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Predigt über Markus 9, 14 - 29

Gehalten am 11.10.1981 in Bochum Christuskirche

Heilung des epileptischen Knaben. Alles ist möglich dem der glaubt. Ich glaube - hilf meinem Unglauben. Die Jünger vermochten nichts. Auch sie heilen Kranke.

Wenn du etwas vermagst - der Vater sagt: probieren Sie doch mal ihr Glück, Herr Doktor. Ein Patient wandert von Spezialist zu Spezialist.

Jesus ist wütend über die Zweifel an seiner Heilkunst. Verlangt völliges Vertrauen. Der Vater hat es nicht mehr. Und gesteht es ein. Gesteht sein hin und hergerissen Sein über die Heilschancen. Das ist die Dialektik des Glaubens, dessen liebstes Kind der Zweifel ist. Den Jesus verdammt!? Jesus hilft dem Vater zum Glauben. Zu diesem Zweck heilt er das Kind von den teuflischen Mächten. Der Junge ist wie tot und steht durch Jesus auf. Auferstehung: frei werden von der bösen Macht. Hinterher das Fachsimpeln der Medizinmänner über die geheimnisvolle Therapiemethode: Beten. Eine bestimmte Sorte Teufel, Krankheit. Durch Gebet und Fasten auszutreiben. Wer hat gebetet? Jesus nicht! Der Vater! Nur durch das Geständnis unserer Schuld werden wir frei vom Bann des Bösen. Nur durch die Wahrheit über unsere Zweifel an der Macht des Guten, Zweifel an Jesus, kann diese Sorte Krankheit, Wahnsinn, ausgetrieben werden. Nur die Wahrheit macht frei. Ihr Ort ist das Gebet. Beten heißt: in die Wahrheit kommen. Die Wahrheit über unser Unvermögen zu glauben, zu heilen, zu lieben. Diese Wahrheit macht frei. Nur das Bekenntnis unseres Unglaubens kann uns heilen. Freiheit vom Bösen. Was genau dieses Böse nicht Wort haben will. Dieses Heilungswunder eines von bösen Mächten besessenen Jungen ist ein Kapitel Auferstehungstheologie. Auferstehung, das ist vom Tod ins Leben vorzudringen. Von den Todesmächten freikommen.

Was sind unsere Todesmächte? Wer sind die Mächte, die uns besitzen, denen unsere Seele so gehört wie bei den wahnsinnigen Jungen? Denen wir von Kindheit an angehören? Wer hat Macht über unser Leben durch die Drohung mit dem Tod?

1. Gleichgewicht des Schreckens nach dem Zweiten Weltkrieg: Paul Celan: der Tod ist ein Meister aus Deutschland.

2. Anschwellen der Rüstungsexporte nach 1945. Second Strike Capability und Overkill. Abhängigkeit der amerikanischen Regierung und Wirtschaft vom Waffenhandel: 19 % der amerikanischen Wirtschaft ist Rüstungsproduktion. Bei uns nur 0,5%.

3. Angstmacher vor der roten Gefahr, während bei uns Braune noch den Vorsitz in KDV-Verhandlungen führen. Verleumder und Volksverhetzer. Verteufelungen sind selbst sehr teuflisch.

4. Die Presse manipuliert Wahrheit durch Auswahl. Beispiel ist die Demonstration vom 10. September 1981 wo die Zahl der Demonstranten fast halbiert wurde in den Nachrichten.

All dies resultiert aus einem gestörten Verhältnis zu Gott, der uns die Mitmenschen als Brüder zum Leben gegeben hat, nicht zum Vernichten.

Wie kommen wir heraus aus diesem Teufelskreis? Diese Art Teufel treibt man durch das Schuldbekenntnis aus: ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben! Ohne unseren Glauben vermag Christus gar nichts. Nur durch dieses unser Gebet wird Christus für uns zur guten Macht, die alles gut macht, nur im Geständnis unsere eigenen Teufeleien, im Beim-Namen-Nennen unserer Schuld, werden wir frei von der Besessenheit durch die Lust am Bösen, die Lust an der Verteufelung der anderen. Holland: IKV: Kommunikation statt Ausschluss und Unvereinbarkeit. Friedensdemonstration: Man beklagt sich über zu viel Toleranz (falsche Harmonie). Anstatt sich der Friedfertigkeit zu freuen, die dort endlich einmal wirklich geworden ist. Man entrüstet sich darüber, dass sich die Demonstranten nicht wegen der Unterschiedlichkeit ihrer Transparente geschlagen haben. Man bescheinigt ihnen Angst vor Konflikten und neuen Nationalismus, Patriotismus und so weiter. Hätten die Demonstranten sich deswegen ausgeschimpft oder sogar gegenseitig verprügelt, hätte man sofort gesagt: seht her, sie marschieren für Frieden und können nicht einmal zwei Stunden zusammen sein ohne Schlägereien zu veranstalten. Diese Art der Presseberichte ist Demagogie, nicht die Reden von Erhard Eppler, Heinrich Böll, Heinrich Albertz, Kurt Scharf und all den anderen Rednern.

Alle, die dabei waren in Bonn, haben es hautnah erlebt, dass die Presse lügt. Sie lügt durch Auslassungen und Verschweigen. Sie lügt durch einseitige Kommentare. Sie verteufelt, oder, was genauso gemein ist, verspottet die, die im Namen der Gewaltlosigkeit Christi angetreten sind. Darum werde ich mich weigern, hier auf der Kanzel, dem Ort der Wahrheit Christi, die uns frei macht, zu schweigen zu den Lügenmärchen, die uns die Massenmedien servieren. Die Wahrheit Christi kann keiner trennen von der Wahrheit über uns selbst. Wir werden von den Politikern der großen Parteien verschaukelt und verblendet und sind schon mitten im tödlichen spiel der nach vor nach vor, genauer: der nach wie vor Aufrüstung und nicht Abrüstung. Und wir sind, genau wie der besessene Jüngling, hin und hergerissen. Der Ungeist des Unglaubens, die zynisch freche Einfallslosigkeit, ein Mehr an Waffen bedeute ein Mehr an Frieden, und man könnte ja doch nichts machen, ist ein für alle Male als politisch überholt zu verwerfen. Diese Einstellung ist, wenn man die oft gebrauchte Unterscheidung von Gesinnungsethik (gut gemeint, aufrichtig, aber naiv, etwas dümmlich) und Verantwortungsethik (besonnenes Abwägen aller möglichen Konsequenzen einer Entscheidung) benutzt - diese Einstellung ist eine verteufelte Unverantwortlichkeitsethik geworden.

Allein die Feindesliebe, diese von der Presse als etwas naiv dümmlich dargestellte, allein die Feindesliebe ist heute, wo wir die ganze Welt 6 mal in die Luft sprengen können, zur einzig noch möglichen Gestalt der politisch verantwortlichen Vernunft geworden. Feindesliebe ist unsere letzte Überlebenschance. Entweder wir werden die Partner unserer ehemaligen Feinde, oder wir werden alle eines Tages ausradiert von den computergesteuerten Atomraketen. Und dann gnade uns Gott, wenn nicht dann auch seine Gnade ein Ende gefunden hat, weil keiner mehr da sein wird, dem sie gelten kann.

Dann wird Gott allein über den Trümmern seiner einmal so guten Schöpfung sitzen. Und ich glaube, dass Gott bitterlich weinen wird. So wie Jesus, der Sohn Gottes über Jerusalem weinte, die Stadt, die ihre Propheten ermordet, die Regierung, die ihre Gegner diffamiert, lächerlich macht und verteufelt.

Der Junge wurde frei durch den verzweifelten Glauben seines Vaters, durch das Geständnis unserer Schuld, durch den Schrei nach Gottes Erbarmen. Nur, wenn wir in diesem Schrei, dem verzweifelten Schrei nach Glauben und Heilung einstimmen, unsere mit Schuld bekennen am Rüstungswettlauf, nur dann werden wir frei von der teuflischen Angst vor Feinden, die ihrerseits auch nur durch Angst zu den immer schlimmeren Waffen greifen. Erst wenn wir bei uns selbst anfangen und uns fragen: ist es wirklich der Russe, vor dem wir Angst haben, oder ist es nicht vielmehr der Deutsche oder der Unmensch in allen Menschen, der auf böses sinnt und deshalb gerade dem Feind das unterstellt, was wir in unseren eigenen Herzen als finstere Lust tragen? Erst dann wird unser Herz und unser Auge frei, im Russen den Menschen zu sehen, der selbst auch leidet unter der Rüstungsspirale, der selbst nichts als nackte Angst hat und gerade bei uns Deutschen erlebt hatte, wie 20 Millionen seiner Brüder von uns gemordet wurden. Erst dann hat uns die Wahrheit unseres Unglaubens frei gemacht von der Besessenheit, die im Russen den Feind sieht und nicht ebenso den Menschen, für den unser Herr Jesus Christus ans Kreuz gegangen ist, um auch ihm Frieden mit Gott zu schaffen. Nicht die Menschen sind so böse, sondern die Systeme, die auf beiden Seiten totalitärer werden. Aber in beiden Systemen leben Menschen. Und Christus starb für die Menschen in allen Systemen. Darum sind wir in Christus Brüder. Verbannen wir den Frieden Gottes doch nicht auf die Friedhöfe. Lassen wir ihn doch in unser Herz dringen und in die Beziehungen zwischen den Völkern. Wir hassen die Atombomben. Auf jeder Seite. Aber wir lieben die alten Menschen, die Kranken, die Jugendlichen und die Kinder, die Kinder auf allen Seiten. Christus starb für Sie - für uns alle. Lasst uns Frieden schaffen ohne Waffen.

Lasst uns glauben, dass wir es schaffen. Lasst uns dies ganz ganz fest glauben. Christus sprich: Alles ist möglich dem, der glaubt! Lasst uns glauben, dass wir nicht machtlos sind. Dann werden wir auch gestärkt. Lasst uns glauben, dass uns das Bekenntnis unserer Schuld frei macht, nicht permanent die Schuld bei allen möglichen anderen zu suchen und meist beim Feind. Lasst uns beten: Ich glaube, Herr. Hilf meinem Unglauben!

Und der Herr wird uns erhören und wird die Todesmächte in uns, in den Familien, in der Wirtschaft und in der Rüstung bedrohen und sie austreiben. Dann werden wir auferstehen wie ein Toter, der zum neuen Leben erwacht ist. Das wird ein Fest werden, ein Fest der Auferstehung mitten am Tag. Und mit jedem Menschen, der aufsteht und seine Stimme gegen die Waffen erhebt, wird diese Auferstehung aus dem Kerker der Todesmächte ein Stückchen mehr Wirklichkeit.

Lasst uns glauben, dass Christus die Todesmächte besiegt. Dann ist unserer Resignation abgeholfen, die uns sagt, Kriege seien ewiglich. Lasst uns glauben, dass Christus der Herr ist. Der Herr des Lebens. Nicht des Todes. Lasst uns beten: Ich glaube, Herr. Hilf meinem Unglauben. Amen.