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Predigt über Matthäus 9, 9 - 13

Heeren am 30.1. 1983

Lieder: 511, 1 - 3; 268, 1 - 4; 5, 7, 8

Jesu Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern als Zeichen des anbrechenden Reiches Gottes

1. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, oder: Liebe geht durch den Magen. Das Abendmahl ist mehr als ein Wort. Ein Kapitel von Sinnlichkeit im Geistlichen.

2. Jesus und seine sättigende Barmherzigkeit für die Sünder als Ärgernis für alle anständigen Leute, so wie die Pharisäer.

3. Die Sinnlichkeit des Reiches Gottes und der Hunger der Welt, oder: Gottes Wille ist nicht Predigen von Sattsein, sondern Sättigen. Die Berufung zur Jüngerschaft: sofort entscheiden! Das Reich Gottes ist wie eine Tischgemeinschaft. Welt-Abendmahl.

Liebe Gemeinde!

1. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern vom Wort Gottes. So sagen die einen. Und meinen, man kann die Menschen daran unterscheiden, ob sie reich und gut essen oder erbärmlich. Wir würden schnell sagen: ich kenne aber auch Türken, was die bei Coop einkaufen, da gehen einem die Augen über. Dagegen sage ich hier und jetzt: ich kenne aber keine Leute, die noch nie bei Coop oder in anderen Läden eingekauft haben, weil sie gar kein Geld haben, um dort einzukaufen. Weil sie bettelarm sind. Die in Mülltonnen nach Essensresten der Reichen suchen. Wie der arme Lazarus. In der Bibel hat dieser Mann, der vom Abfall der Reichen lebt, einen Namen. Der reiche Mann hat keinen Namen. In unserer Welt haben die Lazarusse keinen Namen, dafür aber die reichen Leute. Die sind bekannt. Und darum kenne ich auch keinen dieser Lazarusse. Sie wohnen weit weg. Und sind unbekannt, selbst da wo sie wohnen.

Der Mensch ist, was er isst Punkt und der Mensch ist, wie er isst. Fein und vornehmen, oder in dreckigen, wenigstens aber einfachen Verhältnissen. Mit Silberschüsseln oder in einer alten Konservendose vom Müll als einziger Kochtopf für die Handvoll Reis. Also kurz: arm oder reich. Hungrig oder satt. Es kommt also sehr auf das Essen an. Auch Liebe geht durch den Magen, und wenn man keine hat, dann schlägt es einem auf den Magen. Und Essen hält nicht bloß Leib und Seele zusammen, sondern auch die Menschen untereinander. Wer oft alleine isst weil er allein ist, weiß am besten, wie wichtig es ist, gemeinsam mit denen, die man liebhat, zu essen. Gemeinsam Essen tut nicht nur dem Leib gut, sondern der Seele. Gemeinsam Essen hält uns zusammen, hält uns in der Gemeinschaft, hält uns am Leben, und Leben ist gemeinsam leben. Nicht große Worte stiften Gemeinschaft, machen uns vertraut miteinander, sondern kleine Happen. Klein, damit jeder etwas abbekommt. Nicht die Sattesten die größten Happen. Gemeinsam Essen ist Inbegriff von Zusammengehörigkeit, von Gemeinde. Darum essen wir auch in der Kirche zusammen. Dass wir das Abendmahl so selten und so förmlich miteinander teilen, sagt mehr über die Gemeinschaft der Heiligen, die wir doch sein sollen, als alle hoher Theologie.

2. Jesus vergleicht das Reich Gottes oft mit einem großen Gastmahl. Mit gemeinsamen Essen und Trinken. Wir kennen das Gleichnis, wo der Hausherr hohe Gäste einlädt und alle sich fadenscheinig entschuldigen. Und er dann mit den Pennern, den Krüppeln, den Leuten von der Straße feiert. Im Reich Gottes ist das Essen wichtig. Denn im Reich Gottes ist es wie bei einem Fest, wo alle eingeladen sind und wo die Liebe wirklich durch und in den Magen geht und Leib und Seele und die Menschen untereinander in guter, fürsorglicher Verbindung stehen.

Jesus erzählt nicht nur vom Reich Gottes. Er fängt es an. Sofort. So schnell und auf der Stelle, wie die von ihm gerufenen und berufenen Menschen einfach, ohne Fragen und Wenn und Aber mitkommen. Jesus denkt nicht zuerst nach. Jesus handelt zuerst. Das ist wichtiger. Er geht mit in das Haus des unbeliebten, viel gehassten Zolleintreibers Matthäus. Zöllner waren gefürchtet und verhasst, weil sie den Leuten der römischen Kolonie Palästina im Namen des römischen Kaisers so viel Steuern abzwangen, dass es nur noch zum Überleben reichte. Zöllner waren darum Ausbeuter. Die obendrein noch reichlich in die eigene Tasche wirtschaften. Jesus liebt nicht das Ausbeuten. Aber er liebt die Menschen sogar noch in den schrecklichsten Berufen. Und besonders dann, wenn sie von den anderen gehasst werden.

Der Hass der anderen treibt Jesus auf die Seite der Gehassten. Darum feiert Jesus mit dem Zöllner Matthäus und seinen Kollegen und vielen Sündern, schlechten Menschen. Jesus feiert mit den Menschen, die Gott am fernsten sind, die der jüdischen Lebensgemeinschaft am fernsten gestanden haben. Er feiert mit den Sündern die Herrschaft Gottes. Er zeigt, dass Gott durch ihn Jesus, gerade bei denen am wenigsten lieben und liebenswerten Menschen gegenwärtig sein will. Das ist ärgerlich. Alle, die ihr ganzes Leben auf Gott hin ausrichten, die frommen, müssen geschockt sein, wenn sie erfahren, dass Gott nicht ihnen, sondern denen, die Gott den Rücken zugekehrt haben, am allerersten seine Herrschaft zeigt. Dass Gott besonders denen seine Liebe zeigt, die es am wenigsten verdient haben. Das ist ärgerlich, dass man sich Gottes Liebe nicht verdienen kann, sondern dass sie da am größten ist, wo sie am wenigsten verdient ist. Aber da wird sie am nötigsten gebraucht. Und Gott gibt seine Liebe dort, wo Not ist. Die anderen kommen ja auch so gut zurecht. Jesus ist wie der Arzt da, wo Not ist, wo Krankheit, Kummer, Sünde ist. Das ist der Platz für Gottes Sohn. Der Platz, an dem Jesus Gottes Reich zeigt, ansagt, feiert, ist nicht der Tempel, nicht die Kirche. Es ist nicht die Opferstätte. Sondern es ist ein Ort, wo gehasste, verachtete Menschen zusammenkommen. Es ist eher die Gosse als die Pelzmantel-Kirche, wo Gott Spuren seiner Gegenwart hinterlässt. Aber trösten wir uns doch damit, dass wir in der Kirche ja immerhin nicht unter der Verachtung der anderen leiden, sowie das Gesindel, zu dem Jesus sich geschlagen hat. Trösten wir uns, dass es uns ja gut geht, nicht so wie die, zu denen Jesus kam, das Reich Gottes zu feiern mit Essen und Trinken.

3. Folge mir nach! Das ist nicht nur eine tolle Einladung. Matthäus gibt seinen Beruf auf, um Jesus ganz zu folgen. Und wer sich selbst in der Bewegung weiß, in die uns Jesus ruft, der weiß, dass er ein genauso schlechter Mensch ist, wie alle schlechten Menschen. Der weiß, dass er mindestens ebenso erbärmlich ist wie der erbärmlichste Mensch. Der weiß, dass er ohne das Erbarmen Gottes nichts, gar nichts vor Gott wäre. Der weiß, dass ihn nichts, gar nichts außer vielleicht der Pelz, der Mercedes, das Häuschen, die feste Arbeitsstelle von einem Penner, von einem Arbeitslosen, von einem Verbrecher unterscheidet. Der kann dann auch auf den erbärmlichen Hochmut verzichten, sich selbst für etwas Besseres zu halten. Der hat die Demut, die ein Mensch braucht, um ganz offen zu werden für die Barmherzigkeit Gottes der lebt ganz aus der Barmherzigkeit, in der er sich von Gott geliebt weiß. Der hat erfahren, was Barmherzigkeit ist, der kann selbst barmherzig und warmherzig sein der kann es Jesus nachmachen, ihm nachfolgen auf dem Weg des Reiches Gottes zu den erbärmlichste Menschen unter der Sonne. Der wird den Ruf in die Nachfolge als Chance zur Barmherzigkeit verstehen und befolgen. Der wird auch wissen, wo Barmherzigkeit nottut. Wir denken an Penner, Behinderte, Arbeitslose, wir denken an die größere Hälfte der Menschen dieser Erde, die hungern. Es gibt viel zu tun am Werk der Barmherzigkeit. Das muss gesagt sein. Und solange nichts getan wird, muss auch geredet werden, oder besser, einfach angefangen werden, etwas zu tun. Darum schließe ich meine Predigt heute nicht mit einem tröstenden Wort, sondern mit der Ermunterung, mitzugehen, mitzuhandeln auf dem Weg der Barmherzigkeit Jesu, des Reiches Gottes. Im Reich Gottes wird gegessen und getrunken und alle dürfen daran teilhaben. Solange wir die Satten sind und der Rest der Welt verhungern lassen, steht es übel um das Reich Gottes. Im Reich Gottes werden alle satt. Darum lasst uns beten und handeln: dass alle satt werden.

Ich weiß, viele entschuldigen sich gerne vor dieser unserer Mitverantwortung für die Welt, indem sie sagen, das kann nur Gott alleine tun. Dann sage ich: und Gott allein ruft uns, mitzuarbeiten an seinem Reich. Ich wünsche uns Satten, dass wir mehr und mehr Geschmack daran finden, gegen den Hunger in der Welt etwas zu tun. Guten Appetit. Amen.