Pfingsten
6.6. 1982 in der Christuskirche Bochum und Pauluskirche
1984
in der Friedenskirche Bergkamen, ebenso Wichernhaus, Bodelschwingh,
Büscherstiftung und Overberge
Nicht
ganz allein zu sein in all unserer Einsamkeit - das ist schon der
ganze Trost. Wenn das nicht tröstet, der kann an der
Unscheinbarkeit der
Herrlichkeit Gottes und der Kraft des Heiligen Geistes auch keine
Freude
erleben. Der Heilige Geist ist keine Sensation, sondern der Sensus, der
Sinn
für Traurigkeit und ihr Ende, wenn Gott selbst die
Tränen abwischen wird.
Traurigkeit zu Pfingsten, dem Geburtstag der Kirche? Ist das nicht
unangebracht? Wäre Traurigkeit nicht einzig angebracht bei
einer Fehlgeburt?
Kirche als Fehlgeburt? Liest man die Bibel und schaut auf die Praxis
der
Kirche, kann man schon traurig werden. Es ist zum verzweifeln. Denken
wir an
das Pfingstwunder: die Jerusalemer Christen die plötzlich
überfallen werden vom
Brausen aus dem Himmel, vom Wind, vom Sturm, Ruach heißt Wind
und Geist
zugleich, die dann plötzlich angesteckt werden vom Feuer
dieses Geiststurms,
die losplatzen wie Verrückte und in allen Sprachen von Jesus
zu erzählen
beginnen. Denken wir an diese Begeisterung, diese ansteckende,
mitreißende
Stimmung, an die Bewegung die unter die Leute kam. Die so stark war,
daß sie
ihre Güter gemeinsam teilten: alles gehörte allen,
keiner hatte Angst etwas zu
verlieren, denn alle fühlten sich als Einheit: eins in
Christus dem Herrn. Dem
Herrn, der nie Angst hatte, etwas zu verlieren. Denken wir daran und
sehen wir
uns hier und heute: Stachelschweine, die sich stechen, sobald sie
einander zu
nahe kommen, dann haben wir allen Grund, Pfingsten traurig zu sein. Im
Wesentlichen sind wir doch allein in unserer Einsamkeit, auch noch
hier, in der
Gemeinschaft der Heiligen, wie wir es im Glaubensbekenntnis nennen.
Johannes
lässt Jesus in seinem Evangelium in langen Reden Abschied
nehmen von den Jüngern. Aus diesen Abschiedsreden Jesu stammt
unsere Predigt.
"Jetzt gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat... Es ist gut
für euch, daß
ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Tröster,
der para/kletoj
, der Beistand nicht zu euch kommen.
Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden." Jesus geht, damit
der
Geist kommt. Jesus geht, damit die Sendung hier so weitergeht. Sie soll
nicht
stehen bleiben bei der Verehrung dieses Mannes. Sie sollen nicht
steckenbleiben
in dem Personenkult um einen religiösen Führer. Der
Mann Jesus ist sterblich,
vergänglich. Solange er stark ist, ist auch die Jesusbewegung
stark. Aber mit
seinem Tod am Kreuz, mit dem Scheitern seiner Friedensbewegung, sind
die Jünger
verzweifelt, entzweit, zerstoben in alle Winde. Sie sind noch
abhängig von der
Person Jesu. Sie brauchen ihn als Führer. Seine Botschaft ist
noch nicht soweit
in ihre Herzen eingedrungen, daß sie in seinem Geiste selbst
handeln können.
Sie sind Jesus abhängige. Und darum geht Jesus. Darum wird er,
so versteht es
Johannes, der Evangelist, Jesus den Jüngern entzogen. Es ist
eine
Entziehungskur von dem Starkult um den Mann Jesus. Nicht Jesus soll im
Mittelpunkt stehen, sondern der Vater, Gott, der die Liebe ist. Und der
Geist,
in dem das begriffen wird, der Geist der Wahrheit, der
Tröster, der para/kletoj,
dieser Geist kann nur kommen und
wachsen, wenn Jesus geht. Erst dann kann das verinnerlicht werden, was
man
vorher jeden Tag aufs Neue von Jesus hörte, was von
außen gehört wurde und was
den Jüngern so oft unverständlich vorkam. Jesus geht,
damit das bleiben kann,
was er gesagt und getan hat. Damit sein Geist, der Geist Gottes, zur
Geltung
gelangt, muß er als Mensch abtreten. Darum stirbt Jesus.
Damit
der Geist der Wahrheit zur Geltung kommt. Wahrheit. Er wird die
Welt überführen, also ihre Ideologien Lügen
strafen. Die Wahrheit des Heiligen
Geistes entfaltet Johannes an drei Punkten:
Erstens
in Bezug auf die Sünde:
Sünde, Verblendung besteht darin, Jesus nicht zu glauben,
verschlossen zu sein gegenüber
den Zeichen der Liebe und Güte Gottes, die dieser Mann
demonstriert hat. Man
hat ihn nicht ernst genommen oder abgelehnt, den gewaltlosen Spinner
und
Wunderheiler, der in den Tag hinein lebte und in aller Entbehrung
scheinbar
glücklich war.
Zweitens:
in Bezug auf die Geschichte
Jesu heißt Wahrheit: ertragen lernen, daß dieser
Mann von der Bühne der Weltgeschichte
abgetreten ist und das ist deshalb nicht mehr an ihm ist, sondern an
uns, seine
Arbeit weiterzuführen. Die ersten Christen haben das zu
Pfingsten verstanden:
sie haben ihr Leben und ihren Besitz gemeinsam geteilt und den Reichtum
der
Solidarität und Einheit ihrer Gemeinschaft genossen. Weil sie
reich waren an
Liebe untereinander, konnten sie sich materielle Armut leisten.
Der
dritte Punkt, an dem der Geist Jesu uns in die Wahrheit führen
will,
ist, daß der Fürst dieser Welt gerichtet
ist. Er hat keine Macht mehr. Das letzte Wort über die, die
das letzte Wort zu
haben meinen, über die Mächtigen dieser Welt, hat
Gott gesprochen. Wir brauchen
keine Angst mehr vor ihren letzten Worten zu haben. Der Mann Jesus hat
uns
gezeigt, mit welchem Mut er denen gegenüber getreten ist, die
die Macht haben.
Über ihn haben sie keine Macht bekommen.
Jesus
geht, damit der Geist Gottes, der Geist der Liebe, der
Gerechtigkeit und der Wahrheit kommt. Jesus verläßt
uns, damit etwas bleibt,
was mit uns geht, wenn kein Mensch mehr mit uns gehen kann. Der Geist
bleibt
bei uns. Nicht ganz allein zu sein in unserer Einsamkeit - das ist
schon der
ganze Trost. Amen.