er zieht dieses Lukas Gleichnis nicht
geradewegs zum Selbsthass? Wird uns nicht angepriesen, uns ebenso zu
erniedrigen, und selbst mitzumachen, tief zu stapeln, nur um letztlich
doch hoch hinaus zu kommen? Hat nicht unser Sünderbewusstsein
viele von uns geprägt zu unsicheren, depressiven,
masochistischen Menschen? Predigt Jesus in dem Gleichnis nicht einen
krankmachenden Minderwertigkeitskomplex an? Mit dem zweifelhaften
Erfolg, dass die schuldbewussten Sünder dann eben so tapfer
weiter sündigen wie vorher? Was hat der Zöllner dem
Pharisäer voraus? Er ist vielleicht nicht stolz auf Kosten
anderer. Aber er lebt nicht richtig, während der
Pharisäer zwar richtig lebt, aber ein bisschen
hochnäsig denkt.
Bürgerlichkeit ist Pharisäertum. Auf Kosten anderer
Heil suchen und Glück suchen. Unsere Ellenbogengesellschaft
ist davon geprägt. Aber die Selbstlosigkeit vieler
Gemeindeglieder führt zu Minderwertigkeitsgefühlen
und Depressionen. Die Autonomie Jesu ist das glatte Gegenteil. Jesus
ist in jüdischen Augen hybrid wie der Pharisäer
selbst. Ich sagen lernen für andere, für den
Zöllner, also gestalteter Nazismus: Sinn für meine
eigene Endlichkeit, Fähigkeit zur Empathie und
Kreativität. Gottes Liebe macht uns liebenswert, auch in
unserem Auge. Sich selbst annehmen, indem man Gott um Liebe
für die an sich nicht Liebenswerten bittet. Gott liebt die
armen Schweine mehr als die treuen Frommen. Beispiel:
Pharisäisches Ausnutzen der Flüchtlingshilfe zu
politischen Zwecken.
Lektion 2: Der Zöllner in uns. Der vom Geld anderer lebt. Der
sich einen Dreck schert um Humanität, Frömmigkeit und
Nächstenliebe. Der kommt in den Tempel zum Beten. Er steht
ganz hinten, traut sich nicht vor zum Altar und schlägt an
seine Brust und sagt: "Gott, sei mir Sünder gnädig!"
Er weiß, daß er nicht Gottes Willen tut. Wir wissen
auch, daß wir nicht Gottes Willen tun. Wer von uns etwa liebt
seine Feinde, wer sorgt sich nicht um den morgigen Tag. Gebote um Gebot
leben wir an der Bergpredigt vorbei. Der Zöllner hat Grund
genug, sich als Sünder zu bezeichnen. Keiner hat dem
Zöllner einen Vorwurf aus seiner mangelnden
Frömmigkeit gemacht. Man hat ihn nur verachtet und den Kontakt
mit ihm abgebrochen. Er traut sich gar nicht richtig hinein zu den
anderen Leuten im Tempel. Dieser Haß der anderen auf ihn
macht ihm Angst. Vielleicht macht ihm auch das Gefühl Angst,
daß Gott mit seiner Ausbeutertätigkeit nicht
zufrieden ist.