Predigt über Lukas 18, 9 - 14

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Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Wir sind alle Pharisäer, wir alle sind Zöllner. Und wir alle sind ein Stück weit auch Jesus. Das sind drei Rollen, drei Personen, mit denen wir alle etwas gemeinsam haben. In dem Lukas-Gleichnis tauchen sie in der genannten Reihenfolge auf: Pharisäer, Zöllner, Jesus.
In der Mystik des Mittelalters ist immer von Stufen die Rede. Mann steigt auf einer Treppe des seelischen Erlebens auf zur Einheit mit Gott. Stück für Stück, Stufe für Stufe: Jede Stufe will geübt sein. Sie ist eine Lektion, und alle weiteren Schritte setzen voraus, dass man diese Stufe geübt und gelernt hat. Fassen wir doch einmal das Lukas Gleichnis vom Pharisäer, Zöllner und Jesus als eine kleine Mystagogie, als ein Lehrstück über den rechten Umgang mit sich selbst auf! Ja, ganz recht, es geht hier weder um den nächsten noch um Gott - es geht schlicht um mich selbst, um dich selbst, um das Verhältnis, was ein jeder von euch zu sich selbst hat.
Stufe 1: der Pharisäer Punkt ein ehrenwerter Mann. Von Beruf vielleicht Bauer, Handwerker oder Beamter am Jerusalemer Hof. Er lebt bescheiden und korrekt. Er erfüllt alle Gebote des Alten Testaments, fastet mehr, als vorgeschrieben ist, zahlt seine Steuern pünktlich und ohne irgendwelche Tricks, die den Steuersatz senken könnten. Er ist ein Muster Burger, der mit Recht stolz auf sich sein kann. Schauen wir uns an: viele von uns geben ihr letztes Geld in die Kollekte und leben sparsamer, als sie es nötig hätten. Viele von uns sind so opferbereit wie der Pharisäer. Viele von uns beten so regelmäßig und treu wie der Pharisäer, kommen so treu wie er zum Gottesdienst. Der Pharisäer stellt sich für sich alleine hin. Wie ist es bei uns? Sitzen wir nicht eben so schön verstreut, jeder für sich in der Kirchenbank, bestenfalls Familien zusammen? Wir halten doch auch alle diskret Abstand wie der Pharisäer, sei es, damit keiner hört wie richtig oder schräg wir singen, sei es, um konzentrierter und gesammelte auf die Predigt zu hören. Kurzum: wenn wir tatsächlich so anständig, korrekt und opferbereit sind wieder Pharisäer, könnten wir mit Recht stolz auf uns sein! Der Pharisäer ist nicht der Buhmann im Lukas Gleichnis. Auch er geht ja gerechtfertigt in sein Haus zurück. Auch ihn hat Gott lieb. Dass der Pharisäer sich streng an seine Gesetze hält, wird ihm wohl keiner zum Vorwurf machen können, der nicht ebenso kritisiert, wie bei uns alle Lebensvollzüge immer stärker durch Gesetze geregelt werden. Wer gegen Gesetzlichkeit zu Felde zieht, soll sich doch einmal bloß eine Kirchenordnung anschauen. Die entscheidende Frage ist ja auch nicht, ob gesetzt oder Evangelium handlungsleitend sind, sondern auch gute, befreiende Gesetze in Kraft kommen oder nur einschränkende, verbieten de, ungerechte Gesetze fortbestehen. Man kann nicht ohne Gesetze Leben. Aber man kann sehr wohl ohne ungerechte Gesetze Leben, Gesetze, die die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößern, Gesetze, die keinen Raum geben für spontane und schöpferische Verhaltensformen unter uns.
Soviel zum Pharisäer und unseren altmodischen versuchen, ihn zum Buhmann abzustempeln. Der Pharisäer ist ein guter Bürger. Wer ihm nach tut, ist mit Recht stolz. Bis auf eine Sache. Und hier sehen wir, wie wackelig der Stolz des Pharisäers war. Der sagt nämlich: "Oh Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder wie dieser Zöllner." Er vergleicht. Er rechnet aus, was besser ist. Er will besser sein. Er ist nur deshalb stolz, weil er besser ist als die anderen. Er hält den Rekord an Frömmigkeit. Er hat den Stolz des Siegers, der über andere triumphiert. Er denkt in Konkurrenz um die Liebe Gottes. Sein Stolz geht auf Kosten anderer, die er verachten kann. Er braucht immer jemanden, den er verachten kann, um sich gut zu fühlen. Er braucht schwache, an denen er seine moralische Stärke ausprobieren kann. Er braucht Sündenböcke, um selbst ohne Schande da zu stehen. Er ist stolz, aber erbärmlich stolz. Er ist erbarmungslos stolz auf Kosten anderer. Er ist kein Buhmann. Er ist nur verdammt armselig dran, dass er sich selbst nicht auch dann gut finden kann, wenn es Brüder und Schwestern gibt, die gleich gut oder vielleicht sogar besser sind als er. Er will nicht so wie die anderen seien. Darin sind sie alle gleich: in den mühseligen Versuch, anders und womöglich mehr und besser sein zu wollen als andere.
Stufe zwei: der Zöllner. Ein Ausbeuter. Er hat von den Römern die Befugnis, Steuern in einem bestimmten Bezirk einzuziehen. Dabei musste er nicht sauber abrechnen, sondern nahm höherer Steuern ein, als er an die Römische Republik weiterleitete. Er erfreute sich der Sympathie eines Finanzbeamten: nämlich gar keiner Sympathie. Er warf verschrien als korrupter, raffgieriger Neureicher. Schon gar nicht Frommen, geschweige denn gesetzestreuen. Mit der Kirche hat er nicht viel am Hut. Erbitterte unbeholfen, weiß gar nicht, wie man das eigentlich macht-beten. Er wirkt eher so unsicher wie ein Rocker in der Kirche, der verlegen mit seiner Kette klappert. Er ist nicht Frommen, er ist kein guter Bürger. Seine Moral ist das Geld. Ich finde wenig Parallelen, um uns mit ihnen zu vergleichen. Er ist unanständige als vier. Ich kann wenig Sympathie mit ihm entwickeln. Er ist mir fremd, unheimlich, stößt mich ab. Und doch sympathisiert Shell die Erzählungs- und Predigttraditionen unserer Kirche immer mit dem Zöllner. In Kindergottesdienst schon haben wir gelernt, dass der einzelne sich richtig verhält. Womit verhält sich dieser Unterdrücker der Bevölkerung Palästinas denn eigentlich richtig? Er sagt, indem er abseits steht und an seine Brust schlägt: "Gott sei mir Sünder gnädig!" Dieser Unterdrücker des Volkes drückt sich unter die Macht Gottes, der, nach damaligem Glauben, die Sünder, die moralisch Abgeglittenen, bestraft.
Als Steuereintreiber. Der Zöllner musste wissen, dass, nach damaligem Verständnis, Gott ihm ganz und gar nicht gut gesonnen sein konnte. Und darum appelliert er an Gottes Gnade. Er ist hilflos wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hat, und nun seine ganze Reumütigkeit und Kleinheit ausspielt, um den Vater umzustimmen, um die zu erwartende Tracht Prügel zu umgehen. Wer hätte nicht Mitleid mit so einem kleinen Jungen? Aber das ist es gerade, was mich wütend machen kann: dieses alte Spielchen der Unterwerfung. Mann wirft sich vor die mächtigen in die Knie, tut schuldbewusst, beichtet, und hat damit den großen Boss gnädig gestimmt, der vor soviel Einsicht und Untertänigkeit ganz gerührt ist. Bonhoeffer nannte dass die billige Gnade, die man in der evangelischen Kirche durch ein einfaches Sündenbekenntnis schon erlangt. Irgendwie ist mir da die katholische Kirche fasst sympathischer wenn man erstmal 33 Ave Maria beten muss um in die Gnade Gottes einzutreten Punkt mich ärgert, dass man schon gerechtfertigt ist, wenn man sagt, gott sei mir Sünder gnädig. So billig wie Gott würde ich meine Liebe nicht verschleudern. Aber Gott sei Dank, ich bin nicht Gott. Mich ärgert aber auch, und ich weiß nicht ob ihr das verstehen könnt, dass man, um in die Gnade Gottes zu kommen, erst einmal sich selbst demütigen muss. Man muss sich zum Schweinehund degradieren, ehe Gott einem gnädig ist. Warum verlangt Gott von mir, dass ich erst einmal vor ihm auf den Bauch falle, ehe er mich liebhat? Kann mich Gott nicht auch lieben, ohne dass ich Kratzfuß im Sündenbekenntnis mache? Kann er mich nicht auch lieben, wenn ich sage, mir geht es gut, ich fühle mich blendend, ich freue mich über die Welt, über gewisse nette Menschen, über mich selbst? Er zieht dieses Lukas Gleichnis nicht geradewegs zum Selbsthass? Wird uns nicht angepriesen, uns ebenso zu erniedrigen, und selbst mitzumachen, tief zu stapeln, nur um letztlich doch hoch hinaus zu kommen? Hat nicht unser Sünderbewusstsein viele von uns geprägt zu unsicheren, depressiven, masochistischen Menschen? Predigt Jesus in dem Gleichnis nicht einen krankmachenden Minderwertigkeitskomplex an? Mit dem zweifelhaften Erfolg, dass die schuldbewussten Sünder dann eben so tapfer weiter sündigen wie vorher? Was hat der Zöllner dem Pharisäer voraus? Er ist vielleicht nicht stolz auf Kosten anderer. Aber er lebt nicht richtig, während der Pharisäer zwar richtig lebt, aber ein bisschen hochnäsig denkt.
Bürgerlichkeit ist Pharisäertum. Auf Kosten anderer Heil suchen und Glück suchen. Unsere Ellenbogengesellschaft ist davon geprägt. Aber die Selbstlosigkeit vieler Gemeindeglieder führt zu Minderwertigkeitsgefühlen und Depressionen. Die Autonomie Jesu ist das glatte Gegenteil. Jesus ist in jüdischen Augen hybrid wie der Pharisäer selbst. Ich sagen lernen für andere, für den Zöllner, also gestalteter Nazismus: Sinn für meine eigene Endlichkeit, Fähigkeit zur Empathie und Kreativität. Gottes Liebe macht uns liebenswert, auch in unserem Auge. Sich selbst annehmen, indem man Gott um Liebe für die an sich nicht Liebenswerten bittet. Gott liebt die armen Schweine mehr als die treuen Frommen. Beispiel: Pharisäisches Ausnutzen der Flüchtlingshilfe zu politischen Zwecken.

Lektion 2: Der Zöllner in uns. Der vom Geld anderer lebt. Der sich einen Dreck schert um Humanität, Frömmigkeit und Nächstenliebe. Der kommt in den Tempel zum Beten. Er steht ganz hinten, traut sich nicht vor zum Altar und schlägt an seine Brust und sagt: "Gott, sei mir Sünder gnädig!" Er weiß, daß er nicht Gottes Willen tut. Wir wissen auch, daß wir nicht Gottes Willen tun. Wer von uns etwa liebt seine Feinde, wer sorgt sich nicht um den morgigen Tag. Gebote um Gebot leben wir an der Bergpredigt vorbei. Der Zöllner hat Grund genug, sich als Sünder zu bezeichnen. Keiner hat dem Zöllner einen Vorwurf aus seiner mangelnden Frömmigkeit gemacht. Man hat ihn nur verachtet und den Kontakt mit ihm abgebrochen. Er traut sich gar nicht richtig hinein zu den anderen Leuten im Tempel. Dieser Haß der anderen auf ihn macht ihm Angst. Vielleicht macht ihm auch das Gefühl Angst, daß Gott mit seiner Ausbeutertätigkeit nicht zufrieden ist.