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Predigt über 2. Korinther 6, 1-10

Gehalten in Bochum Paulus am 28.2. 1982, Sonntag Invokavit

Jetzt ist die Zeit der Gnade? Heute der Tag der Rettung? Wie? Wo? Wir erfahren nur Angst, Schrecken und ein bisschen Vergnügen, aber wenig, so wenig. Haben nicht viel zu lachen, wenn, aus Schadenfreude. Und doch ist es bei uns nicht so schlimm wie bei Paulus. Wir, die Kirchentreuen, erfahren wenig vom Alltag des Paulus, des Handlungsreisenden in Sachen Versöhnung mit Gott. Wir erfahren wenig von Trübsal, Not, Angst, Schlägen, Gefängnis, Aufruhr, Mühen, wachen Nächten, Fasten, aber auch wenig von Keuschheit, Erkenntnis, Langmut, Freundlichkeit und erst recht wenig vom Heiligen Geist, ungefärbter Liebe, aufrichtiger Wahrheit. Auch wenig von der Kraft Gottes und den Waffen der Gerechtigkeit. Schon eher allerdings erleben wir Ehre und Schande, böse Gerüchte und Lobhudeleien, Betrug und Aufklärung. Bei uns ist es mittelmäßig. Nicht so schlimm, nicht so schön. Mittelmäßig. Es geht so. Muss ja.

Zeit der Gnade, Tag des Heils, der Rettung - wäre das nicht Verschleierung unserer Missstände? Die Liste der Entbehrungen und Nöte des Apostels, ist das nicht Übertreibung des Trostlosen, was wir so erleben, also Heldenfanfare ohne Helden? Nicht so schlimm, nicht so schön. Ein bisschen schade, ein bisschen Gnade? Paulus nennt seine Leiden, die apostolischen Leiden, Zeit der Gnade. Was die Juden vom Messias erwarten, Rettung und Heil, das soll passiert sein und zwar in Christus, in einem schändlichen Foltertod eines Zimmermannssohnes aus Nazareth? Versöhnung mit Gott? Was Jesaja 49, 8 von der Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft proklamiert: die Heilszeit der Befreiung, Heimkehr, des neuen Friedens mit Gott.

Wo denn, wo? Wir sehen es nicht. Sehen können wir nur unsere Mittelmäßigkeit. Sehen konnte Paulus nur seine Leiden. Darum sagt er: wir sind in der Zeit des Glaubens, noch nicht in der Zeit des Schauens, des Sehens, der Erfahrung von Gottes Gnade. Paulus erlebt sie nicht, die Zeit der Gnade, er glaubt sie. Er erlebt die Kreuzesnachfolge. Darin, in all den Spannungen und Konflikten, ist Gott ihm nahe. die Gnade Gottes, die Rettung, das Heil ist verborgen im Leiden des Jesus nachfolgenden Apostels. Nur in der Verborgenheit unter dem Kreuz ist Gottes Gnade.

Aber ist unser Alltagsärger, die kaputte Magenschleimhaut, Galle, Bauchspeicheldrüse, Staublunge, unser ständiger Streit in der Kirche, unsere endlosen Querelen unter dem Zeichen des Gekreuzigten - ist das Nachfolge? Ist das Kreuz? Ist das gleich Gestaltung mit Christus? Sind unsere Leiden Leiden um Christi willen? Oder um unsere eigenen Interessen Willen? Wie unkenntlich ist doch das Kreuz Christi, ist doch die Leidensnachfolge um der Versöhnung und Liebe willen bei uns! Wie wenig eindeutig sind unsere Leiden Leiden für die Gerechtigkeit auf Erden! Wie wenig sind wir die Armen, die doch viele reich machen! Die nichts haben, und doch alles haben. Wir, die Reichen oder mittelmäßig Begüterten, die doch viele arm machen!

Und doch - Zeit der Gnade: gilt das Versöhnungsangebot nicht auch uns? Akzeptieren, dass Christus für uns Recht geschaffen hat, das Recht zu leben und fröhlich zu sein vor Gott, unserem Vater. Wir haben in aller Mittelmäßigkeit, Paulus hat in all seiner Mittelmäßigkeit, ein Recht zu leben. Vor Gott. Darum müssen wir uns nicht immer und überall ins Recht setzen wollen und damit schon ans Lebensrecht der anderen gehen. Wir sollen Leben. Die anderen auch. Das ist Gottes Gnade für alle Menschen. Greifbar nah unter aller Mittelmäßigkeit. Packen wir es an. Amen.