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Predigt über Lukas 16,1 - 8a

Gehalten am 15.11. 1981 in Bochum Christuskirche und Friedenskirche

Liebe Gemeinde!

Der Herr lobt den ungerechten Ökonomen, daß er klug gehandelt habe. Ist das nicht ein bißchen merkwürdig? Die Exegeten überlegen hin und her: Wer ist "der Herr"? Der reiche Mann, der seinen Verwalter rausschmeißen will, kann der ihn loben, daß er noch obendrein seine Schuldscheine fälscht? Oder ist "der Herr" kein anderer als Jesus, so daß dieser Satz das Ende des Redens Jesu und der Anfang des Redens über Jesus wäre? Liebe Gemeinde, ich bitte um Ihre Meinung. Wie schätzen Sie die Lage ein: ist "der Herr", der die Klugheit des ungerechten Verwalters lobt, Jesus oder der reiche Mann, dem alles Geld gehört? Bitte, wer meint, Jesus sei gemeint, hebe seine Hand. - Und nun bitte ich die Hände derer hoch, die glauben, der reiche Mann lobt die Klugheit des Haushalters.

Nun ich denke eher, daß Jesus derjenige ist, der die üblen Finanzierungen lobt. Ich möchte etwas über die damaligen Reichen und ihre Verwalter erzählen. In Jerusalem zur Zeit Jesu gab es ein paar wenige, aber mächtige Geld-Adelige, heute würden wir sagen: Millionäre. Die Priester Jerusalems gaben ihnen die nötige geistliche Rückendeckung. Dann war da der König Herodes der Große, der so hohe Steuern erhob, daß die meisten Kleinbauern Israel's nicht auskommen konnten mit dem Rest. Und sich Korn, Öl, Schafe und so weiter bei dem leihen mußten, der übergenug hatte. Aber meist konnten sie es dann auch nicht zurückzahlen, weil das Geliehene ja gerade zum Überleben reichte und deshalb mußten sie zumeist etwas von ihrem Besitz verkaufen an den, der ihnen was geliehen hatte. So waren die freien Bauern zu Halbsklaven geworden und den wenigen städtischen Geldverleihen und deren Managern, die Bibel sagt im griechischen Text: oikonomos, Ökonomen, rettungslos ausgeliefert. Die ins Elend gestürzten Bauern brauchten in jeder Notlage etwa Krankheit, Dürre, Überfall, ein wenig Bargeld oder Naturalien. Beim Millionär direkt nachzufragen, bei dem man ohnehin schon 1 bis 4 Jahre Arbeit als Schuldenlast hatte, hätte kaum Erfolg gehabt. So fragte man den Verwalter, den Manager, den oikonomos. Der gab, hinter dem Rücken des Millionärs, dem armen Bauern Geld und ließ dafür den Bauern im Schuldenbuch einen weitaus höheren Betrag unterschreiben, als er dem Millionär jetzt wirklich schuldete. Das nennt man "verdeckte Zinsen", denn Zinsgeschäfte durfte ein Jude nach dem Gesetz des Mose gar nicht machen. Diese "Zinsen" kassierte später der Verwalter selbst ein. Davon wurde er selbst wohlhabend. Eine Lebensstellung im damaligen Bankgewerbe, im Finanzkapital. Unser Manager in der Gleichnis-Geschichte hat wohl ein wenig zu viel an solchen Schulden aufgeschrieben, hat zu viel in seine Tasche gewirtschaftet. Wer Ökonomie als Fachmann ausübt, weiß immer Wege, in die eigene Tasche zu wirtschaften. Aber dabei ist der erwischt worden! Und der Millionär in Jerusalem kündigt seinem Manager, fordert die Schlussabrechnung, um die Bücher dem Nachfolger übergeben zu können. Und was macht der raffinierte Manager? Er läßt sie einzeln antreten, die armen Bauern, die Schuldner, und streicht ihre Schuld im Schuldenbuch zusammen. Dem einen erläßt er 50%, dem anderen 20% usw. Er streicht, genau gesagt, den Teil der Schulden wieder aus, den er als "verdeckte Zinsen" vorher zuviel aufgeschlagen hatte. Er verzichtet also auf seinen Anteil an dem Schuldgeschäft. Und damit steigt er aus dem Schuldgeschäft schon aus, bevor er von seinem Chef rausgeschmissen wird. Dabei schädigt er eben weder seinen Chef; der bekommt präzise so viel zurück, wie der Arme von ihm geliehen hatte - noch den Armen, dessen Schulden er ja auch hätte zurückfordern können, um mit der Auszahlung der verdeckten Zinsen genug Startkapital zu machen für eine eigene selbstständige Existenz. Nein. Er tut das nicht. Er steigt aus dieser ganzen Schuldenpraxis aus, bei der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Ok, er war Manager, er hat es wüst getrieben mit hohen Zinsen, hohe Ausbeutung, Mehrwert für die eigene Tasche. Aber er steigt jetzt aus. Er wird solidarisch mit den armen Bauern, weil er hofft - nicht etwa: verlangt! - Weil er hofft, bei ihnen Aufnahme in ihren Häusern zu finden, wenn er arbeitslos ist und auf der Straße steht. Er kehrt der Allianz von Wohlstand, Gewalt, Ausbeutung und Tempel den Rücken zu. Er kehrt in die Gemeinschaft des Gottesvolkes zurück, nicht makellos, nicht ohne Angst vor den Folgen seines Tuns, Arbeitslosigkeit, auf der Straße sitzen - dennoch ist er ein Heimgekehrter. Und darum lobt ihn Jesus, der Herr. Jesus lädt ein, lädt uns ein zur Heimkehr in die Gemeinschaft der Armen, lädt ein zum Ausbruch aus dem Irrenhaus des Mammons, in dem Geld diktiert, was gespielt wird, indem Finanzprobleme in der Rüstungsindustrie der USA dazu zwingen, immer weiter Vernichtungsgüter zu bauen, weil sonst die große Krise da wäre, in der die Gegner mitziehen müssen und ihrerseits Rüstungsirrsinn treiben.

Jesus lädt ein zum Ausbruch aus dem Irrenhaus des Mammon in die Gemeinschaft der Armen, der Ausgepowerten, der von ihm wahrhaft Befreiten. Damit sind wir nicht im Paradies, wohl aber in der Nachfolge unseres Herrn. Die Campesinos etwa in den gewaltfreien lateinamerikanischen Basisgemeinden, die alle genossenschaftlich miteinander teilen und die Kraft zu ihrem prophetischen Leben aus dem Lesen des Evangeliums und der Feier des Mahles schöpfen, sind sicherlich auf diesem Weg. Wir hierzulande machen im Allgemeinen aber noch immer weiter in der Verlockung des Mammon, unsere Freiheit, die hauptsächlich Freiheit der Leute ist, die Geld haben, die größer wird, je mehr Geld einer hat. Wir stehen auf der Seite des reichen Mannes, vielleicht den Armen gegenüber wenig korrupt, aber wir stehen nicht auf der Seite der Armen, der Schuldner, die den ungerechten Verwalter sicherlich mit Freude aufgenommen haben, bescheiden und ärmlich, aber immerhin in Sicherheit und Frieden. Wir, als BRD, sind nach außen großmütige Entwicklungshelfer der Dritten Welt, der armen Bauern. In Wirklichkeit werden wir aber immer wohlhabender und die da unten im Süden immer hungriger und elender. Woher das wohl kommt? Schulden erlassen – nein - das haben wir noch nie geschafft. Dafür beten wir es um so heftiger, jeden Sonntag: und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und wie sieht es aus mit der Schuld der Kriegspartner: rechnen wir uns nicht allzu gerne vor, wie die Russen in der Ostzone damals einmarschiert sind und brutal Frauen vergewaltigt haben, ohne zugleich die Gegenrechnung zu machen: daß wir 20 Millionen Russen auf unserem Gewissen haben. Haben nicht die Russen Grund genug, vor uns Deutschen alle Angst zu haben, die eine hat, der aus Schaden klug wird? Ich will eines nicht sagen: daß man in Russland frei, so ungezwungen wie hier, leben kann. Ich lebe, vor die Wahl gestellt, lieber hier. Aber ich möchte, daß wir eines nicht sagen: lieber tot als rot. Wer diese selbstmörderische Forderung aufstellt, ist unverantwortlich, macht sich zum Herrn über Leben und Tod, handelt wie Gott, treibt ein gottloses Spiel, weil er Gott nicht Gott sein lässt, sondern sich zum Gott macht, zum Richter über Leben und Tod, nicht nur von sich, nicht nur von uns Deutschen, sondern von allen Menschen in neu Europa, möglicherweise der ganzen Welt. Es ist eine zutiefst unchristliche Auffassung, nach der die Freiheit das höchste Gut ist, dessen Verteidigung im Ernstfall die kollektive Selbstvernichtung rechtfertigt. Noch einmal: wer fragt, rot oder tot, der hat nicht begriffen, daß in der DDR eine Kirche Christi lebendig ist, die nicht zum Schweigen zu bringen ist, sondern eine tiefe Erneuerung erlebt, ärmer als wir sicherlich, aber sie lebt. Weder rot noch tot.

Wir haben heute Frieden Sonntag und Volkstrauertag. Alle, die den Krieg erlebt haben, werden zutiefst in den alten Ruf von 1945 mit einstimmen: Nie wieder Krieg! Das rufen uns die Gräber der 50 Millionen Kriegstoten des Zweiten Weltkriegs zu, das rufen uns die Mütter, deren Söhne an der Front geblieben sind. Und wir sind uns auch alle, alle einig in dem Wunsch, Frieden zu sichern. Auch wenn es für einige Leute jetzt schon Wichtigeres gibt als den Frieden. Ich sage dazu: Jawohl, gut gesprochen! Wir brauchen unter uns in der Tat erst einmal etwas anderes als Frieden im Sinne von Kirchhof-Frieden und von Totenstille. Christus sagt: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Vater und Sohn, Tochter und Mutter werden sich streiten um meinetwillen. Genau das erlebe ich tagtäglich: wo ich vom Frieden rede, entsteht Unfriede, entsteht Streit. Man sagt mir am Telefon: Sie dreckige Pazifistensau, man verbietet mir eine Kanzel, man will mich zum Schweigen bringen. Also zunächst: die Botschaft Christi bringt Streit. Unser Herr ist durch diesen Streitereien bis ans Kreuz gekommen. Man sagt mir dann: ihr Friedensleute, wenn ihr nicht immer Streit bringen würdet, dann würden wir euch ja ernst nehmen. Und man meint damit: ihr sagt Abrüstung und Gewaltlosigkeit. Wir sagen: Sicherheit des atomaren Gleichgewichts. Und wenn ihr unsere Meinung nicht teilt, seid wenigstens friedlich, damit wir euch die Gewaltlosigkeit auch glauben können. Die Friedensleute ohne Waffengewalt sind also in der Zwickmühle: um möglichst glaubwürdig zu sein, sollen sie ruhig sein, nicht protestieren, sich friedlich geben. Darum schlage ich heute die folgende präzisere Formulierung vor: wir unterscheiden zwischen Frieden auf internationaler Ebene inklusive Frieden und Gewaltlosigkeit im Umgang mit der Polizei und auf der anderen Seite Streit in Gesprächen. Man kann nicht überall Frieden haben. Wir müssen mit Interessengegensätzen und Konflikten leben; aber wie wir sie austragen, ist entscheidend.

Und ich sage: Jesus liebte den Frieden und den Streit: Jesus segnet die Friedensstifter, die ihr Schwert in die Scheide stecken, die leiden unter Unrecht, aber Jesus streitet sich leidenschaftlich gerne.

Um Frieden zu schaffen, brauchen wir Streit. Wir müssen unsere unterschiedliche Positionen auf den Tisch bringen und ich bringe die eine Position hier auf die Kanzel, weil die andere Position, auch stillschweigend, gut genug hier vertreten wird. Denn wer für Friedenssicherung durch Wettrüsten ist, braucht nur einfach gar nichts zu sagen, dann läuft das Rüsten seinen bisherigen Gang ins Vorkriegszeitliche.

Bitte, vergessen wir nicht diese Unterscheidung von Frieden als Verzicht auf Waffengebrauch und Streit als Austausch und Versöhnung widersprüchlicher Interessen. Wenn wir mit Gespräch, mit Streit und Konflikt Offenheit nur stärker leben würden, desto weniger würde die gegenseitige Bedrohung mit Gewalt, mit Knüppeln und Pflastersteinen, mit Pershing 1A, 2 und SS 4, 25 und Cruise Missiles nötig. Darum heute nur dieses eine Wort: wer Frieden will, muss bereit sein zum Gespräch, zum Streit, zum Engagement. Darauf liegt der Segen Christi.

Um den Frieden lohnt es sich, zu streiten. Denn wenn das Abschreckungssystem wackelig wird, ist es zu spät zum Streit. Dann wird sich nie wieder ein Mensch streiten können. Noch ist die Chance, als christliches Abendland - im Gegensatz zu den atheistischen Ostblockstaaten - noch ist Chance, den ersten Schritt zur Abrüstung zu tun. Wenn ich recht informiert bin, haben wir das bei uns noch nie gemacht, den ersten Schritt im Verzicht auf mehr Rüstung zu machen. Wir, die Christen, sollen Sauerteig sein, der alles durchsäuert. Sollen ansteckend wirken, sollen als gutes Beispiel des Friedensstifters vorangehen. Bisher habe ich von uns kein solches Beispiel gesehen, wohl aber aufmerksames Verfolgen der Fehltritte unserer Gegner und östlichen Partner. Achten wir auf den Balken im eigenen Auge. Dann merken wir, wie sehr wir selbst der Vergebung und der Großmut unserer östlichen Partner bedürfen und wie sehr, das vor allem, wir der Vergebung unseres Gottes bedürfen. In diese Vergebung wollen wir uns stellen, aus dieser Vergebung leben und mit ihr anderen vergeben lernen, sowie der ungerechte Verwalter die Schulden der anderen verringert hat. Das geht auf unsere Kosten. Wir müssen lernen, für die Friedensgeschichte unseres Gottes zu leiden. Die Macht Christi ist die Vollmacht des Streites für den Frieden und die Gerechtigkeit, die nur zugleich wirklich werden oder gar nicht - und die Ohnmacht des Verzichts auf Schwert und Gewalt. Vertrauen wir auf diese Macht Christi. Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch. Amen.