Gehalten
am 15.11. 1981 in Bochum Christuskirche und Friedenskirche
Liebe
Gemeinde!
Der
Herr lobt den ungerechten Ökonomen, daß er klug
gehandelt habe. Ist
das nicht ein bißchen merkwürdig? Die Exegeten
überlegen hin und her: Wer ist
"der Herr"? Der reiche Mann, der seinen Verwalter
rausschmeißen will,
kann der ihn loben, daß er noch obendrein seine Schuldscheine
fälscht? Oder ist
"der Herr" kein anderer als Jesus, so daß dieser Satz das
Ende des
Redens Jesu und der Anfang des Redens über Jesus
wäre? Liebe Gemeinde, ich
bitte um Ihre Meinung. Wie schätzen Sie die Lage ein: ist "der
Herr",
der die Klugheit des ungerechten Verwalters lobt, Jesus oder der reiche
Mann,
dem alles Geld gehört? Bitte, wer meint, Jesus sei gemeint,
hebe seine Hand. - Und
nun bitte ich die Hände derer hoch, die glauben, der reiche
Mann lobt die
Klugheit des Haushalters.
Nun
ich denke eher, daß Jesus derjenige ist, der die
üblen
Finanzierungen lobt. Ich möchte etwas über die
damaligen Reichen und ihre Verwalter
erzählen. In Jerusalem zur Zeit Jesu gab es ein paar wenige,
aber mächtige Geld-Adelige,
heute würden wir sagen: Millionäre. Die Priester
Jerusalems gaben ihnen die
nötige geistliche Rückendeckung. Dann war da der
König Herodes der Große, der
so hohe Steuern erhob, daß die meisten Kleinbauern Israel's
nicht auskommen
konnten mit dem Rest. Und sich Korn, Öl, Schafe und so weiter
bei dem leihen mußten,
der übergenug hatte. Aber meist konnten sie es dann auch nicht
zurückzahlen,
weil das Geliehene ja gerade zum Überleben reichte und deshalb
mußten sie
zumeist etwas von ihrem Besitz verkaufen an den, der ihnen was geliehen
hatte.
So waren die freien Bauern zu Halbsklaven geworden und den wenigen
städtischen
Geldverleihen und deren Managern, die Bibel sagt im griechischen Text:
oikonomos, Ökonomen, rettungslos ausgeliefert. Die ins Elend
gestürzten Bauern
brauchten in jeder Notlage etwa Krankheit, Dürre,
Überfall, ein wenig Bargeld
oder Naturalien. Beim Millionär direkt nachzufragen, bei dem
man ohnehin schon
1 bis 4 Jahre Arbeit als Schuldenlast hatte, hätte kaum Erfolg
gehabt. So
fragte man den Verwalter, den Manager, den oikonomos. Der gab, hinter
dem
Rücken des Millionärs, dem armen Bauern Geld und
ließ dafür den Bauern im Schuldenbuch
einen weitaus höheren Betrag unterschreiben, als er dem
Millionär jetzt
wirklich schuldete. Das nennt man "verdeckte Zinsen", denn
Zinsgeschäfte durfte ein Jude nach dem Gesetz des Mose gar
nicht machen. Diese
"Zinsen" kassierte später der Verwalter selbst ein. Davon
wurde er
selbst wohlhabend. Eine Lebensstellung im damaligen Bankgewerbe, im
Finanzkapital. Unser Manager in der Gleichnis-Geschichte hat wohl ein
wenig zu
viel an solchen Schulden aufgeschrieben, hat zu viel in seine Tasche
gewirtschaftet. Wer Ökonomie als Fachmann ausübt,
weiß immer Wege, in die
eigene Tasche zu wirtschaften. Aber dabei ist der erwischt worden! Und
der
Millionär in Jerusalem kündigt seinem Manager,
fordert die Schlussabrechnung,
um die Bücher dem Nachfolger übergeben zu
können. Und was macht der raffinierte
Manager? Er läßt sie einzeln antreten, die armen
Bauern, die Schuldner, und
streicht ihre Schuld im Schuldenbuch zusammen. Dem einen
erläßt er 50%, dem
anderen 20% usw. Er streicht, genau gesagt, den Teil der Schulden
wieder aus,
den er als "verdeckte Zinsen" vorher zuviel aufgeschlagen hatte. Er
verzichtet also auf seinen Anteil an dem Schuldgeschäft. Und
damit steigt er
aus dem Schuldgeschäft schon aus, bevor er von seinem Chef
rausgeschmissen
wird. Dabei schädigt er eben weder seinen Chef; der bekommt
präzise so viel
zurück, wie der Arme von ihm geliehen hatte - noch den Armen,
dessen Schulden
er ja auch hätte zurückfordern können, um
mit der Auszahlung der verdeckten
Zinsen genug Startkapital zu machen für eine eigene
selbstständige Existenz.
Nein. Er tut das nicht. Er steigt aus dieser ganzen Schuldenpraxis aus,
bei der
die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.
Ok,
er war Manager, er hat es wüst getrieben mit hohen Zinsen,
hohe
Ausbeutung, Mehrwert für die eigene Tasche. Aber er steigt
jetzt aus. Er wird
solidarisch mit den armen Bauern, weil er hofft - nicht etwa: verlangt!
- Weil
er hofft, bei ihnen Aufnahme in ihren Häusern zu finden, wenn
er arbeitslos ist
und auf der Straße steht. Er kehrt der Allianz von Wohlstand,
Gewalt,
Ausbeutung und Tempel den Rücken zu. Er kehrt in die
Gemeinschaft des
Gottesvolkes zurück, nicht makellos, nicht ohne Angst vor den
Folgen seines
Tuns, Arbeitslosigkeit, auf der Straße sitzen - dennoch ist
er ein Heimgekehrter.
Und darum lobt ihn Jesus, der Herr. Jesus lädt ein,
lädt uns ein zur Heimkehr
in die Gemeinschaft der Armen, lädt ein zum Ausbruch aus dem
Irrenhaus des
Mammons, in dem Geld diktiert, was gespielt wird, indem Finanzprobleme
in der
Rüstungsindustrie der USA dazu zwingen, immer weiter
Vernichtungsgüter zu
bauen, weil sonst die große Krise da wäre, in der
die Gegner mitziehen müssen
und ihrerseits Rüstungsirrsinn treiben.
Jesus
lädt ein zum Ausbruch aus dem Irrenhaus des Mammon in die
Gemeinschaft der Armen, der Ausgepowerten, der von ihm wahrhaft
Befreiten.
Damit sind wir nicht im Paradies, wohl aber in der Nachfolge unseres
Herrn. Die
Campesinos etwa in den gewaltfreien lateinamerikanischen
Basisgemeinden, die
alle genossenschaftlich miteinander teilen und die Kraft zu ihrem
prophetischen
Leben aus dem Lesen des Evangeliums und der Feier des Mahles
schöpfen, sind
sicherlich auf diesem Weg. Wir hierzulande machen im Allgemeinen aber
noch
immer weiter in der Verlockung des Mammon, unsere Freiheit, die
hauptsächlich
Freiheit der Leute ist, die Geld haben, die größer
wird, je mehr Geld einer
hat. Wir stehen auf der Seite des reichen Mannes, vielleicht den Armen
gegenüber wenig korrupt, aber wir stehen nicht auf der Seite
der Armen, der
Schuldner, die den ungerechten Verwalter sicherlich mit Freude
aufgenommen
haben, bescheiden und ärmlich, aber immerhin in Sicherheit und
Frieden. Wir,
als BRD, sind nach außen großmütige
Entwicklungshelfer der Dritten Welt, der
armen Bauern. In Wirklichkeit werden wir aber immer wohlhabender und
die da
unten im Süden immer hungriger und elender. Woher das wohl
kommt? Schulden
erlassen – nein - das haben wir noch nie geschafft.
Dafür beten wir es um so
heftiger, jeden Sonntag: und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir
vergeben
unseren Schuldigern. Und wie sieht es aus mit der Schuld der
Kriegspartner:
rechnen wir uns nicht allzu gerne vor, wie die Russen in der Ostzone
damals
einmarschiert sind und brutal Frauen vergewaltigt haben, ohne zugleich
die
Gegenrechnung zu machen: daß wir 20 Millionen Russen auf
unserem Gewissen
haben. Haben nicht die Russen Grund genug, vor uns Deutschen alle Angst
zu
haben, die eine hat, der aus Schaden klug wird? Ich will eines nicht
sagen: daß
man in Russland frei, so ungezwungen wie hier, leben kann. Ich lebe,
vor die
Wahl gestellt, lieber hier. Aber ich möchte, daß wir
eines nicht sagen: lieber
tot als rot. Wer diese selbstmörderische Forderung aufstellt,
ist
unverantwortlich, macht sich zum Herrn über Leben und Tod,
handelt wie Gott,
treibt ein gottloses Spiel, weil er Gott nicht Gott sein
lässt, sondern sich
zum Gott macht, zum Richter über Leben und Tod, nicht nur von
sich, nicht nur
von uns Deutschen, sondern von allen Menschen in neu Europa,
möglicherweise der
ganzen Welt. Es ist eine zutiefst unchristliche Auffassung, nach der
die
Freiheit das höchste Gut ist, dessen Verteidigung im Ernstfall
die kollektive
Selbstvernichtung rechtfertigt. Noch einmal: wer fragt, rot oder tot,
der hat
nicht begriffen, daß in der DDR eine Kirche Christi lebendig
ist, die nicht zum
Schweigen zu bringen ist, sondern eine tiefe Erneuerung erlebt,
ärmer als wir
sicherlich, aber sie lebt. Weder rot noch tot.
Wir
haben heute Frieden Sonntag und Volkstrauertag. Alle, die den Krieg
erlebt haben, werden zutiefst in den alten Ruf von 1945 mit einstimmen:
Nie wieder
Krieg! Das rufen uns die Gräber der 50 Millionen Kriegstoten
des Zweiten
Weltkriegs zu, das rufen uns die Mütter, deren Söhne
an der Front geblieben
sind. Und wir sind uns auch alle, alle einig in dem Wunsch, Frieden zu
sichern.
Auch wenn es für einige Leute jetzt schon Wichtigeres gibt als
den Frieden. Ich
sage dazu: Jawohl, gut gesprochen! Wir brauchen unter uns in der Tat
erst
einmal etwas anderes als Frieden im Sinne von Kirchhof-Frieden und von
Totenstille. Christus sagt: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen,
sondern
das Schwert. Vater und Sohn, Tochter und Mutter werden sich streiten um
meinetwillen. Genau das erlebe ich tagtäglich: wo ich vom
Frieden rede,
entsteht Unfriede, entsteht Streit. Man sagt mir am Telefon: Sie
dreckige Pazifistensau,
man verbietet mir eine Kanzel, man will mich zum Schweigen bringen.
Also
zunächst: die Botschaft Christi bringt Streit. Unser Herr ist
durch diesen
Streitereien bis ans Kreuz gekommen. Man sagt mir dann: ihr
Friedensleute, wenn
ihr nicht immer Streit bringen würdet, dann würden
wir euch ja ernst nehmen.
Und man meint damit: ihr sagt Abrüstung und Gewaltlosigkeit.
Wir sagen:
Sicherheit des atomaren Gleichgewichts. Und wenn ihr unsere Meinung
nicht
teilt, seid wenigstens friedlich, damit wir euch die Gewaltlosigkeit
auch
glauben können. Die Friedensleute ohne Waffengewalt sind also
in der
Zwickmühle: um möglichst glaubwürdig zu
sein, sollen sie ruhig sein, nicht
protestieren, sich friedlich geben. Darum schlage ich heute die
folgende präzisere
Formulierung vor: wir unterscheiden zwischen Frieden auf
internationaler Ebene
inklusive Frieden und Gewaltlosigkeit im Umgang mit der Polizei und auf
der
anderen Seite Streit in Gesprächen. Man kann nicht
überall Frieden haben. Wir
müssen mit Interessengegensätzen und Konflikten
leben; aber wie wir sie
austragen, ist entscheidend.
Und
ich sage: Jesus liebte den Frieden und den Streit: Jesus segnet die
Friedensstifter, die ihr Schwert in die Scheide stecken, die leiden
unter
Unrecht, aber Jesus streitet sich leidenschaftlich gerne.
Um
Frieden zu schaffen, brauchen wir Streit. Wir müssen unsere
unterschiedliche Positionen auf den Tisch bringen und ich bringe die
eine
Position hier auf die Kanzel, weil die andere Position, auch
stillschweigend,
gut genug hier vertreten wird. Denn wer für Friedenssicherung
durch Wettrüsten
ist, braucht nur einfach gar nichts zu sagen, dann läuft das
Rüsten seinen
bisherigen Gang ins Vorkriegszeitliche.
Bitte,
vergessen wir nicht diese Unterscheidung von Frieden als Verzicht
auf Waffengebrauch und Streit als Austausch und Versöhnung
widersprüchlicher
Interessen. Wenn wir mit Gespräch, mit Streit und Konflikt
Offenheit nur
stärker leben würden, desto weniger würde
die gegenseitige Bedrohung mit
Gewalt, mit Knüppeln und Pflastersteinen, mit Pershing 1A, 2
und SS 4, 25 und
Cruise Missiles nötig. Darum heute nur dieses eine Wort: wer
Frieden will, muss
bereit sein zum Gespräch, zum Streit, zum Engagement. Darauf
liegt der Segen
Christi.
Um
den Frieden lohnt es sich, zu streiten. Denn wenn das
Abschreckungssystem
wackelig wird, ist es zu spät zum Streit. Dann wird sich nie
wieder ein Mensch
streiten können. Noch ist die Chance, als christliches
Abendland - im Gegensatz
zu den atheistischen Ostblockstaaten - noch ist Chance, den ersten
Schritt zur
Abrüstung zu tun. Wenn ich recht informiert bin, haben wir das
bei uns noch nie
gemacht, den ersten Schritt im Verzicht auf mehr Rüstung zu
machen. Wir, die
Christen, sollen Sauerteig sein, der alles durchsäuert. Sollen
ansteckend wirken,
sollen als gutes Beispiel des Friedensstifters vorangehen. Bisher habe
ich von
uns kein solches Beispiel gesehen, wohl aber aufmerksames Verfolgen der
Fehltritte unserer Gegner und östlichen Partner. Achten wir
auf den Balken im
eigenen Auge. Dann merken wir, wie sehr wir selbst der Vergebung und
der
Großmut unserer östlichen Partner bedürfen
und wie sehr, das vor allem, wir der
Vergebung unseres Gottes bedürfen. In diese Vergebung wollen
wir uns stellen,
aus dieser Vergebung leben und mit ihr anderen vergeben lernen, sowie
der ungerechte
Verwalter die Schulden der anderen verringert hat. Das geht auf unsere
Kosten.
Wir müssen lernen, für die Friedensgeschichte unseres
Gottes zu leiden. Die Macht
Christi ist die Vollmacht des Streites für den Frieden und die
Gerechtigkeit,
die nur zugleich wirklich werden oder gar nicht - und die Ohnmacht des
Verzichts auf Schwert und Gewalt. Vertrauen wir auf diese Macht
Christi. Alle
eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch. Amen.