Heeren
am 30.1. 1983
Lieder:
511, 1 - 3; 268, 1 - 4; 5, 7, 8
1.
Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, oder: Liebe
geht durch
den Magen. Das Abendmahl ist mehr als ein Wort. Ein Kapitel von
Sinnlichkeit im
Geistlichen.
2.
Jesus und seine sättigende Barmherzigkeit für die
Sünder als Ärgernis
für alle anständigen Leute, so wie die
Pharisäer.
3.
Die Sinnlichkeit des Reiches Gottes und der Hunger der Welt, oder:
Gottes Wille ist nicht Predigen von Sattsein, sondern
Sättigen. Die Berufung
zur Jüngerschaft: sofort entscheiden! Das Reich Gottes ist wie
eine
Tischgemeinschaft. Welt-Abendmahl.
Liebe
Gemeinde!
1.
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern vom Wort Gottes. So
sagen die einen. Und meinen, man kann die Menschen daran unterscheiden,
ob sie
reich und gut essen oder erbärmlich. Wir würden
schnell sagen: ich kenne aber
auch Türken, was die bei Coop einkaufen, da gehen einem die
Augen über. Dagegen
sage ich hier und jetzt: ich kenne aber keine Leute, die noch nie bei
Coop oder
in anderen Läden eingekauft haben, weil sie gar kein Geld
haben, um dort
einzukaufen. Weil sie bettelarm sind. Die in Mülltonnen nach
Essensresten der Reichen
suchen. Wie der arme Lazarus. In der Bibel hat dieser Mann, der vom
Abfall der
Reichen lebt, einen Namen. Der reiche Mann hat keinen Namen. In unserer
Welt
haben die Lazarusse keinen Namen, dafür aber die reichen
Leute. Die sind
bekannt. Und darum kenne ich auch keinen dieser Lazarusse. Sie wohnen
weit weg.
Und sind unbekannt, selbst da wo sie wohnen.
Der
Mensch ist, was er isst Punkt und der Mensch ist, wie er isst. Fein
und vornehmen, oder in dreckigen, wenigstens aber einfachen
Verhältnissen. Mit Silberschüsseln
oder in einer alten Konservendose vom Müll als einziger
Kochtopf für die
Handvoll Reis. Also kurz: arm oder reich. Hungrig oder satt. Es kommt
also sehr
auf das Essen an. Auch Liebe geht durch den Magen, und wenn man keine
hat, dann
schlägt es einem auf den Magen. Und Essen hält nicht
bloß Leib und Seele
zusammen, sondern auch die Menschen untereinander. Wer oft alleine isst
weil er
allein ist, weiß am besten, wie wichtig es ist, gemeinsam mit
denen, die man
liebhat, zu essen. Gemeinsam Essen tut nicht nur dem Leib gut, sondern
der
Seele. Gemeinsam Essen hält uns zusammen, hält uns in
der Gemeinschaft, hält
uns am Leben, und Leben ist gemeinsam leben. Nicht große
Worte stiften
Gemeinschaft, machen uns vertraut miteinander, sondern kleine Happen.
Klein,
damit jeder etwas abbekommt. Nicht die Sattesten die
größten Happen. Gemeinsam
Essen ist Inbegriff von Zusammengehörigkeit, von Gemeinde.
Darum essen wir auch
in der Kirche zusammen. Dass wir das Abendmahl so selten und so
förmlich
miteinander teilen, sagt mehr über die Gemeinschaft der
Heiligen, die wir doch
sein sollen, als alle hoher Theologie.
2.
Jesus vergleicht das Reich Gottes oft mit einem großen
Gastmahl. Mit
gemeinsamen Essen und Trinken. Wir kennen das Gleichnis, wo der
Hausherr hohe Gäste
einlädt und alle sich fadenscheinig entschuldigen. Und er dann
mit den Pennern,
den Krüppeln, den Leuten von der Straße feiert. Im
Reich Gottes ist das Essen
wichtig. Denn im Reich Gottes ist es wie bei einem Fest, wo alle
eingeladen
sind und wo die Liebe wirklich durch und in den Magen geht und Leib und
Seele
und die Menschen untereinander in guter, fürsorglicher
Verbindung stehen.
Jesus
erzählt nicht nur vom Reich Gottes. Er fängt es an.
Sofort. So
schnell und auf der Stelle, wie die von ihm gerufenen und berufenen
Menschen
einfach, ohne Fragen und Wenn und Aber mitkommen. Jesus denkt nicht
zuerst
nach. Jesus handelt zuerst. Das ist wichtiger. Er geht mit in das Haus
des
unbeliebten, viel gehassten Zolleintreibers Matthäus.
Zöllner waren gefürchtet
und verhasst, weil sie den Leuten der römischen Kolonie
Palästina im Namen des
römischen Kaisers so viel Steuern abzwangen, dass es nur noch
zum Überleben
reichte. Zöllner waren darum Ausbeuter. Die obendrein noch
reichlich in die
eigene Tasche wirtschaften. Jesus liebt nicht das Ausbeuten. Aber er
liebt die
Menschen sogar noch in den schrecklichsten Berufen. Und besonders dann,
wenn
sie von den anderen gehasst werden.
Der
Hass der anderen treibt Jesus auf die Seite der Gehassten. Darum
feiert Jesus mit dem Zöllner Matthäus und seinen
Kollegen und vielen Sündern,
schlechten Menschen. Jesus feiert mit den Menschen, die Gott am
fernsten sind,
die der jüdischen Lebensgemeinschaft am fernsten gestanden
haben. Er feiert mit
den Sündern die Herrschaft Gottes. Er zeigt, dass Gott durch
ihn Jesus, gerade
bei denen am wenigsten lieben und liebenswerten Menschen
gegenwärtig sein will.
Das ist ärgerlich. Alle, die ihr ganzes Leben auf Gott hin
ausrichten, die
frommen, müssen geschockt sein, wenn sie erfahren, dass Gott
nicht ihnen,
sondern denen, die Gott den Rücken zugekehrt haben, am
allerersten seine
Herrschaft zeigt. Dass Gott besonders denen seine Liebe zeigt, die es
am
wenigsten verdient haben. Das ist ärgerlich, dass man sich
Gottes Liebe nicht
verdienen kann, sondern dass sie da am größten ist,
wo sie am wenigsten
verdient ist. Aber da wird sie am nötigsten gebraucht. Und
Gott gibt seine
Liebe dort, wo Not ist. Die anderen kommen ja auch so gut zurecht.
Jesus ist
wie der Arzt da, wo Not ist, wo Krankheit, Kummer, Sünde ist.
Das ist der Platz
für Gottes Sohn. Der Platz, an dem Jesus Gottes Reich zeigt,
ansagt, feiert,
ist nicht der Tempel, nicht die Kirche. Es ist nicht die
Opferstätte. Sondern
es ist ein Ort, wo gehasste, verachtete Menschen zusammenkommen. Es ist
eher
die Gosse als die Pelzmantel-Kirche, wo Gott Spuren seiner Gegenwart
hinterlässt. Aber trösten wir uns doch damit, dass
wir in der Kirche ja
immerhin nicht unter der Verachtung der anderen leiden, sowie das
Gesindel, zu
dem Jesus sich geschlagen hat. Trösten wir uns, dass es uns ja
gut geht, nicht
so wie die, zu denen Jesus kam, das Reich Gottes zu feiern mit Essen
und
Trinken.
3.
Folge mir nach! Das ist nicht nur eine tolle Einladung.
Matthäus gibt
seinen Beruf auf, um Jesus ganz zu folgen. Und wer sich selbst in der
Bewegung
weiß, in die uns Jesus ruft, der weiß, dass er ein
genauso schlechter Mensch
ist, wie alle schlechten Menschen. Der weiß, dass er
mindestens ebenso
erbärmlich ist wie der erbärmlichste Mensch. Der
weiß, dass er ohne das
Erbarmen Gottes nichts, gar nichts vor Gott wäre. Der
weiß, dass ihn nichts,
gar nichts außer vielleicht der Pelz, der Mercedes, das
Häuschen, die feste
Arbeitsstelle von einem Penner, von einem Arbeitslosen, von einem
Verbrecher
unterscheidet. Der kann dann auch auf den erbärmlichen Hochmut
verzichten, sich
selbst für etwas Besseres zu halten. Der hat die Demut, die
ein Mensch braucht,
um ganz offen zu werden für die Barmherzigkeit Gottes der lebt
ganz aus der
Barmherzigkeit, in der er sich von Gott geliebt weiß. Der hat
erfahren, was
Barmherzigkeit ist, der kann selbst barmherzig und warmherzig sein der
kann es
Jesus nachmachen, ihm nachfolgen auf dem Weg des Reiches Gottes zu den
erbärmlichste Menschen unter der Sonne. Der wird den Ruf in
die Nachfolge als
Chance zur Barmherzigkeit verstehen und befolgen. Der wird auch wissen,
wo
Barmherzigkeit nottut. Wir denken an Penner, Behinderte, Arbeitslose,
wir
denken an die größere Hälfte der Menschen
dieser Erde, die hungern. Es gibt
viel zu tun am Werk der Barmherzigkeit. Das muss gesagt sein. Und
solange
nichts getan wird, muss auch geredet werden, oder besser, einfach
angefangen
werden, etwas zu tun. Darum schließe ich meine Predigt heute
nicht mit einem
tröstenden Wort, sondern mit der Ermunterung, mitzugehen,
mitzuhandeln auf dem
Weg der Barmherzigkeit Jesu, des Reiches Gottes. Im Reich Gottes wird
gegessen
und getrunken und alle dürfen daran teilhaben. Solange wir die
Satten sind und
der Rest der Welt verhungern lassen, steht es übel um das
Reich Gottes. Im
Reich Gottes werden alle satt. Darum lasst uns beten und handeln: dass
alle
satt werden.
Ich
weiß, viele entschuldigen sich gerne vor dieser unserer
Mitverantwortung für die Welt, indem sie sagen, das kann nur
Gott alleine tun.
Dann sage ich: und Gott allein ruft uns, mitzuarbeiten an seinem Reich.
Ich
wünsche uns Satten, dass wir mehr und mehr Geschmack daran
finden, gegen den
Hunger in der Welt etwas zu tun. Guten Appetit. Amen.