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Predigt über Apokalypse 5

Gehalten am 29.11. 1981 (1. Advent) in Bochum Pauluskirche

Würdig ist das Lamm, würdig ist das Opfer Tier, in dem Gott selbst ist. Würdig allein, das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen ist das Opfer. Was für ein Advent, was für eine Ankunft Christi, bei der der erhöhte Herr immer noch blutverschmiert ist, immer noch das Lamm ist, das für uns geschlachtet wurde. Was für ein Advent, in dem die Opfer wieder kommen, alle die, in denen Gott selbst mit gelitten hat, die 6 Millionen Vergasten aus dem KZ von uns Deutschen, die man mit der Spitzhacke aus den Gaskammern herausgezogen hatte, die man mit Bulldozern in die Steinbruch-großen Massengräber schob, wo die oberste Leichenschicht noch atmete, klagte und schrie. Was für ein Advent, wenn die Opfer unserer Geschichte, die unschuldig waren, wieder kommen, mit ihrem durchschossenen Köpfen, Bäuchen und Gliedern, mit ihren strangulierten Hälsen, mit ihren ausgehungerten Skelett-Leibern, mit all den Tränen, die sie geweint haben, mit all der ohnmächtigen Wut und Verzweiflung, mit dem letzten Schrei auf den Lippen: mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Das wird ein Tag, an dem das Lamm Gottes wiederkommt. Das wird ein Parademarsch, wie er in keiner Tagesschau gezeigt würde: die Reihen der Gefolterten, alle nackt, mit den verbrannten Geschlechtsteilen, den herausgerissenen Fingernägeln, den gebrochenen Rippen. Und Gott wird sie alle führen zum großen Thronsaal, mitten hindurch durch die Gasse der Henker und Mörder, der Schreibtischtäter und der vorwitzigen Mitläufer, der feigen Angsthasen in all den Terrorismen unserer Geschichte, die vor lauter Angst Haken und Kreuze schlugen in all dem Unrecht, in all den Massenvernichtungen, den Hinrichtungen und den Menschenschlachthäusern. Das Opfer allein bekommt alle Macht und Ehre am Ende. Welch ein Traum! Welch eine Vision von Gerechtigkeit! Wo jeder, jeder unschuldig und unwürdig abgeschlachtete Mensch auf dieser Erde mit der höchsten Anbetung, mit aller Gewalt im Himmel und auf Erden bedacht würde. Welche ein Fest der Gerechtigkeit! Wo das Lamm das Buch mit sieben Siegeln eröffnet und darin stehen die Namen der Opfer und nicht die Namen der Henker, der Mörder, der Zuschauer, der Überlebenden.

Das wird ein Advent, wo unsere Namen nicht genannt werden, weil wir nicht gelitten haben, weil wir nicht Mut genug gehabt haben, unser Leben zu lassen für die Sache Jesu, für Gerechtigkeit und Frieden auf dieser Welt. Das wird ein Festgottesdienst der Gerechtigkeit sein, in dem die Opfer der Geschichte, die Auschwitz-Juden und die Hiroshima-Atom Toten, die vietnam-verbrannten und die Gemordeten von Chile, El Salvador, Sibirien, die von Christen ausgerotteten Inkas, Azteken und Indianerstämme, die Hexen und Ketzer, alle aus der großen Trübsal kommen und ihre Kleider waschen im Blut des Lammes und sie werden weiß und das Lamm wird sie weiden und vergessen werden all die Untaten und vergessen werden die Namen der Mörder und Zuschauer und die Namen derer aus unserem Gottesdienst und Gott wird nur noch da sein für die Opfer und wird ihnen abwischen alle Tränen. Amen.