Heeren
Neujahr 1.1. 1983
Lieder:
45,1 - 3,6; 42, 1 - 3,7 + 8;
42,9 - 11;
139
Die
Wege, Werke, Pläne der Menschen und die Gerechtigkeit Gottes.
Die
Verborgenheit der Gerechtigkeit Gottes unter der Ungerechtigkeit des
menschlichen
Handelns. Leben zum Wohlgefallen Gottes, in Gerechtigkeit, ist
möglich!
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1.
Unser Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes und seiner Verborgenheit.
2.
Glaube als sehen was man nicht sehen kann.
3.
Gerecht handeln: in uns kommt Gottes Wille zum Vorschein und will
Versöhnung.
Thema:
Zweifeln-Glauben-Handeln
1.
Der Western: alle wirklich berühmten Kollegen des
Schauspielers
Ronald Reagan: James Dean, Charles Bronson, Cary Grant, Humphrey
Bogart. Alle
die harten Westernhelden mit ihrer Schießkunst und ihrem Gang
über Leichen,
alle sind sie bei aller Brutalität auf der Suche nach
Gerechtigkeit. Das ist
das Thema des amerikanischen Westerns. Nicht umsonst ist die Branche
der Krimis
und Western so beliebt: sie soll uns ständig, jeden Tag, jede
Nacht, vor Augen
halten, dass die Gerechtigkeit siegt. Das ist Theologie, die keiner
mehr
glaubt, der Zeitung liest. Nicht das, was der Pastor auf der Kanzel
sagt. Wenn
hier irgendwo die Wirklichkeit rosa gemalt wird, geschminkt und mit
falschen
Augenwimpern klimpert, dann im Film, im amerikanischen und deutschen
Spielfilm,
wo immer das Gute siegt, wo es keinen Unhappy End geben darf, damit die
TV-Glotzer nicht an ihrem unglücklichen und nur sehr wenig
gerechten Leben
verzweifeln.
Aber
warum versuchen wir eigentlich so verbissen, überall gegen
unseren
Zweifel zu fernsehen, zu lesen und zu denken? Warum ertragen wir so
selten
Zweifel? Warum hat der Papst sich für unfehlbar
erklären lassen? Warum hat
jeder Hitchcock das Ende in der Klärung des Falles, warum sind
aber mehr als
die Hälfte der täglichen Kriminalität
ungeklärte Fälle? Warum wird die
Aufmerksamkeit auf den Taschendieb gelernt, der mir in Mailand das Geld
aus der
Hose nimmt und so liebenswürdig ist, das Portemonnaie wieder
an seinen Platz
zurück zu stecken, sodass ich wenigstens die Euroschecks
behalten habe. Und
warum gibt es kaum Krimis über die
Wirtschaftskriminalität der multinationalen
Konzerne, über Steuerhinterziehung und Kartell-Machenschaften?
Warum ist J.A.
Ewing bisher der einzige Vertreter dieser Verbrecher im
großen Stil im
Fernsehen? Und warum zählt Dallas deshalb nicht zur Sparte
Krimi, sondern geht
unter Spielfilm-Serien durch? Zweifel an der Gerechtigkeit im Film
selbst, der
uns ja verkaufen will, dass es eine Gerechtigkeit am Ende gibt. Zweifel
am
Western, am Krimi, an Dallas, die uns ja unsere Zweifel über
die mangelhafte
Gerechtigkeit dieser Welt austreiben wollen. Warum lassen wir unsere
Zweifel
nicht einfach zu? Was macht denn der Zweifel mit uns? Bringt er uns zur
Verzweiflung?
2.
Ich behaupte: der Zweifel bringt uns zum Glauben! Und darum ist der
Zweifel lebens- und glaubensnotwendig. Wir verlernen ja eigentlich
immer mehr
das glauben. Im Mittelalter, als es mit dem Wissen und der Wissenschaft
noch
nicht sehr weit her war, wurde viel nachgedacht über Glauben
und Wissen,
besonders als man merkte, dass die Sätze des Glaubens, die
Dogmatik der Kirche,
nicht übereinstimmten mit dem, was man wissenschaftlich in
Erfahrung brachte.
Zum großen Teil sind wir heute immer noch nicht über
diese Stufe hinweg. Die
einen halten sich ganz rigide an die biblischen
Überlieferungen im Wortlaut.
Wenn Jesus von einer Jungfrau geboren ist, dann stimmt das eben. Basta.
Die
anderen halten diesen Glauben für unglaubwürdig und
geben sogleich dem ganzen
biblischen Reden von Gott den Abschied. Und das im Namen ihres gesunden
Menschenverstandes. Glauben und Wissen zu versöhnen scheint
immer mehr
unmöglich. Die einen zweifeln, die anderen glauben. Damit hat
sich's. Oder?
Nein.
Ich meine dass dieser katastrophale Zustand keinesfalls
hinzunehmen ist. Beide müssen ins Gespräch, Zweifler
und Glaubende. Damit die
Zweifler glauben können, müssen aber erstmal wir
Gläubigen zweifeln lernen, um
die Zweifler da abzuholen, wo sie sind. Und erst dann werden auch wir
Gläubigen
wieder zum Glauben kommen. Denn Glaube ohne Anfechtung, ein Glaube, der
sich
nie bestreiten lässt, der sich abgekapselt hat von allen
Zweifeln, worin
unterscheidet der sich noch von den Wahnvorstellungen eines Irren, der
unerschütterlich daran festhält, dass er Napoleon
sein?
Der
Glaube lässt sich also gerade um seiner selbst willen den
Zweifel
nicht nehmen. Genauer: der Glaube erträgt es nicht, in sich
selbst
abgeschlossen zu sein. Er sucht das Gespräch, sucht die
Konfrontation, den
Streit. Der Glaube sucht den Streit mit der Welt. Der Glaube
bestreitet, dass
das, was wir sehen, hören, fühlen und wissen, schon
alles ist. Der Glaube
bestreitet, dass die Welt, wie sie ist, also mehr schlecht als recht,
eine
abgeschlossene Angelegenheit ist, in der im Wesentlichen nichts Neues
passiert.
In der das neue Jahr so immergleich abläuft wie das alte. Mit
Krieg, Hunger,
Arbeitslosigkeit, mit Fußball, Ferien und Dallas, mit
Waffengeschäften,
Schnitzel und Migräne. Der Glaube traut Gott und der Welt mehr
zu, als dass,
was er sieht. Er traut der Welt zu, dass sie eine offene Angelegenheit
ist, in
der noch einiges passiert, was wir bisher nicht für
möglich gehalten haben. Und
er traut Gott zu, dass er die Möglichkeiten dieser Welt,
Atomtod oder eine
gerechte Weltwirtschaftsordnung, zum Guten wendet. Allerdings: davon
sieht und
weiß man gar nichts. Dass wir nicht als Moleküle
durch den Atompilz fliegen,
sondern dass wir mit enger geschnalltem Gürtel eines Tages
sagen können: es
hungert keiner mehr, es wird keiner mehr gemordet, es empfängt
jeder Brot,
Arbeit, Wärme und Liebe, - das kann man nicht wissen, das kann
man nicht
vorhersehen, daran kann man nur zweifeln oder glauben. Und der Glaube
ist die
Antwort auf den Zweifel. Glaube heißt wissen, wie zweifelhaft
das ganze
experimentum mundi, die Weltgeschichte ist. Aber Glaube
heißt: hoffen dass Gott
in, mit und unter uns diese Welt am Rande des Abgrunds retten wird. Und
in
dieser Hoffnung wird der Glaube tätig. Da wird der Glaube zur
Liebe, die uns
mithilft bei der Rettung der Welt.
Erst
durch den Zweifel kommt der Glaube auf Trab. Erst durch die
Offensichtlichkeit dessen, dass kein allmächtiger Gott
für alle sichtbar die
Fäden in der Hand hat, dass seine Macht vielmehr verborgen
ist, erst durch die
offensichtliche Verborgenheit Gottes kommt der Glaube aus frommer
Selbstgenügsamkeit zur tätigen Hoffnung. Erst im
Zweifel an der Gerechtigkeit
kommen wir zu dem Schluss, dass wir Mitspieler Gottes in der Welt sind
und
nicht nur Marionetten oder Publikum. Publikum eines Welttheaters mit
Happy End.
Nur wer sich nicht beruhigen lässt durch Filme und allzu
schnelle fromme
Sprüche, dass alles sein Happy End hat, nur der begreift, dass
es etwas zu tun
gibt für uns, um die biblischen Verheißungen von
Gerechtigkeit und Frieden zur
Erfüllung zu bringen.
"Des
Menschen Herz denkt sich einen Weg aus, aber der Herr lenkt
seinen Schritt." Wer dies als Protokollsatz über
tatsächliche Wirklichkeit
versteht, hat das Wesen des Glaubens nicht verstanden. Dass Gott uns
zur
Gerechtigkeit führt, dass wir es mit seiner Hilfe schaffen,
ist unsere
Hoffnung. Kein Tatsachenbericht. Und diese Hoffnung macht uns Mut,
gegen alle
Tatsachen, die traurigen Tatsachen dieser Welt zu protestieren und uns
nicht
damit schon zufrieden zu geben. "Siehe, ich mache alles neu." Das ist
unsere Hoffnung. Und nicht "alle Jahre wieder". Und dieser Glaube,
diese Hoffnung gibt uns alle Jahre wieder, alle Tage wieder, die Kraft
zum
Neuanfang inmitten der alten traurigen Welt. Die Kraft der Liebe kommt
aus der
Hoffnung. Die Kraft zum anstrengenden Mitspielen bei der langsamen
Veränderung
der Welt zur Heimat für alle.
Und
nur wer zupackt, mittut und nicht nur mit sich machen lässt,
wird es
auch ein klein wenig ab und zu erleben, dass altes neu wird, dass die
Liebe
etwas ausrichtet in unserer lieblosen Welt. Und der hat dann erlebt,
dass unser
Glaube als Hoffnung auf die neue Welt Gottes der tiefste Zweifel ist an
dieser
Welt, so wie sie ist. Wer glaubt, weiß, dass sie so nicht
bleibt. Gott sei
Dank. Amen.