Predigt über Epheser 5,1-8

(Am 9. 3. 80 in Matthäus-Bielefeld gehalten)

Zum Impressum Predigttext
Gnade und Frieden sei mit euch von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Kinder!
Geliebte Kinder!
Von Gott geliebte Kinder Gottes!
Sie haben richtig gehört. Und sie befinden sich weder im Kindergottesdienst, noch auf einer Veranstaltung der berüchtigten und vielgerügten Jugendsekte, die den gleichen Namen hat: Kinder Gottes. Trotzdem rede ich Sie hier und jetzt als Kinder Gottes an. Und mit dieser Anrede wiederhole ich nur den ersten Satz, einen Teil vom ersten Satz des soeben vorgelesenen Predigttextes. Als von Gott geliebte Kinder Gottes werden wir darin aufgerufen, Gottes Weise, Gottes Art nachzuahmen. Wir sollen Nachmacher Gottes sein. Diese Aufforderung ist revolutionär! Ich erinnere nur an die Story von Adam und Eva und der Schlange im Paradies. Die wollten, verlockt von der Schlange, gerne mal Gott gleich sein. Eritis sicut deus, ihr werdet sein wie Gott, hatte die Schlange gesagt. Und darüber hatte sich, so erzählt diese Geschichte weiter, Gott so sehr geärgert, daß er Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben hat. Gott gleich sein wollen - im alten Testament als die Ursünde getadelt, im neuen Testament nicht nur nicht verteufelt, sondern sogar erwünscht, sogar gefordert! Gott nachmachen - Gottes Nachmacher werden, sein Mime sein - : das klingt revolutionär. Da ist keine Rede von dem abgrundtiefen Unterschied von Gott und uns, der auch schon den Gedanken an irgendeine Gemeinsamkeit von Gott und Mensch verbietet. Da ist die Rede von einer Familie, einer großen Familie, mit ganz, ganz vielen Kindern und einem lieben Vater. Und die Kinder machen ihren Vater nach. Wie es ja alle Kinder tun. Selbst wenn sie es gar nicht wollen. Die Sprache, die ich spreche, die Gesten, mit denen ich mich bewege, die Meinungen und mein Verhalten gegenüber anderen Menschen - das alles ist geprägt von meinen Eltern, ist Nachahmung der Menschen, mit denen ich großgeworden bin. So grob wie die Eltern zu ihren Kindern sind, so trotzig und frech sind die Kinder zu ihren Eltern. Ich sehe das bei meiner kleinen Nichte sehr deutlich, und wer Kinder hat, wird es mir bestätigen können: Die Reaktionen der Kinder sind ein unbestechlich getreues Abbild des aggressiven, lieblosen, gehetzten Verhaltens ihrer Eltern oder auch: So liebevoll wie die Eltern, so zärtlich werden auch die Kinder reagieren. Ohne Nachahmung könnten wir kein einziges Wort reden, kein bißchen Verständnis im gegenseitigen Umgang erreichen.
Gott nachahmen, dazu könnte man auch sagen, bei Gott in die Schule gehen. Und wo kann ich etwas von Gott lernen, wo kann ich überhaupt Gott erfahren? Denn das ist ja wohl die Grundvoraussetzung, um Gott überhaupt nachmachen zu können.
Ich muß an dieser Stelle einschieben, was die wissenschaftliche Forschung herausbekommen hat: Der Epheserbrief ist nicht von Paulus geschrieben, wie es im Brief selbst steht, sondern von einem unbekannten Schüler des Paulus zu einer Zeit, wo Paulus wohl schon 40 Jahre tot war. Und er ist auch nicht an die Gemeinde in Ephesus geschrieben, das liegt an der heutigen türkischen Küste auf der Höhe von Athen, sondern dieser Brief war ursprünglich ein Rundschreiben an ganz viele Gemeinden im Bereich der heutigen Türkei. Und der Briefschreiber kann auf die ersten 70 Jahre der christlichen Kirche zurückblicken und hat gesehen, wie aus einer kleinen Sekte eine ganz beachtlich große Organisation rings ums Mittelmeer mit vielen Gemeinden geworden ist. Und darum steht er in dem guten Glauben, daß die Kirche eine ständig noch weiter wachsende Gemeinschaft der Gotteskinder, etwas altertümlicher ausgedrückt, der Heiligen, ist, die wie ein einzigen riesigem Körper von einem Kopf geleitet ist, von einem Geist beseelt ist, nämlich dem Geist Christi. Und vom Geist Christi wird sie dadurch beseelt, daß man sich in den Gottesdiensten erzählt, wie Jesus gelebt hat. Und daraus lernen die Christen, wie sie selbst leben können. Die Christen gehen, wie anfangs die Jünger, bei Jesus in die Schule, indem sie von seinen Lebensgeschichten lernen, die wir in den vier Evangelien aufgeschrieben finden. Und vorhin haben wir aus dem Lukasevangelium gehört, daß Jesus seine Schüler auffordert, ohne Rücksicht auf den toten Vater, ohne Rücksicht auf die Eltern, ohne Beerdigung und ohne Abschied mit ihm mitzugehen. Die Jünger sind mit Jesus losgezogen ohne zu wissen, wo sie am Abend schlafen können, ohne Zuhause, ohne Sicherheit, ohne Besitz, ohne ihre Familie, ihre Geliebten und Kinder.
Zurück zum Text. Gott nachmachen, wie macht man das? So war meine Frage. Und jetzt sage ich als Antwort: Indem man von Jesus lernt, bei ihm in die Schule geht. Genauer: Indem wir aus den Geschichten von Jesus und über Jesus lernen zu leben. Das ist Nachfolge, die auch für uns möglich ist, die wir ja nicht mehr mit ihm durch die Berge Palästinas wandern können.
Gott erfährt man nicht in Schicksalsschlägen, Donner und Blitz, sondern ziemlich schlicht und gar nicht so abenteuerlich in den Geschichten oder der einen Geschichte Jesu. Gott nachmachen heißt Jesus nachfolgen und Jesus nachmachen. .Auch das klingt manchen unter uns ungeheuer, aber ich meine, daß es nichts gibt, was von Jesu Worten und Taten nicht nach seinem Kreuzestod nachgemacht worden ist. Die Jünger heilen auch Kranke,
predigen und ziehen durch die Landschaft, sie feiern die gemeinsamen Mahlzeiten wie in Gethsemane, können Tote erwecken und viele werden in späteren Zeiten genauso brutal gekreuzigt wie Jesus. Jesus, den Christus, kann und darf man nachmachen. Das ist die verwegene und erschreckende Behauptung in unserem Predigttext.
So ahmet nun Gottes Weise nach als von ihm geliebte Kinder und wandelt in der Liebe, wie auch Christus euch geliebt und sich für uns dahingegeben hat als Gabe und Opfer für Gott, zu einem lieblichen Duft." Christus hat sich an uns verschenkt. Er ist für die Entrechteten und Ärmsten und Geächteten so eingetreten, daß man ihn liquidiert hat. Das genau war der Grund seines Todes: Eine Welt, in der einer Todesstrafe bekommt für seine Liebe zu den Niedrigen und Verachteten. Und genau dieses Tatsache nennt die Bibel Sünde: Daß es überhaupt arm und reich gibt, daß Menschen andere Menschen verachten und unterdrücken, und daß der ,der da nicht mitmacht, der seine Liebe gegen die schlechten Gesetze und gegen den Haß stellt, daß dieser den ganzen Haß zu spüren bekommen. Daß der, der konsequent gegen Gewalt predigt und handelt, die ganze Gewalt der Mörder zu spüren bekommt. Wer wie Christus in der Liebe wandelt, sich für die anderen, die nicht ebenso lieben können, verschenkt, der wird zum Opfer. Zum Opfer der Gehässigen und Lieblosen. Der gemordete Jesus ist das Opfer der Liebe in einer Welt des Hasses. Sein Beispiel ist ein Licht in der Finsternis der Haßwelt, der Welt aus Gleichgültigkeit gegenüber fremdem Leid, der Welt des Strebens nach Besitz, der Welt der leeren Worte ohne Taten, der betrügerischen Versprechungen, der verlogenen Beziehungen, der Intrigen, der Menschenverachtung, der Schadenfreudewitze, der unzüchtigen, hemmungslosen Herumkonsumiererei.
Ich habe da eine ganze Liste von Anklagepunkten gegen unsere normale Lebensweise gemacht. Genau dasselbe hat auch der Schreiber des Epheserbriefs unternommen, wir Theologen nennen so eine Liste einen Laster-Katalog. Da wird aufgezählt, was alles auf keinen Fall als liebevolles Verhalten bezeichnet werden kann. Der Schreiber hat erstmal ermuntert: Lernt von Jesus, in der Liebe zu wandeln. Und dann sagt er, mit dem Blick auf die Christen, an die er schreibt, was eben liebloses Leben ist. Er denunziert und kritisiert das falsche Leben der Christen und mißt es am Vorbild Christi. Ich finde das sympathisch. Es gibt massenweise Sprüche, die Liebe definieren wollen. Liebe ist... Liebe ist, wenn man... Genau dagegen sperrt sich unser Predigttext. Er sagt nicht, was Liebe ist. Er sagt nur negativ und kritisch, was alles ganz und gar ‘ keine Liebe ist. Unzucht, Unkeuschheit jeder Art, Habsucht und leere Worte - damit ist nicht Sexualität verteufelt. Sondern eine spezifische Form von menschlichen - und meinetwegen auch sexuellen - Beziehungen. Es gibt sogenannte Liebesbeziehungen, egal, ob Ehe, Freundschaft oder helfende Nächstenliebe, in denen ich den Partner zum Objekt meiner Phantasien und Aktionen mache. In denen ich ihm gar nicht die Freiheit lasse, sich selbst einzubringen. Wo ich ihn besitze und über ihn verfügen will. Ihn zum Diener meiner Lust mache, sei es sexueller Lust, oder sei es auch der Lust am Helfen, am Bemuttern, am Unmündighalten. Über Jahrhunderte haben die Männer die Frauen als Besitz betrachtet, als Sexualobjekt mißbraucht und mit romantischen Schwüren der ewigen Treue gefügig gemacht. Und diese Gewalttaten Liebe genannt. Ich nenne sie mit der Lasterliste des Epheserbriefs Unzucht, Unkeuschheit jeder Art und Habsucht, in Tateinheit mit törichtem Geschwätz, leichtfertigen Scherzen und betrügerischen leeren Worten. Das gleiche gilt für unsere Mission. Die europäischen Missionare kamen in die fremden Länder, um das Heil Christi zu predigen und au bringen. Die anderen Christen kamen nach und brachten statt Heil nichts als Elend, Ausbeutung und Unterwerfung. Und heute bilden wir uns gro£ oder klein etwas ein, wenn wir den von unserem Wirtschaftssystem erst kaputtgemachten, von unserem Militär erst terrorisierten Ländern in der 3. Welt mit unseren Spenden großmütig helfen. Noch unsere Spenden setzen die Welle der Demütigung und Verachtung der Menschen in den anderen Erdteilen fort. Nur allzuoft sind die Hungernden nur Objekte unserer liebevollen Großmut, die in Wirklichkeit gar keine Liebe ist.
Ich habe diese zwei Beispiele - Ehe und Mission - hier genannt, um einmal zu zeigen, wie brisant dieses alten und leicht modrig riechenden Begriffe Unzucht und Habsucht usw. sein können, wenn man sie ernst nimmt und auf unsere Situation anwendet. Dann ist der Muff des Frühkatholizismus recht schnell heraus und wir erleben uns vor dem kritischen Auge des Lichtes, welches unsere Finsternis aufhellt: dem kritischen Vorbild Jesu, der Menschen als Subjekte, als eigenständige und selbstständige Personen behandelt hat und zu ihrem Glück und Heil sein Leben einsetzte.
Um Mißverständnisse auszuräumen: Ich meine nicht, daß Ehe oder Mission schlecht sind an sich, sondern ich versuche nur, den Blick für die vielen heimlichen Lieblosigkeiten zu schärfen bei dem, was wir gemeinhin so als Liebe durchgehen lassen. Ich betone auch, daß ich diese Kritik an meiner eigenen Lieblosigkeit festmachen könnte.
Dabei geht es auch gar nicht um die Frage von Vorwürfen und dem großen moralischen Zeigefinger, den noch die Unmoralischsten hochkriegen. Es geht vielmehr darum, festzustellen und gemeinsam zu diskutieren, was bei uns nicht stimmt, was finster ist, um da rauszukommen. Das Erbe Christi, das seine Nachfolge nicht antreten, um auf dem Holzweg des Selbstbetrugs über die eigene Liebe steckenzubleiben. In der Nacht unserer Selbsttäuschungen und Irrwege auf dem Konsumtrip und der Mißachtung der Entfaltung anderer Menschen scheint uns die Geschichte Jesus als die große göttliche Liebesgeschichte voraus und will uns Geschmack machen an gegenseitiger Hochachtung und dem Ernstnehmen der Verachteten.
Der Schreiber unseres Predigttextes zitiert ein altes Lied der Christen, welches sie zur Taufe gesungen haben: "Wach auf, du Schlafmütze, steh auf von den Toten, so wird dir Christus als Licht aufgehen".
Da ist von Totenauferstehung höchst diesseitig die Rede, sozusagen noch vor dem Tod. Totenauferstehung ist unsere Sache. Sich vom Licht Christi, konkreter: von der aufgeschriebenen Geschichte Jesu kritisch durchleuchten und erleuchten lassen, aufwachen aus dem Dornröschenschlaf unserer selbstzufriedenen Besitzbesessenheit und unser Brot brechen mit allen Völkern als großes Weltabendmahl der endlich einmal erkämpften sozialen Gerechtigkeit - daß ist Auferstehung vor dem Tod, ist Nachahmung Gottes in der Nachfolge Jesu.
Eine Predigt kann nicht mehr als ermuntern und die Richtung weisen. Diese Predigt hat das nur recht vage getan und eigentlich müßte die gemeinsame Überlegung, wie wir gemeinsam vom Holzweg der Lieblosigkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen und auch im weltpolitischen Rahmen und vielleicht auch im Rahmen der Kirche selbst herunterkommen, jetzt erst eigentlich anfangen. Und darum hört auch an dieser Stelle die Predigt auf, weil ich mir nicht einbilde, positiv zu wissen, was denn Liebe ist. Ich wünschte mir, daß Sie für sich und untereinander und miteinander daran weiterdenken und weiterexperimentieren.
Amen.

Liturgie zu Okuli, 9.3.80 Matthäus

Zum Impressum Einüben der neuen Lieder
Ich rede, wenn ich schweigen sollte…    Ich tue meinen Mund auf
Abkündigungen
256, 1-4 Mir nach spricht Christus
Im Namen
Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geeignet für das Reich Gottes. (Lk 9,62)
Ehr sei dem Vater
Herr, wir bekennen, daß wir oft kaum noch unsere Hand an den Pflug legen, weil es bequemer ist, andere für uns arbeiten zu lassen. Und wir bekennen, daß wir ständig, jeden Tag, zurückschauen auf das, was wir schon alles geschafft haben und was wir geworden sind. Und daß wir dabei nicht mehr merken, was aus uns geworden ist. Um wenn wir vorausblicken, dann mit der Absicht, daß es uns noch besser gehet soll. Wir bekennen, daß wir uns für das Reich Gottes nicht besonders gut eignen. Wir bitten dich: nimm uns trotzdem und laß uns lernen. Amen.
Ehr sei dem Vater
Kyrie
Wohl dem, der seine Hoffnung setzt auf den Herrn.(Ps 40,5)
Ehre sei Gott in der Höhe
Allein Gott in der Höh sei Ehr
Der Herr sei mit euch
Evangelium Lk 9,57-62
Credo
Lied: Ich rede, wenn ich schweigen
Predigttext
Predigt
Lied: Ich tue meinen Mund auf
Herr, wir bitten dich, laß uns feinfühlig werden für die vielen kleinen Lieblosigkeiten in unserem alltäglichen und sonntäglichen Denken, Reden und Handeln. Öffne uns die Augen in unserer Finsternis mit deinem Licht. Gib uns den kritischen Blick der Liebe, die alle Lieblosigkeit entlarvt. Wir bitten dich um den lieblichen Duft und die Phantasie der Liebe, die uns ansteckt zum Ausprobieren immer neuer Formen von Verzicht auf unnötigen Besitz, unnötige Macht, unnötige Angst und unnötiges Angstmachen. Laß unsere Selbstkritik am Maßstab der Liebe Jesu nicht selbstquälerisch werden, sondern verspielt und übermütig wie richtige Kinder, die ihren Vater nachahmen.
Gib uns Mut, unseren Mund aufzutun, wo Lieblosigkeit, Unrecht, Vergewaltigung und Besitzbesessenheit die Menschen finster machen. Laß- die Sonne deiner Gerechtigkeit aufgehen über den hungrigen Bäuchen der verarmten Nationen, den verödeten Herzen der Reichen und der Finsternis der Gewaltausübung auf beiden Seiten. Deine Gerechtigkeit wird alles Unrecht beseitigen. Dein Friede wird den Kamp beenden. Dein Erbarmen wird uns aus dem Tod erlösen. In der Welt des Hass bitten wir um deine Liebe. In der Welt der Gott-Losigkeit rufen wir nach deiner Gegenwart. In der Welt der Nacht warten wir auf deinen Tag.
Vater Unser im Himmel
Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Lied 61, 1,2,4-, 7
Nachspiel